Weltpolitik

Demonstranten fordern unabhängige Republik

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Nach dem Einsatz ukrainischer Spezialeinheiten spitzt sich die Lage im Osten des Landes zu. USA und NATO heizen die Situation verbal an. Russland wird beschuldigt, als Drahtzieher der Proteste zu fungieren –

Von REDAKTION, 8. April 2014 –

Ein massiver Einsatz ukrainischer Spezialeinheiten im russischsprachigen Osten des Landes hat die Spannungen zwischen Kiew und Moskau weiter verschärft. Truppen räumten am Montagabend in der Millionenstadt Donezk ein kurz zuvor unter Beifall tausender Menschen besetztes Geheimdienstgebäude.

In Donezk wurde am Montag im ebenfalls besetzen Gebäude der Gebietsverwaltung eine souveräne Volksrepublik ausgerufen. Nach dem Vorbild der Krim soll bis spätestens 11. Mai ein Referendum durchgeführt werden. Zudem forderten die Protestierer Kremlchef Wladimir Putin auf, „Friedenssoldaten“ zu entsenden. Aus Lugansk und Nikolajew wurden ebenfalls Auseinandersetzungen gemeldet.

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Titelthema: Ukraine

Schwerpunkt: Forschung für das Militär

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Auch in der Millionenstadt Charkow hatten prorussische Kräfte eine autonome Republik verkündet. Dort räumten Truppen des Innenministeriums am Dienstag ein von Aktivisten besetztes Verwaltungsgebäude. Dabei nahmen sie 70 Menschen fest. Die Sicherheitskräfte hätten die Kontrolle übernommen, sagte Verwaltungschef Igor Baluta. Das Außenministerium in Moskau hatte zuvor in scharfen Worten vor einem Militäreinsatz gewarnt.

„Wir fordern, alle militärischen Vorbereitungen unverzüglich einzustellen, die einen Bürgerkrieg nach sich ziehen können“, teilte das russische Außenamt im sozialen Netzwerk Facebook mit. Die Rechte und Freiheiten sowie das Leben der Ukrainer seien stark gefährdet. Moskau hatte stets betont, notfalls seine Bürger im Nachbarland auch militärisch zu schützen.

Die „Anti-Terror-Operation“ gegen Separatisten in Charkow gehe weiter, betonte Verwaltungschef Baluta. Innenminister Arsen Awakow teilte mit, das Zentrum der zweitgrößten Stadt des Landes bleibe vorerst abgeriegelt. Um der Lage zumindest vorübergehend Herr zu werden, hatte das Kiewer Innenministerium verlässliche Sicherheitskräfte aus dem Westen des Landes in den Einsatz geschickt. Laut russischen Angaben sollen sich darunter auch bewaffnete Einheiten des faschistischen Rechten Sektors befinden sowie 150 ausländische Söldner der berüchtigten US-Firma  Greystone Ltd. (ehemals Blackwater), die Uniformen der Polizeispezialeinheit Sokol tragen würden.

Awakow bestritt die Beteiligung von privaten Söldnern und Verbänden des Rechten Sektors. Die Anwesenheit von Söldnern im Lande war hingegen schon vor Wochen von den Kiewer Machthabern bestätigt worden. Der Innenminister musste eingestehen, dass große Teile der Polizei in der Ost- und Südukraine auf der Seite des Volkes stehen und keine Befehle des Kiewer Regimes entgegen nehmen.  

„Ich hatte die Gelegenheit, die Polizeiarbeit in Charkow zu begutachten, und ich muss gestehen, dass die Mehrheit der dem Innenministerium unterstehenden Sicherheitskräfte ihren Dienst nicht angemessen erfüllt hat“, erklärte Awakow am Dienstag. (1) Er kündigte in diesem Zusammenhang personelle Umbesetzungen an.  

Im Osten und Süden der Ukraine demonstrieren seit Wochen zehntausende Bürger für eine Föderalisierung des Landes und mehr demokratische Rechte. Die Proteste waren weitgehend friedlich verlaufen. Auch deshalb, weil die örtlichen Polizeikräfte nicht den Anweisungen aus Kiew gehorchten, sie gewaltsam zu ersticken.

Die große Mehrheit der Menschen dort lehnt die von Faschisten durchsetzte Kiewer Regierung vehement ab. Und diese sucht keinerlei Kompromisse. Friedliche Demonstranten werden von ihr zu „Terroristen“ und „Staatsfeinden“ erklärt. Teilnehmer von Protesten wird mit jahrelangen Gefängnisstrafen gedroht. Mutmaßliche Rädelsführer werden von Spezialeinheiten aus ihren Häusern verschleppt. Doch die massive Repression – die es so unter Wiktor Janukowitsch nie gegeben hatte – vermochte es nicht, die aufständische Bevölkerung zum Schweigen zu bringen.  

Vor dem Hintergrund der starken Ablehnung der Bevölkerung in dieser Region gegenüber den Machthabern in Kiew erscheint es geradezu wahnhaft, wenn diese die Protestler als bezahlte Agenten Moskaus bezeichnen.

Dennoch schließt sich auch das westliche Ausland dieser Sichtweise an. US-Außenminister John Kerry geht zwar noch nicht so weit wie Kiew, zehntausende Ukrainer als Terroristen zu diffamieren, in einem Telefongespräch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow sprach er jedoch von „Separatisten, Saboteuren und Provokateuren“. Die Aktionen seien anscheinend keine „spontane Reihe von Ereignissen“, sondern eine „orchestrierte Kampagne mit russischer Unterstützung“. Jeder weitere Versuch Moskaus, die Ex-Sowjetrepublik zu destabilisieren, werde „weitere Kosten“ nach sich ziehen. Der Sprecher von US-Präsident Barack Obama sprach von „starken Hinweisen“, dass zumindest einige der prorussischen Kräfte bezahlt worden seien.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: Ein militärisches Eingreifen der NATO will er nicht ausschließen. „Wir überprüfen derzeit unsere gesamte Beziehung zu Russland.“

Obwohl die Ukraine nicht der NATO angehört, fühlt sich auch das US-geführte Interventionsbündnis berufen, über das Schicksal des Landes bestimmen zu können. Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sieht in Russland den Drahtzieher hinter den jüngsten Protesten – und droht entsprechend. „Wenn Russland in der Ukraine weiter intervenieren würde, wäre das ein historischer Fehler“, sagte er am Dienstag bei einem Treffen von Vertretern des Verteidigungsbündnisses in Paris. Auf die Frage, ob die NATO in diesem Fall auch zu einem militärischen Eingreifen bereit wäre, antwortete Rasmussen ausweichend. Ein russischer Einmarsch in die Ost-Ukraine hätte „ernsthafte Konsequenzen“ und würde Russland international weiter isolieren, sagte der Generalsekretär. Ein militärisches Eingreifen der NATO wollte er nicht ausschließen. „Wir überprüfen derzeit unsere gesamte Beziehung zu Russland“, sagte Rasmussen. Entscheidungen sollten bei einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister im Juni gefällt werden – je nach der weiteren Entwicklung der Situation und dem russischen Verhalten.

Während der Generalsekretär den Abzug von im Grenzgebiet zur Ukraine stationierten russischen Truppen verlangt, die sich dort im Einklang mit internationalen Verträgen aufhalten, fordert er, die militärische Einkreisung Russlands konsequent fortzuführen. So schlug er eine Aufkündigung von Abmachungen aus den Jahren 1997 und 2002 vor. Diese sehen unter anderem vor, dass die NATO auf die ständige Stationierung „substanzieller Streitkräfte“ in den einstigen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts oder der Sowjetunion verzichtet.

Zudem müsse das westliche Militärbündnis seine Einsatzbereitschaft verbessern, beispielsweise mit Manövern. Rasmussen forderte zudem die Regierungen auf, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben. „Die Europäer haben zu viel und zu lange abgerüstet“, sagte er. „Dies ist der Moment, um die Kürzungen zu stoppen und den bisherigen Trend wieder umzudrehen.“

Die Bundesregierung drohte am Dienstag Russland mit einer weiteren Sanktionsstufe. Zudem kritisiert sie, dass Russland aufgrund unbezahlter Rechnungen in Milliardenhöhe und nicht mehr existenter Verträge sein Gas nicht mehr verbilligt in das Nachbarland liefern will.

„Tägliche Meldungen von Erhöhungen des wirtschaftlichen Drucks durch Russland und die Besetzung öffentlicher Gebäude führen zu neuen Verhärtungen“, sagte Außenminister Steinmeier der Bild-Zeitung. „Unsere Aufforderung geht an alle, Nerven zu bewahren und jetzt nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.“

Doch nicht Russland, sondern die Regierung in Kiew dreht konsequent an der Eskalationsschraube. Anstatt sich mit ihren Gegnern an einen Tisch zu setzen und einen Kompromiss auszuhandeln, der die zukünftige nationale Einheit gewährleisten würde, setzt sie weiterhin unbeirrt auf die gewaltsame Unterdrückung jedweder Opposition – auch im Kiewer Parlament.

Dort warf der Präsidentschaftskandidat Pjotr Simomenko, Vorsitzender der Kommunistischen Partei, am Dienstag der Regierung vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein. „Schon seit langer Zeit verlangen die Menschen in der südöstlichen Ukraine, dass russisch als zweite Amtssprache eingeführt wird. Aber die Regierenden hören nicht auf sie“, so Simomenko.

Er macht die nationalistische Politik der Kiewer Regierung für die drohende Spaltung des Landes verantwortlich. Mitglieder dieser Regierung – namentlich der faschistischen Swoboda – drängten daraufhin den Präsidentschaftskandidaten gewaltsam vom Rednerpult und begannen, auf Mitglieder seiner Partei und der Partei der Regionen einzuschlagen. (2)
 
(mit dpa)


 

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(1) http://en.itar-tass.com/russia/726890

(2) Siehe: http://www.youtube.com/watch?v=9sxHUJDVKwU

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