Weltpolitik

Hunger in Madaya: Und was ist mit Kafraya?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Hunderttausende Menschen leben in Syrien unter Belagerung, leiden unter Hunger und Mangelernährung. Ob Medien über sie berichten, hängt nicht vom Ausmaß des Leides ab, sondern davon, wer sie belagert – 

Von FABIAN KÖHLER, 10. Januar 2016 –

Dafür dass Madaya und Kafraya hunderte Kilometer von einander entfernt liegen, sind sich die die Berichte aus den beiden syrischen Orten auffällig ähnlich: Rund 40.000 Menschen sind in Madaya seit Monaten eingekesselt. Hilfslieferungen erreichen nur noch selten die Bevölkerung, die ohnehin schon vom Krieg gebeutelt ist. Im 350 Kilometer entfernten Kafraya und der Nachbarstadt Fua’a ist die Situation fast identisch: Auch hier sind 40.000 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten, Strom und Wasser fehlen genauso wie Nahrung und Medikamente. Mindestens 23 Hungertote habe es in beiden Regionen seit Anfang Dezember gegeben, berichtet Ärzte ohne Grenze. In beiden Regionen herrscht seit vier Jahren Krieg, der sich im Juli letzten Jahres für die dort lebenden Menschen noch einmal drastisch verschärfte. Für Madaya und seine Nachbarstadt Zabadani sowie für Kafraya und Fua’a gilt seit September ein Waffenstillstand, der viel versprach – und wenig hielt.

Das Leid ist dasselbe, das Interesse nicht

Nur in einer Sache unterscheiden sich Madaya/ Zabadani im Osten Syriens und Kafraya/ Fua’a im Norden dann doch auffällig: Madaya, das von der Syrischer Armee und der mit ihr verbündeten Hisbollah-Miliz belagert wird, prangte in den letzten Tagen weltweit von Titelseiten großer Tageszeitungen. Die BILD schrieb von „Konzentrationslagern“. In kaum einen Onlinemedium sind nicht die Fotos ausgemergelter Kindergesichter zu sehen. Politiker sprechen von „Kriegsverbrechen“ und rufen Assad zum sofortigen Handeln auf.

Von Kafraya und Fua’a, das von der Al-Nusra-Front belagert wird, sprechen sie hingegen nicht.  Dabei müssten sie das, wollten sie den Menschen wirklich helfen. Denn der Weg zur Rettung der Menschen in Madaya führt direkt in die 350 Kilometer entfernten Kafraya und Fua’a und vice versa. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man die jüngste Geschichte in den beiden Regionen kennen.

Der Niedergang von Madaya begann im Januar 2012. Kämpfer der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) brachten Zabadani und seinen Vorort Madaya unter ihre Kontrolle. In den folgenden Jahren wechselten sich Rebellen und Regime immer wieder mit der Kontrolle der Stadt ab – oder von dem, was die kontinuierlichen Kämpfe von ihr übrig ließen. Während Zabadani meist von der Syrischen Armee und der mit ihr verbündeten Hisbollah-Miliz kontrolliert wurde, entwickelte sich Madaya zum Stützpunkt der islamistischen Ahrar al-Sham-Miliz und damit zum Anlaufpunkt für Waffentransporte und Kämpfer aus dem nur sieben Kilometer entfernten Libanon.  Mitte 2015 vertreiben Syrische Armee und Hisbollah schließlich die letzten Islamisten aus Zabadani. Ihr letzter Zufluchtsort: Madaya.

Ist es im Falle von Madaya die strategisch wichtige Lage an der libanesische Grenze, ist es bei Kafraya und Fua’a die Nähe zur syrischen Großstadt Idlib, die die Städte in den Fokus oppositioneller Milizen rückte. Im Frühjahr 2012 war Idlib eines der ersten großen Angriffsziele der Freie Syrischen Armee. Nur zwei kleine Orte, rund zehn Kilometer südöstlich der Stadt, konnten sich  dauerhaft gegen die Angriffe der Rebllen wehren: Kafraya und Fua’a. Noch bin zum März 2015 verband eine Zufahrtsstraße die Bewohner mit der Außenwelt. Dann machte die mittlerweile zur islamistischen Al-Nusra-Front gewandelte FSA die Kontrolle über Idlib komplett und damit auch die Belagerung von Kafraya und Fua’a.

Wie aus vier syrischen Städten ein gemeinsames Schicksal wurde

Wie Madaya und Zabadani, Kafraya und Fua’a erging es dutzenden Städten in Syrien in den letzten Jahren. Von 15 Städten und 400.000 Menschen unter Belagerung, berichtet das UN-Nothilfebüro OCHA zurzeit. Aber anders als bei den meisten anderen Städten ähneln sich die Berichte hier nicht nur zufällig: Das gemeinsame Schicksal der vier Städte beginnt im Juli letzten Jahres.

Als syrische Armee und Hisbollah mit einem Großangriff auf Madaya und Zabadani beginnen, kündigt Al-Nusra Racheaktionen an. Das Hauptziel ihrer Angriffe: die überwiegend schiitische Zivilbevölkerung von Kafraya und Fua’a. Anders als in Madaya gibt es in Kafraya und Foua’a keine feindlichen Truppen. Lediglich eine lokale Bürgerwehr versucht sich gegen die Angriffe zu verteidigen. Darüber wie viele Menschen allein im Juli bei den Angriffen starben, gibt es keine verlässlichen Zahlen. Rund 1000 tote Kämpfer, Soldaten und Zivilisten könnten es in Madaya und Zabadani gewesen sein. Wahrscheinlich mehrere hundert Menschen sterben durch Mörserbeschuss und Selbstmordattentäter in Kafraya und Fua’a.

Als Madaya und Kafraya zum Zeichen der Hoffnung wurden

Seitdem seien die Menschen in Madaya von der Außenwelt abgeschnitten, schreiben nun viele Medien, unter anderem die Nachrichtenagentur dpa. Doch das ist falsch. Denn die Angriffe brachte die Menschen der vier Städte nicht nur in ihrer Not zusammen, sondern auch in ihrer Hoffnung. Unter iranischer Vermittlung einigten sich die Konfliktparteien im September auf eine Waffenruhe – für beide Regionen. Das Abkommen, das in der Sprache der UN „Four Town Agreement“ heißt, gilt  nur für alle vier Städte zugleich – oder für keine. Freilassung von Gefangenen, Evakuierung von Zivilisten und Hilfslieferungen, so die Bestimmungen, finden immer in beiden Regionen statt – oder in keiner.

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Ein Bündnis aus UN, dem Internationalen Roten Kreuz, dem Syrischen Roten Halbmond und der türkischen Hilfsorganisationen IHH versucht seitdem, das Leid der Menschen in den eingeschlossenen Städte zu lindern. Und das zumindest mit kleinen Erfolgen: Ein Blick auf die Website der UN zeigt, dass der letzte Konvoi nach Madaya nicht ein halbes Jahr – wie in den meisten Medien berichtet – zurückliegt, sondern nur anderthalb Wochen. 125 Kranke und Verwundete konnten am 28. Dezember von dort evakuiert werden. Im Oktober brachten 21 LKW Hilfsgüter in das zerstörte Madaya. Eine vereinzelte Aktion und viel zu wenig für zehntausende Einwohner. Doch nach fast vier Jahren kontinuierlicher Kriegshandlungen sei dies dennoch als Erfolg zu bewerten, meint der UN-Syrien-Gesandte Staffan de Mistura. „Initiativen wie diese (…) unterstützten die Annahme, dass ein landesweiter Waffenstillstand möglich ist“, sagt er im Oktober. Und auch UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien lobte das Abkommen: „Diese komplexe Mission zeigt einmal mehr, dass es bei vorhandenem politischen Willen einen Weg gibt, die Situation für Zivilisten in Syrien zu verbessern.“

Rund drei Monate später scheinen sich die Hoffnungen zerschlagen zu haben. In Madaya und Zabadani blieb es bei einigen Hilfslieferung und ein paar hundert evakuierten Zivilisten. Und in  Foua’a und Kafraya  nahm Al-Nusra schon eine Woche nach der Unterzeichnung des Abkommens im September den Beschuss der Städte wieder auf. Die eingekesselten Bevölkerungen hungern bis heute. Zumindest für die Hälfte der Menschen könnte sich dies nun ändern. Infolge des großen medialen und politischen Drucks hat die syrische Regierung am Donnerstag angekündigt, mehr Hilfslieferungen an die 40.000 Bewohner für Madaya zuzulassen. Eine Ankündigung von Al-Nusra, das Leid der 40.000 Menschen in Foua’a und Kafraya zu lindern, gibt es nicht.

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