Weltpolitik

Gratwanderung in Syrien - UN-Mission unter internationalem Druck

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Von KARIN LEUKEFELD, Damaskus, 25. Oktober 2012 –

Die syrische Regierung und einige der bewaffneten Gruppen sind offenbar bereit, während des Opferfestes die Waffen schweigen zu lassen. Die Regierung habe sich für die Feiertage dazu bereit erklärt, sagte Lakhdar Brahimi, der Sonderbeauftragte von UN und arabischer Liga am Mittwoch in Kairo. Die meisten „Anführer von kämpfenden Gruppen, die wir kontaktieren konnten“ hätten dem Prinzip einer Waffenruhe zugestimmt. Sollte diese „bescheidene Vereinbarung erfolgreich sein“, hoffe er darauf aufbauen und „über eine längere und effektivere Waffenruhe sprechen“ zu können. Das syrische Außenministerium erklärte, die Regierung werde am Donnerstag über eine Waffenruhe entscheiden. „Die Armeeführung prüft, ob die militärischen Operationen während der Eid-Feiertage eingestellt werden können“, hieß es in einer Stellungnahme.

Das Eid al-Adha, das Opferfest, ist das wichtigste religiöse Fest für Muslime in aller Welt. Es erinnert an die Bereitschaft Abrahams, als Zeichen seines Gehorsams Gott gegenüber, seinen Sohn Ismail zu opfern. Das Fest beginnt am Freitag.

Damaskus, wenige Tage vor dem islamischen Opferfest. Im Büro eines international erfahrenen Wirtschaftswissenschaftlers ist die Tagesarbeit getan, vor dem Fenster weht der Oktoberregen die Blätter von den Bäumen. „Dank“ Krieg, internationaler Isolation und Sanktionen steht das vor zwei Jahren noch gut situierte Beratungsbüro am Rande des wirtschaftlichen Abgrunds. Doch der Mann ist entschlossen, Syrien nicht zu verlassen. Im Gespräch mit der Autorin bittet er darum, anonym zu bleiben. Dann spricht er offen über das, was ihn am meisten bewegt: Wie ist der Krieg zu stoppen? „Irgendwie hoffe ich auf die Mission von Brahimi, vielleicht weil wir sonst keine Alternative sehen. Russland, China und Iran unterstützen ihn. Die anderen Mächte da draußen scheinen ihren Ton gegenüber dem Regime gemäßigt zu haben. Vielleicht denken sie sich, besser dieses Regime als Gotteskrieger und Al-Qaida?“ International scheine sich ein „Konsens“ durchzusetzen, einen Übergangsprozess bis zum Jahr 2014 zu unterstützen. Dann seien ohnehin Präsidentschaftswahlen und die könnten unter internationaler Beobachtung stattfinden. „Das hätten sie schon Mitte des Jahres haben können, das ist die Genfer Vereinbarung!“

Entlang der Al-Baroudi Straße, hinter dem Syrischen Nationalmuseum, haben Dutzende Straßenhändler ihre Waren auf den Gehwegen ausgebreitet: Gürtel und Handys, Schuhe, Strümpfe, Pullover und Unterwäsche, Bücher, Lederwaren und Musik-CDs. Abu Mahmud*, der aus dem nordsyrischen Afrin stammt, wo heute die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) für die Sicherheit der Menschen sorgt, verkauft gemeinsam mit seinem 18jährigen Sohn. Der wäre fast von den bewaffneten Aufständischen in Azaz entführt und in den „Dienst der Revolution“ gezwungen worden wäre. Beide hoffen vor dem Opferfest auf ein gutes Geschäft. „Sie sind Journalistin, herzlich Willkommen“, ruft Abu Mahmud aus und ein Lächeln zieht über sein braungebranntes Gesicht. „Wenn sie Brahimi bei der Pressekonferenz sehen, sagen Sie ihm, wir wollen alle Frieden!“ Khalid*, der gerade bei Abu Mahmud ein paar Strümpfe erstanden hat, meint, Brahimi sei klug und verhalte sich geschickt. „Doch wenn er hier etwas erreichen will, muss er erst Saudi-Arabien und Katar dazu bringen, keine Waffen mehr zu liefern. Und die Türkei muss ihre Grenze für die Kämpfer und Waffen schließen. Dann kann es Frieden geben.“

Man habe „auf allen Seiten“ festgestellt, dass „nach Auswegen gesucht“ werde, sagt ein UN-Diplomat in Damaskus. Er bittet, anonym zu bleiben. Auf Regierungsseite gebe es „großes Interesse“ an einer Waffenruhe, das finde er „bemerkenswert“. Auch die „internationalen Verbündeten“ des syrischen Führungs wollten ein „Ende der Kämpfe“. Bei den politischen Gruppen in Syrien sei die Frage der Kampfeinstellung kein Problem, „die treten schon lange dafür ein“. Bei den bewaffneten Gruppen sei es „komplizierter“, weil es „so viele verschiedene“ gäbe. Einige der bewaffneten Gruppen hätten „seit Wochen keinen Schuss mehr abgefeuert“ und wollten den Kampf einstellen. Auf die Frage nach der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) stößt der Gesprächspartner einen Stoßseufzer aus: „Mein Gott, wer ist diese Freie Syrische Armee! So viele Gruppen und jede will was anderes.“ Die meisten FSA-Vertreter würden in einem Waffenstillstand nur einen „russisch-iranischen Trick“ sehen und seien völlig dagegen.

Die kämpfenden Gruppen befürchten, bei einer Waffenruhe Boden und Einfluss zu verlieren, die Armee befürchtet, dass diese Gruppen eine Waffenruhe nutzen, um Nachschub zu organisieren. Beobachter sind sich einig, dass die Kampfgruppen gegen das Regime die Beobachtermissionen der Arabischen Liga (Dezember 2011 bis Januar 2012) und die UN-Beobachtermission benutzt haben, Stellungen auszubauen und mehr Waffen ins Land zu schmuggeln. Die syrische Regierung ist nicht bereit, sich ohne Garantien erneut auf eine Waffenruhe einzulassen. „Misstrauen ist das größte Problem“, sagt der UN-Mann in Damaskus. Äußerungen über die Aufstellung einer UN-Friedenstruppe für Syrien hält er für „militärische Planspiele“. Wenn es eine Lösung für Syrien gebe, werde die „politisch“ sein, ist er überzeugt und verweist auf das Genfer Abkommen (30. Juni 2012): „Eine Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition, die einen Übergangsprozess einleitet.“

Vor wenigen Tagen überraschte der vorherige Sondervermittler für Syrien, Kofi Annan, mit ungewohnter Kritik an den westlichen Staaten im UN-Sicherheitsrat. Im Brookings Institut (Washington, 18.10.) sagte er, die USA und die europäischen Staaten hätten unmittelbar nach einer Vereinbarung in Genf (30. Juni) im UN-Sicherheitsrat eine Resolution nach Kapitel 7 der UN-Charta beantragt. Damit hätten sie die zuvor von Russland und den USA getragene Vereinbarung über einen sechsstufigen Übergangsplan für Syrien zum Scheitern gebracht. Russland und China haben gegen eine Resolution nach Kapitel 7 ihr Veto eingelegt, weil sie in Syrien keine Wiederholung einer Militärintervention wie in Libyen wollen.

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Aus der Kehrtwende von USA und Verbündeten machten Medien ein „Scheitern Kofi Annans und der UN-Mission“. Der UN-Diplomat in Damaskus weiß ein Lied von dem Einfluss der Medien zu singen, die dem schwierigen Verhandlungsprozess vor Ort nicht gerecht wird und ihn unter Druck setzt. „Man wird zu einer Stellungnahme gedrängt, sagt zwei vorsichtige Sätze und wenn die Kämpfe dann weitergehen heißt es, die UN ist gescheitert.“ Die verbliebenen Mitarbeiter der politischen UN-Mission bewegen sich auf einer unverzichtbaren Gratwanderung in Syrien. Sie führen Gespräche mit allen Seiten des Konflikts, dokumentieren, analysieren und vermitteln Botschaften. Ihr Ziel ist und bleibt, alle Seiten an einen Verhandlungstisch zu bringen.

*Namen auf Wunsch geändert

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