EU-Kommission will Aufnahmeprozess der Ukraine und Moldawiens vereinfachen
Ungarische Zeitung: Brüssel will Vetorecht Ungarns und anderer EU-Mitgliedsstaaten „eliminieren“ / EU-Abgeordnete: Aufnahme der Ukraine zieht ganz Europa in den Krieg / EU-Kommission: Erweiterungspolitik ist „geostrategische Investition“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Die EU-Kommissarin für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik Marta Kos hat für eine vereinfachte Aufnahme der Ukraine und Moldawiens in die EU bis 2029 geworben. Der EU-Beitritt sei für die Ukraine eine „wichtige Sicherheitsgarantie“, sagte die slowenische Politikerin Anfang Juni vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Mit der Sicherheit der Ukraine sorge die EU auch für die eigene Sicherheit. Die Kommission suche daher gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten nach „Möglichkeiten zur Vereinfachung der Beitrittsverfahren“, „um zu verhindern, dass bilaterale Fragen die Erweiterung in diesem sehr sensiblen geopolitischen Kontext behindern“, erklärte Kos. Die ungarische Tageszeitung „Magyar Nemzet“ erkennt in den Aussagen der Kommissarin einen Beleg dafür, dass Brüssel das Vetorecht Ungarns und anderer EU-Mitgliedsstaaten bei der Aufnahmeentscheidung „eliminieren“ wolle.
Ähnlich reagierte Csaba Dömötör, Europaabgeordnete und Mitglied von Viktor Orbans Regierungspartei Fidesz, laut der „Budapester Zeitung“ auf die Aussagen von Kos. So wolle man in Brüssel „eindeutig jene Standpunkte ausschalten, wonach Mitgliedstaaten wie Ungarn gegen eine forcierte Aufnahme plädieren“. „Unglaublich absurd“ klinge das Argument von Marta Kos, die EU-Erweiterung um die Ukraine sei eine entscheidende Garantie für die Sicherheit Europas. Aufgrund der drohenden Eskalation des Konfliktes in der Ukraine bringe eine Aufnahme des Landes in die EU keine Sicherheitsgarantien, sondern ziehe „ganz Europa in diesen Krieg mit hinein“, kritisierte Dömötör.
Auf die Anfrage von Multipolar, ob die von der EU-Kommission gesuchten Methoden zur Vereinfachung des Beitrittsprozesses eine Umgehung der Vetorechte einzelner EU-Länder beinhalten, reagierte die Pressestelle der Kommission mehrdeutig. Zwar bestätigte eine Pressesprecherin für Erweiterung/Außen- und Sicherheitspolitik der EU, es sei das Ziel der Kommission, „dass der Beitrittsprozess dem geopolitischen Kontext gerecht“ werde. Zudem suche man „ständig“ nach Möglichkeiten, die „Instrumentarien für die Erweiterungspolitik zu verbessern“. Die Kopenhagener Kriterien und der Vertrag über die Europäische Union bildeten aber weiterhin „die Grundlage des Prozesses“. Die formellen Entscheidungen würden „von allen Mitgliedstaaten“ getroffen, sagte die Sprecherin.
Multipolar wollte zudem wissen, inwieweit die EU-Kommission beim Beitrittsprozess der Ukraine und Moldawiens die Sicherheit der bestehenden EU-Länder und die Erhaltung des Friedens in Europa berücksichtigt. Laut der Sprecherin der EU-Kommission sei die Sicherheit der Ukraine das „Herzstück der europäischen Sicherheit“. „Investitionen in den Frieden, die Stabilität und die Sicherheit der Ukraine“ seien „Investitionen“ in die „Sicherheit des gesamten europäischen Kontinents“. Da gäbe es „keinen Unterschied“. Die Erweiterungspolitik der EU sei „mehr denn je“ eine „geostrategische Investition“ in langfristigen Frieden, Stabilität und Sicherheit auf dem gesamten Kontinent, erklärte die Pressereferentin.
Multipolar hat einige Mitglieder des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments angeschrieben, um zu erfahren, ob die EU-Kommission aus ihrer Sicht derzeit anstrebt, das Vetorecht einzelner EU-Staaten bei der Aufnahme neuer Mitglieder auszuhebeln. Lediglich Michael von der Schulenburg, Mitgliedes des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), ließ über seinen Assistenten mitteilen, dass er nicht über Möglichkeiten der EU-Kommission zur Aufnahme Moldawiens oder der Ukraine spekulieren möchte. Von der Schulenburg befürworte die EU-Erweiterung nicht, und habe zuletzt entsprechend im EU-Parlament abgestimmt, erklärte sein Sprecher.
Bereits 2020 hatte die EU-Kommission auf eine überarbeitete Erweiterungsmethodik bei der Aufnahme von Balkanstaaten gedrängt. In der entsprechenden Mitteilung der Kommission hieß es, „alle Beteiligten“ müssten davon absehen, „offene Fragen während des Beitrittsprozesses zu missbrauchen“. Die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen müssten in der Region „mit einer Stimme sprechen“. Angesichts dessen, was auf dem Spiel stehe, sei es an der Zeit, den politischen Charakter des Prozesses in den Mittelpunkt zu stellen und für eine stärkere Steuerung und ein stärkeres Engagement auf hoher Ebene seitens der Mitgliedstaaten zu sorgen.