Wirtschaft Inland

Die Geschäfte des Felix S. – Deutschland im Krisenjahr 2009

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Commerzbank wird teilverstaatlicht –

Von REGINE NAECKEL, 9. Januar 2009 –

Felix Sonnenschein lebt in Frankfurt. Er hat eine schöne Villa, einiges Hab und Gut. Den einzigen Schatten auf die Frohnatur des Felix S. werfen veruntreute Gelder. Kapital, das ihm Gutgläubige anvertrauten, hat Felix bei waghalsigen Spekulationen verzockt. Er konnte den Hals nicht vollkriegen. Denn schließlich flossen für ihn und seine Geldgeber zu Beginn satte Renditen im Schlaf. Daran hatten Felix und seine Geschäftskollegen eine wahre Freude, und sie machten sich ein feines Leben.

Plötzlich versiegte der Geldstrom und schlimmer noch: Das investierte (fremde) Kapital war futsch, verzockt im Börsenroulette. Bei einem ersten groben Überschlag stellt Felix erschrocken fest, ihm fehlt eine knappe Million. „Kein Problem“, sagt ein leichtgläubiger Großinvestor, „mit der läppischen Summe helfe ich Dir auf die Beine. Ich leihe mir das Geld, das Du brauchst, denn noch habe ich einen guten Leumund, und später lasse ich es im Notfall meine Kinder zurückzahlen. Sicherheiten brauch’ ich nicht, wir kennen uns ja gut.“

Es vergehen keine zwei Monate, da macht Felix erneut einen provisorischen Kassensturz. Er ist wieder erfüllt von unternehmerischem Tatendrang, will sich trotz leerer Kassen und neu aufgelaufener Schulden einen anderen Pleitier einverleiben. Bei Nacht und Nebel besucht er erneut den Investorfreund und legt ihm seine Zettelwirtschaft auf den Tisch: „Ich brauch noch mal ‘ne Million von Dir.“ Sein eigenes Hab und Gut ist gerade einmal 400.000 Euro wert. „Das macht doch nichts“, tönt großspurig der Geldgeber, „ich verfüge über einen nicht versiegenden Quell. Doch dieses Mal brauche ich – schon um meine Kinder nicht zu verärgern – pro forma einen Grundbucheintrag. Sagen wir mal über 100 Tausend Euro für die 1,8 Millionen, die ich Dir dann geliehen habe. Dafür bekommst Du das Geld unbefristet. Und wir behaupten, ich gucke Dir in Zukunft bei Deinen Geldgeschäften ein bisschen über die Schulter.“ Dass genau dieser Geldgeber kurz zuvor in anderen Geschäftsmodellen, bei denen er nicht nur über die Schulter schaute, sondern sogar die Aufsicht führte, das ganze Unternehmen offenen Auges in den Abgrund trudeln ließ, war dem gebeutelten Felix egal. Hauptsache Kohle!

Felix’ Nachbarn munkeln derweil hinter vorgehaltener Hand von weiteren Schuldenlöchern in dessen „Buchhaltung“ und behaupten, das geliehene Geld könne Felix’ Misere bei weitem nicht abwenden. Da muss weiter nachgelegt werden.

Mal ehrlich: Die Regel wäre schon im ersten Fall eine Privatinsolvenz gewesen, hätte es tatsächlich Felix Sonnenschein und nicht die zweitgrößte deutsche Bank getroffen. Felix’ Hab und Gut hätte man beschlagnahmt, und er wäre vermutlich wegen Veruntreuung für ein paar Jahre hinter Gitter gewandert. Und der unbekannte großzügige Investor wäre im richtigen Leben vermutlich von seinen Kindern entmündigt worden, hätte er sie bis weit in die Zukunft verschuldet. Oder sie hätten am Ende ganz einfach die Erbschaft ausgeschlagen.

So wie Felix nicht die Commerzbank ist, können in der bundesdeutschen Realität die Bürger nicht eines Tages das „Erbe“ der Ära Merkel ausschlagen. Dieses Unvermögen wird noch bittere Folgen zeitigen.

Der große Deal

Gestern, am Donnerstagabend, trat Bundeswirtschaftsminister Michael Glos freudig vor die Fernsehkameras und erklärte, der Bund sei nun bei der Commerzbank Großaktionär mit Sperrminorität. Das sei ein starkes Signal für eine starke Commerzbank. Seinen Sprecher Torsten Albig ließ er erklären, die Beteiligung des Bundes sei „keine Teilverstaatlichung, sondern die Wahrnehmung unserer Verantwortung für einen der großen deutschen Akteure am Finanzmarkt“. Trotzdem beantwortete die Börse die Transaktion mit einem massiven Kurssturz von über 14 Prozent.

Bereits im November hatte die Commerzbank eine Staatshilfe in Höhe von 8,2 Milliarden Euro erhalten. Die neue Geldspritze in Höhe von 10 Milliarden soll den Kauf der Dresdner Bank ermöglichen, einen Deal, den der Commerzbankchef Martin Blessing bereits zu Hochzeiten der Krise im Herbst 2008 und nur zwei Wochen vor der Lehman-Pleite eingefädelt hatte. Nun erklärt er ohne Selbstzweifel, der Kauf der Dresdner Bank sei ohne staatliche Mittel nicht zu schultern und noch immer seien nicht alle Quartalszahlen bekannt.

Doch es gebe kein Zurück. Schließlich kämen die hohen Abschreibungen der Dresdner Bank im vierten Quartal 2008 völlig unerwartet. Dabei will die Dresdner-Bank-Mutter Allianz sich selbst an der Misere beteiligen und faule Papiere aus dem Dresdner-Portfolio im Umfang von 1,1 Milliarden übernehmen. Tatsache ist, zur Rettung zweier Pleitiers zahlt der Bund nun über 18 Milliarden Euro. Jeder Kleinunternehmer weiß, man soll schlechtem Geld kein gutes hinterherwerfen. Doch der kleine Krämer kann in der Regel auch die einfache Buchhaltung in seiner Kladde richtig interpretieren.

Anders ist das bei Marktführern der Finanzbranche. Sie können ganz offensichtlich keine Bilanzen lesen und kennen die eigenen Zahlen nicht. Noch immer hantiert man mit den angeblich wie aus dem Nichts aufgetauchten Zahlen des vierten Quartals – in beiden Unternehmen. Der Jahresabschluss 2008 liegt noch nicht vor. Da aber werden weitere Löcher klaffen, wie Analysten vermuten. Dann ist der Bund mit im Boot und quasi gezwungen, weitere Löcher zu stopfen!

Die neue Misere ist nicht allein durch die Dresdner-Bank-Übernahme ausgelöst. Riesige Verluste haben auch die Reserven der Commerzbank in den letzen Wochen dahin schmelzen lassen, trotz der kräftigen staatlichen Finanzspritze vor nicht einmal zwei Monaten.

25 Prozent der Aktien plus 1 Aktie garantieren nun dem Bund für seine insgesamt 18,2 Milliarden eine Sperrminorität. Und zwei Aufsichtsratsposten in Person von Staatssekretären, die dann die Finanzpolitik zwar nicht bestimmen, aber überwachen sollen. Dass die gesamte Commerzbank derzeit nur 4 Milliarden wert ist, der Bund als Investor aber das Achtzehnfache seines eigenen Anteils hineinpulvert, können selbst Grundschüler errechnen. Dafür will man dann Sorge tragen, verkündet Michael Glos mit stolzgeschwellter Brust, dass mehr Kredite an kleine und mittelständische Unternehmen vergeben werden. Warum stellt man dann nicht besser die 10 Milliarden zur Gründung einer Bank mit speziell solchen Aufgaben zur Verfügung?

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Eine solche Bank gab es bereits – die IKB mit dem Hauptaktionär KfW, einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Die IKB wurde – nachdem sie trotz staatlicher Aufsicht bei der Spekulation mit faulen Papieren in eine totale Schieflage geraten war – mit einem Verlust von 8 Milliarden für die KfW und 1,8 Milliarden für den Bund schließlich an den amerikanischen Finanzinvestor Lone Star verscherbelt – für angebliche 115 Millionen Euro. Diese Zahl stützt sich auf unbestätigte Presseberichte und wurde nicht dementiert. Die tatsächliche Verkaufssumme wurde nie bekanntgegeben. Staatliche Bankenkontrolle hat sich in der jüngsten deutschen Vergangenheit als wenig hilfreich erwiesen, da sie entweder inkompetent oder blind war. Auch das „Engagement des Bundes“ bei der Commerz- inklusive Dresdner Bank könnte in einem ähnlichen Desaster enden. Schließlich wird als einer der Gründe für die Milliarden Bundesmittel vorgebracht, man wollte verhindern, dass die Banken in ausländische Hände geraten. Das wollte man bei der IKB auch und musste sie schließlich ins Ausland verscherbeln. Weiter ist sich Michael Glos sicher, dass eines schönes Tages der Bund seine Commerzbank-Anteile gewinnbringend verkaufen könnte. Konkrete Zeiträume nennt er nicht, und die stehen auch bei einem Verhältnis von 1:18 in weiter Ferne. Vorerst sollen jährlich 1,3 Milliarden Zinsen aus dem Deal an den Bund fließen.

Wenn das mal gut geht! Sonst muss der Steuerzahler auch noch dieses Zinspäckchen buckeln. Vom Tilgen der Staatsschulden ist schon lange keine Rede mehr, denn die internationalen Banken lassen sich am liebsten durch die Zinsen für die Staatskredite mästen. Die neuen Milliarden kommen dann zum Beispiel bei einem Leitzinssatz von 0 Prozent von der US-amerikanischen Fed via Goldman Sachs oder Morgan Stanley ruckzuck zu einem saftigen Zinssatz auf das Konto des deutschen Finanzministeriums.

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