Weltpolitik

Einigung nicht in Sicht

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Syrien-Konferenz in Genf: Die Verhandlungen beginnen konfrontativ –

Von SEBASTIAN RANGE, 24. Januar 2014 –

Vor den vielleicht entscheidenden Verhandlungen der syrischen Bürgerkriegsparteien an diesem Freitag in Genf stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation. Für den Syrien-Sondervermittler Lakhdar Brahimi hat eine seiner schwierigsten Missionen begonnen. Ein Durchbruch hin zu einer Friedenslösung ist nach fast drei Jahren Krieg mit mehr als 130 000 Toten nicht in Sicht. Organisationen wie die Welthungerhilfe sprechen von katastrophalen Zuständen in Syrien und fordern Zugang zur notleidenden Bevölkerung.

Brahimi traf am Donnerstag mit Vertretern der Regierung von Präsident Baschar al-Assad und der  in der Syrischen Nationalkoalition zusammengefassten Exil-Opposition zu getrennten Vorgesprächen zusammen. Dabei wurden die Rahmenbedingungen und Spielräume für die Gespräche in Genf ausgelotet. Dem Vernehmen nach werden beiden Seite zunächst nicht gemeinsam am Konferenztisch sitzen. Brahimi und seine Mitarbeiter müssen zwischen den Delegationen pendeln, um ihnen die Standpunkte der jeweils anderen Seite zu vermitteln.

Die mit hohen Erwartungen verknüpfte Syrien-Friedenskonferenz hatte am Mittwoch im schweizerischen Montreux begonnen. Die Positionen klaffen weit auseinander. Die Exil-Opposition will vor allem über die Bildung einer Übergangsregierung sprechen. „Unser Ziel ist nicht eine Waffenstillstandsvereinbarung. Wir wollen, dass die (frühere) Genf-1-Vereinbarung vollständig umgesetzt wird, und dazu ist erst einmal die Bildung einer Übergangsregierung erforderlich“, sagte Burhan Ghaliun, ein führendes Mitglied der Oppositionsdelegation, der Nachrichtenagentur dpa.

„Alle anderen Punkte wie ein Waffenstillstand oder Zugang für humanitäre Hilfe müssen dann von dieser Regierung geregelt werden“, ergänzte Ghaliun vor seiner Abreise von Montreux nach Genf. Doch das dürfte für eine von der Syrischen Nationalkoalition geführte Regierung kaum im Bereich des Möglichen liegen. Denn die Exil-Oppositionellen verfügen über keinerlei Rückhalt in der syrischen Bevölkerung und können sich auf die Loyalität nur eines kleinen Bruchteils der bewaffneten Kämpfer der Opposition verlassen. Zum weiteren Schaden der syrischen Bevölkerung verweigert sich die Nationalkoalition damit dem von der Welthungerhilfe angemahnten Zugang zu notleidenden Menschen, der einen Waffenstillstand bedingt.

Die von Russland und dem Iran geteilte Position der syrischen Regierung sieht hingegen das Schweigen der Waffen als Voraussetzung für ein Klima, dass es einer Übergangsregierung ermöglicht, freie Wahlen vorzubereiten. Vor allem gelte es, die radikalen Islamisten, die das Schlachtfeld auf Seiten der Rebellen dominieren, und die kein Interesse an einer Demokratie haben, zurückzudrängen.   

Irans Präsident Hassan Ruhani unterstrich diese Position erneut am Donnerstag vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos und beklagte, dass Syrien zu einem „Ort des wachsenden Terrorismus“ geworden sei. Erst müssten die Terroristen das Land verlassen, dann könnten die Syrer in freien und fairen Wahlen über ihre Zukunft entscheiden. Der Iran war auf Verlangen der USA von der Konferenz in Montreux und Genf ausgeschlossen worden.

Der Ausschluss des persischen Landes trug ebenso zur Erhitzung der Gemüter bei wie ein Bericht, der einen Tag vor Konferenz-Beginn vom britischen Guardian, der BBC und dem US-Sender CNN veröffentlicht wurde. Darin wird der syrischen Führung „systematische Folter“ von Gefangenen vorgeworfen. (1) Der Bericht stützt sich auf einen unter dem Pseudonym „Cäsar“ auftretenden Zeugen, der sich inzwischen mitsamt Familie ins Ausland abgesetzt haben soll. Als syrischer Militärpolizist sei es seine Aufgabe gewesen, die Leichen von getöteten Gefangenen zu fotografieren. Insgesamt soll der Mann Digitalfotos von 11 000 Toten angefertigt haben. Über einen Schwager habe „Cäsar“ die Aufnahmen ins Ausland geschmuggelt, die sich seitdem im Besitz der von Katar finanzierten Oppositionsgruppe „Syrische Nationalbewegung“ befinden sollen. Das Golfemirat, das islamistische bewaffnete Gruppen in Syrien militärisch und finanziell unterstützt, hat dann die britische Anwaltskanzlei Carter-Ruck and Co damit beauftragt, die Angaben „Cäsars“ zu überprüfen und einen entsprechenden Bericht zu erstellen. (2)

Zu diesem Zweck setzten sich drei international bekannte Juristen zusammen, die zuvor für die UN-Tribunale für Sierra Leone und Ex-Jugoslawien gearbeitet hatten. Sie halten „Cäsars“ Aussagen und dessen Fotos für authentisch. „Das ist die Art von Beweisen, nach denen jeder Ankläger sucht“, sagte David Crane, Chefankläger im Verfahren gegen Liberias Ex-Präsidenten Charles Taylor.

Desmond de Silva, der das Sondertribunal zu Sierra Leone geleitet und davor über Jahrzehnte für die US-Regierung und den US-Militärgeheimdienst gearbeitet hatte, sprach gegenüber dem Guardian von Tötungen im „industriellen Ausmaß“. Die Verfasser – Dritter im Bunde ist Geoffrey Nice, Chefankläger im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević – sind sich der Tatsache bewusst, dass ihr Bericht ein Politikum darstellt.

Angesichts der rivalisierenden Interessen seien die drei Juristen an die Aufgabe mit „dem Wissen herangegangen, dass sich das Untersuchungsteam davor schützen muss, von anderen als ein Vehikel benutzt zu werden, um bestimmte Standpunkte zu befördern,“ heißt es in dem Dokument. (3)

Doch der Zeitpunkt der Veröffentlichung spricht dafür, dass der Bericht tatsächlichen den Zweck verfolgt, ein „Vehikel für bestimmte Standpunkte“ zu sein. Das letzte mit „Cäsar“ geführte Gespräch des Untersuchungsteams fand am 18. Januar statt. (4) Keine 48 Stunden später gelang der inzwischen verfasste und als „vertraulich“ gekennzeichnete Bericht in die Öffentlichkeit.

„Ein Zufall ist das bestimmt nicht“, meint Wenzel Mischalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland. „Eine Frage ist etwa, warum derjenige, der diese Fotos zugänglich gemacht hat, sich nicht an die Vereinten Nationen oder andere Menschenrechtsorganisationen gewandt hat.“ Der Verdacht liege daher nahe, „dass damit eine größtmögliche Öffentlichkeit hergestellt werden soll“, um den „Druck auf Assad und auch auf Russland“ zu erhöhen, erklärte er in einem Gespräch mit tagesschau.de. Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre das „Folter industriellen Ausmaßes und ein ungeheures Verbrechen“, so Michalski. (5)

Syriens Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, Baschar al-Dschafari, räumte nach Bekanntwerden des Berichtes ein, dass in Gefängnissen seines Heimatlandes gefoltert wird. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen sei jedoch nicht so groß wie es von internationalen Organisationen dargestellt wird. „Ich bestreite nicht, dass Fehler gemacht werden, so wie in allen anderen Ländern auch“, sagte er am Mittwoch auf Nachfrage eines Journalisten. Al-Dschafari gehört der Verhandlungsdelegation der syrischen Führung bei den Gesprächen in der Schweiz an.

Der ebenfalls an der Konferenz teilnehmende Präsident der Syrischen Nationalkoalition, Ahmad al-Dscharba, sprach hingegen von Kriegsverbrechen, die denen der Nazis gleichkämen. Solche Bilder seien bisher nur aus den Konzentrationslagern der Nazis bekannt. Auch die Verfasser des Berichts sparten nicht mit solchen Vergleichen und nannten in diesem Zusammenhang die Konzentrationslager Bergen-Belsen und Auschwitz. (6)
 
Der emotionale Schrecken, der von diesen Bildern aus Syrien ausgeht, sollte dennoch nicht den nüchternen Blick trüben. Laut dem Bericht wurden die Aufnahmen angefertigt, „um einen Totenschein ausstellen zu können, ohne dass die Familie den Leichnam zu sehen bekommen muss“. Denn in den Totenscheinen seien von den syrischen Behörden stets natürliche Todesursachen wie Herzinfarkt oder Atemstillstand vermerkt worden. Das Militärhospital, in das die Leichen verbracht wurden, sollte laut Aussage „Cäsars“ nur als Kulisse dienen, um der Behauptung Glaubwürdigkeit zu verleihen, die Menschen seien nicht im Gefängnis gestorben. Doch die veröffentlichten Aufnahmen zeigen Leichname, die auf einem sandig-steinigen Boden im Freien liegen, und demnach nicht in einem Krankenhaus aufgenommen worden sein können. Zudem sind sie aufgrund in Großaufnahme gezeigter Folterspuren völlig ungeeignet, Hinterbliebene davon zu überzeugen, ihre Verwandten seien eines natürliches Todes gestorben. Ungeachtet solcher Widersprüche in der Darstellung des Zeugen „Cäsar“ kann nur die Feststellung getroffen werden, dass sich anhand des öffentlich zugänglichen Materials nicht überprüfen lässt, wer da von wem wann und wo gefoltert und ermordet wurde.

Skepsis ist auch deshalb angebracht, weil „Rebellen“ seit Beginn der Konfliktes wiederholt Massaker und andere Menschenrechtsverbrechen begangen haben, um sie der Regierung in die Schuhe zu schieben und damit den internationalen Druck auf Assad zu erhöhen. Der Publizist Jürgen Todenhöfer bezeichnete das als „Massaker-Marketing“. Meist wurde dieses im Vorfeld von UN-Sitzungen oder anderer wichtiger internationaler Termine mit Syrien-Bezug betrieben. Höhepunkt dieser perfiden Strategie war der pünktlich mit Ankunft der UN-Chemiewaffenexperten erfolgte Einsatz von Giftgas bei Damaskus im August 2013, bei dem hunderte Menschen starben.  

Zwei US-Forscher machten jüngst die Rebellen dafür verantwortlich – bereits zuvor hatte wenig für eine Urheberschaft des syrischen Militärs gesprochen. (7) In ihrem vergangene Woche veröffentlichten Bericht kommen Richard Lloyd, früherer UN-Waffeninspekteur, und Theodore Postol, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), anhand der von den UN-Experten dokumentierten Fakten zu dem Schluss, dass die Raketen, die das Giftgas transportierten, aufgrund ihrer geringen Reichweite nicht aus den Gebieten abgefeuert worden sein können, die von Regierungstruppen kontrolliert wurden. (8) Das bislang schwerste Kriegsverbrechen in dem seit drei Jahren anhaltenden Konflikt wurde demnach von den Feinden der Assad-Regierung begangen. Diese Botschaft so kurz vor Beginn der Friedensgespräche hätte der Verhandlungsposition der syrischen Regierung sicherlich nicht geschadet. Mit dem rechtzeitig vor Konferenzbeginn erhobenen Vorwurf der Tötungen im industriellen Ausmaß ist dieser „moralische Bonus“ den Vertretern der syrischen Regierung jedoch abhanden gekommen.

Der Bericht hat somit seine Wirkung bereits entfaltet und zu einer Verhärtung der Fronten beigetragen. Ganz gewiss wird er einer friedlichen Verhandlungslösung keinen Vorschub leisten. Ganz im Sinne seiner Auftraggeber, denn Katar hat schon immer den militärischen Sturz der Assad-Regierung favorisiert.


Anmerkungen

(1) „A Report into the credibility of certain evidence with regard to Torture and Execution of Persons Incarcerated by the current Syrian regime.“, nachzulesen unter: http://static.guim.co.uk/ni/1390226674736/syria-report-execution-tort.pdf

(2) http://www.theguardian.com/world/2014/jan/20/evidence-industrial-scale-killing-syria-war-crimes

(3) http://static.guim.co.uk/ni/1390226674736/syria-report-execution-tort.pdf, Seite 8

(4) http://static.guim.co.uk/ni/1390226674736/syria-report-execution-tort.pdf, Seite 6

(5) http://www.swr.de/landesschau-aktuell/deutschland-welt/-/id=1884346/nid=1884346/did=12737954/1o8n6wo/

(6) http://www.itv.com/news/2014-01-21/report-photos-of-syrian-prisoners-document-industrial-scale-killing-and-torture/

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(7) Siehe: http://www.hintergrund.de/201309252807/politik/welt/taeterschaft-weiter-unklar.html

(8) http://rt.com/news/study-challenges-syria-chemical-attack-681/

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