Weltpolitik

Fünf kubanische politische Gefangene

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von NORMAN PAECH, Herbst 2007:

Ein Prozeß um Terrorismus

– Politische Justiz ähnelt sich bei allen Unterschieden des Systems und Verfahrens in den verschiedenen Staaten doch in einem: dem willkürlichen Umgang mit den eigenen Gesetzen. Ein solcher Fall wurde am 20. August 2007 vor dem Berufungsgericht des 11. Circuit Court in Atlanta verhandelt, wo eine öffentliche Anhörung über die Wiederaufnahme des Prozesses gegen die sogenannten Cuban Five stattfand. Dem war ein Prozeß vorausgegangen, der der US-Justiz nicht zum Ruhme gereicht. Den Angeklagten brachte er die jeweiligen Höchststrafen mit mehrfachen lebenslangen Verurteilungen ein, die die Gefangenen nun in verschiedenen Gefängnissen der USA absitzen. In kurzen Zügen handelt es sich um folgende Geschichte:
Die fünf Kubaner wurden am 12. September 1998 verhaftet, nachdem die kubanische Regierung im Juni zuvor dem FBI umfangreiches Material über die Terror- und Interventionsaktivitäten übergeben hatten, die von Florida aus seit Jahrzehnten von exilkubanischen Organisationen gegen Kuba unternommen wurden. Das FBI versprach, gegen diese völkerrechtswidrigen Aktivitäten etwas zu unternehmen. Anstatt sich jedoch der Gangs in Miami anzunehmen und ihre Aktivitäten zu unterbinden, verhafteten die Strafverfolgungsbehörden jene fünf Kubaner – zwei von ihnen US-Staatsangehörige -, die das Material in Florida unter den Exilorganisationen gesammelt und den kubanischen Behörden übermittelt hatten. Die USA stellten sie im November 2000 in Miami vor Gericht, welches sie im Juni 2001 verurteilte. Die Jury fand die Angeklagten nach nur kurzer Beratung in allen 26 Punkten für schuldig, die leichtesten lauteten auf Benutzung falscher Identitäten, die schwersten auf Verschwörung zu Spionage und Mord. Im Dezember verkündete das Gericht seine Strafen: dreimal lebenslänglich, einmal 15 und einmal 19 Jahre Gefängnis. Gerardo Hernandez erhielt sogar zweimal lebenslänglich plus 15 Jahre.

Der zentrale Vorwurf der Verteidigung, daß gerade Miami wegen seiner bekannt antikubanische Atmosphäre ein völlig ungeeigneter Ort für ein faires Gerichtsverfahren sei und der Prozeß daher an einem anderen Ort stattfinden müsse, war von dem Gericht unbeachtet geblieben. Als jedoch genau ein Jahr später die US-Regierung als Angeklagte in einem Diskriminierungsfall mit kubanischem Hintergrund die gleiche Einrede vorbrachte und damit die Verlegung der Gerichtsverhandlung erreichte, entschloß sich die Verteidigung im April 2003 zu einem Wiederaufnahmeantrag des alten Prozesses. Sie stützte den Antrag auf die erfolgreiche Einrede der US-Regierung und erwirkte damit eine neue Anhörung, die eine Kammer des Berufungsgerichts in Atlanta (11th. Circuit Court of Appeal) für den 10. März 2004 in Miami anberaumte. Die aus einer Richterin und zwei Richtern bestehende Kammer ließ sich nach der Anhörung 16 Monate Zeit und verkündete am 9. August 2005 eine 93 Seiten umfassende Entscheidung, mit der sie die Urteile als unfair und rechtswidrig aufhob und einen neuen Prozeß an einem anderen Ort forderte.
Hilfreich mag auch ein inzwischen am 25. Mai 2005 veröffentlichtes Gutachten einer „Arbeitsgruppe über willkürliche Haft“ der UN-Menschenrechtskommission in Genf gewesen sein. Sie hatte ihre Kritik auf folgende Fakten gestützt:

– Nach der Verhaftung waren die Gefangenen 17 Monate in Isolationshaft gehalten worden, während derer der Kontakt zu ihren Anwälten und der Zugang zu Beweismitteln stark eingeschränkt war.

– Zudem hatte das Gericht alle von den Verhafteten gesammelten Dokumente und Materialien sowie andere Beweismittel nach dem Classified Information Procedures Act (CIPA) als geheim eingestuft, was sie auch dem Zugang der Anwälte weitgehend entzog.

– Obwohl die Anwälte die Möglichkeit hatten, die Jury von Mitgliedern kubanischer Abstammung frei zu halten, herrschte ein Klima der Voreingenommenheit und Vorverurteilung gegen die Angeklagten, welches keinen fairen Prozeß zuließ wie in Art. 14 Internationaler Pakt der bürgerlichen und politischen Rechte gefordert.

Die Kammer der drei Richter kam zu dem gleichen Ergebnis. Sie listete all die Gruppen auf, wie Alpha 66, Brigade 2506, Brother to the Rescue, Independent and Democratic Cuba (CID), Comandos L, Cuban American National Foundation (CANF) sowie den kürzlich von der US-Justiz freigesprochenen Luis Posada Carriles, die seit Jahrzehnten geheime und offene terroristische Operationen gegen Kuba durchgeführt hatten und folgerten, daß „die Annahme, daß diese Gruppen die Juroren derart einschüchtern können, daß es das Urteil ungünstig beeinträchtigt, naheliegend“ sei. Doch brachte die Entscheidung, mit der das Urteil von 2001 aufgehoben wurde, den Gefangenen keine Hafterleichterung. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein und dasselbe Berufungsgericht – nun in 12-köpfiger Besetzung – hob genau ein Jahr später am 9. August 2006 die Entscheidung ihrer Kammer wieder auf.

Der erneute Wiederaufnahmeantrag der Verteidigung stützt sich nunmehr auf drei weitere Punkte:

1) Die Kubanische Regierung hatte nach zahlreichen Warnungen an die Behörden der USA ernst gemacht und zwei der drei in ihren Luftraum eindringenden Kleinflugzeuge der „Brother to the Rescue“ abgeschossen. Vier der Abenteurer starben, während der Organisator und Kopf derartiger Provokationen, der Schweinebucht-Veteran Basulto, vorher abdrehte und wieder sicher in Miami landete. Das Gericht machte Gerardo Hernandez, der offensichtlich über die Flüge unterrichtet war, für den Abschuß durch die Kubaner verantwortlich und verurteilte ihn wegen „Verschwörung zum Mord“ zu zweimal lebenslänglich und 19 Jahre. Der Tatbestand der Verschwörung verlangt zumindest Mitwissen des geplanten Abschusses. Ein solches konnte die Regierung jedoch auch nach eigenem Eingeständnis nicht beweisen. Auch die Kammer hatte in der ersten Anhörung 2004 auf das Fehlen der Beweise hingewiesen Auf die Überlegung, daß jede Regierung eines souveränen Staates befugt ist, sein Territorium gegen Provokationen und Grenzverletzungen zu schützen – wobei nur die Erwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel einen Abschuß in Zweifel ziehen könnte, verschwendete das Gericht kein Argument .

2) Drei der fünf Kubaner, Gerardo Hernandez, Antonio Guerrero und Antonio Labanino, wurden wegen „Verschwörung zu Spionage“ ebenfalls zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Eine ungewöhnliche Wertung ihres Handelns, da ihre Aktivitäten sich ausschließlich gegen die exilkubanischen Gruppen gerichtet hatten und die von ihnen gesammelten Dokumente und Materialien ausnahmslos alle öffentlich zugänglich waren. Die Verteidigung verweist zu Recht darauf hin, daß dies das erste Spionage-Urteil in den USA ist, in dem keine geheimen Dokumente vorlagen. In allen bekannten Spionagefällen der Vergangenheit spielten Hunderte wenn nicht Tausende geheimer Dokumente eine Rolle.

3) Schließlich rügt die Verteidigung „Fehlverhalten des Staatsanwalts“ in seinem Schlußplädoyer. Dafür gibt es strenge prozedurale Regeln, die es verbieten, Vorwürfe zu erheben, die über das vorgelegte Beweismaterial hinausgehen. So hatte der Staatsanwalt sich nicht auf den Vorwurf beschränkt, die Angeklagten seien in die USA gekommen, um die Aktivitäten des Terrornetzwerkes gegen Kuba auszuspionieren – was von den Angeklagten eingestanden worden war. Dreimal hatte er ihnen vorgeworfen, daß sie mit der Absicht eingereist seien, die USA zu zerstören. Dieser Vorwurf war neu und ohne Beweisangebot geblieben, er diente offensichtlich dazu, die Jury zum Schluß noch einmal zu beeinflussen.

Verteidigung und Anklage hatten in der jetzigen Anhörung jeweils 30 Minuten Zeit, ihre Argumente vorzutragen. Zwei der Richter stammten noch aus der Kammer der ersten Anhörung, die das Urteil bereits einmal aufgehoben hatte. Der neue, von Präsident Bush ernannte dritte und jüngste Richter muß allerdings derart reaktionär sein, daß selbst die konservative Presse von Atlanta sich gegen seine Bestellung ausgesprochen hatte.

Die Anhörung verlief ohne konkreten Hinweis auf die zu erwartende Entscheidung. Die Tatsache allerdings, daß sie unter starker internationaler Beobachtung aus Lateinamerika und Europa stattfand, eröffnet dem Fall vielleicht den Zugang zu den Medien und damit in die Öffentlichkeit, den er bisher nicht hatte. Günstigstenfalls erwartet die Verteidigung eine 2:1-Entscheidung, die das Urteil noch einmal aufhebt. Das wird jedoch wiederum die Gegenseite auf den Plan rufen mit dem schon bekannten Ergebnis. Dann bleibt der Gang zum Obersten Gericht der USA, dem Supreme Court. Während dieses langwierigen Instanzenzuges wird sich an der Situation der Gefangenen nicht viel ändern lassen. Sie werden weiter um ihre Rechte in den Gefängnissen kämpfen müssen.

Der Antiterrorkampf steht in den USA ganz oben auf der Tagesordnung. In ihm hat auch die Justiz ihre Aufgaben. Es kommt nur darauf an, wie man den Begriff Terror definiert. In diesem Prozeß werden die fünf Kubaner, die sich vollkommen unbewaffnet und ohne jeden Kontakt zu internationalen Terrornetzwerken in die exilkubanischen Gruppen eingeschlichen hatten, um deren Aktivitäten gegen Kuba zu entlarven und zu unterbinden, zu Terroristen erklärt. Diese Aktivitäten – Attentate, Sprengstoffanschläge, Eindringen in den Luftraum und Abwurf von Flugblättern mit dem Aufruf zum Widerstand – werden gemeinhin als Terror bezeichnet. US-Administration und CIA unterstützen diesen Terror und sie sind nicht daran interessiert, offene Kriminalität und völkerrechtswidrige Interventionen an ihrer Südküste zu unterbinden, solange sie sich gegen Kuba richten.

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Norman Paech war von 1982 bis 2003 Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Er ist zur Zeit Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. Prof. Dr. Paech nahm als Prozeßbeaobachter gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Eberhardt Schultz an der mündlichen Anhörungzum Verfahren der Cuban5 in Atlanta teil.

Website von Norman Paech

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