Terrorismus

Die Kriegstreiber

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Steckt die türkische Regierung hinter dem Giftgas-Anschlag im syrischen Ghuta? Ein aktueller Text des Pulitzer-Preisträgers Seymour Hersh legt das nahe –

Von THOMAS EIPELDAUER, 7. April 2014 –

Seymour Hersh kann auf einige investigative Glanzleistungen zurückblicken: 1969 deckte er das My-Lai-Massaker auf, bei dem US-Soldaten hunderte Zivilisten in einem südvietnamesischen Dorf ermordet hatten, seine Bücher über Henry Kissinger und John F. Kennedy wurden international zu Bestsellern. 2004 brachte er den Folterskandal im US-Gefängnis Abu Ghuraib, in dem irakische Gefangene vom Wachpersonal erniedrigt und gefoltert wurden, ans Tageslicht.

Gestern erschien nun in der London Review of Books Hershs jüngster Text unter dem Titel „The Red Line and the Rat Line“, in dem er sich unter anderem mit dem Chemiewaffenangriff im syrischen Ghuta vom August 2013 auseinandersetzt. (1) Damals sollen unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 280 und 1 700 Menschen durch ein Nervengift getötet worden sein. International galt bald der syrische Präsident Baschar Al-Assad als Urheber des Angriffs, obwohl schon damals vieles dagegen sprach. US-Präsident Barack Obama sah die zuvor von ihm benannte „rote Linie“ überschritten, Planungen für einen militärischen Angriff auf Syrien begannen.

Warum es dann doch zu keinen flächendeckenden Bombardements syrischer Ziele kam, bildet die Ausgangsfrage, die Seymour Hersh stellt und unter Berufung auf Quellen im Sicherheitsapparat der Vereinigten Staaten so beantwortet: Die US-Behörden seien dahinter gekommen, dass es sich bei dem Giftgas-Angriff um eine Aktion handelte, die ein militärisches Eingreifen Washingtons erzwingen sollte, und die Hintermänner im Staatsapparat des NATO-Mitglieds Türkei hatte.

„Ein Vorwand lässt sich konstruieren“

Unplausibel ist das angesichts anderer Quellen nicht. Die jüngste Veröffentlichung eines Gesprächsmitschnitts zwischen dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu und hochrangigen Funktionären des Sicherheitsapparats, darunter Geheimdienstchef Hakan Fidan, zeigt, dass Ankara immer noch auf Biegen und Brechen versucht, den islamistischen Rebellen, die sich im Krieg mit der syrischen Armee befinden, militärische Rückendeckung zu geben. Hakan Fidan: „Schauen Sie, General, ich schicke vier Männer auf die andere Seite und lasse sie acht Stück (gemeint sind Granaten oder Raketen) auf ein leeres Feld schießen. Das ist kein Problem. Ein Vorwand lässt sich konstruieren.“ Dann wolle man „Panzer schicken“. (2)

Das wäre nicht der erste Versuch einer False-Flag-Operation durch türkische Militär- und Sicherheitskreise, wenn man sich an das Bombenattentat vom 11. Mai 2013 im türkischen Reyhanli erinnert. Hunderte Menschen wurden getötet, als zwei Autobomben in der unweit der syrischen Grenze gelegenen Stadt detonierten. Bereits wenige Stunden später präsentierten die türkischen Behörden die Schuldigen: Man habe neun Männer festgenommen, türkische Staatsbürger, die in Abstimmung mit dem syrischen Geheimdienst gehandelt hätten. Medienberichten zufolge handelt es sich um Mitglieder der linken türkischen Gruppen DHKP-C und Acilciler.

Diese Version hielt nicht lange. Denn zum einen passte der Anschlag schlecht zu dem Selbstverständnis der Beschuldigten, die im Unterschied zu islamistischen Gruppen das willkürliche Ermorden von Zivilisten nicht zu ihren politischen Zielen zählten. Zum anderen aber veröffentlichte die Hackergruppe Red Hack Dokumente türkischer Behörden, die nahelegten, dass es sich um eine Tat von Mitgliedern der Al Nusra, einer Al Qaida nahestehenden und vom türkischen Staat unterstützten Terrorgruppe, gehandelt habe. (3)

Waffen aus Libyen für Islamisten in Syrien  

Auch bei Seymour Hersh tritt nun erneut Hakan Fidan als einer der Männer auf, die eine wesentliche Rolle bei der Etablierung und Aufrechterhaltung jener von der CIA mit initiierten „Rat Line“ spielen, mittels derer islamistische Aufständische in Syrien logistisch unterstützt werden. „Die Rattenlinie, autorisiert Anfang 2012, wurde genutzt, um Waffen und Munition aus Libyen über die Südtürkei über die syrische Grenze zur dortigen Opposition zu schleusen. Viele von denen in Syrien, die am Ende diese Waffen bekamen, waren Dschihadisten, einige davon mit Verbindungen zu Al Qaida“, schreibt Hersh.

Diese Rattenlinie sei der CIA aber nach dem Angriff einer lokalen Miliz auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi September 2012 außer Kontrolle geraten, Washington pfiff die CIA zurück, aber „die Rattenlinie blieb bestehen“. Schon Ende 2012 sei, so Hersh, den US-Geheimdienstlern klar gewesen, dass die Rebellen in Syrien den Krieg verlieren würden. „Erdogan war sauer“, zitiert Hersh einen ehemaligen Mitarbeiter der US-Behörden. Der türkische Premier sah sich im Stich gelassen von den westlichen Verbündeten.

„Im Frühling 2013 erfuhren die US-Dienste, dass die türkische Regierung – über Kreise ihres Geheimdienstes MIT und die Gendarmerie, eine militarisierte Polizeitruppe – direkt mit Al Nusra und deren Verbündeten zusammenarbeitete, um die Mittel zu chemischer Kriegsführung zu entwickeln. ‚Der MIT betrieb die politische Koordination mit den Rebellen, und die Gendarmerie kümmerte sich um die militärische Logistik, Ratschläge vor Ort und Training – auch in chemischer Kriegsführung’, so der frühere Geheimdienstmitarbeiter.“ Recep Tayyip Erdogan habe gewusst, dass, wenn er seine Unterstützung für die Dschihadisten einstelle, „alles vorbei wäre“. „Erdogans Hoffnung war, ein Ereignis anzustiften, das die USA dazu zwingen würden, die rote Linie zu überschreiten.“

Diese Ausgangslage, so Seymour Hersh, machte es auch für US-Geheimdienstler bald plausibel, dass hinter dem Giftgas-Anschlag von Ghuta türkische Kreise mit Verbindungen zu Dschihadisten in Syrien stehen könnten. Die Prüfung der verfügbaren Daten nach dem Anschlag erbrachte „Beweise, die diesen Verdacht stützten“. „Wie wir jetzt wissen, war es eine verdeckte Operation, die von Erdogans Leuten geplant wurde, um Obama über die Rote Linie zu zwingen“, zitiert Hersh seine Quelle aus dem US-Sicherheitsapparat.

Wahlbetrug zur Aufrechterhaltung der Rattenlinie

Einen letztgültigen Beweis für Erdogans Urheberschaft erbringt auch Hersh allerdings nicht, schon weil seine zentralen Quellen anonym bleiben. Die Indizien aber, dass die türkische Regierung hinter Ghuta stehen könnte, rechtfertigen zumindest eine internationale Untersuchung der Vorwürfe. Eindeutig ist indessen die Unterstützung für dschihadistische Terrorgruppen wie ISIS und Al Nusra in Syrien durch den türkischen Staat, die von syrisch-kurdischen Quellen immer wieder belegt wurde.

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Titelthema: Ukraine

Schwerpunkt: Forschung für das Militär

Weiterer Inhalt

Ein weiterer Beleg für die „Rattenlinie“ aus der Türkei nach Syrien ist der Kampf um die türkische Grenzstadt Ceylanpinar, der seit den Kommunalwahlen in der Türkei vom vergangenen Sonntag im Gang ist. Ceylanpinar ist die Schwesterstadt von Sere Kaniye (Ra’s al-’Ain) an der türkisch-syrischen Grenze, und einer der Orte, durch die sich islamistische Milizen, die in Nordsyrien die kurdische Demokratiebewegung bekämpfen, immer wieder in die Türkei zurückziehen können.

Ceylanpinar wurde von dem AKP-Bürgermeister Menderes Atilla regiert, der sich auf Fotos auch gerne mit Kommandeuren islamistischer Milizen ablichten lässt. Die Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag wiesen dann auch hier extreme Unregelmäßigkeiten auf, um Menderes Atilla an der Macht zu halten. Knapp setzte sich die Regierungspartei gegen die kurdische BDP durch, allerdings nur, weil Tausende Stimmzettel der kurdischen Partei vernichtet worden waren. Seitdem sind in Ceylanpinar Straßenschlachten im Gang, die Wahlbehörde YSK weigert sich, eine Neuauszählung durchzuführen, obwohl der Betrug gut dokumentiert ist. Der Hintergrund ist klar: Würde der Grenzübergang an die kurdische BDP fallen, wäre die „Rattenlinie“ schwerer aufrecht zu erhalten.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.lrb.co.uk/2014/04/06/seymour-m-hersh/the-red-line-and-the-rat-line
(2) http://www.faz.net/aktuell/politik/youtube-mitschnitt-tonaufnahme-legt-tuerkische-angriffsplaene-auf-syrien-nahe-12868697.html
(3) http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2013/05/476409/tuerkei-in-wut-steckt-al-kaida-hinter-anschlaegen-von-reyhanli/

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