Weltpolitik

Paradigmenwechsel in der Postdemokratie

Der liberale Mainstream ist sich weitgehend einig: Die USA unter Donald Trump bewegen sich von einer Demokratie in Richtung einer "Wahl-Autokratie". Die Situation stellt sich indes anders dar, wenn man realisiert, dass die Demokratie im Westen seit geraumer Zeit dysfunktional ist.

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Foto: ahundt; Quelle: pixabay; Lizenz
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Im Weißen Haus regiert seit Januar 2025 (zum zweiten Mal) ein Präsident, der die „alte“ Welt in helle Aufregung versetzt. Glaubt man der New York Times, dann ist Donald Trump dabei, „einen der atemberaubendsten Wendepunkte der amerikanischen Außenpolitik seit Generationen zu vollziehen, eine 180-Grad-Wende, die Freunde und Feinde zu einer grundlegenden Neuausrichtung zwingen wird“.1 Die Lage im Westen ist verworren und zerstritten wie lange nicht mehr. Während die neue US- Administration moniert, dass im liberalen Europa die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde, versteht sich Europa als „demokratische Festung“, die gegen einen weltweit aufkommenden Autoritarismus ankämpft, der inzwischen auch im Kernland der modernen Demokratie auf dem Vormarsch sei. Das gewohnte politische Gefüge ist auf den Kopf gestellt. Rechte Parteien wie die AfD stehen plötzlich auf Seiten der US-Administration, derweil sich der liberale Parteienblock einer US-Regierung gegenübersieht, deren Ideologie man in Deutschland als Rechtsextremismus bekämpft und mit einer „Brandmauer“ auszugrenzen versucht. Viele fragen sich verstört: Wer ist für die Demokratie und wer ist ein Nazi? Wer ist „progressiv“ und wer ist „reaktionär“?

Trump und die Frage nach der Demokratie im Westen

Der liberale Mainstream ist sich weitgehend einig: Die USA unter Donald Trump bewegen sich von einer Demokratie in Richtung einer „Wahl-Autokratie“. Die Situation stellt sich indes anders dar, wenn man realisiert, dass die Demokratie im Westen seit geraumer Zeit dysfunktional ist. Etwas, das es nicht gibt, kann man nicht zerstören. Im Westen steckt ein politisches Modell in Schwierigkeiten, das die Politikwissenschaftler Colin Crouch und Sheldon Wolin als „Postdemokratie“ (Crouch) und als „umgekehrten Totalitarismus“ (Wolin) charakterisiert haben. Wenn Ex-Präsident Obama der Trump-Administration vorwirft, sie würde Cancel Culture betreiben, so ist das zwar richtig, aber Cancel Culture ist keine Erfindung der Rechtskonservativen. Vielmehr gehört das systematische Bestreben, abweichende Meinungen vom öffentlichen Diskurs auszugrenzen und unliebsame Kritiker „mundtot zu machen und sozial zu vernichten“2, schon lange zum Instrumentarium der smarten Meinungskontrolle. Die Neokonservativen setzen auf ihre eigene Weise das fort, was im Westen seit vielen Jahren praktiziert wird. Wenn Kritiker der Trump-Administration anlasten, dass diese die parlamentarischen Institutionen schwäche und zulasse, dass die Politik von Milliardären bzw. Tech-Konzernen gekapert wird, dann sind das keine Symptome für den Übergang der US-Gesellschaft in eine (neofaschistische) Diktatur, wie einige besorgte Trump-Gegner befürchten, sondern „normale“ Phänomene der real existierenden Postdemokratie. Das „große“ Sterben der Demokratie im Westen hat nicht mit der Präsidentschaft von Trump begonnen. Denn Trump und Co. sind nicht die Zerstörer der Demokratie, sondern das Produkt einer zerstörten Demokratie.

Im Westen ist die gemanagte Demokratie in die Krise geraten, das heißt ein parlamentarisches System, in dem das demokratische Leben verebbt, während das Staatsvolk rebelliert und nicht mehr so einfach gelenkt werden kann. Für eine konzern-affine Politik, wie sie unter Trump in den USA, Merz in Deutschland oder Macron in Frankreich betrieben wird, sind die faktischen Verhältnisse einer formellen Demokratie, in denen die tatsächliche Macht an ein Netzwerk von oligarchischen Eliten, großen Konzernen und Staat übergangen ist, freilich „lebenswichtig“. Weder linksliberale noch rechtskonservative Fraktionen des Konzernkapitalismus wollen diese Herrschaftsform abschaffen. Ganz im Gegenteil, sie brauchen dieses „geniale Konstrukt“, um als Minderheit im Namen der Mehrheit regieren zu können. Beim heutigen Lagerkampf der herrschenden Klasse geht es nicht darum, ob die Demokratie erhalten oder zerstört wird, sondern darum, wie die kapitalistische Grundordnung stabilisiert und die angeschlagene Postdemokratie saniert werden kann. Der ideologische Dissens dreht sich vor allem um die Frage, welches politische Format – links-liberal oder neokonservativ – die bessere Entwicklungsform für den Spätkapitalismus bildet. Der Trumpismus ist angetreten, das postdemokratische System regierbarer zu machen und dem Kapitalismus (namentlich in den USA) wieder zu mehr Dynamik und Stärke zu verhelfen. Nach Jahren des „woken Missmanagements“ soll die Gesellschaft „effektiv“ wie ein kapitalistischer Konzern geleitet werden.

Progressive Chimären oder warum die Links-Rechts-Schablone nicht mehr passt

Der Trumpismus bekämpft einen Linksliberalismus, von dem einige glauben, dieser sei vom „Geist des Marxismus“ infiziert. Das ist gewiss nicht der Fall, aber als Feindbild spielt es in den USA eine nicht unerhebliche Rolle. Umgekehrt sieht der linksliberale Aktivismus im Trumpismus bzw. Rechtspopulismus gefährliche Bewegungen, die in eine neofaschistische Diktatur münden könnten, wie es in den 1930er Jahren in Europa der Fall war. Die Frage ist jedoch, ob es hier wirklich um einen Kampf zwischen „Linken“ und „Rechten“ geht, bei dem die einen gesellschaftlichen Fortschritt und die anderen reaktionären Verfall verkörpern. Der Soziologe Andreas Reckwitz ist der Meinung, dass sich mit der politischen Dichotomie von „Links“ oder „Rechts“ die spätmoderne Komplexität nicht mehr adäquat verstehen lässt. Die übergreifenden Gegensätze seien nicht „Links“ versus „Rechts“, sondern würden durch einen neuen Lagerkampf konstituiert und überlagert, der zwischen Vertretern einer radikalen Liberalisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen auf der einen Seite und Protagonisten einer bewahrenden Regulierung auf der anderen Seite geführt werde.3 So orientiert sich der radikale Liberalismus sowohl auf die Deregulierung der Märkte als auch auf die Dynamisierung von soziokulturellen Lebensformen. Ist dieses Phänomen nun politisch rechts oder links? Was sollte es aber mit „linker Politik“ zu tun haben, wenn die wirtschaftlich-technologische Entwicklung der unkontrollierten Profitgier von Konzernen überlassen wird und sich der Kampf für Emanzipation auf die kulturelle und geschlechtliche Selbstverwirklichung von vermeintlich einzigartigen Individuen konzentriert, derweil eine Minderheit immer mehr Reichtum und Macht anhäuft und die Kluft zwischen Armen und Reichen wächst? Auf der anderen Seite setzen sich Neokonservative für die Bewahrung traditioneller Werte und Lebensmuster ein, favorisieren jedoch das Mantra von der Freiheit des Unternehmertums und der Deregulierung der Wirtschaft, von dem viele meinen, dass es für die moderne Selbstzerstörungsdynamik verantwortlich ist. Gleichwohl ist der radikale Neoliberalismus etwas Besonderes, denn in seiner US-amerikanischen Form ist er ein Bündnis „zwischen einerseits tonangebenden Strömungen der neuen sozialen Bewegungen (Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und den Verfechtern von LGBTQ-Rechten) und andererseits kommerziellen, oft dienstleistungsbasierten Sektoren von hohem Symbolgehalt (Wall Street, Silicon Valley und Hollywood)“.4

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HORST POLDRACK, (Jg. 1950), ist Philosoph (Promotion 1979, Habilitation 1987). Er war u.a. Research Fellow am Center for the Philosophy and History of Science in Boston 1981/82 und an der Akademie der Wissenschaften in Moskau 1986/87 sowie Gastprofessor an der Universität in Addis Abeba 1987 bis 1990. Er hat später an der Universität Halle-Wittenberg, am Umweltinstitut Leipzig und am Institut für Sozialwissenschaftliche Analyse und Beratung Köln gearbeitet. Seit 1994 als Trainer und Coach sowie im Management von mittelständischen Unternehmen tätig. Von 2006 bis 2011 arbeitete Poldrack als Trainer für chinesische Führungskräfte in der VR China. Er hat zahlreiche Publikationen und Aufsätze veröffentlicht, zuletzt „Neoliberale Gehirnwäsche“ (verlag am park 2022).

1 Roland Peters, „Bewunderer trifft Manipulator. Deshalb fiel Trump in Putins Honigtopf“, 21. Februar 2025, https://www.n-tv.de>Politik
2 Sahra Wagenknecht, Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn mit Zusammenarbeit, Frankfurt/M. 2022, S. 30
3 Andreas Reckwitz, Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Berlin 2020, S. 263
4 Nancy Fraser, „Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus“, https://www.blaetter.de/ausgabe/2017/februar/fuer-eine-neue- linke-oder-das-ende-des-progressiven-neoliberalismus

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