Reformen

Ministerien verweigern Auskünfte – SPD-Abgeordnete klagen gegen eigene Regierung

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von Elke Groß, 15. August 2007:

Die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss und Johannes Jung aus Baden-Württemberg werfen der Bundesregierung vor, gegen das seit Anfang des Jahres 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu verstoßen; sie haben deshalb gegen zwei Bundesministerien Klage beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht.

So hatte Johannes Jung unter Bezugnahme auf das IFG beim Bundesministerium des Inneren (BMI) darum gebeten, ihm den Rahmenvertrag zwischen dem BMI und der zwischenzeitlich privatisierten Bundesdruckerei GmbH auszuhändigen; außerdem stellte er einige Fragen bezüglich der Auftragsvergabe zur Herstellung und Verwendung der neuen elektronischen Reisepässe. Nach Angaben Jungs wurden zwar die Fragen „nach anfänglichem Zögern“ zum Teil beantwortet. Die Herausgabe des Rahmenvertrages habe das Ministerium jedoch verweigert mit der Begründung, dieser sei „zur Gänze geheimhaltungsbedürftig“; dabei habe das Ministerium auf „die Interessen der Bundesdruckerei GmbH und die Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen“ verwiesen. (1) Diese Argumente werden laut Jung auch in einer Vielzahl ähnlicher Fälle angeführt.
Auf ein Schreiben des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, bot Bundesinnenminister Schäuble dem Abgeordneten Jung schließlich an, unabhängig vom Informationsfreiheitsgesetz als Abgeordneter unter den üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen den Vertrag einzusehen. Doch dann hätte er gegenüber der Öffentlichkeit Stillschweigen bewahren müssen. „Das habe ich abgelehnt“, so Jung, „da die dadurch von mir gewonnenen Informationen persönliches Geheimwissen blieben.“ (2)

Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein sogenanntes ‚Jedermannsrecht’, das jeder Bürgerin und jedem Bürger zusteht. Jung will deshalb nun gerichtlich durchsetzen, daß ihm der Vertrag zugänglich gemacht wird, unabhängig von seinen besonderen Möglichkeiten als Bundestagsabgeordneter.

Auch sein Fraktionskollege Jörg Tauss ist mit seinem Auskunftsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz vor Gericht gegangen. Der Technologie-Experte hat eine Untätigkeitsklage gegen das von seinem Parteikollegen Wolfgang Tiefensee geführte Bundesverkehrsministerium angestrengt, um endlich Einzelheiten aus dem milliardenschweren Vertrag des Bundes mit der Firma Toll Collect zum LKW-Mautsystem zu erfahren. Trotz mehrfacher Interventionen – auch bei Minister Tiefensee persönlich – hat das Ministerium dem SPD-Abgeordneten lediglich vier von insgesamt angeblich rund 17.000 (!) Seiten des Toll-Collect-Vertrages ausgehändigt, darunter das Deckblatt und die Auflistung der Vertragsparteien. (3) Der Rest wurde mit dem Hinweis auf „Geschäftsgeheimnisse“ verweigert.
„Zumindest der Kernvertrag des Betreibervertrags nebst Ergänzungsvereinbarungen ist grundsätzlich (…) zugänglich zu machen“, kritisierte auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, das rigoros seine Informationen zurückhaltende Bundesverkehrsministerium (4). Einzelne Passagen des Vertrags, die einer Einsichtnahme widersprächen, könnten ja geschwärzt werden. Trotz dieser Einschätzung des Bundesdatenschutzbeauftragten hatte das Ministerium nach Angaben von Tauss nicht auf dessen Folgeantrag reagiert; darin hatte er Einblick in den gesamten Kernvertrag gefordert. Der Abgeordnete hat daher Untätigkeitsklage eingereicht und fordert vom Verkehrsministerium die Überlassung von Kopien, „hilfsweise“ auch Akteneinsicht oder ausreichende Auskunft (5).
Dabei geht es Jörg Tauss nicht nur um seinen speziellen Fall, sondern um Grundsätzliches. „Die Behandlung des Parlaments durch die Regierung ist zunehmend ruppig“, hat Tauss festgestellt (6). Er beobachte, „daß es zunehmend einreißt, in einer sehr flapsigen und oberflächlichen bis überhaupt nicht mehr verwertbaren Form auf Abgeordnetenfragen zu antworten.“ (7) Beispiele dieses Verhaltens kenne er aus seiner 13-jährigen Erfahrung im Bundestag zur Genüge. So hatte das Bundesinnenministerium dem Abgeordneten in der Vergangenheit etwa verweigert, das Protokoll einer Anhörung zu datenschutzrechtlichen Fragen einzusehen. Die Begründung lautete: es sei nur für den internen Dienstgebrauch (8).

Die Kritik der beiden SPD-Abgeordneten an der amtlichen Geheimhaltungspolitik wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, geteilt, der den Anspruch der beiden Politiker auf Informationszugang nach dem IFG bekräftigt. Schaar bemängelt, daß sich die Bürokratie allzu pauschal auf die Geheimschutzklausel des Gesetzes zurückziehe. (9) Die Behörden würden „bei sensiblem Aktenmaterial alle Schotten dicht machen“, so der oberste Datenschützer und Informationsfreiheitsbeauftragter, „trotz aller Schutzwürdigkeit“ müßten jedoch Teile der Unterlagen zugänglich sein (10).

Wie auch im Falle der Abgeordneten Jung und Tauss verweigern Ämter Auskünfte häufig mit dem Verweis auf das angebliche Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Tatsächlich ist die entsprechende Formulierung im Gesetz ein entscheidender Knackpunkt, um die Informationsfreiheit in der Praxis auszuhebeln. Denn in § 6 Satz 2 IFG heißt es: „Zugang zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen darf nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat.“ (11)

Mit dem weitgehenden Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen hätten sich faktisch Wirtschaftsverbände mit ihren Interesse durchgesetzt, bedauern Bürgerrechtler wie Peter Eigen, der Gründer von Transparency International, einer internationalen Nichtregierungsorganisation, die sich gegen Korruption engagiert. Denn was ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ist, werde „faktisch weitgehend durch das jeweilige Unternehmen bestimmt“. (12)

Bei einer Auskunftsverweigerung durch eine Behörde könne es jedoch „nicht allein auf den subjektiven Willen eines Unternehmens und seine entsprechende Erklärung ankommen“, stellte dagegen die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten in Deutschland (IFK) vor kurzem klar. „Vielmehr müssen die Behörden in jedem Fall eine Abwägung mit dem gesetzlich garantierten Informationsinteresse der Öffentlichkeit vornehmen.“ (13) In der alltäglichen Praxis haben die Behörden bei Anfragen nach dem IFG jedoch sehr häufig darauf verwiesen, daß angeblich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse vorliegen. Deshalb wurden viele Auskunftsersuchen abgelehnt „ohne die betroffenen Unternehmen zu beteiligen oder ausreichend darzulegen, inwiefern die Offenlegung der begehrten Information zu einem konkreten wirtschaftlichen Nachteil des Unternehmens führen könnte.“ Zu diesem Urteil kommt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, in seiner ersten Jahresbilanz des IFG (14).

Weil die Behörden die IFG-Bestimmung zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen besonders restriktiv handhaben, nicht zuletzt aus Rechtsunsicherheit, sieht die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten „das Informationsrecht der Bürgerinnen und Bürger übermäßig eingeschränkt“. (15) Deshalb fordert die IFK die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene auf, die gesetzlichen Regeln im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu ergänzen und zu präzisieren. (Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein Bundesgesetz, zu dem die Länder eigene Gesetze schaffen sollen. Entsprechende Gesetze existieren in acht Bundesländern; Entwürfe zu Gesetzen dieser Art liegen in weiteren Bundesländern vor.)

Als Entscheidungshilfe für die Verwaltung sei ein Kriterienkatalog denkbar, wie er im Gentechnik- und Chemikalienrecht entwickelt wurde. „Jedes Unternehmen, das Geschäfte mit der öffentlichen Hand macht, muß damit rechnen, dass öffentliche Gelder und Interessen betroffen sind; dass also hierzu auch eine öffentliche Kontrolle stattfinden kann“, betont Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig Holstein (ULD) und derzeitiger Vorsitzender der IFK. “So stünde es im diametralen Widerspruch zur Intention der Informationsfreiheitsgesetze, wenn Beamte und Unternehmen mit dem Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erreichen könnten, daß illegale Absprachen, Korruption oder Durchstechereien im Verborgenen blieben.“ (15)

Mit Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes, das auch ‚Transparenzgesetz’ genannt wird, wurde Anfang des Jahres 2006 der alte Grundsatz der ‚Amtsverschwiegenheit’ der Verwaltung abgeschafft. Hatten die Unterlagen der Bundesbehörden bis dahin prinzipiell rein internen Charakter, ist jetzt grundsätzlich alles öffentlich. Nicht mehr der Antragsteller muß sich rechtfertigen, wenn er etwas wissen will, sondern die Behörde hat jetzt eine Begründung zu liefern, wenn sie bestimmte Informationen nicht freigeben will. Anfragen nach dem IFG können von Privatpersonen genauso gestellt werden wie von Journalisten oder Angehörigen anderer Berufsgruppen. Doch im internationalen Vergleich fällt auf, daß das Informationsfreiheitsgesetz mit nur rund 2.300 Anträgen im ersten Jahr bislang relativ wenig genutzt wird. In Großbritannien etwa gingen bei der Einführung eines entsprechenden Gesetzes allein beim Außenministerium innerhalb des ersten Quartals 2005 ganze 7.700 Anträge ein (16). Auf eine einzelne Behörde entfielen dort also schon in wenigen Monaten dreimal so viele Anfragen wie in Deutschland im ganzen Jahr bei sämtlichen Stellen des Bundes zusammengenommen.

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Ein Grund für die geringe Nutzung des IFG könnte darin liegen, daß „ausgerechnet das Transparenzgesetz bisher ein gut gehütetes Geheimnis ist“, wie Dr. Manfred Redelfs, Leiter der Recherche-Abteilung von Greenpeace, schreibt. (17) Redelfs hatte sich in der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche für die Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes engagiert. Er weist daraufhin, daß die eigentlich nötige breite Öffentlichkeitsarbeit zu dieser Gesetzesreform von offizieller Seite ausgeblieben ist beziehungsweise den Journalistenorganisationen und Bürgerrechtsgruppen überlassen wurde, die sich von Anfang an für das IFG engagiert hatten.
Doch das Bürgerrecht auf Akteneinsicht und Informationszugang, so Redelfs, stelle einen demokratischen Wert an sich dar, unabhängig von der Intensität seiner Nutzung. „Allerdings wäre es wünschenswert, dass noch mehr Bürger von ihrem Recht Gebrauch machen, so dass sich in den Behörden allmählich ein selbstverständlicherer Umgang damit etabliert. Auch für das IFG gilt: Bürgerrechte erhalten sich am besten dadurch, daß man sie in Anspruch nimmt.“ Werden sie einem verwehrt, muß man sie vor Gericht erstreiten – auch gegen die Behörden oder die Regierungen auf Länder – und Bundesebene.

(1) http://jung.bawue.spd.de/index.php?docid=459
(2) http://jung.bawue.spd.de/index.php?docid=459
(3) Gunther Hartwig, Wider die amtliche Geheimniskrämerei, Badisches Tagblatt, 11. August
      2007; http://jung.bawue.spd.de/download/images/459_presse-ifg_2007-08-11_bt.jpg
(4) Peter Schaar, zit. nach: Christoph Kappes, Regierung verklagt, Süddeutsche Zeitung, 08.
     August 2007; http://jung.bawue.spd.de/index.php?docid=459    
(5) Stefan Vetter, SPD-Abgeordnete klagen gegen eigene Regierung, Rhein-Zeitung,
      11.August 2007
(6) Theo Westermann, Johannes Jung und Jörg Tauss klagen gegen die Regierung auf
     Aktenseinsicht, Badische Neueste Nachrichten, 07. August 2007;
     http://jung.bawue.spd.de/index.php?docid=460
(7) Frankfurter Rundschau, 11. August 2007; http://jung.bawue.spd.de/index.php?docid=459
(8) wie (5)
(9) wie (3)
(10) wie (5)
(11) http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl105s2722.pdf
(12) http://www.heise.de/newsticker/meldung/57513 
(13) https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20070612-ifk.htm
(14) http://www.bfdi.bund.de/cln_029/nn_828966/SharedDocs/IFG/InformationsfreiheitsgesetzJahresbilanz2006.html
(15) http://www.datenschutzzentrum.de/informationsfreiheit/20070611-ifk.htm
(16) Manfred Redelfs: Erfahrungen mit dem Informationsfreiheitsgesetz: Transparenz für
        Hartnäckige, BBE-Newsletter 16/2007;
        www.freiwillig.de/uploads/media/nl1607_redelfs.pdf-
(17) wie (16)

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