EU-Politik

Zwangsarbeit in Ungarn

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Ungarische Regierung führt Zwangsarbeit für Arbeitslose nach deutschem Vorbild ein – inklusive Arbeitslager und Polizeibewachung. Vor allem Roma sind betroffen.

Von TOMASZ KONICZ, 7. Juli 2011 –

Ungarn steht vor der Einführung einer allgemeinen Zwangsarbeit für alle bisherigen Sozialhilfeempfänger. Somit holt sich die erzreaktionäre ungarische Rechtsregierung um Premier Viktor Orban wieder einmal die Inspiration für ein faschistoides Politikvorhaben aus Deutschland. Budapest verankerte bereits eine „Schuldenbremse“ nach deutschem Vorbild in der ungarischen Verfassung. Diese Parallelen gibt es auch beim jüngsten Vorstoß: Ähnlich dem Konzept der „Ein-Euro-Jobs“ innerhalb der Hartz-IV-Arbeitsgesetze, die von der rot-grünen Regierungskoalition 2005 durchgesetzt wurden, soll künftig allen arbeitslosen Ungarn jedwede Sozialhilfe gekappt werden, die sich der Zwangsarbeit in „öffentlichen Arbeitsprogrammen“ verweigern.

Die von der reaktionären Regierungskoalition aus Fidesz und Christlich-Demokratischer Volkspartei für Anfang 2012 geplante Zwangsarbeit wird in Anlehnung an den rot-grünen Jargon ebenfalls als „gemeinnützig“ bezeichnet, wobei bis zu 300.000 Menschen ungarnweit von diesem Zwangssystem erfasst werden sollen. Zum Einsatz sollen diese Arbeitskolonnen bei staatlichen Großprojekten, Infrastrukturvorhaben, der Landwirtschaft und dem Forstwesen kommen. Als Beispiele dieser „gemeinnützigen“ Zwangsarbeit werden in den ungarischen Medien die Errichtung von Fußballstadien, Straßenarbeiten, die Instandhaltung der Kanalisation und das Aufschütten von Dämmen bezeichnet. Von diesen Maßnahmen wird hauptsächlich die Minderheit der ungarischen Roma betroffen sein, die Rund 7,5 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Aufgrund allgegenwärtiger Diskriminierung herrscht unter den Roma in Ungarn – die während des real existierenden Sozialismus zumeist in den längst abgewickelten Industriekombinaten und in der Landwirtschaft arbeiteten – derzeit eine Arbeitslosenquote von mehr als 50 Prozent.

In einem Interview machte Orban auch klar, dass diese Zwangsarbeit unter Vernachlässigung aller technischen Fortschritte des letzten Jahrhunderts zu leisten sei, da etwa die von den künftigen Arbeitssklaven aufzuschüttenden Dämme „nicht mit der Technologie des 21. Jahrhunderts gebaut werden, sondern während öffentlicher Arbeitsprogramme … mit der Hand.“ Ungarn müsse „auf den Pfad einer auf Arbeit basierenden Ökonomie zurückkehren, die Bürger müssen verstehen, dass es keinen Weg zum Reichtum durch Spekulation gibt“, tönte Orban bei einer Parlamentsansprache Ende Juni in Anlehnung an ordinär faschistische Arbeitshausideologie. Die Einführung der Zwangsarbeit flankiert die Regierung Orban mit einer Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 270 Tagen auf bis zu 90 Tage, wie auch einer Reihe von administrativen Vergünstigungen für die Wirtschaft, die „den Unternehmern mehr Ellenbogenfreiheit“ verschaffen sollen, wie das Wall Street Journal anerkennend formulierte.     

Die Regierung Orban legte aber auch viel Kreativität an den Tag, um dass von der SPD und den „Grünen“ in Deutschland eingeführte Zwangsarbeitssystem weiterzuentwickeln: Die ungarischen Arbeitskolonnen sollen dem Regierungsentwurf zufolge auch an private Unternehmen „ausgeliehen“ werden können, damit diese billigen Zwangsarbeitskräfte beim Ausheben von Gräben oder bei Hilfstätigkeiten auf dem Bau Verwendung finden. Mit diesem Zwangsarbeitssystem wird so – ähnlich dem deutschen Vorbild – eine massive Absenkung des Lohnniveaus forciert, da die Vergütung für diese Zwangsarbeiter bei einem Sozialhilfesatz von 28.500 Forint (circa 110 Euro) verbleiben soll, während der ungarische Mindestlohn bei 78.000 Forint liegt (1 Euro = 263,9 Forint).

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Die „Zumutbarkeitsgrenzen“ wurden in dem als „Ungarischer Arbeitsplan“ bezeichneten Gesetzesvorhaben ebenfalls drastisch verschärft, sodass die künftigen Zwangsarbeiter landesweit werden eingesetzt können. Sollte der Fahrtweg von der Einsatzstelle zum Wohnort für die Betroffenen zwei Stunden überschreiten, dann sollen diese Menschen in lagerähnlichen Unterkünften aus Baracken gleich am Ort der Zwangsarbeit konzentriert werden. Diese Arbeitskolonnen werden künftig dem ungarischen Innenministerium unterstellt, das auch den entsprechenden Repressionsapparat organisieren soll. Frühpensionierte Polizisten sollen hierbei reaktiviert werden und die Überwachung der in den Arbeitslagern konzentrierten Arbeitskolonnen übernehmen. „Wir wollen diese Arbeiter nicht überwachen“, beruhigte Ungarns Innenminister Sándor Pintér bei einer Pressekonferenz Ende Juni, aber die „Beschäftigung von 300.000 Menschen in Arbeitsprojekten ist eine komplizierte Angelegenheit, die exakt der Fähigkeiten dieser Polizisten bedarf.“


In der Tageszeitung junge Welt erschien eine leicht gekürzte Version dieses Artikels.

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