EU-Politik

Krise ohne Ende

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OECD-Chef lobt Fortschritte bei der „Konsolidierung“ Griechenlands. Niedergang südeuropäischer Volkswirtschaften geht ungebrochen weiter – 

Von REDAKTION, 29. November 2013 –

Sie ist vorbei, die sogenannte Eurokrise – zumindest wenn es nach den Elendsverwaltern des Sparregimes in Europa geht. Jubel dominiert die öffentlichen Verlautbarungen. Der Reformfortschritt in Griechenland sei „spektakulär“, heißt es aus dem Generalsekretariat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. OECD-Chef Angel Gurria ist euphorisch: Es handle sich um das „beeindruckendste (Konsolidierungs-)Programm, das ich je gesehen habe.“ (1)

Zuvor war schon Angela Merkel, anläßlich des Besuchs des griechischen Ministerpräsidenten Andonis Samaras am vergangenen Wochenende, gnädig zu ihrem Amtskollegen aus Hellas: „Griechenland hat erhebliche Fortschritte gemacht“, attestierte sie. Endlich sehe man „Licht am Ende des Tunnels“. Sieht man genauer hin, stellt sich doch die Frage, worin die so berauschenden Fortschritte bestehen sollen. Verwiesen wird zumeist ausschließlich darauf, dass Griechenland dieses Jahr wohl zum ersten Mal seit langem einen Primärüberschuss erwirtschaften wird. Athen gibt also weniger aus, als es einnimmt – aber auch das nur, wenn man von Tilgungsleistungen und Zinsen der bestehenden Schulden absieht.

Wenn man allerdings die Lage aus der Perspektive der Mehrheit der Bevölkerung der Peripherieländer betrachtet, erscheinen die Auswirkungen der Sparmaßnahmen wenig segensreich. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland bleibt unverändert hoch. Bei etwa 27,3 Prozent liegt sie dem Statistikportal Tradingeconomics zufolge im November 2013 (2). Im Jahresschnitt wird sie im Vergleich zum Vorjahr 2013 abermals wachsen. (3) Die Jugenderwerbslosigkeit sprengt ohnehin jeden Rahmen, sie liegt jenseits der 60 Prozent (4). Nur zur Erinnerung: Vor Beginn der Austeritätsmaßnahmen waren in Hellas etwa 8 Prozent ohne Job.

Diejenigen, die noch in Lohn und Brot stehen, haben es allerdings nur wenig besser. Die Löhne sind im Schnitt etwa um ein Viertel zurückgegangen, in einigen Branchen haben sie sich halbiert. Die Griechen, das wusste zumindest im Mai 2013 auch noch die OECD (5), arbeiten länger und verdienen weniger als vor der Krise. Die Vermögensverteilung im Land bleibt zudem extrem ungleich.

Wie „erfolgreich“ das an Agenda 2010 und Hartz-IV orientierte Reformdiktat aus Brüssel in Griechenland einschlug, zeigen aber nicht nur die Statistiken zu Erwerbs-, Obdach- und Mittellosigkeit. Drastisch führt eine andere Zahl vor Augen, wie stark die Bevölkerung unter den Austeritätsmaßnahmen leidet: Die Selbstmordrate. „2011 war das Jahr mit den meisten Selbstmorden in Griechenland, seit die Zahlen vor 50 Jahren erstmals erfasst wurden. Inoffizielle Daten deuten auf einen weiteren Anstieg in 2012 und 2013 hin“, schreibt Raphael Thelen in der Welt. (6) Der Weg zum Primärüberschuss ist mit Leichen gepflastert.

Die Zahlen in Portugal und Spanien sehen ähnlich aus wie die in Griechenland. Insgesamt hat die Schockstrategie, zu der Brüssel die Peripherieländer im Austausch für vermeintliche Hilfsgelder zwang, die Volkswirtschaften der Peripherie in eine ausweglose Situation manövriert. Von der durch EU- und IWF-Gelder generierten Luiquidität abhängig, bleibt ihnen nichts anderes, als einen Kurs fortzusetzen, der ihre Länder nachhaltig deindustrialisiert und an den Rand des ökonomischen wie politischen Zusammenbruchs führt. Überwunden werden kann die Krise so nie.

Dennoch: Die Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank will mehr. Die EU-Beamten, die derzeit wieder einmal „auswerten“, wie brav Andonis Samaras ihre Programme umsetzen hat lassen, mahnen mehr Reformwillen an, und auch Angela Merkel hat klar genug deutlich gemacht, dass es eine Entschärfung der rigiden Maßnahmen nicht geben darf. (7)

In Portugal plant man indessen, nachdem bereits in den vergangenen Jahren das Sozial- und Gesundheitssystem zusammengekürzt, die Löhne gesenkt und die Arbeitslosenzahl vergrößert wurde, erneute Einsparungen von 3,9 Milliarden Eurofür das Jahr 2014. (8) Die Abwärtsspirale dreht sich weiter.

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Anmerkungen

(1) http://www.welt.de/wirtschaft/article122317100/OECD-lobt-spektakulaere-Reformen-in-Griechenland.html
(2) http://www.tradingeconomics.com/greece/unemployment-rate
(3) http://de.statista.com/statistik/daten/studie/17312/umfrage/arbeitslosenquote-in-griechenland/
(4) http://www.telegraph.co.uk/finance/financialcrisis/10230653/Greek-youth-unemployment-soars-to-64.9pc.html
(5) http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2013/05/477086/oecd-schlusslicht-griechenland-niedrige-loehne-dafuer-lange-arbeitszeiten/
(6) http://www.welt.de/politik/ausland/article122007742/Arbeitslos-und-verzweifelt-bis-zum-Tod.html
(7) http://www.wsws.org/de/articles/2013/11/23/sama-n23.html
(8) http://www.neues-deutschland.de/artikel/916396.portugal-im-spartaumel.html

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