Reformen

Generalstreik: Belgien steht still

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 15. Dezember 2014 –

In Belgien kommt das öffentliche Leben am heutigen Montag durch einen Generalstreik weitgehend zum Erliegen. Es ist der Höhepunkt einer Streikwelle, mit der die Gewerkschaften seit drei Wochen gegen Sparpläne der Regierung protestieren.

Der belgische Luftraum wurde am Sonntagabend für 24 Stunden geschlossen, da sich auch die Flugaufsicht des Landes dem Arbeitskampf anschließt, wie die Nachrichtenagentur Belga berichtet. Notlandungen sollen aber möglich sein. Alle regulären Flüge von und nach Belgien fallen aus. Auch der Schienenverkehr ist komplett zum Erliegen gekommen. Die Deutsche Bahn rechnete mit Auswirkungen auf Verbindungen bis zum frühen Dienstagmorgen.

Bereits am Sonntag wurde die kommerzielle Schifffahrt auf dem Fluss Schelde, der die belgischen Häfen Antwerpen und Gent mit dem Meer verbindet, eingestellt. Die Sicherheit könne angesichts der anstehenden Gewerkschaftsproteste nicht mehr gewährleistet werden, begründetet die zuständige Schifffahrtsbehörde die Sperrung. Die Schließung soll bis Montagabend dauern und gilt auch für die Nebenflüsse der Schelde.

Auch Autofahrer müssen am Montag vereinzelt mit Problemen rechnen. Gewerkschafter wollen nach Medienberichten Straßensperren in Industriegebieten errichten. Dadurch soll verhindert werden, dass Arbeitswillige zu ihrem Arbeitsplatz gelangen können.  Auch Schulen und die öffentliche Verwaltung wären betroffen, ebenso einige größere Unternehmen.

Der Protest der Gewerkschaften richtet sich gegen das Sparpaket der im Oktober gebildeten Mitte-Rechts-Regierung unter dem liberalen Premier Charles Michel. Diese will in den kommenden fünf Jahren insgesamt rund 17 Milliarden Euro einsparen, um langfristig die sogenannten Maastrich-Kriterien zu erfüllen. Laut diesen dürfen die Staatsschulden nicht höher als sechzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen – in Belgien liegen sie derzeit knapp über einhundert Prozent.

Nach Ansicht der Gewerkschaften würden die Sparpläne vor allem Arbeiter, Arbeitslose, Senioren und Kranke treffen. Wohlhabende und das Großkapital blieben hingegen verschont, heißt es.

Die Regierung will für mindestens ein Jahr die übliche automatische Anpassung der Gehälter an steigende Preise aussetzen, was einer  Reallohnsenkung gleichkommt. Vor allem richten sich die Proteste jedoch gegen die geplante  Anhebung des Rentenalters von bisher 65 auf 67 Jahre bis 2030.

Bereits Anfang November demonstrierten über einhunderttausend Menschen in der Hauptstadt Brüssel gegen die Sparpolitik, wobei es vereinzelt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. In den vergangenen Wochen kam es wiederholt zu Streiks, die den öffentlichen Nahverkehr vielerorts zum Erliegen brachten. Neben dutzenden Großunternehmen war auch Belgiens größter Hafen in Antwerpen von den Arbeitsniederlegungen betroffen.

Viele Belgier stehen der Streikwelle allerdings kritisch gegenüber. Laut einer aktuellen Umfrage lehnen 62 Prozent von ihnen die Streiks ab, da sie Arbeitsplätze gefährden würden. Insbesondere die Errichtung von Sperren und Blockaden, durch die Streikbrecher am Arbeiten gehindert werden sollen, stoßen auf Unverständnis. 85 Prozent der Befragten lehnen solche Arbeitskampfmaßnahmen ab. (1)

In der öffentlichen Debatte wird den Gewerkschaften wiederholt vorgeworfen, sich mit ihren Streiks über das Wählervotum hinwegzusetzen, das die neue Regierung ins Amt beförderte.

„Streiks sind nicht gut für unserer Wirtschaft, das ist so klar wie Quellwasser“, kommentierte der Vorsitzende der mitregierenden belgischen Christdemokraten, Wouter Beke, den Arbeitskampf. Es gebe aber Verhandlungsspielraum gegenüber den Gewerkschaften. Der Parteichef brachte in diesem Zusammenhang eine höhere Besteuerung der Einkommen der Oberschicht in die Debatte: „Die stärksten Schultern sollten auch die größten Lasten tragen.“ (2) Gewerkschaftsvertreter kündigten eine Fortsetzung der Arbeitskämpfe an, sollte die Regierung nicht zu offenen Verhandlungen bereit sein.


 

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Anmerkungen

(mit dpa)
(1) http://www.dhnet.be/dernieres-depeches/belga/greve-nationale-une-majorite-de-belges-regrette-les-greves-d-apres-agoria-548ec3823570e99724d93ee6
(2) http://www.7sur7.be/7s7/fr/1536/Economie/article/detail/2152077/2014/12/14/Il-y-a-encore-une-marge-de-negociations-avec-les-syndicats.dhtml

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