Medienkritik

Die Fakten ändern sich

Bemerken wir gerade einen Wandel der Berichterstattung über Corona? Oder ist das selektive Wahrnehmung? Die Medienrundschau vom 3. März 2023 schaut auf aktuelle Texte zur „Laborthese“, stellt die Frage, warum das gerade jetzt ans Licht kommen soll und betrachtet weitere Narrative, die ins Wanken kommen könnten.

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Krieg und Corona sind die wichtigsten Medienthemen derzeit.
Foto: 7C0, Lizenz: CC BY , Mehr Infos

Die Narrative wackeln. Vor allem die aus der Coronazeit. Während in dieser Woche fast alle Maßnahmen ausgelaufen sind, wird weiter diskutiert. Natürlich, denn es bleiben viele Fragen: Waren die Maßnahmen sinnvoll, das Virus gefährlich und die Impfung nötig? Oder, wie viele Kritiker sagen würden, war all das nicht nötig, gab es geschürte Panik, ein Virus, das mit Grippeviren zu vergleichen ist und eine Impfung, die mehr schadet als nützt? Die konträren Positionen nähern sich noch kaum an, der deutsche Mainstream hält zumindest derzeit noch an seinen Positionen fest. Aber wir meinen, einige Risse zu bemerken.

Auch bei anderen Fragen deuten sich Verschiebungen an, möglicherweise soll das Publikum auch in der Kriegsfrage auf einen Schwenk eingestellt werden. Das aber ist nur eine Vermutung, zu der sich maximal erste Hinweise abzeichnen. Denn die Kampagne gegen Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer, das „Manifest für Frieden“ und die große Kundgebung in Berlin wird massiv fortgesetzt. Gerade medial. Wir werden auch dieses Thema in dieser Medienrundschau behandeln. Aber auch hier musste gerade am Narrativ gearbeitet werden, denn der Nachfolger von Frank Plasberg, Louis Klamroth, war am Montag „hart und unfair“. Aber der Reihe nach.

Mal wieder die Laborthese

Am Mittwoch dürften viele unbedarfte Nutzer des Portals Web.de nicht schlecht gestaunt haben. Ein Nachrichtenvideo ploppte auf, der FBI-Chef war zu sehen. Dazu die Info in der Schlagzeile, dass die US-Bundespolizei die Ursache für Corona bei einem Labor in China sehe (web.de, 1.3.23). Der Mainstream-Konsument wundert sich: Labor? War da was? Und er schaut unter das Video, wo steht: „Die US-Bundespolizei FBI bleibt dabei: Eine Laborpanne in China ist mit großer Wahrscheinlichkeit für die globale Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich gewesen.“ Bleibt dabei? Ist also ein alter Hut. Offenbar trügt die dunkle Erinnerung, dass das irgendwie nicht sein konnte, das mit der Laborthese. Wurde da nicht vor zwei Jahren ein Hamburger Professor wegen der sogenannten Laborthese niedergemacht (t-online.de, 20.2.21)? Ach nee, wird nicht so dramatisch gewesen sein.

Ob viele oberflächliche Konsumenten der Website und des Videos – es ist die Darstellung eines dpa-Textes unterlegt mit einigen Bildern – so reagieren, wie eben vermutet und skizziert, wissen wir natürlich nicht. Auch nicht, ob die Redakteure, die hinter diesen wenigen Zeilen stecken, genau das intendiert oder gar aus Selbstschutz so getextet haben. Uns ist nur aufgefallen, was wir zu Beginn dieser Medienrundschau schrieben: Das Narrativ wankt.

Die Kollegen vom Schweizer Alternativmedium Infosperber fassten in dieser Woche noch einmal die Erkenntnisse zum Thema zusammen, machen sich in der Überschrift allerdings die sogenannte „Laborthese“ zu eigen und schreiben im Text:

Weder die USA noch China haben ein Interesse daran, dass der Laborunfall endgültig aufgeklärt wird. Einerseits handelt es sich um ein chinesisches Labor, und andererseits finanzierten US-Behörden die dortige hochriskante Forschung, obwohl man um die Sicherheitsmängel am Institut in Wuhan wusste. (Infosperber, 28.2.23)

Und sonst? Der Spiegel fährt noch einmal die „Mehrheit der Forschenden“ auf, die einen natürlichen Ursprung für wahrscheinlicher hielten (Spiegel, 1.3.23). Der Redakteur hat immer noch weder kapiert, dass Wissenschaft nicht nach dem Mehrheitsprinzip funktioniert, noch dass dies wiederum sehr viel mit dem Mainstream-Narrativ zu tun hat. Denn natürlich gibt es eine Mehrheit für das, was geglaubt werden soll. Andere Medien wie die Frankfurter Allgemeine (FAZ, 1.3.23) oder die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ, 28.2.23, Bezahlschranke) stellen bei der Gelegenheit noch einmal die verschiedenen Thesen zur Entstehung des Virus‘ nebeneinander. Die Tagesschau wiederum verweist auf die Diskussion in den USA und bringt durch die Zitate gar die Zensur auf Social Media ins Spiel:

Für die Opposition ist die unterschiedliche Beurteilung innerhalb der Regierung ein gefundenes Fressen. Die Republikaner keilen genüsslich gegen Biden und gegen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, die zwischenzeitlich Posts, in denen von einem Menschen-gemachten Virus die Rede war, löschen ließen. Auch der Demokrat Khanna spricht von Zensur. „Es war falsch, diejenigen mundtot zu machen, die von einem Laborunfall sprachen“, sagte Khanna. Es sei zumindest eine plausible Theorie, wenn auch das Energieministerium sie in Erwägung zieht. (Tagesschau, 28.2.23)

Was stimmt? Wir wissen es nicht. Aber dass sie uns da etwas vom Pferd erzählen oder besser gesagt von Fledermaus und Schuppentier, das ist schon lange klar. Wir bleiben kritisch und fragen uns mit den österreichischen Kollegen von tkp.at, dem Blog für „Science und Politik“, ob es nicht auch einen anderen Grund geben könnte, dass das Thema jetzt wieder auftaucht.

Für die Biden-Regierung geht derzeit einiges nicht so besonders gut. Die Corona-Impfkampagne stockt, die impfinduzierte Übersterblichkeit steigt, Waffen und Munition für die Ukraine gehen zur Neige und ein Erfolg rückt in immer weitere Ferne. Jedoch gegenüber China wird die Gangart laufend verschärft. Statt Ballone zu beschießen, hat man offenbar zu diesem Zweck und zur Ablenkung vom Impfdesaster die Wuhan-Labor-Leak Theorie ausgegraben. (tkp.at, 2.3.23)

Anfang der Woche nannte an gleicher Stelle ein Autor die Basis für die aktuellen Berichte „billige Propaganda“ und sieht „Meinungsmache“ am Werk, zumal die Akteure bereits aus früheren Zeiten mit Falschinformationen aufgefallen seien. Der genannte Ausgangspunkt der Berichte ist ein Text im Wall Street Journal von einem Autor, der vor zwanzig Jahren maßgeblich die Legende von den angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen gestreut hat. Ist das Wanken der Narrative also doch nur Mittel der Propaganda, um jetzt gegen die bösen Chinesen ins Feld ziehen zu können? Dabei war das Ganze, so wie es aussieht, ein von den USA finanziertes Projekt – wobei es solche Labore wie in Wuhan eben auch in der Ukraine gibt. Was kein anderes Thema ist, aber in den Medien hierzulande viel zu wenig Platz bekommt.

Kurznachrichten geleakt

Wir beenden die Mutmaßungen an dieser Stelle und schauen, um noch beim Thema Corona zu bleiben, nach Großbritannien. Dort bestimmen die „Lockdown Files“ zumindest einen Teil der Diskussion. Sie wissen nicht, was die „Lockdown Files“ sind? Kein Wunder, denn hierzulande haben bisher nur wenige Medien darüber berichtet. Was diese Daten enthalten, ist gleichwohl höchst brisant und gibt einen Einblick in das Regierungshandeln zu Coronazeiten. Es geht um Kurznachrichten, die Regierungsmitglieder untereinander, mit Experten und mit Journalisten ausgetauscht haben. Sie stammen aus dem Archiv des ehemaligen Gesundheitsministers Matt Hancock, der sie einer Journalistin übergeben hat, mit der er gemeinsam ein Buch über seine Arbeit als Minister geschrieben hat. Nun hat sie, die treulose Ghostwriterin, die Nachrichten öffentlich gemacht. Etwa 100.000 Kurznachrichten liegen der britischen Zeitung The Telegraph vor, die seit Dienstag ausführlich berichtet (Überblick).

Die mögliche Brisanz des Leaks wird im ersten deutschen Mainstream-Bericht kaum deutlich. Der Tagesspiegel schreibt:

Aus den „Lockdown Files“ geht unter anderem hervor, dass Hancock den wissenschaftlichen Rat ignorierte, alle Besucher von Pflegeheimen zu testen. Auch der teils gehässige Ton gegen Lehrer und Gewerkschaften sorgt für Aufsehen. (Tagesspiegel, 2.3.23)

Das konservative Magazin Tichys Einblick hat einen ausführlichen Text zu den ersten Enthüllungen aus den Daten veröffentlicht (Tichys Einblick, 1.3.23). Der kritische Wissenschaftsblog Science Files hat sich der Sache ebenfalls angenommen und will die weiteren Veröffentlichungen begleiten. Im ersten Text zum Thema haben die Kollegen einen interessanten Dialog zur Maskenpflicht veröffentlicht und bewerten die anfänglichen Regierungsdialoge wie folgt:

Es geht dabei nicht um den Schutz von Menschen [Alte oder Schüler], nicht um die Frage, welche Maßnahme wirksam ist, ob die Maßnahme, die eingesetzt werden soll, wirksam ist. Es geht ausschließlich um das Erscheinungsbild, das die Regierung nach außen abgibt, alles basiert auf politischen, kaum etwas auf relevanten Gründen. (Science Files, 1.3.23)

Ob die „Lockdown Files“ ihren Weg in den breiteren Mainstream finden, ob sie weitere brisante Details der fragwürdigen Maßnahmenpolitik enthalten und ob sie dann die Narrative hierzulande mit zum Wanken bringen, bleibt offen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Enthüllungen auf die Unfähigkeit der Regierung – Boris Johnson mochte der Mainstream ja eh noch nie – geschoben werden und die deutschen Verhältnisse keine Rolle in der Berichterstattung spielen.

Große Teile der deutschen Mainstream-Medien sind schließlich weiterhin von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen überzeugt, so wie es beispielhaft ein Kommentator der Ruhr Nachrichten zeigt. Er fragt, ob die Impfgegner doch recht gehabt hätten. Aber was nicht sein darf, soll auch nicht sein. Die Impfungen hätten viele Leben gerettet, schreibt er. Und er führt Daten zu den Segnungen der Impfung ins Feld, dabei komplett ignorierend, dass genau diese Daten von vielen Seiten ob ihrer fragwürdigen Basis angezweifelt werden. Der Schluss ist dann erwartbar: „Jene jetzt zu kritisieren, die die Impfkampagne seinerzeit energisch gepusht haben, ist daher aus meiner Sicht absolut unangemessen.“ (Ruhr Nachrichten, 2.3.23)

Verhandlungen um die Ukraine?

Das Regierungs-Narrativ wankt also hier und dort, es ist aber noch lange nicht gefallen. Und das gilt selbstverständlich auch beim zweiten großen Thema, das wir in dieser Medienrundschau jedoch vorerst nur kurz aufgreifen wollen: Die offiziellen Erzählungen in Sachen Krieg und Frieden beginnen maximal ein klein wenig zu wackeln. Wanken tun sie nicht. Aber immerhin musste die Redaktion der WDR-Sendung „Hart aber fair“ diese Woche zugeben, dass sie ihre Faktenchecks arg interessengeleitet ausgewählt hat – ohne natürlich diese Worte zu wählen (WDR, 27.2.23). Dass die Redaktion fast schon naturgemäß an Seiten der Hardliner stand, war offensichtlich. Der Moderator machte Sahra Wagenknecht nieder, zog ukrainische Kriegsverbrechen in Zweifel und hielt ihr die Aussagen einer UN-Mitarbeiterin entgegen. Dass dies aber nur ein Teil der Wahrheit ist, hat die Redaktion mittlerweile zugestanden. Dass deren Aussagen eh mit Vorsicht zu genießen sind, haben die Kollegen der Nachdenkseiten recherchiert. Ihr Faktencheck der vorgeblichen Faktenchecker war dringend notwendig (Nachdenkseiten, 2.3.23).

Vielen Medien geht es nicht um Berichterstattung, sondern um das Vorführen, Kleinhalten und Niedermachen der Unterstützer des Manifests für Frieden. Die vielfältigen Verleumdungen hatten wir in der vergangenen Woche bereits thematisiert (Medienrundschau vom 24.2.23). Nun reiht sich die „Recherche“ eines MDR-Mitarbeiters dort ein. Er hat den Erstunterzeichnern eine Mail mit Suggestivfragen geschickt, die Reaktionen darauf sind lesenswert. Im MDR-Beitrag fanden sie keinen Platz, dafür auf der Website der Emma (Emma, 28.2.23).

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Und während Schwarzer und Wagenknecht wegen ihrer Forderung nach Verhandlungen und einem Waffenstillstand durch den medialen Fleischwolf gedreht werden, schreibt (nicht nur) t-online.de (übrigens wieder auf Basis eines Artikels aus dem Wall Street Journal) auf einmal von Verhandlungen, wenngleich diese als eher unwahrscheinlich eingeschätzt werden (t-online, 28.2.23). Aber was, wenn doch? Lassen die nun unsere armen Ukrainer im Stich? Werden jetzt noch mehr Frauen vergewaltigt, weil Macron, Scholz und Co. die blau-gelben Freiheitskämpfer dem blutrünstigen Ivan ausliefern? Solcherart Kritik liest man (zumindest derzeit) noch nicht im Mainstream. Aber Macron und Scholz, das sind ja die guten Regierungen. Kritik an Regierungen darf heutzutage nicht sein. Wenn sich die offiziellen Fakten ändern, dann müssen sich die Journalisten eben anpassen.

Wir machen da nicht mit. Das wissen Sie längst. Diese Woche jährte sich die erste Ausgabe der Medienrundschau zum ersten Mal. Wie Sie gerade lesen, werden wir nicht müde, die Medien kritisch zu begleiten. Auch wenn es zuweilen ermüdet, frustriert oder wütend macht. Für heute ist die Medienrundschau mit dieser Feststellung an ihr schon deshalb notwendiges Ende gekommen. Uns bleibt nur unser Appell: Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung! Bleiben Sie uns gewogen und schreiben Sie uns gern unter redaktion@hintergrund.de. Und noch was: Abonnieren Sie, so noch nicht geschehen, unseren Newsletter. Das Formular steht gleich unter diesem Artikel.

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