Weltpolitik

Das Recht auf Selbstbestimmung. Ecuadors Botschafter über den Libyenkrieg, Syrien und das neue Selbstbewusstsein Lateinamerikas

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Erster Teil eines HINTERGRUND-Gesprächs mit Jorge Jurado, dem Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland

3. September 2011 –

HINTERGRUND
: Herr Botschafter, der Außenminister Ihres Landes, Ricardo Patiño, hat die Militärintervention der NATO in Libyen verurteilt. Er vergleicht sie mit der Invasion im Irak. Er sagt, dass das Vorgehen der NATO dem Grundsatz der Selbstbestimmung und dem Recht auf Souveränität zuwiderlaufe.

Jorge Jurado: Da ist wenig zu erläutern, das ist ganz klar. Wenn fremde Länder ihre Armeen benutzen, um durch Bombardements eine bestimmte politische Richtung zu unterstützen und eine vorher bestimmte Situation zu schaffen, dann richtet sich das absolut gegen das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes. Was würde die deutsche Öffentlichkeit denken, wenn irgendeine fremde Macht die Städte Berlin, Köln und Dresden bombardierte, um die hiesigen politischen Verhältnisse nach ihrem eigenen Gutdünken zu lenken? Was meinen Sie, was die deutsche Bevölkerung davon halten würde?

HINTERGRUND: Sie betonen das Recht auf Selbstbestimmung. Ecuador hat im UN-Menschenrechtsrat auch gegen den Antrag der EU gestimmt, unabhängige Experten nach Syrien zu schicken. Hat das auch etwas mit dem Recht auf Selbstbestimmung zu tun?

Jorge Jurado: Leider gibt es sehr viele Regierungen, die über lange Jahre hinweg von den jeweiligen Mächten in dieser Welt unterstützt wurden. Sie haben von der politischen Lage in diesen Ländern sehr profitiert. Wenn sich diese Regierungen dann irgendwann nicht mehr in die aktuellen Interessen dieser Mächte einpassen lassen, aufgrund von Veränderungen der weltpolitischen Lage oder weil sich die wirtschaftlichen Anforderungen gewandelt haben, dann schicken diese Mächte entweder Flugzeuge zum Bombardieren oder Beobachter. Das ist selbstverständlich ein Riesenunterschied. Aber das dahinter steckende Prinzip müssen wir kritisch analysieren. Um auf den Fall Syriens zu kommen: Das ist eine Katastrophe, was dort geschieht. Es ist unmöglich zu ertragen, dass ein Diktator auf seine eigene Bevölkerung schießt. Aber ich glaube, dass es Instanzen gibt, die eher berufen sind, dort etwas zu tun: die Arabische Liga unter Umständen.

HINTERGRUND: Zurück zum Krieg in Libyen. Pressemeldungen zufolge hat Ecuadors Außenminister gesagt, dass es bei der Intervention des Westens vorrangig um die Kontrolle über die Erdölvorkommen des Landes geht. Begründet wurde die Militärintervention doch aber mit dem Schutz der Bevölkerung vor einem schießwütigen Diktator.

Jorge Jurado
: Der Anfangsgrund, wenn wir dem einmal wohlwollend Glauben schenken wollen, hätte der Schutz der Bevölkerung sein können. Aber man muss alle möglichen Interessen hinter den Bombardements in Betracht ziehen. Die libysche Bevölkerung hat höchstwahrscheinlich bereits seit vierzig Jahren unter dem Gaddafiregime unter Menschenrechtsverletzungen gelitten. Ich kann mich nicht entsinnen, über diesen langen Zeitraum hinweg in der europäischen Presse irgendetwas darüber gelesen zu haben. Vielleicht wurde etwas darüber geschrieben, aber dann weniger in den großen Massenmedien. Die Frage ist doch, ob wir die Gründe, die für die Militärintervention genannt werden, einfach so akzeptieren müssen. Wir wollen doch mal sehen, wie viele Menschen in der durch die Bombardements geschaffenen, katastrophalen Situation tatsächlich in Mitleidenschaft gezogen oder getötet wurden. Viele Menschen wurden allein durch die fehlerhafte Zielortung der NATO-Flugzeuge getötet. Mir kommt dabei der folgende Vergleich in den Sinn: Stellen Sie sich einen Chirurgen vor, der einen Abszess zu entfernen versucht, dafür aber ein Bein amputiert. Der Abszess befindet sich aber möglicherweise in der Schulter. Denken Sie an den nun etwa zehn Jahre zurückliegenden Militäreinsatz der USA im Irak. Wer hat denn davon profitiert, dass Saddam Hussein gehängt wurde? Die Antwort lautet: ein netter amerikanischer Herr, der Dick Cheney heißt. Er hat vom Ölgeschäft profitiert. Die Einsätze der Weltmächte in den Ländern der sogenannten Dritten Welt waren und sind nie so harmlos, wie sie immer zu behaupten versuchen. Dahinter steckt immer ein etwas größeres Interesse.

HINTERGRUND
: Ich habe eine Nachfrage, die das Verhältnis von Libyen zu Ecuador bzw. dem ALBA genannten Bündnis von lateinamerikanischen Staaten betrifft. Gibt es da eine Kooperation zwischen dem nordafrikanischen Land und dieser Assoziation zur gegenseitigen Hilfe vor allem auf ökonomischem und sozialem Gebiet? Mir war da etwas zu Ohren gekommen, bin mir aber nicht sicher, ob das stimmt.

Jorge Jurado
: ALBA-Mitglied ist Libyen auf gar keinen Fall. Ich bin etwas überfragt, ob das Land kooperieren wollte. Und wenn das so sein sollte, dann gilt: Unsere Staaten sind frei, zu kooperieren und Handel zu betreiben, mit den Ländern, die bereit sind, das mit uns zu machen. Ich möchte eine Frage hinzufügen: Wie stark sind die Erdölgeschäfte Frankreichs, Deutschlands, der Europäischen Union in den letzten vierzig Jahren mit Libyen gewesen? Trotz des monströsen Akts des Terrorismus an einer Passagiermaschine der PANAM im Jahr 1988 im englischen Lockerbie, hinter dem Gaddafi steckt, was inzwischen meiner Ansicht nach bewiesen ist. Trotzdem hat man danach sehr gute Geschäfte mit Libyen gemacht.

HINTERGRUND
: Ich möchte Ihnen eine vielleicht waghalsige Hypothese vortragen. Könnte es nicht sein, dass ein Grund für die Bombardements der NATO und der USA in Libyen darin zu suchen ist, dass man auch das unbequeme ALBA-Bündnis lateinamerikanischer Staaten treffen möchte? Immerhin handelt es sich um eine Wirtschaftskooperation in unmittelbarer Nachbarschaft der USA, die den dort Herrschenden nicht in den Kram passt. Was meinen Sie dazu?

Jorge Jurado
: Ich bin nicht dieser Meinung. Mir scheint diese Hypothese etwas zu fernliegend. Falls es, spekulativ gesprochen, eine solche Kooperation zwischen ALBA und Libyen gegeben hätte, gäbe es ganz andere Mittel um diese zu sprengen. Dafür Monsieur Gaddafi mit täglich zwei Bombardements zu traktieren, das wäre so, als ob man mit einer Panzerfaust auf eine Mücke schießen würde.

HINTERGRUND: Macht man sich in Ecuador oder in anderen Staaten Lateinamerikas Sorgen, dass die USA und die NATO, wenn Sie in Nordafrika, dem Nahen und dem Mittleren Osten die Regime installiert haben, die ihnen gefallen, sich wieder verstärkt auf Lateinamerika konzentrieren, um dort den Regime-Wechsel zu forcieren?

Jorge Jurado: Die Geschichte, die Lateinamerika und die USA verbindet, ist vielschichtig gewesen, war aber leider geprägt von dem Willen der USA, Lateinamerika als ihren Hinterhof zu betrachten. Wir kennen das. Aber ich glaube, mit der Zeit ist Lateinamerika groß geworden. Lateinamerika sieht sich selbst als einen Kontinent, als ein Volk, das sich in Zukunft souverän weiterentwickeln möchte. Diese Entwicklung wird nicht abhängig oder von irgendjemand anderem gesteuert sein. Die Interessen, die uns bewegen, sind die Interessen einer Region, die auf der Weltbühne stehen möchte. Wir haben das Recht, unsere Zukunft so zu gestalten, wie unsere Völker sie gestalten wollen. Wir haben sehr viele Ideen und Visionen beigesteuert, die zum Teil schon längst von Europa und anderen Ländern übernommen werden könnten.

HINTERGRUND
: Welche Visionen meinen Sie?

Jorge Jurado
: Das sind zum Beispiel Ideen für andere Wege der Entwicklung in Politik und Wirtschaft. Dazu gehört UNASUR, die Vereinigung südamerikanischer Staaten. Wichtig ist der Aufbau einer eigenen Bank. Das Projekt der Banco del Sur (Bank des Südens) ist bereits sehr weit entwickelt. Dadurch sind unsere Staaten nicht mehr abhängig von Banken der USA oder den Vorgaben der Weltbank, die uns ständig ihre Richtlinien vor die Nase gedrückt hat. Wir können zu einer Zeit, wo die USA finanziell so schwach geworden sind, unsere eigenen Strukturen schaffen. Dann werden wir in wirtschaftlichen Krisen nicht mehr so stark getroffen. Das hat schon die Finanzkrise des Jahres 2009 bewiesen. Die Länder Lateinamerikas haben sie mehr oder weniger gut überstanden. Ecuador zum Beispiel hatte in diesem schlimmsten Jahr ein positives Wachstum von 0,37 Prozent. Im Jahr 2010 ist unsere Wirtschaft dann um 5,11 Prozent gewachsen. In der ersten Hälfte des Jahres 2011 sind es schon 8,3 Prozent gewesen. Wir haben also mit einer Wirtschaftspolitik, die wir mit eigenen Ideen und unter eigener Verantwortung durchführen, gute Ergebnisse erzielt. Ein wichtiges Beispiel für eine einzigartige innovative Idee, mit der Ecuador nun auf der Weltbühne steht, ist der Yasuni-ITT-Treuhandfonds.

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Das Gespräch führte Thomas Wagner.

Im zweiten Teil des Gesprächs mit Jorge Jurado, dem Botschafter von Ecuador, geht es um die Yasuni-ITT-Initiative und die Steine, die dem innovativen Umweltprojekt momentan in den Weg gelegt werden.

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