Weltpolitik

Nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Irakisch-Kurdistan

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Die kurdische Autonomie-Regierung jetzt auf dem Prüfstand –

Von DORIS BULAU, Erbil/Amman – 30. Juli 2009 –

Nein, die Regionalwahlen in den drei Provinzen im Nordirak, Erbil, Dohuk und Suleymaniye sind nicht irgendwelche Wahlen gewesen. Es waren die ersten demokratischen Wahlen seit Bestehen dieses Autonomiegebietes. Demokratisch deshalb, weil alle 2,5 Millionen Wahlberechtigte zwei Stimmzettel bekamen, für das Parlament und – das ist das Novum – für die Wahl des Präsidenten. Bei der letzten Wahl vor vier Jahren bestimmte das Parlament noch, wer an der Spitze steht. Das Wahlergebnis war nicht wirklich überraschend: Massud Barzani mit seiner Partei „Demokratische Partei Kurdistans“ (DPK) wurde mit fast 70 Prozent im Amt bestätigt. Gemeinsam mit der „Patriotische Union Kurdistans“ (PUK) des irakischen Präsidenten Jalal Talabani traten sie auf einer Liste an. Sie bekamen im Parlament zwar die absolute Mehrheit, mussten jedoch Verluste hinnehmen. Denn überraschenderweise gewann eine neu angetretene Partei „Goran“ (Wandel) auf Anhieb knapp 24 Prozent. Sie wird vom früheren stellvertretenden PUK-Generalsekretär, Nuschirwan Mustafa, angeführt und besteht zu großen Teilen aus PUK-Dissidenten, die sich mit der Politik Talabanis überworfen hatten.

In ihrem Wahlkampf prangerten sie vor allem die Korruption und Vetternwirtschaft in den Kurdenprovinzen an und beklagten die parteiinternen Demokratiedefizite bei der PUK. In den drei Provinzen gaben nach Angaben der Wahlkommission 78,5 Prozent der Wahlberechtigen ihre Stimme ab. Eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass sehr viele Bürger auf Lösungen bei der Innenpolitik hoffen. Immer noch ist die Elektrizität nicht stabil – mehrmals am Tag fällt der Strom aus und dann brummen die Generatoren über Erbil, natürlich bei denen, die sich einen Generator leisten können. Es gibt nicht genug Arbeit, die Infrastruktur ist immer noch mangelhaft und das Gesundheitssystem lässt zu wünschen übrig. Von einer flächendeckenden Versorgungslage ganz zu schweigen. Dazu Nuwschirwan Mustafa von „Goran“ im Wahlkampf: „Immer haben sie uns erzählt (die Regierung), dass es eine Bedrohung von außen gäbe, durch die Türkei, Syrien, Bagdad. In Wirklichkeit kommt die Bedrohung von innen, von der Korruption.“

Die Wahl selbst war bereits ein Prüfstand für eine demokratische Entwicklung. Sicherheit wurde groß geschrieben. Am Wahltag selbst wurde der Flughafen gesperrt, alle Grenzen dichtgemacht und ein Fahrverbot erlassen. Großräumig wurden die Straßen um die Wahllokale mit Zementblöcken abgeriegelt. Polizei und Militär bewachten jede Kreuzung. Minibusse karrten dann die Wähler in ihre entsprechenden Wahllokale. Bei Temperaturen bis zu 50 Grad wurde dennoch ohne Hektik gewählt. In der Rizgary-Schule im Zentrum Erbils – das einzige für Journalisten zugelassene Wahllokal – zeigten die Wähler und Wählerinnen sich diszipliniert. Männer in der traditionellen kurdischen Kluft: Pumphose mit breiter Schärpe und turbanähnlicher Kopfbedeckung, Frauen in langen schwarzen Gewändern mit Kopftuch. Gutgelaunt, und ordentlich ihren Ausweis in der Höhe haltend, gaben sie ihr Votum ab, tauchten ihren Finger in schwerlösliche Tinte, um Wahlbetrug auszuschließen. Ca. 17 000 Beobachter, davon 350 ausländische, begleiteten die Wahlen.

Keinerlei Gewalt beherrschte das Geschehen. Und damit hat die Kurdenregion bewiesen: Wir sind das sicherste Gebiet im Irak. Ein deutlicher Hinweis auch an bestehende und zukünftige Investoren. Denn davon will die ehrgeizige Regierung viele haben und bestehende nicht verschrecken. Einer der treibenden Kräfte der Millionenstadt Erbil ist ihr Bürgermeister Nihad Latif Qoja. Bis 2004 hat er in Deutschland, in Bonn, gelebt. 1981 flüchtete er vor Saddams Schergen und hatte sich im Rheinland ein neues Leben aufgebaut. Nach dem Sturz Saddams war ihm klar: „Ich möchte zurück in meine Heimat“. Es dauerte, aber seit fünf Jahren rührt er für seine Heimatstadt Erbil die Werbetrommel. „Als ich damals hier ankam, war das hier ein Dorf. Es gab Anschläge und alles war sehr ungeordnet, kein Telefon, kein Handy, kein Satellit, keine Mikrowelle. Heute kann man als Ausländer frei und ohne Personenschutz noch problemlos bis nach Mitternacht unterwegs sein. Es gibt keine Militärpräsenz in den Straßen, jeder kann sich ohne Leibwächter oder Personenschutz bewegen Das wissen auch viele deutsche Unternehmer zu schätzen, die teilweise von Deutschland aus den Irak beobachten oder ihre Arbeit von Kurdistan aus organisieren – sie wissen, bei uns können sie in Ruhe arbeiten.“

Einer seiner Träume ist, den Grünen Punkt einzuführen. Selbst dass es mittlerweile Mülltonnen und eine halbwegs geregelte Abfallentsorgung gibt, ist auf sein Engagement zurückzuführen. Stolz ist er auf die bereits erreichten Investitionen. Der neu eröffnete Großflughafen soll als Drehscheibe für den ganzen Nahen und Mittleren Osten fungieren und Dubai Konkurrenz machen. Mit einer Start- und Landebahn, lang genug selbst für den neuen Airbus A 380. Doch noch fehlt es an lukrativen Fluggesellschaften. Aber angelockt werden sollen sie mit den enormen Sicherheitsvorkehrungen: knapp fünf Kilometer um den Flughafen ist eine Sperrzone. Kein Passagier kommt auf eigene Faust in das Gebäude. Zubringerbusse und unendliche Kontrollen, die aber recht zügig gehen, sollen zeigen: hier ist Sicherheit!

"Gerade die Deutschen haben einen guten Ruf", so Bürgermeister Qoja, "deshalb würde ich gerne mehr hier ins Land holen. Dafür gibt es auch historische Gründe. Die Kurden sagen, die Deutschen sind wie wir auch Indogermanen." Ein weiterer Grund ist, dass viele Kurden in der Bundesrepublik leben und da gibt soziale Kontakte und Beziehungen. Nach dem Besuch von Außenminister Steinmeier im Frühjahr, ist die Tür etwas weiter geöffnet. Immer mehr deutsche mittelständische Unternehmen, vornehmlich aus dem Bau- und IT-Bereich tasten sich vor.

Noch wirkt Erbil eher trostlos, mit seinen kaputten Straßenzügen und abenteuerlichen Elektrooberleitungen, die an krummen Masten hängen. Zwischen unbefestigten Straßen und Schuttbergen entstehen sechsspurige Stadtautobahnen mit High-Tech-Plexiglas-Bushäuschen. Es fahren leider nur noch keine Busse. Neben schiefen Lehmhütten wachsen kleine und große Glaspaläste. Überhaupt. Die ganze Stadt wirkt wie eine Riesenbaustelle. Große Baukrater, Gerippe von halbfertig gestellten Hochhäusern, Baukräne schwanken durch die Luft. Alles ist staubig und das Gefühl, von einem heißen Föhn mit Sandeinlage angepustet zu werden, ist allgegenwärtig. Kinder spielen auf brachliegenden, steinigen und vermüllten Grundstücken Fußball, es gibt für die Jugendlichen keine vernünftigen Sporteinrichtungen.

Eine bereits neu gebaute Großmall türkischer Investoren in der Altstadt zeigt die ersten Verfallserscheinungen. Mit 6.000 Läden und einer Tiefgarage für 9.000 Autos steht das Nasdaq-Einkaufszentrum praktisch leer und wirkt wenig attraktiv. Der Bazar, ein orientalisch anmutendes Durcheinander von Ladengassen und Freiluftständen wurde kurzer Hand abgerissen. Nur – die hilflosen Händler können sich die Ladenmiete in der Mall nicht leisten. Ein Global-Liestyle? Dafür ist Erbil noch nicht wirklich reif. Da muss in Kurdistan noch viel passieren: eine vertrauenswürdige zivile Führung, Transparenz, Meinungsfreiheit und demokratische Prinzipien auf Basis der allgemeinen Menschenrechte.

Denn „Boom-Town“ ist eine Möglichkeit für mehr Wohlstand, also Arbeitsplätze und eine stabile Versorgung. Aber kein Unternehmen verspürt große Lust, mit ständig wackelndem Internet und mehrmals am Tag anspringenden Generatoren etwas Lukratives aufzuziehen.

Bis heute kann man bis auf ein Luxushotel nirgendwo mit Kreditkarte zahlen, übrigens auch nicht im International Airport Erbil. Da muss der kaufwillige Fluggast im Duty free cash hinlegen. Natürlich in amerikanischen Dollars.

Wer demnächst in die zahlreichen unfertigen Großbauten, vor allem am Stadtrand, einziehen soll, ist unklar. Gerüchte sprechen von internationalen Hotelketten, Luxusautohäusern, weiteren Einkaufszentren, Softwarefirmen etc. Aber keiner weiß etwas genaues. Von den Luxus-Wohnanlagen wie dem „American Village“ oder „Dream-City“ haben die Einwohner der Stadt nichts und es gibt eher die Befürchtung, dass da so etwas wie ein Reichenghetto entsteht. Vor allem, weil bei den Luxusanlagen und Luxushotels nicht an moderner Kommunikationstechnik gespart werden soll.

Doch die neue Regierung wird sich nicht unbedingt an den Glaspalästen bewähren.

Es sind die drängenden eigenen Probleme der fünf Millionen Kurden, die schnellstens gelöst werden müssen. Dabei stehen zwar ein Wirtschaftswunder nicht im Wege, aber die geschürten Spannungen mit der Zentralregierung in Bagdad – der Streit ums Öl und die Grenzen Kurdistans – bleiben dazu auch noch als Spannungsmoment.

Das wohl schwierigste Problem ist Kirkuk. Hier leben Kurden, Araber und Turkmenen. Doch mit dem Beginn der Ölförderung in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts änderte sich vieles. Immer mehr arabische Arbeiter siedelten sich in der Ölstadt an. Bereits in den fünfziger Jahren begann Bagdad mit der Arabisierung Kirkuks und Saddam ließ dann Abertausende von Kurden vertreiben. Für Präsident Barzani, schon immer ein Kämpfer für die kurdische Sache, ist klar: „Alle Gebiete, in denen es vor 1961 – also als die gezielte Ansiedlung arabischer Familien in Kurdistan begann – eine kurdische Mehrheit gab, sind kurdisch. Daher ist Kirkuk nicht nur kurdisch, sondern das Herz Kurdistans.“

Kurden leben eben nicht nur in den drei Provinzen, sondern auch außerhalb, in angrenzenden Gebieten, die die Regionalregierung in Erbid beansprucht. Natürlich hält Bagdad dagegen und versucht den kurdischen Einfluss zurückzudrängen. Die Zukunft wird zeigen, wie sich Barzanis Regierung und Bagdad darüber einigen werden. Sollte Kirkuk von Kurdistan einverleibt werden, würde das Ölgeschäft natürlich an die Autonomieregierung fallen.

Doch noch wird die Verfassung zur Grenzziehung von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert.

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Immerhin hat der irakische Ministerpräsident Nuri al Maliki der neuen Regierung in Erbil zum Wahlausgang gratuliert, telefonisch. Ein angedeutetes Treffen beider Kontrahenten steht angeblich demnächst an, so sagt es die Gerüchteküche. Dementiert hat bisher noch keiner.


Die Autorin: Doris Bulau ist freie Journalistin, sie lebt zur Zeit in Amman. Für Hintergrund berichtet sie aus Nah- und Mittelost.

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