Nachkriegsordnung

Was dem Triumph eines kurzzeitigen gemeinsamen Handelns und Kämpfens folgte

Das aktuelle Weltgeschehen ist verbunden mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die damals entstandene bipolare, postfaschistische Weltordnung scheint sich aufzulösen.

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Foto: Elsemargriet; Quelle: Pixabay; Lizenz
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Es ist seltsam, wir stecken mitten im Umbruch zu einer neuen Weltordnung, die wieder multipolar sein könnte, in der sich die temporär alleinige Supermacht USA ihrer Konkurrenten und bisherigen Verbündeten erwehren muss. Ihre Mittel sind vielfältig, aber machtvoll, egal, ob Waffengewalt, Zölle und Handelskriege, ideologische Beeinflussung hin zu einem rechtsnationalistischen Besinnen auf die eigene Kraft und einer irgendwie möglichen Akzeptanz der USA durch andere Staaten. Da bieten sich Partner weltweit an, sei es Milei, Meloni, Merz oder bin Salman. Nationalisten, radikale Konservative, moderne Rassisten scheinen gute Partner zu sein, solange sie bereit sind, ihren Herrschaftsanspruch dem US-amerikanischen unterzuordnen.

Denn freiwillig will Weltgendarm Washington seinen Posten nicht räumen, weder für die Volksrepublik China noch für die Russische Föderation, auch nicht für das möchtegernstarke Europa. Nun versuchen die USA es mit neuen Mitteln, und ein Präsident Donald Trump ist ihr Werkzeug, mit eigenen Interessen, Marotten und ausreichend Sendungsbewusstsein, aber eben auch mit ihrer militärischen und ökonomischen Stärke.

Immer wieder: neue Weltordnungen und altes Vormachtstreben

Es zeigt sich, dass die Geburtswehen einer neuen Weltordnung mit dem Niedergang einer vermeintlich einzigen Supermacht und dem Aufstreben neuer Großmächte, sowohl in Zusammenarbeit als auch in Konflikt, zunächst eine bislang kurze Episode der jüngeren Geschichte sind. Sie hat etwas mit dem Niedergang der Sowjetunion und ihres Machtblocks zu tun, mit der fatalen westlichen Hoffnung auf ein »Ende der Geschichte« dank kapitalistischer Marktwirtschaft und parlamentarisch-demokratischem System, das nicht an den ewigen Freiheiten des Marktes rüt- teln lässt. Aber es gab eine Zeitspanne, in der die Vormachtbestrebungen und der Weltherrschaftsanspruch einer Großmacht blockiert waren.

Darum ist es hilfreich, auf die Anfänge der 1989/91 untergegangenen Weltordnung, der Systemauseinandersetzung, der Konfrontation, aber auch Kooperation von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zurückzublicken. Das Interregnum einer vermeintlich einzigen Supermacht USA mit ihren westlichen Anbetern und scheinbar paralysierten Gegenspielern in Moskau, vielleicht auch Peking, relativiert sich dann rasch.

Denn auf den Trümmerhaufen des Zweiten Weltkriegs wurde von konträren Partnern etwas Neues errichtet. Die faschistische Neuordnung der Welt war durchkreuzt. Eingängiges Datum ist der 8. beziehungsweise 9. Mai 1945 (und streng genommen auch der 2. September 1945 in Fernost), als das faschistische Deutschland und alsbald auch das militaristisch- faschistische Japan gewaltsam niedergerungen waren.

In Jalta, im Februar 1945 und auch in Potsdam, im Juli/August 1945 schmiedeten die wichtigsten Sieger der Anti-Hitler-Koalition, Churchill, Roosevelt bzw. Truman und Stalin, eine neue Weltordnung, nebenbei bemerkt – das kommt uns in Trump-Zeiten nicht ganz unbekannt vor – über die Köpfe der betroffenen Völker und Staaten hinweg. Es konnten, so wird glaubhaft kolportiert, auf einer Serviette von den Staatenlenkern Einflusszonen fixiert werden, die über Jahrzehnte Bestand hatten. Neue geopolitische Konstellationen – wo unsere Truppen stehen, da verlaufen nun Grenzen und unsere Vorstellungen von Wirtschaftsordnung und Bündniszugehörigkeit – wurden festgeschrieben, so wie einst im Wiener Kongress für das Erbe Napoleons I. oder in Versailles für die zertrümmerten Imperien nach dem Ersten Weltkrieg.

Der Sieg über die Faschisten unter- schiedlicher Couleur auf drei Kontinenten – Europa, Asien, Afrika (mittelbar auch Amerika) – hatte nicht nur die als- baldige Formierung jener Konstellationen und Bündnisse zur Folge, die über mehr als vier Jahrzehnte die Welt bipolar konstituierten, oft am Rande eines nuklearen Dritten Weltkriegs, permanent mit politischer, geheimdienstlicher, wirtschaftlicher, offener oder verdeckter militärischer Konfrontation.

Dem Kapitalismus den Garaus machen … oder ihn zumindest zähmen?

Das hatte eine klare Grundlage: Der Zusammenbruch der faschistischen Mächte in Europa und Asien zeigte, dass Faschismus und Kapitalismus verwandt waren und auch der Kapitalismus das Grundübel sein konnte. Selbst im von den vier Siegern besetzten Deutschland setzte nicht nur der sowjetische Einfluss eine antikapitalistische, sozialistische Alternative auf die Tagesordnung. In den Westzonen – wie auch in der SBZ – wurden vom Augenblick der Befreiung an basisdemokratische, antifaschistisch-demokratische Strukturen aufgebaut, die als „Antifa-Ausschüsse“ heute nur noch am Rande erwähnt werden. Kommunisten, Sozial- und Christdemokraten sowie andere Demokraten ergriffen selbst die Initiative oder wurden von den Besatzern gewonnen, um eine antifaschistische Verwaltung aufzubauen. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ war die von ihnen akzeptierte Lösung, die mit Mühe der deutschen Bevölkerung eingetrichtert wurde, bis viele einst Verblendete sie akzeptierten.

Dass sowjetische und deutsche Kommunisten radikal die Forderungen nach Denazifizierung, Demilitarisierung Dezentralisierung und Demokratisierung – so wie in Potsdam gefordert – umsetzten, lag nahe. Ebenso, dass sie die kapitalistischen und junkerlichen Besitzstände angriffen. Aber auch in den westlichen Besatzungszonen stand Antiimperialismus, ja Antikapitalismus hoch im Kurs. In Landesverfassungen fanden Vergesellschaftungsartikel Eingang, so beispielsweise in Hessen. In Gemeineigentum sollten überführt werden: „der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen“. Und, noch schlimmer, werden, „vom Staate beaufsichtigt oder verwaltet: die Großbanken und Versicherungsunternehmen“ (Artikel 41).

Die West-CDU versprach in ihrem Ahlener Programm vom Februar 1947 die Überwindung des Kapitalismus und eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“. Ein solcher Schritt bedeutet: „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“ Erst der aufziehende Kalte Krieg setzte diesen antikapitalistischen „Verirrungen“ ein Ende. Kommunisten und ihre Sympathisanten wurden im Westen aus Parlamenten, Verwaltungen und Medien verdrängt, „gefährliche“ Verfassungsartikel wie der erwähnte Artikel in Hessens Landesverfassung vom Dezember 1946 suspendiert.

Ähnlich radikale Entwicklungen waren in anderen Ländern Westeuropas zu verzeichnen, insbesondere in Frankreich und Italien. In Griechenland dominierte eine antifaschistische Bewegung unter maßgeblicher Führung der Kommunisten, die mit der Landung britischer „Befreier“ sogleich in einem langwierigen Bürgerkrieg ausgeschaltet wurde. Bei aller Betonung der politischen Konsequenzen des aufziehenden Kalten Kriegs im Westen gegen Kommunisten, Wiederbewaffnungsgegner und radikale Demokraten bleibt aber auch festzuhalten: Nach 1945 begann in den westlichen Metropolen eine Modifizierung der Wirtschaftsordnung, auch der demokratischen Institutionen, die radikalen Kapitalismusgegnern den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Mit „Sozialer Marktwirtschaft“, „Schwedischem Modell“ und ähnlichen Konstruktionen sollten die bislang so aufmüpfigen Arbeiter für das kapitalistische System materiell gewonnen, bestochen werden, damit sie ihre Klassenkampfideen einmotteten. Eine Entwicklung, die sich mit dem Übergang zum Neoliberalismus Ausgang der 1970er Jahre erledigte. Die antikapitalistischen Gegenmächte hatten sich mittlerweile in dieser Situation eingerichtet, und die Furcht vor der sozialen Beispielwirkung des Ostblocks wich angesichts dessen Krise. Der nun erfolgreich gepredigte Individualismus zerstörte klassische Solidarität und ließ das Streben nach Profit für das Kapital und nach individueller Selbstbestimmung wirken.

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Dr. sc. phil. STEFAN BOLLINGER, Historiker und Politikwissenschaftler, Autor zahlreicher Bücher zur deutschen und osteuropäischen Geschichte, Mitglied der Leibniz-Sozietät, der „Historischen Kommission“ beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE, Stellv. Vorsitzender der „Helle Panke e. V.“ – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin.

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