Weltpolitik

Klimakonferenz in Cancún: Bolivien als logischer Sündenbock

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Wie Mainstream-Medien Morales Kapitalismuskritik verfälschen

Von HELGE BUTTKEREIT, 13. Dezember 2010 –

Als in der Nacht zum Sonnabend immer noch kein Kompromiss in Cancún ausgehandelt war, als der kleinste gemeinsame Nenner beim Klimaschutz noch fern schien, hatten die deutschen Medien ihren Sündenbock. „Bolivien blockiert Klimakompromiss“, überschrieb Zeit Online ihren Artikel zum aktuellen Stand der Verhandlungen, kurz bevor der vermeintliche Durchbruch vermeldet wurde (1) und die Internet-Ausgabe des Focus titelte zur gleichen Zeit „Bolivien gegen den Rest der Welt.“ (2) Die Deutsche Presseagentur lieferte jede Menge Material für diese Sichtweise, eine Analyse begann beispielsweise mit dem Satz „Man kann es sich leicht machen, wie Evo Morales.“ (3) Der indigene und sozialistische Präsident des kleinen lateinamerikanischen Landes wurde zum logischen Sündenbock. Denn nun waren es nicht mehr Weltmächte wie die USA und China, mit denen sich die Mainstream-Journaille meist nur widerwillig anlegt und die in der vergangenen Woche beim Klimaschutz gemauert hatten.

Boliviens Präsident Evo Morales beim Klimagipfel in Cancún: „Wir müssen tiefgründig die Krise des Kapitalismus kritisieren, die zur Klimakrise führt.“

Nun war es Bolivien, das dem Fortschritt im Weg stand. Ausgerechnet Bolivien, dessen politischer Kurs den meisten Journalisten der Mainstream-Presse ohnehin nicht gefällt. Da interessierte es natürlich auch nur noch am Rande, dass der Formelkompromiss kaum mehr war, als genau das: Ein kleinster gemeinsamer Nenner, hinter dem sich alle irgendwie verstecken konnten und ihr Gewissen beruhigten. Die Staaten, weil sie vorgeben konnten, etwas getan zu haben, was – Bolivien sei dank – als immens schwierig dargestellt werden konnte. Aber auch viele der Umweltorganisationen, weil wenigstens irgendetwas passierte. Andere wie Hubert Weiger, Vorsitzener der Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland hingegen sehen es nüchterner und unterstützen Bolivien. Der Klimawandel lasse sich mit den bisherigen Zielen und Beschlüssen nicht wirksam bekämpfen, erklärte er, die Erderwärmung steuere weiter auf die Fünf-Prozent-Marke zu (4). Den entscheidenden Schritt weiter ging Weiger jedoch nicht. Er kritisierte zwar die derzeitige Praxis des CO2-Handels, aber nicht das Prinzip, das dahinter steht. Genau der entscheidende Schritt weiter ist es jedoch, der Bolivien zum Widerstand animiert und der der Grund dafür ist, dass das Land ins Schussfeld geriet.

In seiner Rede auf der Konferenz von Cancún hat Evo Morales deutliche Worte gefunden (5). Zu deutliche in den Augen derer, die meinen, der Klimawandel und der Kapitalismus als herrschende Produktionsweise haben nichts miteinander zu tun und die nichts besseres zu tun haben, als den Klimawandel mit Mitteln des Kapitalismus zu bekämpfen. Schließlich zählt das Erschließen neuer Märkte und die Kapitalisierung immer neuer Bereiche der Gesellschaft zu seinem „Erfolgsrezept“. Morales stellte sich dagegen: „Wir [müssen] tiefgründig die Krise des Kapitalismus kritisieren, die zur Klimakrise führt.“ Diese Krise sei neben der Finanz-, der Energie und der Nahrungsmittelkrise zentraler Aspekt der globalen Krise des Kapitalismus. Wenn die Klimaerwärmung so weiter gehe wie bisher, machen sich die verantwortlichen Regierungen verantwortlich für einen Ökozid, ja einen Genozid, stellte Morales mit Hinblick auf die über 300.000 Menschen fest, die nach einer UN-Studie jährlich durch die Folgen des Klimawandels sterben (6).

Morales sprach in Cancún im Sinne der Ergebnisse der „Weltkonferenz über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde“ (7), zu der der Präsident im April dieses Jahres ins bolivianische Cochabamba eingeladen hatte. Klar und unmissverständlich wird in dieser Erklärung der „Mutter Erde“ als Grundlage allen Lebens ein eigenes Recht zugeschrieben. Die Unterzeichner formulieren das Ziel, das Recht der Erde im Rahmen der Vereinten Nationen allgemeinverbindlich zu erklären. Ein internationaler Klimagerichtshof soll über die Erfüllung der Klimaziele wachen und ein „Weltreferendum“ die Völker einbinden. Und vor allem: Die Natur steht nicht zum Verkauf. Diesen Standpunkt verdeutlichte Morales auch in Cancún. Eine „grüne Wirtschaft“ erfülle ihn mit Besorgnis. „Wir sind nicht hierher gekommen, um die Natur in eine Ware zu verwandeln, wir sind nicht hierher gekommen, um das Überleben des Kapitalismus mittels Kohlenstoffbons zu erleben.“

Diese klare antikapitalistische Agenda führte Morales und sein Land zur Ablehnung des Formelkompromisses und genau sie ist es, die auch die Journalisten abschreckt. Antikapitalismus ist nicht angesagt. Und so stellen selbsternannte „Klimaretter“ Bolivien und Japan mal eben schnell auf eine Stufe der Verhinderer eines Klimakompromisses, weil beide Staaten in der vergangenen Woche eine Kooperation über den Abbau von Lithium in Bolivien unterzeichnet haben (8). Dass die Interessen beider Staaten zwar in diesem einen Punkt übereinstimmen, in der Systemfrage jedoch konträr sind, interessiert ebenso wenig, wie die Konsequenz der Aussage. Denn scheinbar will besagter Journalist, über dessen Abneignung gegen Rafael Correa auch noch zu sprechen sein wird, dem armen Bolivien jegliche Entwicklung versagen und stellt sich zudem nicht die Frage, wo das Lithium für die Akkus, die künftig Teil der Energiewende sein werden, eigentlich herkommen soll. Wenn auf der anderen Seite die großen ökonomischen Chancen für Deutschland, die Bundesumweltminister Röttgen im Klimaschutz und der damit verbundenen neuen Industrie sieht, von den gleichen Journalisten nicht einmal hinterfragt werden (9), dann wird der Standpunkt der „Klimaretter“ besonders deutlich.

Evo Morales sucht einen anderen Weg. Er hält nichts vom sogenannten Waldschutzprogramm REDD („Reducing Emissions from Deforestation and Degradation“) (10), denn zum einen erklärt gerade dieses Programm die Natur zur Ware und zum anderen könne es dazu führen, das ausländische Konzerne sich dadurch von Emissionen freikaufen und Zugriff auf die Wälder des Südens haben könnten. Das aber steht komplett konträr zum Programm der nationalen Souveränität, die mit der Neugründung Boliviens einhergeht, für die die Regierung von Evo Morales seit 2006 steht. Das Land will erstmals nach der jahrhundertelangen Ausbeutung selbst über sein Schicksal bestimmen. Dass dies nicht im Sinne der Staaten des Nordens ist, wurde letztlich auch wieder in Cancún klar. Ganz im Gegensatz zu den üblichen UN-Mechanismen erklärte die mexikanische Präsidentschaft in der Nacht zum Sonnabend, dass der Konsens gefunden sei. Konsens bedeute nicht Einstimmigkeit, so Mexikos Außenministerin Patricia Espinosa. Macht dies Schule und wird Bolivien vor den internationalen Gerichten nicht Recht bekommen, wird es künftig leichter sein, missliebige Staaten an den Rand zu drängen. Für die journalistischen Vertreter des Imperialismus, deren Ziel des „smarteren Wohlstands“ perfekt mit dem Auftritt des deutschen Umweltministers harmoniert, ist dadurch ein Trauma überwunden worden, es wehe „ein neuer und frischer Geist der Zusammenarbeit“ (11).

In solch einem guten Klima stören Sozialisten wie Evo Morales oder Rafael Correa. Ecuadors Präsident Correa stellte am Rande der Konferenz das Yasuní-ITT-Projekt vor. Mit diesem will sein Land garantieren, Öl im Wert von gut sieben Milliarden Euro unter einem besonders artenreichen Nationalpark nicht zu fördern, wenn dafür die internationale Gemeinschaft die Hälfte des erwarteten Erlöses an einen Fonds zahlt, mit dem Umweltprogramme in Ecuador finanziert werden sollen (12). Ein Projekt, das weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Die deutschen „Klimaretter“ stellen es in ihrem Beitrag zu Correa zwar vor, in ihrer süffisanten und sarkastischen Art, mit der sie den Präsidenten lächerlich zu machen versuchen und den Sozialisten durch subtile Vergleiche in die Nähe der DDR rücken, gerät das Projekt jedoch in den Hintergrund (vgl. 8). Wer den Artikel auf klimaretter.info gelesen hat, will so jemandem kein Geld anvertrauen. Schließlich neige er zur „Selbstinszenierung“ und habe deshalb wohl auf den „grauen Anzug“ (den Correa nie trägt) verzichtet und erscheint stattdessen im Bauwollhemd mit indigener Symbolik (die Correa öfter in verschiedener Art trägt). Es mag nicht beabsichtigt sein, aber solch eine Darstellung unterstützt die Position von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, der dem Projekt entgegen dem erklärten Willen aller Fraktionen im Bundestag die Unterstützung versagt hat. Nicht, dass künftig jeder mit solchen Vorschlägen kommt und Geld haben will (13).

Kritik an Morales oder hier an Correa, der nicht immer voll hinter dem Projekt stand, aber der dafür auch Gründe wie die Sorge um die nationale Souveränität anbrachte, ist nicht das Problem. Der zerstörerische Zynismus mancher westlicher Journalisten, die sich gerne auch darüber sorgen, „dass Empfängerländer das Geld missbrauchen oder eingeborene Waldbewohner es als Sozialhilfe verpulvern, statt es als Investivmittel zu nutzen“ (11) hilft aber auf keinen Fall dem Klima. Diese Logik der Staaten des Nordens ist es, die Evo Morales dazu veranlasst, nicht länger gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dass Correa ihn hier nicht unterstützt, wird in der Hoffnung begründet liegen, so eher Geld für den Yasuní-Fonds zu bekommen.

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Quellen:

(1) http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-12/klimagipfel-cancun-bolivien
(2) http://www.focus.de/politik/deutschland/un-analyse-bolivien-gegen-den-rest-der-welt_aid_580728.html
(3) http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews[tt_news]=94416&tx_ttnews[backPid]=54&cHash=8e22f6a267
(4) http://www.bund.net/nc/bundnet/presse/pressemitteilungen/detail/zurueck/pressemitteilungen/artikel/bolivien-steht-nicht-am-pranger-weil-es-mehr-klimaschutz-will-die-blockierer-von-mehr-klimaschutz/
(5) Deutsche Übersetzung der Rede: http://amerika21.de/analyse/17918/klimakrise-und-kapitalismus,
Video: http://www.youtube.com/watch?v=490oKeyOtC0 und http://www.youtube.com/watch?v=qBxRuNvPTwA
(6) http://www.eird.org/publicaciones/humanimpactreport.pdf
(7) http://amerika21.de/hintergrund/2010/cochab-92637-erklaerung
(8) http://klimaretter.info/klimagipfel-cancun/hintergrund/7511-superstar-rafael-correa
(9) http://www.klimaretter.info/klimagipfel-cancun/hintergrund/7530-der-erste-schritt-eines-langen-weges
(10) http://mother-earth-journal.com/2010/09/28-evo-morales-president-of-bolivia-redd-indigenous-peoples/
(11) http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,734079,00.html
(12) http://yasuni-itt.gob.ec/
(13) http://www.ute-koczy.de/cms/umwelt/dokbin/353/353288.brief_minister_niebel_an_ute_koczy_zur_i.pdf

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