Weltpolitik

Putin: „Wir müssen geopolitische Ambitionen beiseitelegen…“

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Von REDAKTION, 15. September 2015 –

In Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe kamen am Montag die Präsidenten der Mitgliedstaaten der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) zu einem zweitägigen Treffen zusammen. Der Organisation gehören Armenien, Kirgisistan, Kasachstan, Tadschikistan, Weißrussland und Russland an. Hintergrund dokumentiert im Folgenden die Rede von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, die er am Dienstag vor dem Abschluss des Treffens vor dem Rat für kollektive Sicherheit gehalten hat.

W.P.: Zunächst möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, heute hier in Tadschikistan sprechen zu können. Ich möchte darauf hinweisen, dass Tadschikistan unser strategischer Partner und Verbündeter ist. Wir können beobachten, dass es auch hier bestimmte Versuche gibt, die Lage zu destabilisieren. Wir beurteilen diese Bedrohung angemessen, und Sie können immer mit unserer Hilfe und Unterstützung rechnen, auch wenn wir sehen, dass Ihre Strafverfolgungsbehörden und Streitkräfte die aufkommenden Probleme wirksam angehen.

Gerade eben hatten wir eine detailreiche Debatte über den Verantwortungsbereich der OVKS, über die regionalen und internationalen Probleme, und haben die Schritte umrissen, die unsere Organisation weiter stärken sollen. Wir stellten die wachsenden Bedrohungen fest, denen die OVKS-Mitgliedsstaaten in verschiedenen Bereichen ausgesetzt sind.

Wir sind besorgt angesichts der Zustände in Afghanistan. Internationale Sicherheitskräfte befinden sich seit langem in dem Land und führen bestimmte, auch positive Tätigkeiten aus. Dennoch wurde dadurch keine entscheidende, qualitative Verbesserung der Lage erreicht. Bedauerlicherweise verschlechtert sich dort die Situation nach dem Abzug des Großteils der ausländischen Militärkräfte.

Die reale Gefahr, dass terroristische und extremistische Gruppen in Afghanistans Nachbarländer eindringen, wächst zusehends. Und diese Gefahr wird noch bedrohlicher durch die Tatsache, dass – neben den allseits bekannten Organisationen – der sogenannte Islamische Staat seinen Einfluss auch in Afghanistan ausbaut. Das Betätigungsfeld der Organisation reicht weit über die Grenzen des Iraks und Syriens. Terroristen führen Massenhinrichtungen durch, stürzen ganze Nationen in Chaos und Armut, und zerstören kulturelle Monumente und religiöse Stätten.

Die Ergebnisse des Kampfes der internationalen Sicherheitskräfte gegen die Betäubungsmittelproduktion in Afghanistan sind nicht weniger entmutigend. Diese Bedrohung nimmt leider nicht ab, sondern wächst von Jahr zu Jahr.

Ich erwähnte die Lage in Syrien und im Irak, sie gleicht der Situation in Afghanistan dahingehend, dass sie uns alle besorgt. Bitte gestatten Sie es mir, einige Worte zu der Lage in dieser Region, zur Situation in und um Syrien zu verlieren.

Die Zustände dort sind sehr ernst. Der sogenannte Islamische Staat kontrolliert im Irak und in Syrien erhebliche Teile des Territoriums. Die Terroristen erklären schon öffentlich, dass sie es auch auf Mekka, Medina und Jerusalem abzielen. Ihre Pläne sehen eine Ausweitung ihrer Aktivitäten nach Europa, Russland, Zentral- und Südostasien vor.
Darüber sind wir besorgt, besonders vor dem Hintergrund, dass Militante, die vom Islamischen Staat ideologisch indoktriniert und militärisch ausgebildet werden, aus vielen Ländern der Welt kommen – bedauerlicherweise auch aus europäischen Nationen, der Russischen Föderation und vielen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Der gesunde Menschenverstand und ein Verantwortungsbewusstsein für die globale und regionale Sicherheit erfordern von der internationalen Gemeinschaft, die Kräfte gegen diese Bedrohung zusammenzuschließen. Wir müssen geopolitische Ambitionen beiseitelegen, müssen sogenannte Doppelstandards hinter uns lassen, die in einer Politik zum Ausdruck kommen, die sich direkt oder indirekt einzelner terroristischer Gruppen bedient, um eigene opportunistische Ziele durchzusetzen, einschließlich des Sturzes unliebsamer Regierungen.

Wie Sie wissen hat Russland die rasche Bildung einer breiten Koalition angeregt, um den Extremisten entgegenzuwirken. Sie muss jeden einbeziehen, der bereit ist, einen Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus zu leisten, so wie es die Streitkräfte des Iraks und Syriens heute bereits tun. Wir unterstützen die syrische Regierung in der Abwehr der terroristischen Aggression. Wir stellen die nötige militärisch-technologische Hilfe bereit, – und werden das weiterhin tun – und fordern andere Nationen auf, sich daran zu beteiligen.

Ohne die Beteiligung der syrischen Behörden und des Militärs, ohne die Beteiligung der syrischen Armee ist es zweifellos unmöglich, die Terroristen aus dem Land, aus der gesamten Region, zu verbannen, ist es unmöglich, das multi-ethnische und multi-religiöse Volk Syriens vor seiner Auslöschung und Versklavung, vor der Barbarei zu schützen.
Natürlich ist es unumgänglich, sich über die politischen Veränderungen in Syrien Gedanken zu machen. Und wir wissen, dass Präsident Assad bereit ist, die gemäßigten Segmente der Opposition, die gesunden Oppositionskräfte, in die Staatsverwaltung einzubinden.

Doch die Notwendigkeit, die Kräfte im Kampf gegen den Terrorismus zusammenzubringen, steht gegenwärtig ganz Gewiss im Vordergrund. Ohne dass das geschieht, ist es unmöglich, die drängenden, wachsenden Probleme einer Lösung zuzuführen, einschließlich des Flüchtlingsproblems, das wir heute erleben.
Nebenbei bemerkt, können wir gerade etwas ganz anderes beobachten: Wir sehen uns gegenwärtig mit Versuchen konfrontiert, Russland für das Aufkommen dieses Problems verantwortlich zu machen. Als wäre das Flüchtlingsproblem der russischen Unterstützung für die legitime syrische Regierung geschuldet.

Zunächst einmal möchte ich dazu anmerken, dass die Menschen, die aus Syrien fliehen, in erster Linie vor den Kämpfen fliehen – die vor allem auf externe Faktoren als Folge der Lieferungen von Waffen und anderer Spezialausrüstung zurückzuführen sind. Die Menschen bekommen die Gräueltaten der Terroristen zu spüren. Wir wissen von den Verbrechen, die sie dort verüben, von den Menschen, die sie opfern, von den Kulturdenkmälern, die sie zerstören – ich erwähnte es bereits. Die Menschen fliehen vor allem vor den Radikalen. Hätte Russland Syrien nicht unterstützt, dann wäre die Lage dort noch schlimmer als in Libyen, der Strom von Flüchtlingen wäre noch größer.

Außerdem hat die Unterstützung der legitimen Regierung in Syrien nichts mit den Flüchtlingsströmen aus Libyen, dem Irak, Jemen, Afghanistan und vielen anderen Ländern, zu tun. Wir waren nicht diejenigen, die die Lage in diesen Nationen, in ganzen Regionen der Welt, destabilisiert haben. Wir haben dort nicht die Regierungsinstitutionen zerstört und Machtvakua geschaffen, die sofort von Terroristen gefüllt worden sind. Also kann niemand behaupten, wir hätten dieses Problem verursacht.

Aber angesichts der Gefährdung der syrischen Staatlichkeit müssen wir uns jetzt im Kampf gegen den Terrorismus auf die Vereinigung der Kräfte konzentrieren, – bestehend aus der syrischen Regierung, den kurdischen Milizen, der sogenannten moderaten Opposition und den Nationen der Region – so dass wir zusammen, durch unsere gemeinsamen Anstrengungen, dieses Problem lösen können.

Ich sprach bereits über die anderen Angelegenheiten, die uns gegenwärtig Sorge bereiten, und die wir heute diskutiert haben. Diesbezüglich möchte ich darauf hinweisen, dass wir weiter an der Stärkung der Kooperation unserer Streitkräfte arbeiten. Wir planen eine ganze Reihe von Aktivitäten in diesem Bereich. Ich möchte dabei betonen, dass unsere Zusammenarbeit im Rahmen des OVKS keinesfalls gegen jemand Drittes gerichtet ist. Wir sind offen für eine konstruktive Zusammenarbeit, und das ist genau der Ansatz, wie ihn die Abschlusserklärung unterstreicht, die heute unterzeichnet werden wird.

Ich bin überzeugt, dass wir wieder konkrete Gespräche über die Schaffung eines Euro-Atlantischen Systems für eine gleichberechtigte und unteilbare Sicherheit aufnehmen müssen. Wir müssen eine Inventur aller bestehenden Probleme und Meinungsverschiedenheiten durchführen. Eine solche Auswertung kann genutzt werden, um eine Diskussion über die Grundsätze einer nachhaltigen politischen Entwicklung zu ermöglichen.

Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm. d. Red.) und andere internationale Organisationen können genutzt werden, um sich auf rechtlich verpflichtende Garantien zu einigen, die die Unteilbarkeit der Sicherheit für alle Nationen betreffen, die die Einhaltung der wichtigsten Grundprinzipien des Völkerrechts gewährleisten (Respektierung der Souveränität von Staaten, keine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten), und die Regelungen stärken, nach denen die Unterstützung verfassungsfeindlicher Staatsstreiche und die Förderung radikaler und extremistischer Kräfte unzulässig ist.

Ich möchte Herrn Rahmon [Tadschikistans Präsident Emomalii Rahmon, Anm. d. Red.] für seine Arbeit als Vorsitzender der OVKS danken, ebenso meinen anderen Kollegen, und wünsche unseren armenischen Partnern und Freunden Erfolg in der Ausübung des Vorsitzes der Organisation. Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Wladimir Putin, Duschanbe, 15. September 2015


 

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Übersetzung: Hintergrund

Im russischen Original: http://kremlin.ru/events/president/news/50291

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