Privatisierung

Privatstädte – Wie der Kapitalismus den Staat entsorgt

Der Anarchokapitalismus ist die logische Konsequenz aus dem Scheitern sowohl des Neoliberalismus als auch des Marktradikalismus.

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Ein funktionierender Staat bietet einen stabilen Rahmen aus Recht und Ordnung, der das Zusammenleben und die Interaktion einer größeren Anzahl von Menschen ermöglicht. Dies ist so attraktiv, dass die meisten Menschen bereit sind, im Gegenzug erhebliche Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit in Kauf zu nehmen. Könnte man jedoch die Leistungen des Staates anbieten und gleichzeitig seine Nachteile vermeiden, entstünde ein besseres Produkt. (Titus Gebel) 1

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich unzählige Dialekte des Marktradikalismus herausgeschält. Die Bandbreite geht von einem entfesselten Markt in einem Staat, der noch zentrale Regulierungs- und Schutzfunktionen behält, bis hin zu der Vorstellung, dass grundsätzlich jede Form von Staatlichkeit von Übel ist. Dass der Staat komplett abgeschafft gehört. Obwohl sich für diese radikale Auffassung noch kein „amtlicher“ Begriff etabliert hat, können wir hier ohne Weiteres vom „Anarchokapitalismus“ sprechen. Der Anarchokapitalismus ist sozusagen die logische Konsequenz aus dem Scheitern sowohl des Neoliberalismus als auch des Marktradikalismus. Und wer die Auflösung der Nationalstaaten nicht mehr abwarten will, der gründet einfach eine Privatstadt – mit eigener Rechtsprechung und mit Geschäftsführern anstelle von Bürgermeistern. In das „Produkt“ Privatstadt kauft man sich ein mit einer stattlichen Geldsumme. Ich bin in dieser Stadt, in die ich mich eingekauft habe, kein wahlberechtigter Bürger mehr, sondern ein „Stakeholder“ oder „Shareholder“. Also ich bin dann ein Anteilseigner. Ich bin ein Konsument der privaten Dienstleistungen dieser Stadt. Wenn mir die Allgemeinen Geschäftsbedingungen meiner Privatstadt nicht mehr zusagen, dann kann ich mir meinen finanziellen Anteil an dieser Stadt wieder auszahlen lassen. Ich kaufe mich dann einfach in eine andere Privatstadt ein.

Eines ist damit schon mal klar: Eine Privatstadt ist nur etwas für Leute mit einem nennenswerten Vermögen. Wer über kein Kapital verfügt, der muss dann eben eher schlecht als recht in der verlotterten Welt bleiben, die wir uns momentan noch alle zusammen teilen müssen.

Ganz schön verrückt. Ganz schön utopisch. So werden Sie jetzt vermutlich denken. Das kann doch im Ernst kein Mensch wollen, oder? Jedoch kann ich Ihnen versichern, dass es schon etwa mindestens zwanzig Privatstädte auf dieser Welt gibt. Die meisten werden rein privatwirtschaftlich betrieben. Andere Privatstädte entstehen in Public Private Partnership (PPP). Das heißt, der Staat und private Investoren betreiben gemeinsam diese Privatstädte. Und dann gibt es auch noch Städte vom Reißbrett, die als soziales Versuchslabor betrieben werden. Es liegen auch schon fertige Pläne vor, ganze Regionen privatwirtschaftlich zu verwalten.

Der Trend zur Privatstadt hatte sich schon vor Jahrzehnten angebahnt. Viele Städte in der sogenannten Dritten Welt, besonders in Lateinamerika und Afrika, sind aufgrund der extremen sozialen Ungleichheiten im Chaos, im Schmutz und in extremer Kriminalität versunken. Wer es sich dort leisten kann, der zieht in sogenannte Gated Communities. So wie die mittelalterlichen Städte mit Schutzmauern eingehegt waren, in die man nur durch bewachte Tore gelangen konnte, so haben sich die Wohlhabenden in den armen Ländern heutzutage in ihren eigenen Goldenen Käfig eingeigelt. Ein hoher Zaun hält die Habenichtse von den Begüterten fern. Kein Bettler, kein zahnloser Invalider in abgerissenen Lumpen stört beim Genuss eines Asti Spumante. Wer von außen her einen Insassen im Goldenen Käfig besuchen will, der muss sich vorher anmelden, damit der Security-Mann am Eingangstor den Besucher auch tatsächlich reinlässt. Die Bewohner der Gated Communities unterwerfen sich gerne einem strengen Reglement, nur um sicher und unbehelligt von den Armen ein komfortables Leben zu genießen.

Diese Gated Communities sind allerdings immer noch der nationalen Rechtsprechung unterworfen. Für die Insassen der Goldenen Käfige sind nach wie vor Polizisten und Richter des Nationalstaats zuständig. Es gilt hier immer noch die Nationalwährung. Das alles ist für die neuen Privatstädte nicht mehr gültig. Die Betreiber der Privatstädte haben mit dem Staat, auf dessen Territorium sie ihre Enklave betreiben, Verträge abgeschlossen. Diese Verträge garantieren den Privatstädten eine vollkommene Autonomie. In der Enklave gelten eigene Gesetze, und hier ist auch in vielen Fällen eine eigene Währung eingeführt worden – bevorzugt eine Kryptowährung.

Den vollständigen Text lesen Sie in der  aktuellen Ausgabe 1/2 2026 unseres Magazins, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

HERMANN PLOPPA (Jg. 1953) arbeitet als freier Journalist und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Bekannt wurde er einer breiteren Öffentlichkeit durch seine Video-Serie HiStory. Sein aktuelles Buch „Der Neue Feudalismus“ hat unter anderem auch die Verdrängung des öffentlichen Raums durch Wirtschafts-Sonderzonen und Privatstädte zum Thema.

1 Titus Gebel, Free Private Cities. The future of governance is private, 2016

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