Warum wir Münzen und Geldscheine für unsere Freiheit benötigen

Die schrittweise Abschaffung des Bargelds

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Spiegel-Bestseller "Krieg gegen das Bargeld" von Hakon von Holst. Das Buch ist am 30. Juni 2025 im Hintergrund Verlag erschienen.

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Foto: martaposemuckel; Quelle: pixabay; Lizenz
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Es scheint besser zu sein, wenn die Ablösung des Bargelds von der Privatwirtschaft und nicht vom Staat vorangetrieben wird

schrieb 2017 Alexei Kireyev, leitender Ökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF). 1 „Ersteres wirkt nahezu unbedenklich, erfordert aber dennoch politische Anpassungen. Letzteres erscheint fragwürdiger, und die Leute könnten berechtigte Einwände dagegen haben.“ Kireyev weiter: „In jedem Falle sollte der verlockende Versuch vermieden werden, die Ablösung des Bargelds per Dekret zu erzwingen, da viele Menschen zu Bargeld eine emotionale Bindung haben. Ein gezieltes Aufklärungsprogramm ist erforderlich, um Misstrauen gegenüber der Ablösung des Bargelds zu zerstreuen – insbesondere die Befürchtung, dass die Behörden versuchen könnten, alle Aspekte des Lebens zu kontrollieren.“

In dem IWF-Arbeitspapier analysierte der Ökonom Wege, Bargeld „schrittweise“ aus der Welt zu schaffen. Er schlug unter anderem „wirtschaftliche Anreize zur Verringerung der Bargeldnutzung“ vor. Kireyev arbeitete zuvor bereits für die Weltbank und Michail Gorbatschow. Auf einigen Fotos sieht man ihn mit der damaligen IWF-Präsidentin Christine Lagarde. 2 Mehr als 90 Staaten haben Schulden beim Internationalen Währungsfonds. Geld gibt es dort stets unter wirtschaftspolitischen Auflagen: Die Entwicklungsländer müssen den Markt für ausländische Investitionen, für die Konzerne öffnen oder Staatsbetriebe privatisieren.

Der seinerzeitige EU-Digitalkommissar Günther Oettinger, unter seinesgleichen Spitzenreiter bei Gesprächsterminen mit Wirtschaftsvertretern 3, schlug schon 2016 in diese Kerbe. Auf einer Veranstaltung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Delo­itte appellierte er: „Haltet am Bargeld fest – der Markt macht es.“ 4 Anstatt regulatorisch einzugreifen und den 500-Euro-Schein abzuschaffen, solle man die Sache der Wirtschaft und der sinkenden Nachfrage überlassen. Das Ende der Barzahlungen werde kommen, so Oettinger.

Inzwischen befindet sich das Bargeld tatsächlich im freien Fall. Ein Vertreter des Handelsverbands Deutschland sagte in meiner Anwesenheit auf einer Fachtagung Anfang 2025, er beobachte in der Branche „abnehmende Hemmungen, darüber nachzudenken“, Bargeld als Zahlungsart „gar nicht mehr anzubieten“, wenn die „Nachfrage sinkt“.

Wo liegt das Problem? Zwischen 2017 und 2023 verschwand jede dritte Bankfiliale in Deutschland. 5 Insbesondere kleinere Händler besorgen am Schalter Wechselgeld und lassen dort ihre Einnahmen zurück. Es sei kein Standard, beklagte der Vertreter, dass Banken die Lücken durch Einzahlautomaten schließen. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Stefan Genth, warnte bereits 2024, der Bargeldkreislauf drohe zusammenzubrechen, wenn sich das Filialsterben fortsetze. 6

Die großen Handelsketten nutzen die Dienste von Geldtransportunternehmen, anstatt einen Mitarbeiter mit den Einnahmen auf die Bank zu schicken. Sie zahlen pro Anfahrt. Wenn also weniger Menschen mit Bargeld einkaufen, bleiben die Gesamtkosten ähnlich. Zahlt nur ein kleiner Teil der Kundschaft mit Scheinen und Münzen, erscheint Bargeld teuer. Betriebswirtschaftlich mag es dann verlocken, nur noch Karten zu akzeptieren.

Die erste bargeldlose Handelskette in Deutschland, der Apple-Händler Gravis, meldete 2024, ein Jahr nach der Umstellung, Insolvenz an und machte dicht. Doch die Einzelfälle häufen sich: Es sind Cafés, Restaurants und Hotels. Sogar eine kleine Handvoll Bäckereien findet sich darunter. Ein Hamburger Gastronom schaffte das Bargeld ab, um dem Finanzamt gegenüber nicht länger seine Unschuld beweisen zu müssen. 7

Was dem Bürger schadet, bewarb Visa gegenüber Unternehmen als Vorteil: Konsumenten in den USA, steht auf einer Infografik, würden in einer Pizzeria mit Karte 25 Prozent mehr ausgeben, in einem Familienrestaurant 40 Prozent. 8  2017 lobte Visa insgesamt 500.000 Dollar für 50 Gastronomiebetreiber in Amerika aus. 9 Die Bewerber mussten vor der Kamera erklären, wie ein Ausstieg aus dem Bargeld ihrem Unternehmen zugutekommen könnte.

In Deutschland lockt eine Interessengruppe um Visa und Mastercard seit 2025 die letzten Händler ohne Kartengerät ins System: In Zusammenarbeit mit Banken und Zahlungsdienstleistern kommen kleine Unternehmen ein Jahr lang kostenlos in den Genuss des Kartenangebots für die Ladenkasse. Die Gruppe verspricht ihnen eine zahlungswillige Kundschaft und, ganz wörtlich, (vermehrte) „Spontaneinkäufe“. 10

Einige Sparkassen belohnen ihre Kunden für den Einkauf mit der roten Girocard: Bei ausgewählten Läden winkt ein Bonus. Teilweise erhalten Kartenzahler fünf Prozent des Warenkorbwertes aufs Konto zurückerstattet. Bürger beklagen derweil den Abbau von Geldautomaten. Insbesondere auf dem Land entstehen Lücken.

Nicht nur die Privatwirtschaft, auch staatliche Betriebe schaffen das Bargeld ab: In Rostock und Dresden akzeptieren viele Automaten im öffentlichen Nahverkehr nur noch Karte. Düsseldorf und Dortmund wollen Banknoten und Münzen bis 2027 beseitigen. In Chemnitz blieb ein Kind auf der Straße stehen, weil beim Busfahrer nur noch Kartenzahlung möglich war. Wie der MDR berichtete, riet die Verkehrsgesellschaft dem Vater daraufhin zu einer „Mastercard für Kinder“. Der Jahrespreis von 36 Euro bei der örtlichen Sparkasse sei unerwähnt geblieben. 11

Zunehmend schließen Ämter ihre Kassen, wie eine Befragung der Bundesbank zeigt. 2023 sah sich der Bürger bei Behördenangelegenheiten in 50 Prozent der Fälle genötigt, digital zu bezahlen. Zwei Jahre zuvor waren es 37 Prozent. 12

Was geschieht im Ausland? In Schweden lag die Bargeld-Akzeptanz durch Gebrauchsgüterhändler 2022 nur noch bei 83 Prozent. 13 In den Niederlanden lehnen mittlerweile fast vier von zehn Kinos Bargeld ab. In 21 Prozent der Apotheken und auf 21 Prozent der Parkplätze konnte zuletzt nur digital bezahlt werden. 14 In beiden Ländern nutzt ein weitaus geringerer Teil der Menschen Scheine und Münzen als Zahlungsmittel als in Deutschland.

Inzwischen hat das niederländische Abgeordnetenhaus beschlossen, die Pflicht zur Akzeptanz von Bargeld im Gesetz zu verankern. Sollte sich die deutsche Politik da nicht ein Beispiel nehmen und vorausschauend handeln? Die Wahlprogramme der klassischen Regierungsparteien zur Bundestagswahl 2025 gaben wenig Konkretes her. Die „Grünen“ wollten die „hohen Kosten des Zahlungsverkehrs“ für Unternehmen senken. Als Problembeispiel führte die Partei aber nicht das Bankfilialsterben, sondern Kreditkartengebühren an. Die SPD versprach, „Umsatzsteuerbetrug vor allem in bargeldintensiven Branchen weiter zurückzudrängen“. Bei CDU und CSU hieß es zumindest, jeder solle selbst entscheiden können, wie er bei „Geschäften des Alltags“ bezahle.

Alle drei Parteien stimmten erst 2021 für eine Gesetzesänderung im Linienverkehr. Seither muss explizit kein Ticketverkauf an der Haltestelle oder im Fahrzeug gegen Bargeld stattfinden. 15 Eine Umfrage vor der Bundestagswahl zeigte, dass relativ viele Kleinparteien die Akzeptanz von Bargeld im Nah- und Fernverkehr befürworten 16, was in etwa die Stimmung in der Bevölkerung wiedergibt. In Berlin lehnte eine klare Mehrheit der Befragten die Abschaffung des Bargelds in den Bussen ab. 17

Im Juni 2024 forderten die Verbraucherschutzminister der Bundesländer die Regierung auf, für die „Nutzungsmöglichkeit von Bargeld als Zahlungsmittel einzutreten“. 18 Der hessische Vertreter im Gremium unterstrich diese Forderung in einer Presseerklärung. 19 Wenn es um den eigenen Laden geht, scheint man aber seine Schwierigkeiten zu haben: Weiterhin schaffen Landkreise und Gemeinden in Hessen das einzige staatliche Zahlungsmittel Bargeld ab. Die Kommunen werden vom Land sogar gedrängt, „auf den unbaren Zahlungs- verkehr hinzuwirken“. 20 […]

Rund um den Globus haben Zentralbanken begonnen, an elektronischem staatlichem Geld zu arbeiten. Im Jahr 2020 rückte das Thema in Europa in den Fokus: Die EZB unter der neuen Führung von Christine Lagarde nahm den Trend zum elektronischen Bezahlen wahr und sprang auf den Zug auf. Wie ich einen Bundesbank-Vertreter im Januar 2025 auf einer Fachtagung sagen hörte, wolle man das Bargeld „wirklich digitalisieren“. […]

In jedem Fall bedeuten staatliche Digitalwährungen eine gigantische Machtzentralisierung. Agustín Carstens, der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Treffpunkt der Zentralbanker weltweit, fasste das in einer Videokonferenz, veranstaltet vom Internationalen Währungsfonds, wie folgt zusammen: „Bei Bargeld wissen wir nicht, wer heute einen 100-Dollar-Schein verwendet oder wer heute einen 1000-Peso-Schein verwendet.“ Ein „wesentlicher Unterschied zu digitalen Zentralbankwährungen sei, dass die Zentralbank die absolute Kontrolle über die Regeln und Vorschriften haben wird“, was ihre „Nutzung“ betreffe. 21

Der Beitrag ist der aktuellen Ausgabe 7/8 2025 unseres Magazins entnommen, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen. Den Spiegel-Bestseller „Krieg gegen das Bargeld“ von Hakon von Holst, im Mai in unserer Buchreihe WISSEN KOMPAKT erschienen, können Sie hier bestellen.

HAKON VON HOLST, Jahrgang 1999, ist Journalist und Lektor. Er recherchiert seit 2019 zur schleichenden Verdrängung des Bargelds. 2022–23 Studium an der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählen neben Finanzwirtschaft auch Agrarpolitik und Umweltthemen. Veröffentlichungen unter anderem in der Berliner Zeitung, im Multipolar-Magazin, in der Neuen Osnabrücker Zeitung, bei Manova und auf dem Blog von Norbert Häring.

1 Alexei Kireyev, »The Macroeconomics of De-Cashing« (wörtlich: die Makroökonomie der Entbargeldung), WP/17/71, IWF, 27. März 2017, Absätze 52–53
2 Etwa unter http://www.alexeikireyev.com/content/imf-managing-director-christine-lagarde-0
3 Dazu www.lobbycontrol.de/lobbyismus-in-der-eu/eu-ranking-wichtige-kommissare-auf-kuschelkurs-mit-
konzernen-28635/
4 Focus, 10. April 2016, www.focus.de/finanzen/banken/mit-dem-smartphone-bezahlen-eu-digitalkommissar-
oettinger-sieht-das-ende-des-bargelds-kommen_id_5424258.html
5 Eine Bankstellenstatistik ist verfügbar auf der Internetseite der Deutschen Bundesbank
6 HDE, 23. Oktober 2024, https://einzelhandel.de/presse/aktuellemeldungen/14650-aktuelle-umfrage-barzahlung-
und-bargeldabhebung-im-einzelhandel-beliebt-hde-fordert-staerkung-des-bargeldkreislaufs
7 Focus, 13. Juli 2023, www.focus.de/regional/hamburg/gastronomen-wollen-kein-bargeld-mehr-doch-das-birgt-
risiken-und-probleme_id_198979401.html
8 https://usa.visa.com/dam/VCOM/global/about-visa/documents/cashless-infographic.pdf. Kopie im Webarchiv
[abgerufen 24. September 2021]
9 https://usa.visa.com/about-visa/cashless.html. Kopie im Webarchiv [abgerufen 12. September 2017]
10 www.deutschland-zahlt-digital.de [abgerufen 31. März 2025]
11 MDR, 13. Januar 2023, www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/nahverkehr-vvo-fahrscheine-automaten-
geld-bezahlen-bargeldlos-100.html [abgerufen 4. September 2024]
12 Deutsche Bundesbank, »Zahlungsverhalten in Deutschland 2023«, Frankfurt/M. 2024, S. 31
13 Handelsverband Svensk Handel, 1. Juli 2022, www.svenskhandel.se/nyheter/pressmeddelande/9-av-10-
svenska-handlare-tar-fortsatt-emot-kontanter-som-betalmedel
14 Nationalbank DNB, 12. Mai 2025, https://www.dnb.nl/algemeen-nieuws/nieuws-2025/iets-minder-winkels-
accepteren-cash/
15 Mehr zum Gesetz in Bundestagsdrucksache 19/27288 (Paragraf 5a)
16 Siehe https://bargeldverbot.info/2025/02/11/parteienvergleich/
17 Umfrage vom Tagesspiegel, 26. August 2024, www.tagesspiegel.de/berlin/barzahlen-in-bvg-bussen-mehrheit-
der-berliner-ist-gegen-geplante-abschaffung-12253610.html
18 Presseprotokoll der 20. Verbraucherschutzministerkonferenz, 14. Juni 2024, S. 46
19 14. Juni 2024, https://hessen.de/presse/land-macht-sich-auf-der-verbraucherschutzkonferenz-fuer-den-erhalt-
des-bargelds-stark
20Mehr zur Gemeindekassenverordnung bei Norbert Häring, 9. März 2025, https://norberthaering.de/bargeld-
widerstand/marburg-biedenkopf/
21 IWF, »Cross-Border Payment – A Vision for the Future«, 19. Oktober 2024, Minute 24:20, www.youtube.com/ KRIEG GEGEN DAS BARGELD Warum wir Münzen und Geldscheine für unsere Freiheit benötigen Hakon von Holst HINTERGRUND DAS NACHRICHTENMAGAZIN WISSEN KOMPAKT live/mVmKN4DSu3g?&t=1448

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