Kulturindustrie

„Die Russen verstehen keine andere Sprache“

Pop im nationalistischen Rausch und totalen Krieg: Seit dem Euromaidan und der Eskalation des Krieges mit Russland sind ukrainische Künstler hierzulande besonders willkommen. Dass nicht wenige von ihnen – darunter auch der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2022 – rechte Positionen vertreten, faschistische Militärs unterstützen und Spendengelder für äußerst dubiose Zwecke sammeln, wird geflissentlich ignoriert. Die deutsche Öffentlichkeit braucht einfach massenwirksame Propagandisten für den knallharten NATO-Konfrontationskurs gegen Moskau.

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Ustym, Sohn von Oleg Skrypka Ustym, Sohn von Oleg Skrypka, in dem Musikvideo „Wir werden erwachsen“
Screenshot ©Youtube, Mehr Infos

 

In fröhlicher Straßenfestatmosphäre spielte vor einigen Wochen die ukrainische Rap-Funkband TNMK in Leipzig. Dass es sich aber nicht um ein gewöhnliches Pop-Konzert handelte, wurde recht schnell deutlich. Die ersten Rufe „Slawa Ukrajini!“ (Ruhm der Ukraine) – die seit dem Maidan 2014 übliche Grußformel, die von der 1929 gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) stammt und gewöhnlich mit den Worten „Herojam slawa!“ (Ruhm den Helden) beantwortet werden muss – ließen nicht lange auf sich warten. Auch die rot-schwarze Fahne der faschistischen Banderisten wurde gezeigt.[1]

Sänger Oleg „Fagot“ Mikhaylyuta macht keinen Hehl aus seiner Gesinnung: Er betrachtet die Russen als „Müll, der vernichtet werden“ muss, gab er auf dem Nachrichtenportal des rechtsgerichteten Oligarchen und Medienmoguls Igor Kolomoisky UNIAN zum Besten, was er in Deutschland zumindest nicht laut sagt, und fügte hinzu: „Sie sollen einfach von dieser Welt verschwinden, in erster Linie aus der Ukraine und im Allgemeinen. Das ist Müll, das ist Weltmüll.“[2] TNMK sind Unterstützer des Nazi-Regiments Asow, das für unzählige Kriegsverbrechen verantwortlich ist.[3]

Gesteigerte Russophobie 

Was einst Bands mit manifest nazistischer Ideologie wie Sokyra Peruna am rechten Rand der Gesellschaft vorbehalten war, ist längst kommerziell erfolgreicher Pop. So schrieb Swjatoslaw Wakartschuk, Sänger von Okean Elzy aus Lwiw, die in der Ukraine als Kultrockband gilt, sogar ein Lied für das Asow-Regiment. „Er steht seit dem ersten Tag des Krieges zwischen Russland und der Ukraine an vorderster Frontlinie“, wird in einem Reklametext für sein Konzert im Berliner Tempodrom behauptet, das im November stattfinden wird.[4] Mit Schützengraben-Lyrik lässt sich der Ticket-Verkauf für die „Help for Ukraine Tour 2022“ ankurbeln und die riesige Fangemeinde darüber hinwegtäuschen, dass Wakartschuk, Sohn des Ministers für Bildung und Wissenschaft im zweiten Kabinett von Julija Tymoschenko 2007 bis 2010, Privilegien genießt: Er wurde zum Leutnant der Territorialverteidigung ernannt, muss aber nicht im Feld durch den Schlamm robben, erst recht nicht in einem Gefecht sein Leben riskieren – er ist ausschließlich für „die Stärkung der Moral der Truppe zuständig“, so die Sprachregelung in der Ukraine für die Schonung der Wehrpflichtigen, die gleicher sind als andere.

Entsprechend gibt Wakartschuk gegenüber den Medien bevorzugt den heroischen Poeten: „Es sind nicht Waffen und Hände, die kämpfen, es ist das Herz, das kämpft, und der Rest ist untergeordnet“, erklärte er der Redaktion der ukrainischen Ausgabe des Forbes-Magazins. Wenn Wakartschuk sich allerdings den Todfeind Russland vornimmt, dann zeigt er sich weniger sensibel – sondern offenbart sich als lupenreiner Rassist: „Ich wurde besonders vor dem Krieg im Westen oft gefragt, wie sich Ukrainer von Russen unterscheiden. Ich sagte, dass der grundlegende Unterschied ist, dass die Ukrainer ein Gen der Freiheit und Würde haben.“[5]

„Hate sells“ lautet seit der Eskalation des Ukraine-Krieges auch die Devise deutscher Unterhaltungskulturveranstalter. So wurde der Auftritt der ukrainischen Stand-up-Comedian Nastja Zuhwalaja in dem legendären Musikclub Indra in der Großen Freiheit in Hamburg-St. Pauli, wo die Beatles 1960 ihren ersten Auftritt außerhalb ihrer Heimatstadt Liverpool hatten, als „gnadenlose Zerstörung der abscheulichsten Feinde in der Galaxie“ angekündigt. Wo einst Liebeslieder wie „Love Me Do“ erklangen, sollte dem Publikum nun eine „Steigerung der Russophobie“ geboten werden. Auf dem Veranstaltungsplakat durfte das mittlerweile schon obligatorische Banderisten-Banner und der Hinweis, dass ein Teil der Einnahmen an die ukrainische Armee geht, nicht fehlen.[6]

Nastja Zuhwalaja in Hamburg Werbeplakat für den Auftritt von Nastja Zuhwalaja in Hamburg mit Banderisten-Fahne
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Oleg Skrypka, Frontmann der in seinem Heimatland sehr beliebten Band Vopli Vidopliassova, strotzt nicht nur vor Nationalchauvinismus, er möchte auch die ukrainische Gesellschaft von allen russischen Einflüssen säubern. „Menschen, die nicht in der Lage sind Ukrainisch zu lernen, haben einen niedrigen IQ, ihnen wird die Diagnose ,Debilität’, geistige Zurückgebliebenheit‘ gestellt“, sagte er den Ukraine-Nachrichten. „Sie sollten ausgesondert werden, denn sie sind sozial gefährlich. Es muss ein Ghetto für sie geschaffen werden.“

„Bandera ist unser Vater“

Skrypkas radikal rassistisches Menschenbild spiegelt sich in der Wahl seines Idols. Wie nicht wenigen seiner ukrainischen Musikerkollegen – darunter der Popsänger Verka Serduchka, der Platz zwei des Eurovision Song Contests 2007 belegte – ist es ihm offenbar ein Anliegen, dem 2010 vom damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko posthum als „Held der Ukraine“ geehrten Stepan Bandera in Westeuropa Popularität zu verschaffen. Ob auf der Bühne oder Backstage umringt von Fans – bei jeder Gelegenheit stimmt Skrypka mit Inbrunst die Hymne der ukrainischen Nationalisten „Bat’ko nash Bandera“ (Unser Vater ist Bandera) an, die mit dem OUN-Gruß endet.[7]

Stepan Bandera war von 1933 bis zu seinem Tod 1959 Führer des radikalen Flügels der OUN. Seine Bewegung orientierte sich politisch und ideologisch am Hitler-Faschismus und strebte nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion 1941, an dessen Vorbereitung sie aktiv mitgewirkt hatte, die Errichtung eines Kollaborationsstaates in den besetzten Gebieten an. Für den polnischen Historiker und Bandera-Biografen Grzegorz Rossoliński-Liebe besteht kein Zweifel, dass der OUN-Führer ein „überzeugter Faschist“ war. Angehörige der OUN waren in Einheiten der Deutschen Wehrmacht, der SS, als Hilfspolizisten oder als Kämpfer der Ukrainischen Aufständische Armee (UPA), des bewaffneten Arms ihrer Organisation, im großen Stil am Holocaust und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, vor allem an der polnischen Bevölkerung, beteiligt.[8] „Volk! Das musst Du wissen, Moskowiten, Polen, Ungaren und Juden – sie sind deine Feinde. Vernichte Sie!“, hatte Bandera die Ukrainer kurz nach dem deutschen Einmarsch zum Völkermord aufgerufen.[9]

Während sich die meisten ukrainischen Popkünstler gegenüber diesen erschütternden historischen Tatsachen völlig immun zeigen, zieht Oleg Skrypka es vor, sie mit HJ-Lagerfeuerromantik ideologisch zu verschleiern. 2021 nahm er mit seiner Band ein militaristisches Musikvideo mit dem Titel „Mi rostem“ (Wir werden erwachsen) auf, das dem nationalistischen Pfadfinderbund Plast gewidmet ist. Skrypkas Sohn Ustym wirkt als Sänger und Protagonist mit. (Foto oben) In dem Video ist er in Uniform und mit Hitler-Scheitel, andere Kinder und Jugendliche bei der Wehrertüchtigung wie in Marschformation zu sehen – und die Banderisten-Fahne flattert ihnen voran.[10] Am Ende des Promo-Textes durfte die ukrainische Variante von „Sieg Heil!“ nicht fehlen, der Skrypka mit „Herojam slawa!“ sogar einen eigenen Song gewidmet hat.[11]

Entsprechend groß ist Skrypkas Sehnsucht nach der Vergangenheit: „Vielleicht geht es am Ende nicht nur um die Wiedergeburt der ukrainischen Nation, sondern um die Geburt einer neuen Gesellschaftsordnung weltweit“, vertraute er dem Sprachrohr der Neuen Rechten, der Wochenzeitung Junge Freiheit an. Der Krieg gegen Russland kommt ihm nicht nur ungelegen: „Es fällt mir zwar schwer, das zu sagen, aber in gewisser Weise – so bitter das klingt – haben wir diesen Krieg gebraucht. Es ist, als ob Gott uns diese Katastrophe geschenkt hat, damit wir Ukrainer endlich Ukrainer werden.“[12] Im September war er auf Deutschland-Tournee, und selbstverständlich geht ein Teil der Einnahmen ans ukrainische Militär.

Pink Floyd mit Boombox-Sänger Andrij Chlywnjuk Pink Floyd mit Boombox-Sänger Andrij Chlywnjuk in dem Video „Hey,Hey, Rise Up!“
Screenshot © Youtube, Mehr Infos

Im Military-Look für profitable Spendenkampagnen

Nicht anders läuft das bei der Band Boombox, die kommenden Monat in diversen deutschen Großstädten gastieren wird. Bislang in Westeuropa weitgehend unbekannt, sind sie zu Stars avanciert, nachdem David Gilmour und Nick Mason von Pink Floyd im April mit dem Frontmann Andrij Chlywnjuk den mit nationalistischem Pathos aufgeladenen Benefit-Kriegssong „Hey, Hey, Rise Up!“ einspielt hatten. Chlywnjuk ist glühender Militarist und Waffennarr. Er dient, auch in sicherer Entfernung zur Front, als Kampfdrohnenpilot, posiert bevorzugt modisch gestylt und in edelster Kampfmontur vor den Kameras[13] – und kündigte bei einem Konzert in Prag in einer Coverversion des Hits „Chuty himn“ (Höre die Hymne) des Rappers Skofka unter Tränen Vergeltung für die Niederlage von Asow an.[14]

Selbst die Mainstreambands, die mit ihrem Repertoire keine offene Kriegspropaganda betreiben und keine rechtsextreme Weltanschauung ventilieren – Auftritte ohne Nationalfahnenkult, schwülstige Bekenntnisse zu Heimat, Volk und Vaterland sind auch für sie nicht mehr, erst recht nicht ohne Spendenkampagne für Militäreinheiten, denkbar. So hat Anton Pushkar, Gitarrist von Love’n’Joy aus Kiew, die einen Mix aus 60er-Jahre-Psychedelic- und seichtem Brit-Pop spielen, zusammen mit anderen Künstlern und dem Manager einer Kulturagentur die Stiftung Musicians Defend Ukraine ins Leben gerufen. „Das Wichtigste ist, dass wir unsere Armee unterstützen, denn Russland versteht keine andere Sprache“, meint er.[15] „Mit Beginn des Krieges verwandelten viele Musiker ihre Musikinstrumente in Waffen, und die Kulturmanager zogen von der kulturellen an die reale Front“, ist auf ihrer Promo-Website zu lesen. „In der ersten Woche hatten wir Probleme mit der Beschaffung von Mitteln aus dem Ausland“, beklagen die Initiatoren von Musicians Defend Ukraine. „Die Europäer haben Angst, den Krieg zu finanzieren.“ Sie seien leider nur bereit, Geld für humanitäre Hilfe zu geben. „Wir mussten die Website ,entmilitarisieren‘, um weiterhin Spenden zu sammeln.“ Seitdem fließe regelmäßig Geld aus dem Ausland, und man wünscht sich, dass das auch in einer friedlicheren Zukunft so bleibt: „Wir wollen, dass unsere Stiftung nicht nur während des Krieges, sondern auch nach dem Sieg funktioniert.“[16]

Die Ukraine-Hilfe habe sich bis auf wenige Ausnahmen, wie Fonds von Hospitälern für Medikamente, längst zu einem lukrativen Geschäft entwickelt, sagt der Soziologe Iwan Michailenko, der an einer Universität in Charkiw zu Rechtsextremismus forscht, im Gespräch mit Hintergrund.[17] „Es wird nahezu vollständig von Faschisten und anderen radikalen Rechten kontrolliert. Wer Spenden sammelt, muss immer irgendwelche den Militärs oder Paramilitärs nahestehenden Gruppen berücksichtigen. Andernfalls läuft er Gefahr, einfach umgebracht zu werden. Dennoch ist es sehr profitabel, weil man nur einen Teil für ,die Sicherheit‘ abgeben muss.“ Und Michailenko weiter: „Dieser Geschäftszweig ist schon 2014 entstanden, er hat also inzwischen eine solide Basis. Für den ganzen Bereich Wohltätigkeit, Stiftungen und so weiter im Zusammenhang mit der Ukraine kann man sich zu 99 Prozent sicher sein, dass riesige Summen von Spendengeldern über Umwege irgendwann bei Pro-Nazi-Organisationen landen.“

Friedenspreis für einen ultrarechten NATO-Poeten

Einige Künstler akquirieren Gelder, die direkt an faschistische Einheiten gehen. So etwa Serhij Schadan, der hierzulande seit einigen Jahren als „linker Intellektueller“, Schriftsteller und Musiker gefeiert wird und es durch unzählige Einladungen zu Lesungen und Konzerten zu einer stattlichen Karriere gebracht hat. Im April beteiligte Schadan sich mit diversen anderen ukrainischen Musikern an einem „Kunstevent für unser Militär“, dessen Erträge der Aufklärungs- und Sabotagetruppe Kraken in Charkiw zugutekamen[18] – einer Asow-Sondereinheit. Im März, erst einen Monat nach ihrer Gründung, geriet Kraken in die Schlagzeilen, nachdem einige ihrer Kämpfer gefesselten russischen Kriegsgefangenen in die Beine geschossen hatten. Ihr Kommandeur ist ein führendes Mitglied in der Nazi-Partei Nationales Korps.[19]

Schadan verbreitet schon seit dem Euromaidan nationalistische Positionen und Hass gegen Russen und die russische Kultur: „Ist Puschkin schuldig, in Russland geboren zu sein? Schuldig. Schuldig natürlich. Sie sind alle schuldig“, meint er.[20] Zu seinen Kooperationspartnern gehören militante Faschisten wie Serhij Sternenko, ehemaliger Anführer des Rechten Sektors in Odessa, der 2021 wegen Entführung, Raub und illegalen Waffenbesitzes verurteilt wurde und bis heute unter Verdacht steht, einen politischen Gegner ermordet zu haben.[21],[22] Schadan promotet die banderistische Privatarmee Khartia des ukrainischen Oligarchen Vsevolod Kozhemiako (die auch von Swjatoslaw Wakartschuk unterstützt wird[23]) – und ist sogar Namensgeber der Einheit.[24],[25] In der Vergangenheit ist er immer wieder als Frontunterhalter für rechtsextreme Bataillone wie Aidar aufgetreten, 2016 und 2021 sogar beim Banderstadt-Festival in Luzk, dem jährlichen Stelldichein von Banderisten und anderen Rechtsradikalen.[26],[27]

„Schadan spielt für die ukrainische extreme Rechte und Nazis eine wichtige Rolle als Kulturbotschafter in der EU“, so Iwan Michailenko. Das ficht die deutsche Kulturszene und das Feuilleton nicht an – dafür wird Schadan als NATO-Poet und Chefankläger der „Barbaren“, wie Russen heute im Täterland wieder bevorzugt genannt werden, viel zu sehr geschätzt: Am 23. Oktober 2022 soll Schadan für „seine humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet und ihnen unter Einsatz seines Lebens hilft“, in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen werden.[28]

Derzeit ist Schadan auf Tournee, unter anderem zu Gast bei der Körber-Stiftung in Hamburg: „Seine Musik handelt von Krieg und Liebe und zeigt, wie Menschen in der Ukraine trotz aller Gewalt versuchen, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen“, so die blumige Ankündigung.[29] Am 9. Oktober wird er im Jüdischen Museum in Berlin gemeinsam mit dem DJ und Musikproduzenten Yuriy Gurzhy auftreten; die beiden arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen.

Gurzhy bürstet die Geschichte der ukrainischen Kollaboration mit Nazi-Deutschland noch rechts über den Schlussstrich hinaus, den der derzeit grassierende Revisionismus zu ziehen trachtet. 2016 hatte er einen Maidan-Sampler mit dem Titel „Borsh Division“ veröffentlicht.[30] Darauf finden sich nicht nur reche Rockmusiker wie Kozak System, die den faschistischen Einheiten ein Lied widmeten („Asow ist in meinem Blut“) und Propagandisten der sogenannten Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee und Freiwilligeneinheiten sind, welche 2014 begann und sich vorwiegend gegen die Zivilbevölkerung im Donbass richtet.[31],[32] Dabei ist auch Taras Chubay, der, etwa zu Ehren von Roman Schuchewytsch, Kommandeur des Wehrmachts-Bataillons „Nachtigall“ und Massenmörder, mit UPA-Liedern auftritt.[33] 2017 brachte Gurzhy im Maxim-Gorki-Theater ein Bandera-Musical auf die Bühne (gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin, der Klaus Lederer von der Linkspartei als Senator vorsteht).[34]

Gruppenbild mit Nazis

Er war lange umstritten, in Westeuropa wurden Konzerte wegen seiner Verbindungen zu Nazis abgesagt – mittlerweile ist Sergej Michalok ein gern gesehener Gast in Deutschland. Der Sänger und Gitarrist, der sich früher politisch im anarchistischen Lager verortete, schrieb den Song „Voiny Sveta“ (Krieger des Lichts), die inoffizielle Hymne des Euromaidan. Michalok stammt aus Minsk in Belarus, ist aber seit 2015 ukrainischer Staatsbürger. Er unterhält verschiedene Bandprojekte, darunter die Punkrock-Formation Brutto – „nicht nur eine Gruppe, sondern auch eine massive paramilitärische Einheit“, wie Michalok 2014 nach der Gründung erklärte.[35] Laut dem russischen Online-Magazin Rabkor haben sich vorher schon Mitglieder seiner bereits seit 1990 existierenden Rockband Ljapis Trubezkoi als Anhänger der faschistischen Marionettenregierung in Weißrussland entpuppt, die in den 1940er-Jahren kurzzeitig unter der Besatzung Hitler-Deutschlands existiert hatte.

Sergej Michalok Sergej Michalok, Frontmann von Brutto, bei einem Auftritt in Minsk 2017
Screenshot © Youtube, Mehr Infos

Seit dem Maidan positioniert Sergej Michalok sich deutlicher rechts und offen antibolschewistisch: „Zehn Jahre kämpfe ich nun mit meinen Liedern, in meinen Videos gegen die Wiederbelebung der Sowjetunion“, sagte er in einem Interview und behauptete, der russische Präsident Putin habe „Ambitionen, diesen Golem“ wieder auferstehen zu lassen. Für einen Skandal in der Subkulturszene sorgte ein gemeinsames Foto von Michalok und seiner Band mit Angehörigen des 2013 in der Ukraine entstandenen Neonazi-Netzwerks Misanthropic Division („Töten für Wotan!“), das mit Asow kooperiert, in der Tradition der Waffen-SS steht und für diverse Morde und andere Gewaltverbrechen verantwortlich gemacht wird.[36] Das Bild soll im März 2015 nach einem Brutto-Konzert für Asow-Kämpfer aufgenommen worden sein.[37] Damals unterstützte die Band auch den Wahlkampf von Igor Kolomoisky, dem Hauptfinanzier der faschistischen Bataillone in der Ukraine. Bruttos Bühnenprogramm richtet sich an ein rechtsradikales Publikum. Sie fetischisierten ebenso die Prügelexzesse nationalistischer Hooligans wie die Ästhetik von Leni Riefenstahl. Jüngst war Michalok mit der Band Ljapis Trubezkoi auf Tournee durch Deutschland und Europa, den USA und Kanada und sammelte mit nationalistischen Parolen wie „Gemeinsam bis zum Sieg!“ und „Freiheit, Stolz und Ehre“ beispielsweise für die Kampagne „Help Heroes of Ukraine“ Gelder, die unter anderem für Asow-Kämpfer bestimmt sind.[38]

Enthüllungen in Spiegelschrift

Was Parteien und politische Organisationen aus der Ukraine bisher nur mit mäßigem Erfolg betrieben haben – der Kulturindustrie des Landes ist es in nur wenigen Jahren gelungen, nationalistische, rassistische, bellizistische und sogar offen nazistische Weltanschauungen in die bürgerliche Mitte der westlichen Demokratien zu tragen. „Musik spielt als Instrument zur Verbreitung und Legitimierung der rechtsextremen Ideologie und Mobilisierung der Anhängerschaft eine zentrale Rolle“ und „rechtsradikale Rhetorik“ wie „Slawa Ukrajini!“ haben „den politischen Mainstream erreicht“ – was die Bundeszentrale für politische Bildung noch 2020 als großes Problem in der Ukraine (an)erkannt hatte,[39] gilt längst auch für Deutschland. Spätestens jedoch seit Bundeskanzler Olaf Scholz am 16. Juni 2022 in Kiew das Ungeheuerliche tat und selbst den Faschisten-Gruß ausstieß,[40] ist jede Warnung ad absurdum geführt und jeder Einspruch tabu. Nicht zuletzt auch dank der Gewerkschaften, Stiftungen und anderen NGOs, vor allem jener fortschrittlichen Kräfte, die sich die Bekämpfung des Rechtsextremismus verschrieben haben, es aber vorziehen, sich der neuen-alten Staatsräson des NATO-Patriotismus und der Russlandfeindschaft endgültig zu beugen und diese gefährliche Entwicklung unisono zu beschweigen. Die wenigen Kritiker, die noch wagen, das, was nicht nur in einem Land mit finsterster Vergangenheit nicht sein darf, zu skandalisieren – wie etwa eine Antifa-Gruppe aus Hamburg, die sorgfältig recherchierte harte Fakten präsentierte und gegen einen Auftritt des Banderisten Oleg Skrypka in einem Bürgerhaus protestierte (das Konzert wurde abgesagt, konnte aber schließlich noch ungestört in einer anderen Location stattfinden)[41] –, werden isoliert oder gar als Agenten des Kremls verleumdet.

Besonders problematisch das Verhalten der weitgehend gleich ausgerichteten Medien – nahezu ein Totalausfall als „Vierte Gewalt“: Berichterstattung über Importe rechtsradikaler Kulturindustrie aus der Ukraine, die mittlerweile Millionenprofite einfährt, sucht man meist vergeblich. Im Gegenteil: Nicht selten werden die Biografien und mehr als fragwürdigen Initiativen rechter Musiker ideologisch weißgewaschen. So ist Oleg Skrypka für den Weser Kurier nichts anderes als der „Vater des ukrainischen Rock“.[42] Und in der Hommage an Michaloks Band mit dem Titel „Ljapis Trubezkoi, der Euromaidan und wann Musik hilft“ der linksliberalen Wochenzeitung der Freitag findet sich kein Wort über die Verbindungen ihres Chefs zur Nazi-Szene – sehr wohl aber eine Erklärung dafür, warum Ljapis Trubezkoi beworben wird: „Sie unterstützt die Bestrebungen der Ukrainer, sich dem Westen anzunähern.“[43]

Bemerkenswert herzlich willkommen sind die nationalistischen Kulturbotschafter aus der Ukraine, wenn sie Antifaschisten als „Faschisten“ beschimpfen und der deutschen Gesellschaft eine „Faschismusphobie“ bescheinigen, wie es Oleg Skrypka tut.[44] Erst recht wenn sie die Friedensbewegung angreifen. Großen Medienzuspruch bekam Serhij Schadan im Juli, als er eine Moralinsäure-Attacke gegen das deutsche Friedenslager und die prominenten Unterzeichner des Appells „Waffenstillstand jetzt!“ startete,[45] ihnen „falsch verstandenen Pazifismus“, der „nach zynischer Gleichgültigkeit stinkt“ vorwarf und ihnen zu allem Übel eine Mitschuld am Leid der Ukrainer gab: „Das Blut dieser Toten haben jene auf dem Gewissen, die immer noch unbeirrt mit dem Bösen spielen und dabei allen Wohlergehen und Frieden wünschen.“[46] Ein besonderes Presse-Echo erfuhr Schadans Behauptung „Die Russen wollen nicht mit uns verhandeln, sie wollten und wollen uns vernichten“ (obwohl Moskau wiederholt seine Bereitschaft für diplomatische Lösungen geäußert hat)[47] – in einem Land, das vor 81 Jahren tatsächlich einen Vernichtungskrieg gegen die russische Bevölkerung in der Sowjetunion mit rund 27 Millionen Toten geführt hatte. Der Soziologe Siegfried Kracauer bemerkte in den 1930er-Jahren, angesichts des deutschen Faschismus an der Macht, dass die Politik nicht-demokratischer Gesellschaften voller „Enthüllungen in Spiegelschrift“ sei. „Man legt die Wahrheit nicht aus, sondern verdreht sie vielmehr dadurch total, dass man den Gegner genau der Handlungen und Machinationen bezichtigt, die auf der eigenen Linie liegen.“[48]

 

Quellenangaben

[1] www.youtube.com/watch?v=KcxOOL33hhk

[2] www.unian.net/lite/stars/fagot-o-rossiyanah-i-ih-yadernyh-ugrozah-eto-mirovoy-musor-kotoryy-nuzhno-unichtozhit-video-11989524.html

[3] elle.ua/ludi/novosty/za-uchasti-sergiya-zhadana-ta-tnmk-u-kievi-provedut-fotovistavku-prisvyachenu-zahisnikam-mariupolya/

[4] www.tempodrom.de/event/okean_elzy_2022-11-20_20/

[5] forbes.ua/ru/lifestyle/voyuyut-ne-zbroya-i-ruki-voyue-sertse-svyatoslav-vakarchuk-pro-vistupi-na-fronti-ta-tvorchist-pid-chas-viyni-13092022-8001

[6] stayhappening.com/e/%D0%9D%D0%B0%D1%81%D1%82%D1%8F-%D0%97%D1%83%D1%85%D0%B2%D0%B0%D0%BB%D0%B0-%C2%AB%D0%A0%D0%B0%D1%84%D1%96%D0%BD%D0%BE%D0%B2%D0%B0%D0%BD%D0%B0-%D0%BB%D1%8E%D1%82%D1%8C%C2%BB-%D0%93%D0%B0%D0%BC%D0%B1%D1%83%D1%80%D0%B3-E3LUVW5S5YIW

[7] www.youtube.com/watch?v=0-XZIyiqsJY

[8] www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/257664/verflochtene-geschichten/?p=al

[9] www.jg-berlin.org/beitraege/details/nazikollaborateur-als-neuer-held-der-ukraine-i276d-2010-04-01.html

[10] www.youtube.com/watch?v=IP0C9kcaih8

[11] www.youtube.com/watch?v=0NMcXa6ztz0

[12] jungefreiheit.de/debatte/interview/2022/oleg-skrypka-ukraine-nation/

[13] www.instagram.com/p/CfmiohvtI7k/

[14] elle.ua/ru/ludi/novosty/andrey-hlivnyuk-ne-smog-sderzhat-slez-na-blagotvoritelnom-koncerte-v-prage/

[15] taz.de/Ukrainische-Rockband-in-Berlin/!5876231/

[16] slukh.media/texts/musicians-defend-ukraine-fund/

[17] Der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert

[18] www.facebook.com/seloiludy/videos/690871892227604/?extid=CL-UNK-UNK-UNK-AN_GK0T-GK1C&mibextid=OzUgd7&ref=sharing

[19] www.blick.ch/ausland/die-kleinen-brueder-der-asow-kaempfer-das-kraken-regime-nimmt-den-kampf-gegen-die-russen-auf-id17552132.html

[20] www.facebook.com/100044170792676/posts/pfbid0FpQA5d883bKroHMCXqFebi3yuCYW4EnGzV5gFnUK35kPTqf5RSFhCAy4zpNM6xvKl/

[21] www.facebook.com/100007990746919/posts/pfbid02Cfufwk4ZJoh2zjzyJ6uAKSU4Xx9fsMNWMxG22XogaVgyTXKji3cFLZSrwfL2NsY7l/

[22] www.kyivpost.com/ukraine-politics/rfe-rl-ukrainian-court-frees-activist-sternenko-from-prison.html

[23] www.facebook.com/watch/?v=767172504504519

[24] www.facebook.com/serhiy.zhadan

[25] english.nv.ua/nation/kharkiv-millionaire-funded-military-unit-helping-defend-ukraine-s-second-biggest-city-50249302.html

[26] https://www.youtube.com/watch?v=pBGB4ydEFk0

[27] www.facebook.com/bandershtat/posts/1985192554985141/

[28] www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/aktuelles-themen/detailseite/serhij-zhadan-erhaelt-den-friedenspreis-des-deutschen-buchhandels-2022

[29] koerber-stiftung.de/veranstaltungen/ukraine-beyond-ohr-zur-welt-ukrainischer-rap-mit-serhij-zhadan/

[30] trikont.de/shop/themen/europa-nord-west-sued-ost/borsh-division-future-sound-of-ukraine/?tab=tracks

[31] www.youtube.com/watch?v=xmRQJJB9PcM

[32] www.youtube.com/watch?v=OSXS9n6VbzU

[33] www.youtube.com/watch?v=H2283UsRgng

[34] www.gorki.de/de/bandera

[35] bruttoband.ru/interview_3.html

[36] rabkor.ru/columns/debates/2015/03/11/michaloks-goof/

[37] de.indymedia.org/node/3789

[38] www.facebook.com/helpheroesofukraine

[39] www.bpb.de/themen/europa/ukraine/317989/analyse-rechtsradikale-musik-in-der-ukraine/

[40] www.youtube.com/watch?v=PtGp8z2zauY

[41] www.waterkant-antifa.de/2022/09/23/mit-ukrainischen-faschisten-spielt-man-nicht/

[42] www.weser-kurier.de/bremen/kultur/hilfe-fuer-die-ukraine-konzert-von-oleg-skrypka-in-der-markthalle-acht-doc7mn9ih0auht11w5w1ahk

[43] www.freitag.de/autoren/konstantin-nowotny/ukraine-lyapis-trubetskoy-der-euromaidan-und-wann-musik-hilft

[44] www.youtube.com/watch?v=zMYyqZStOHU

[45] www.zeit.de/2022/27/ukraine-krieg-frieden-waffenstillstand?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

[46] www.br.de/nachrichten/kultur/kuenftiger-friedenspreistraeger-zhadan-ukraine-droht-vernichtung,TAneQ4I

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[47] www.zeit.de/kultur/2022-07/offener-brief-ukraine-krieg-waffenstillstand-antwort

[48] Siegfried Kracauer – Totalitäre Propaganda, Berlin 2013, S. 59f., S. 61

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