Finanzwelt

Rettung der Bankprofite auf dem Rücken der Steuerzahler – auch Portugal unter dem Druck der Spekulanten

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Von SEBASTIAN RANGE, 25. November 2010 –

Nachdem Irland als zweites Land nach Griechenland Hilfe aus dem Euro-Rettungsschirm (EFSF) beantragt hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Portugal bald als drittes folgen wird.

Die portugiesische Regierung gibt sich noch zuversichtlich, dass es so weit nicht kommen wird.
Die irische Entscheidung werde „zu einer Beruhigung der Märkte führen und die sinnlose Spekulation beenden“, erklärte Ministerpräsident José Sócrates am Montag in Lissabon. Sein Land wolle dem Beispiel Irlands Land nicht folgen. „Portugal benötigt die Hilfe von niemandem und wird seine Probleme allein lösen“, beteuerte er. (1)

Doch Portugal gerät immer mehr unter den Druck von Spekulanten, die gegen das Land wetten. Denn es stellt momentan das schwächste Glied in der Kette der Eurozone dar.

Die Lage am Markt für europäische Staatsanleihen bleibt insgesamt angespannt. Die Renditen für zehnjährige Anleihen finanzschwacher Euro-Länder legten auch heute zu. Sie stiegen laut dpa in Irland um 0,1 Punkte auf 8,75 Prozent. In Griechenland stiegen sie auf 11,8 und in Portugal auf 6,87 Prozent. Noch nie seit der Einführung des Euro war der Renditeunterschied Portugals zu Deutschland (2,7 Prozent) so groß wie heute.

Auch die Rendite für Staatspapiere mit zweijährigen Laufzeiten stieg für Portugal an, während sie für Irland und Griechenland leicht rückläufig ist.

Hauptgläubiger im Fall Portugals sind spanische Banken und Unternehmen, deren Forderungen in Höhe von circa 90 Milliarden Euro etwa ein Drittel der portugiesischen Auslandsschulden betragen. Irland steht mit circa 100 Milliarden Euro vor allem bei deutschen Banken in der Kreide.

Alleine daran ist ersichtlich, dass es bei dem Rettungsschirm in erster Linie um die Rettung der Profite der Banken geht. Es ist nichts anderes als eine massive Umverteilung zulasten der Allgemeinheit und zugunsten des Finanzkapitals. Die gegen ein Land wettenden Spekulanten befinden sich dabei in einer Win-win-Situation. Geht das Land nicht pleite, hat man durch die hohen Zinsen der Schuldpapiere einen ordentlichen Gewinn gemacht. Geht es pleite, sind die Gewinne durch die Übernahme der Schulden durch den europäischen Steuerzahler in Form des EFSF weiterhin garantiert. In einer solchen Situation wäre es geradezu dumm, nicht gegen schwache Länder zu wetten.

Daher dürfte in Zukunft ein noch wesentlich größerer Brocken als Portugal auf die EU zukommen. Denn auch Spanien wackelt bedenklich. Und das Land würde nicht mehr unter den Rettungsschirm passen, so Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). „Ich habe allerdings keinen Zweifel daran, dass der Schirm in diesem Fall verbreitert werden würde.“ Die europäischen Regierungschefs rief er dazu auf, sofort die Garantie auszusprechen, in Not geratenen Eurostaaten zu helfen. „Nur so lassen sich die Finanzmärkte beruhigen“, sagte Straubhaar. (2)

Was Herr Straubhaar übersieht, ist die Tatsache, dass es sich bei Finanzmärkten nicht um wilde Tiere handelt, die es zu „beruhigen“ gilt. Eher müsste man von ehemals domestizierten Tieren sprechen, die ausgebrochen sind und wieder eingezäunt werden müssten.

Den Schirm im Fall des Falles Spaniens noch zu verbreitern, bedeutet noch mehr Milliarden durch rigorose Sparprogramme aus den Taschen der unteren und mittleren Einkommensschichten in Richtung Banken wandern zu lassen. Und dabei kommen die gegenwärtig in Europa geplanten bzw. bereits durchgesetzten Sparprogramme einem sozialpolitischen Kahlschlag gleich, der nicht nur ungerecht ist, da vor allem diejenigen belastet werden, die keine Verantwortung für das Desaster tragen, sondern auch wirtschaftspolitisch katastrophal wäre.

Die Sparprogramme tragen dazu bei, dass sich der Teufelskreis aus immer höherer Staatsverschuldung zu immer höheren Zinsen bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen noch schneller dreht. Um die alten Schulden zu bezahlen, nimmt der Staat bei den Gläubigern neue Schulden zu höheren Zinsen auf. Um diese zu finanzieren, werden die Staatsausgaben gekürzt, was zu einer Erlahmung der Wirtschaft wird. Das führt wiederum zu sinkenden Steuereinnahmen. Also muss auf den Finanzmärkten wieder Geld geliehen werden usw. usf.

Länder wie Griechenland oder Portugal könnten aus diesem Kreislauf ausbrechen, wenn sie aus dem Euro aussteigen würden. Durch die Abwertung ihrer eigenen Währung wären sie wieder in der Lage, mit produktiveren Ländern auf dem Exportsektor zu konkurrieren. Der Euro nutzt vor allem der starken deutschen Exportindustrie, die den Export-Nachteil einer harten Währung, wie sie etwa die D-Mark im Vergleich zum griechischen Drachmen darstellte, durch den Euro unterlaufen kann.

In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur machte der Wirtschaftsprofessor Max Otte eine bezeichnende Aussage:  „Wenn der Euro irgendwann auseinanderbrechen sollte, bekommen wir vielleicht ein wirklich demokratisches Europa, ein Europa, das auch den Bürgern nützt.“ (3)

Eine schöne Vorstellung, deren Realisierung die Finanzarchitekten der EU aber unbedingt verhindern wollen.  

„Dass der Euro scheitert, ist unvorstellbar“, sagte der Chef des EFSF, Klaus Regling. Diese Gefahr liege „bei Null“. „Kein Land wird freiwillig den Euro abgeben. Für schwächere Länder wäre das wirtschaftlich Selbstmord, ähnlich für die stärkeren Länder. Und politisch wäre Europa ohne Euro nur die Hälfte wert“, so Regling.(4)
Wenn der Ausstieg aus dem Euro einem Selbstmord gleichkommt, so stellt sich doch die Frage, wie diese Länder all die Jahrzehnte ohne Euro leben konnten. Und die meisten Menschen in Europa lebten vor der Einführung des Euro besser als heute.

In Europa wächst nicht nur der Reichtum einer kleinen Minderheit auf Kosten der großen Mehrheit, auch die Wut über diesen Zustand wächst. In den letzten Monaten kam es zu Generalstreiks in Griechenland und Frankreich. Gestern legten die Portugiesen ihre Arbeit nieder. Auch in Großbritannien verschärfen sich die Proteste, wie die Stürmung der Parteizentrale der regierenden Konservativen durch aufgebrachte Studenten vor zwei Wochen gezeigt hat. In Deutschland sollte morgen der Bundestag zwar nicht gestürmt, aber zumindest belagert werden. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialinitiativen und linken Parteien hat anlässlich der morgigen Abstimmung über das neue „Sparpaket“ dazu aufgerufen, den Bundestag symbolisch zu belagern. (5)

Sozialabbau und Terrorhysterie

Doch diese Demonstration der Unzufriedenheit mit den geplanten Kürzungen wurde verboten. Aufgrund vermeintlicher Terror-Drohungen ist der Bundestag schon seit Tagen abgesperrt, seitdem der Spiegel über eine Stürmung des Gebäudes durch „Al-Qaeda“-Terroristen phantasierte. Als Phantasie tut es zumindest BKA-Chef Jörg Ziercke indirekt ab, der den Spiegel-Bericht als „hochspekulativ“ bezeichnete. Konkrete Anschlagsziele seien dem BKA unbekannt. „Es gibt keine Hinweise auf bestimmte Orte, Personen oder Zeitpunkte“, so Ziercke.

Doch auch solche Stellungnahmen sind kaum in der Lage, die Terror-Panik abzumildern. Denn hinter dieser steht ein politisches Kalkül und nicht eine objektive Einschätzung der Gefährdungslage.

„Im Windschatten der aktuellen Terrorwarnungen werden die umfangsreichsten Veränderungen der deutschen Sicherheitsbehörden seit Einführung der Notstandsgesetze 1968 vorbereitet. Schon jetzt ist klar, dass die Demokratie zum ersten Opfer auch dieser Facette des sogenannten Krieges gegen den Terror gehört. Die muslimische Bevölkerung bekommt das zuallererst zu spüren“, heißt es in einer heute in der jungen Welt veröffentlichten Stellungnahme von Abgeordneten und Mitgliedern der Partei und Fraktion Die Linke. (6)

Die gegenwärtige Terrorhysterie ist nur vor dem gegenwärtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Hintergrund zu begreifen. In den elitären Kreisen weiß man am besten, wie es um die wirtschaftliche Lage wirklich steht und was dem einfachen Volk in Zukunft noch alles zugemutet werden soll. Um nicht zur Zielscheibe enttäuschter Massen zu werden, muss ein Sündenbock her, an dem sich die Frustrationen im Notfall abreagieren lassen. Im Sommer brachten Bertelsmann und Springer ihre Geschütze in Stellung und bombardierten die Öffentlichkeit mit sarrazin’scher Hetze gegen Muslime. Deren Dämonisierung ist so weit fortgeschritten, dass selbst offene Volksverhetzung ihnen gegenüber mittlerweile als zulässige „Islamkritik“ durchgeht. Und auch in der gegenwärtigen Terrorhysterie wird  Muslimen immer wieder abverlangt, sich von Terror zu distanzieren – denn es soll weiterhin der Eindruck vermittelt werden, beides habe zwangsläufig miteinander zu tun.

Warum wird nicht der Polizei eine Distanzierung vom Terror abverlangt, wenn – wie jüngst geschehen – einer ihrer V-Männer an der Produktion von Terror-Drohvideos maßgeblich beteiligt gewesen sein soll und darin sogar mitspielte? (7)

Und warum wird im Vergleich zu den befürchteten Attentaten „islamistischer Täter“ kaum über jenen Anschlag berichtet, den es als einzigen im Zeitraum der jüngsten Terrorhysterie gegeben hat? Der Brandanschlag auf eine Moschee in Neukölln vergangene Woche war bereits der vierte innerhalb weniger Monate. (8) Dass die am Brandort gefundene Propangasflasche nicht explodierte verhinderte Schlimmeres. Es wird angesichts der medialen Stimmungsmache wahrscheinlich leider auch nicht der letzte gewesen sein.

Hätte es einen ähnlichen Anschlag auf ein christliches Gotteshaus gegeben, für den Muslime verantwortlich gemacht worden wären, hätte ein solcher Fall Schlagzeilen auf den Titelseiten produziert.

Doch Einschüchterung und Angstmache mittels Terrorhysterie sind nur die eine Methode, mit der  die Umverteilung von Arm nach Reich und der Abbau von Bürgerrechten leichter durchgesetzt werden sollen. Die andere besteht im genauen Gegenteil, der Verabreichung einer Beruhigungspille. Regierungsvertreter und gefällige „Wirtschaftsexperten“ legen einen Zweckoptimismus an den Tag, der das Blaue vom Himmel verspricht. Von einem ungeahnten Aufschwung ist die Rede, der alle  Erwartungen übertreffe. Bundeswirtschaftsminister Brüderle fabuliert schon von einer Vollbeschäftigung. Diese sei „schon bald möglich“. Er sprach von einem Aufschwung „wie im Bilderbuch“.

Die letzte Vollbeschäftigung in (West-)Deutschland liegt mittlerweile fast ein halbes Jahrhundert zurück. Allerdings wurde der Grenzwert der Arbeitslosenquote, ab dem man von einer Vollbeschäftigung spricht, über die Jahrzehnte immer wieder angehoben. Und so könnte es tatsächlich in nicht allzu ferner Zukunft heißen, in Deutschland herrsche Vollbeschäftigung. Das wird aber weniger einem Aufschwung wie im Bilderbuch geschuldet sein, sondern einem wie im Märchenbuch.

Anmerkungen

(1) Alle Zitate, soweit nicht anders angegeben: Deutsche Presse Agentur (dpa)

(2) http://www.welt.de/wirtschaft/article11198044/Unsere-Angst-gilt-nicht-Irland-sondern-Spanien.html

(3) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1326369/

(4) http://de.reuters.com/article/economicsNews/idDEBEE6AO00Z20101125

(5) http://www.kapitalismuskrise.org/aktuelles/2611-sparpakte-stoppen-bundestag-belagern/

(6) http://www.jungewelt.de/2010/11-25/049.php

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(7) http://www.welt.de/politik/deutschland/article10889143/V-Mann-soll-zu-Terror-Drohvideos-angestiftet-haben.html

(8) http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandanschlag-auf-neukoellner-moschee/2935318.html

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