Ukraine-Krieg

Ein Jahr der Verleumder

Derzeit geht es gegen das „Manifest für Frieden“ und gegen dessen Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Beide stehen aktuell für diejenigen, die dem Mainstream Kontra geben und die deshalb diffamiert und kritisiert werden. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 24. Februar 2023 schaut auf die aktuelle „Debatte“ und auf einige Verleumdungen des vergangenen Kriegsjahres.

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Sahra Wagenknecht bei Markus Lanz.
Foto: Markus Hertrich/ZDF, Mehr Infos

Es ist eine Zeit der Rückschau. Ein Jahr nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wird heute vielerorts gedacht, gebetet und erinnert. Und natürlich auch weiter verleumdet. Es trifft all diejenigen, die für friedliche Lösungen einstehen, für Verhandlungen, für den Stopp von Waffenlieferungen. Das ist heute so, das ist seit einem Jahr so. In unterschiedlicher Weise. Diese Woche hat Markus Lanz in seiner ZDF-Sendung wieder einmal versucht, eine andere Meinung unter verbalen Beschuss zu nehmen. Sein Problem war nur, dass Sahra Wagenknecht, die er sich als Gegnerin erkoren hatte, da nicht mitmachte. Er war ihr schlicht nicht gewachsen. Die Berliner Zeitung resümmiert:

Auch wenn Lanz zum Schluss etwas nachglätten muss – dass Putin Wagenknecht bezahlt, glaube er nicht, so ist doch immerhin eine Politshow, in der gestritten wird, doch etwas Gutes. Allein, wenn vier im Stuhlkreis gegen eine wettern – und diese dann rhetorisch überlegen ist, jeden Angriff abfängt, ihn sich zu eigen macht und inhaltlich nur schwachen Gegenwind erfährt – dann bleibt ein Punkt fast unbemerkt. Denn auch zum Schluss sind Fragen wie „Unter welchen Bedingungen will sie verhandeln?“ und „Über welche Ziele eigentlich?“ noch immer offen. (Berliner Zeitung, 22.2.23)

Ein Ziel hat Wagenknecht deutlich formuliert: Es geht ihr darum, dass das Sterben aufhört. Es ist das wichtigste Ziel. Aber das nehmen die Diskutanten und das nimmt der Journalist der Berliner Zeitung offenbar gar nicht ernst. Und wir können an dieser Stelle nur den Hut ziehen vor Wagenknechts Gelassenheit, die sie immer wieder an den Tag legt, wenn sie erneut vorgeführt werden soll. Wie vor einigen Monaten Ulrike Guérot an gleicher Stelle, nahm sich Lanz explizit vor, die Politikerin in die Mangel zu nehmen. Wolfgang Koydl hat die Diskussion für die Schweizer Weltwoche kommentiert:

Sie habe sich eine harte Diskussion gewünscht, stellt er [Lanz] sie [Wagenknecht] vor. Und fügt mit wölfischem Grinsen an: „Wir werden versuchen zu liefern.“ Mission erfüllt. Was folgte, war ein Schauprozess, bei dem sich Ankläger und Richter von vornherein auf das Urteil geeinigt haben: schuldig. Talkshows haben anstelle eines Richters einen Moderator. Er hat dieselbe Aufgabe: Er muss neutral sein, moderieren – mässigen. Doch Lanz ist hämisch, aggressiv, voreingenommen, befangen. Er ist kein Moderator, sondern ein Inquisitor. Und dafür zahlen wir Gebühren? (Weltwoche, 22.2.23)

Wenn Sie sich die ganze Diskussion antun wollen, in der Wagenknecht die „irre“ deutsche Debatte völlig zurecht beklagt, dann können Sie das natürlich tun. Aber achten Sie auf Ihren Blutdruck. „Natürlich kann man für Verhandlungen plädieren, ohne in irgendeiner Weise den russischen Angriffskrieg gutzuheißen“, hat Wagenknecht unter anderem festgestellt (ZDF, 21.2.23). Natürlich ist das so. Das haben wir vergangene Woche geschrieben, als wir den aktuellen Habermas-Text zum Thema besprochen haben (Medienrundschau vom 17.2.23). Und das schreiben wir auch jetzt wieder im Angesicht einer massiven medialen Kampagne gegen die Unterstützer des „Manifests für Frieden“, das von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiiert wurde und das mittlerweile über 600.000 Unterstützer hat (change.org, 10.2.23). Es wird interessant sein, wie viele davon bei der Kundgebung am morgigen Sonnabend dabei sein werden.

Aber zurück zu den Medien und den Diffamierungen. „Wir wurden beschimpft und mit Hass und Häme überschüttet, und trotzdem haben so viele Menschen sich nicht einschüchtern lassen und unterschrieben“, sagt Sahra Wagenknecht im Interview (Berliner Zeitung, 23.2.23). Albrecht Müller hat darauf hingewiesen, dass dabei teilweise schlicht mit Unwahrheiten gearbeitet wird (Nachdenkseiten, 22.2.23). Und einer wissenschaftlichen Analyse hält so manche Kritik – beispielsweise die von Herfried Münckler – auch nicht stand. Matthias Kreck, emeritierter Mathematik-Professor und Erstunterzeichner des Manifests, schlägt dem ebenfalls emeritierten Kollegen aus der Politikwissenschaft vor, einen Grundkurs in guter wissenschaftlicher Praxis zu belegen (Berliner Zeitung, 21.3.23). Das dürfte zu spät sein.

Von einer sachlichen Debatte kann nicht die Rede sein. Dies wissen die Leser der Medienrundschau längst. Wir kommen gleich auf ein paar der schlimmsten Beispiele aus dem vergangenen Jahr zu sprechen, bleiben aber vorerst noch in der Gegenwart. Roberto De Lapuente hat am vergangenen Sonnabend im Overton Magazin einen zusammenfassenden Text veröffentlicht, der eigentlich all das an Kritik an den Mainstream-Medien enthält, was zu dieser Sache noch gesagt werden muss. Er hat genau gelesen und sich den Begriff der „schiefen Debatte“ herausgepickt. Von einer solch schiefen Debatte in Deutschland über den Ukraine-Krieg schrieb Reinhard Veser in der FAZ. De Lapuente kommentiert:

Woher kommt überhaupt der Anspruch, dass Debatten nicht schief, sondern gerade laufen müssten? Sollten Journalisten nicht wissen, dass Debatten auch dann Debatten sind, wenn sie schief geführt werden? (Overton-Magazin, 18.2.23)

Für De Lapuente liegt hinter der Vorstellung einer geraden Debatte ein Kontrollzwang, der hierzulande grassiert. Alles müsse kontrolliert werden. Wir erinnern uns mit dem Autor an pandemische Zeiten, in denen alle, auch die Journalisten, aufgepasst haben, dass bloß niemand die Regeln bricht. Und jetzt müssen die Debatten über den Krieg kontrolliert werden. Weiter im eben zitierten Text:

Debatte muss abgesteckt werden, braucht Ausgangssperren und Abstandsgebote: Nur dann kann der Zwangsgestörte damit umgehen. Natürlich leidet der hiesige Journalismus nicht einfach nur an einer psychologischen Störung. Er vertritt Interessen. Mächtige Interessen. Er lotst die Richtung von Debatten und bügelt alles glatt, was den Richtungsvorgaben diametral entgegengesetzt im Wege steht. Dass er nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern ein Abbild der Wirklichkeit entwirft, ist bei medienkritischen Zeitgenossen längst eine Binsenweisheit.

Letztlich geht es darum, jegliche Debatte zu verhindern. Das gelingt immer am besten dadurch, dem Gegner vorzuwerfen, mit ominösen Rechten gemeinsame Sache zu machen. Auch das passiert jetzt wieder beim Manifest von Schwarzer und Wagenknecht. Weil Rechte mobilisieren, könne, nein, dürfe man sich nicht beteiligen, wenn man anständig ist. Liest man aber beispielsweise den Text in der taz genauer, der lang und breit die rechten Vereinnahmungsversuche beschreibt (taz, 22.2.23), dann wird klar, dass es sich genau darum handelt. Um Versuche der Vereinnahmung. Sahra Wagenknecht selbst hat sich dazu im bereits zitierten Interview mit der Berliner Zeitung eindeutig geäußert.

Es werden sehr, sehr viele Menschen kommen, die meisten ganz normale Bürger aus der Mitte der Gesellschaft. Und jeder, der ehrlichen Herzens mit uns für Frieden demonstrieren möchte, ist willkommen. Wer dagegen unsere Kundgebung stören oder für sachfremde Zwecke instrumentalisieren möchte, sollte lieber zu Hause bleiben. Ich habe vor kurzem ein Interview mit einem unserer Erstunterzeichner, Thilo Bode, gelesen. Er war Mitbegründer von Foodwatch und einer der Organisatoren der großen Anti-TTIP-Demo 2015 in Berlin. Damals haben auch einige rechte Organisationen aufgerufen. Die Organisatoren haben das einfach ignoriert, am Ende waren 150.000 Leute auf dem Platz, die übergroße Mehrheit ganz normale Bürgerinnen und Bürger. Auch früher bei den großen Friedenskundgebungen im Bonner Hofgarten hat man keine Gesinnungsprüfungen gemacht. Diese ganze Debatte ist offenkundig nur dazu da, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu untergraben!

Alle Diffamierungen im vergangenen Jahr gehen genau dahin: Untergrabung der Versammlungsfreiheit und Einhegung der Debatte, damit am Ende keine andere Meinung als die des Mainstream mehr als gesellschaftlich akzeptabel übrig bleibt. Denn jede Gegenposition wird in die rechte Ecke gedrängt, in der sich dann auf einmal auch ganz viele Linke wiederfinden. Neben liberalen und anderen Friedensfreunden. Wer genug Selbstvertrauen und Ich-Stärke hat, bleibt standhaft. Der Rest distanziert sich, meldet maximal kleine Kundgebungen an oder schweigt gleich ganz. Ziel erreicht.

Im Angesicht der aktuellen Diffamierungen kommen wir nun wie angekündigt zu einigen der besonders gravierenden Verleumdungen aus dem vergangenen Jahr. Unsere vielgelesene Top-Ten-Liste der Kriegstreiber in Deutschland sah Sascha Lobo auf dem zweiten Platz. Wir schrieben:

„Der größte Lump im Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Das war einmal. Nun können wir das geflügelte Wort von August Hoffmann von Fallersleben umschreiben. Denn heute ist es der Pazifist, der Lumpen-Pazifist. Den hat Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo erfunden und schreibt vom „russischen Faschistenführer Putin“. Wer gegen Putin nicht dreimal Nazi ruft, der kann nicht für den Frieden sein. Der ist ein Lumpen-Pazifist. Die Schuldfrage ist eindeutig geklärt, die Vorgeschichte egal, die Politik der Nato, die Eskalationspolitik der Ukraine. Der „Landser des Tages“ (Junge Welt) weiß, wo der Feind an der Heimatfront steht. (Medienrundschau vom 28.4.22)

Wie wir gerade lesen, hat Lobo noch eine Steigerungsform für den „Lumpen-Pazifisten“ gefunden. Es ist der „Friedensschwurbler“, den Lobo in seiner aktuellen Spiegel-Kolumne entdeckt zu haben glaubt (Spiegel, 22.2.23, Bezahlschranke). Diese Menschen wollten Frieden für sich selbst und hassten die Ukraine, schreibt Lobo. Natürlich sind es Apologeten von Putin, die eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Lobo hetzt. Er ist der Mann fürs Grobe. Hat Logorrhoe, wie Jens Berger schreibt (Nachdenkseiten, 23.2.23). Aber davon gibt es mehr, die ganz im Sinne der westlichen Propaganda agieren und diese für die Wahrheit halten (zum Thema Propaganda empfehlen wir unter anderem die Medienrundschau vom 14.4.22).

Kritik gab es vergangenes Jahr natürlich auch an den Ostermärschen. Von Vizekanzler Robert Habeck oder vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse. Der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ sei arrogant gegenüber den Menschen in der Ukraine, sagte Thierse dem Bayerischen Rundfunk. „Pazifismus auf Kosten anderer ist zynisch.“ (Hintergrund, 19.4.22). Und auch Markus Lanz muss noch einmal erwähnt werden. Er hatte sich Anfang Juni 2022 Ulrike Guérot eingeladen und wollte sie vor laufender Kamera fertigmachen, das wurde aus seinen einleitenden Worten und den darauf folgenden Taten deutlich. Wir haben darüber in einer weiteren Medienrundschau geschrieben (am 4.6.22) und dabei festgestellt, dass die Medien weiterhin gefechtsbereit sind. Das gilt bis heute. Wir haben es oben dargestellt.

Auch Alice Schwarzer hat bereits vor knapp einem Jahr eine mediale Breitseite abbekommen. Grund war ein Offener Brief an den Bundeskanzler. Tenor: Deeskalation. Die Urheber des Briefes seien daraufhin „mit Angriffen und Häme von bestürzender Aggressivität“ überzogen worden. Zu den Unterstützern des Briefes gehörten Richard David Precht und Harald Welzer. Die beiden hat die Reaktion auf den Offenen Brief der Emma-Redaktion so erschüttert, dass sie ihrer Erschütterung gleich ein ganzes medienkritisches Buch folgen ließen. Die Lektüre lohnt – trotz oder vielleicht auch gerade angesichts einiger Kritikpunkte (Medienrundschau vom 7.10.22).

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Ihr Buch „Die Vierte Gewalt“ ist einer der Bestseller des vergangenen Jahres und eines, das einen angesichts der schieren Verkaufszahlen (und des daran ablesbaren Interesses am Inhalt) nicht komplett an den Menschen in diesem Land (ver)zweifeln lässt. Dass das Buch immer noch in den Bestsellerlisten zu finden ist, ist ein Lichtblick, gerade angesichts der vielen Entgleisungen, von denen wir in dieser und in den vorherigen Ausgaben der Medienrundschau zu berichten haben.

Wir werden weiterhin auf die Medien schauen und die Journalisten an ihr Handwerk erinnern – auch wenn es meist vergebliche Liebesmüh zu sein scheint. Für heute ist die Medienrundschau beendet. Kommende Woche, am 1. März, begeht sie ihr einjähriges Jubiläum. Vielleicht haben Sie ja Lust, sich ein wenig im Archiv umzuschauen, alle Ausgaben finden Sie hier. Bilden Sie sich aber immer Ihre eigene Meinung, bleiben Sie uns gewogen und schreiben Sie gerne an redaktion@hintergrund.de. Wir freuen uns über Kritik und über Zuspruch.

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