Film / Fernsehen

Das Labor

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Zur politischen Ökonomie der israelischen Rüstungsindustrie –

Von SUSANN WITT-STAHL, 9. August 2013 –

Ein süßes Kätzchen lauert an einer Häuserecke und lenkt den Blick auf sich. Jedenfalls scheint es so. „Es verschafft uns die Extra-Sekunde, die wir brauchen“, sagt Amos Golan in die Kamera. Wofür? Die Antwort bleibt der israelische Waffenhändler – ehemaliger Offizier der Israel Defense Forces (IDF) und Chef einer Elite-Einheit, die während der ersten Intifada auf der West Bank im Einsatz war – nicht lange schuldig. Er nimmt das Tier hoch, zieht ihm das Plüschfell über die Ohren, und zum Vorschein kommt ein futuristisch aussehendes Maschinengewehr, das aus dem Fundus einer Science-Fiction-Filmproduktion stammen könnte: „Cornershot“ heißt die Wunderwaffe, mit der der Nutzer das Ziel aus der Deckung anvisieren und um die Ecke schießen kann. Das Gewehr ist optimal für den Straßenkampf. „Die Neun-Millimeter-Kugeln, aus einer Entfernung von hundert Metern abgefeuert, sind tödlich“, sagt Golan. „Beim ersten Schuss wirst Du lächeln“, versichert er dem Filmemacher Yotam Feldman. Das Katzen-Outfit – Golans Mitarbeiter Rami hat es zufällig beim Spielzeugeinkauf für seine Kinder entdeckt – dient nur als Tarnung, um das Objekt abzulenken und zu verwirren, bevor ihm mit einer Salve aus dem „Cornershot“ der Garaus gemacht wird.

Abgesehen davon, dass bei Anwendung dieser Häuserkampf-Taktik in Kriegen und anderen bewaffneten Auseinandersetzungen sicher fortan noch mehr Tiere aus Fleisch und Blut (sie werden nicht einmal als „Kollateral-Sachschaden“ registriert) über den Haufen geknallt werden: Was der Waffenhändler hier an einem Beispiel eindrucksvoll demonstriert, ist der große Wettbewerbsvorsprung, den die israelische Waffenindustrie gegenüber vielen ihrer Konkurrenten hat. Denn sie hat die Möglichkeit, High-Tech-Produkte auf den Markt zu bringen, die im Gefecht getestet wurden.

Palästinenser als „Versuchskaninchen“

Das Factum Brutum, dass sich der Staat Israel seit seiner Gründung mehr oder weniger in einem  „Nach-dem-Krieg-ist-vor-dem-Krieg“-Verhältnis zu seinen arabischen Nachbarn befindet, hat traumhafte Bedingungen geschaffen. Ein hoher Offizier der IDF habe einmal die israelische Militärstrategie in Gaza „mit dem Einsatz eines Rasenmähers verglichen: So gesehen sind die Operationen des Militärs keine abgeschlossenen Ereignisse. Das Ende der einen markiert lediglich den Beginn der Wartezeit bis zur nächsten Operation, die unweigerlich kommen muss“, meint der israelische Journalist Yotam Feldman, der, bevor er Dokumentarfilme drehte, für das Wochenendmagazin der Tel Aviver Tageszeitung Haaretz Investigativ-Recherchen gemacht hat. Auf Grundlage dieser zynisch klingenden Erkenntnis hat Feldman einen überaus wichtigen Aspekt des bislang völlig ausweglos erscheinenden Nahost-Konflikts in den Fokus genommen: Die politische Ökonomie des permanenten kriegerischen Ausnahmezustands, der hierzulande immer wieder durch das Raster der – zum Zweck der geopolitischen Durchsetzung westlicher Hegemonialinteressen verordneten „Staatsräson“ der blinden Israelsolidarität des bürgerlichen Lagers – stark ideologisch gefärbten Analysen fällt.

Gaza sei „nicht nur ein Gefängnis – es ist ein Labor“, schrieb die kanadische Schriftstellerin und Globalisierungskritikerin Naomi Klein bereits 2007 in ihrem Buch „Schock-Strategie“. „Die Palästinenser – ob sie auf der West Bank oder auf dem leben, was israelische Politiker ,Hamasistan‘ nennen –, sind nicht mehr nur Zielscheiben. Sie sind Versuchskaninchen.“

Keine Grenze zwischen Rüstungsindustrie und Militär

Yotam Feldmans 2013 veröffentlichter Film „The Lab“ (1), der einen Preis beim Dokumentarfilmfestival in Tel Aviv gewonnen hat und demnächst in Deutschland vorgestellt wird, widmet sich den Geschäftemachern der seit 1967 andauernden Besatzung des Westjordanlandes und Abriegelung des Gaza-Streifens. Er begleitete Waffenhändler auf ihren Geschäftsreisen ins Ausland, vor allem aber in ihrem Alltag von Messebesuchen und Konferenzen in dem kleinen Land, das nur acht Millionen Einwohner hat, aber zu den bedeutendsten Rüstungsinnovatoren und -exporteuren der Welt gehört. Seine Umsätze verdoppeln sich alle drei Jahre. 2012 setzte es eine neue Rekordmarke in seiner 65-jährigen Geschichte: 5,61 Milliarden Euro. „Die haben sogar uns überrascht. Israel zählt zu den zehn weltweit größten Waffenexporteuren, nach einigen Kriterien sogar zu den fünf größten”, freut sich Leiter der Exportabteilung des Verteidigungsministeriums Shmaya Avieli. Beim Handel mit dem effizientesten Kriegsgerät der Gegenwart, der Drohnen-Technologie, liegt Israel sogar schon auf Platz eins – mehr als 40 Prozent der Exporte der unbemannten fliegenden Killermaschinen in den Jahren von 2001 bis 2011 kommen aus dem Staat, der nur eine Fläche so groß wie das Bundesland Hessen hat. Zu den Hauptabnehmern der tödlichen Fracht „Made in Israel“ gehören die USA, Polen, Aserbaidschan, Vietnam und Brasilien, wo die Polizei sie gegen revoltierende Slum-Bewohner einsetzt.

„Der Film bietet einen entlarvenden Zugang zu Israels Waffenhändlern und Armee-Generalen, wie es ihn vorher noch nicht gegeben hat“, meint Feldman. Zudem stelle er die Frage, wie der atemberaubende Aufstieg von Israels Rüstungsindustrie möglich werden und sie „so profitabel und zentral für die israelische Wirtschaft werden konnte“, erklärt Feldman und macht darauf aufmerksam, dass das Heilige Land der optimale Nährboden ist, um die totalitären Charakterzüge des Neoliberalismus – die Verschmelzung von Big Government und Big Business – zur vollen Blüte zu treiben: „Die Grenze zwischen der israelischen Armee und die Hig-Tech-Waffenindustrie ist sehr dünn. Sie existiert praktisch nicht.“

Eine Kriegspartei tötet – die andere stirbt

Die Hauptgründe des Erfolges seien die Tests in Gaza und auf der West Bank durch die israelische Armee sowie der globale Bedarf an Waffen, die sich im Kriegseinsatz bewährt haben, meint Feldman. Die Unternehmer wissen längst: Rüstungsgüter mit dem Label „battle tested“ gehen weg wie warme Semmeln. Während die vielen vergangenen Kriege mit den arabischen Nachbarstaaten, wie Libanon, Syrien oder Ägypten, den israelischen Staatshaushalt und die Wirtschaft schwer belasteten, erwiesen sich vor allem die Offensiven gegen Gaza als vorteilhaft. „In Israel empfindet man die Angriffe auf Gaza zunehmend als hinnehmbar und befürwortet sie ohne Weiteres, da sie, anders als der Libanon-Krieg oder die erste und zweite palästinensische Intifada, wenig Tote und Verletzte in Israel zur Folge haben“, erläutert Feldman. „Nahezu niemand protestiert dagegen.“ Dieses für Israels Wirtschaft mehr als günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis „birgt eine starke Motivation, die Belagerung aufrecht zu erhalten“.

Dass diese Behauptungen keineswegs auf Phantasmagorien eines allzu ehrgeizigen Enthüllungsjournalisten beruhen, bestätigen, zumindest indirekt, die Aussagen israelischer Regierungspolitiker und Militärs: „Die Leute kaufen gern Dinge, die getestet sind“, preist Binyamin Ben Eliezer, Ex-General, von 2009 bis 2011 Industrie- und Handelsminister, die Produkte aus heimischer Herstellung in einem Interview an. Wenn Israel Waffen verkaufe, dann könne der Kunde sicher sein, dass „sie ausprobiert wurden“. Daher sei die Nachfrage „gewaltig“. 2009, wenige Wochen nach dem Ende der Operation „Cast Lead“, bei der mindestens 1 200 Palästinenser getötet wurden, warb General Amiram Levin, ehemaliger IDF-Kommandeur des Nordens, auf einem Symposium vor Waffenfabrikanten und IDF-Angehörigen für die „Bestrafungskation“ als Kernelement israelischer Kriegsstrategie, weil diese ein Füllhorn von Möglichkeiten berge: „Bestrafungsaktionen bieten Raum für Manöver, und Sie entscheiden, ob Sie sie ein- oder zweimal schlagen, von vorn oder von hinten, ob ihr Besitz oder ihre Anführer angegriffen werden, aber das hauptsächliche Ziel der Einheiten im Feld, ist, den Feind zu töten – bevor und während er Berührung aufnimmt oder wenn er auf dem Rückzug ist. Das ist das Wichtigste”, rief Levin dem Auditorium in Erinnerung. „Quantität ist mehr entscheidend als Qualität. Ein Fehler, den das Militär immer wieder macht, ist, individuell zu beurteilen, ob eine Person es verdient hat zu sterben oder nicht. Die meisten dieser Leute wurden doch geboren um zu sterben – wir müssen ihnen lediglich dabei helfen“, versuchte der General vorsorglich auch noch mögliche Restbestände moralischer Skrupel auszutreiben.     

Die erdrückende militärische Überlegenheit des israelischen Kriegsapparates, die stetig wachsende Asymmetrie des Konfliktes, zeitigt eine fatale Logik: „Der massive Einsatz von gepanzerten und unbemannten automatischen Fahrzeugen erlaubt ein Vorgehen, bei dem das Risiko der einen Seite in keinem Verhältnis zu dem der anderen steht“, meint Yotam Feldman. „Das hat alle moralischen, politischen und gesetzlichen Kategorien verschoben, die bislang in der Kriegsführung angewendet wurden. In der Vergangenheit hat man die Kampfeinsätze auf Basis der Annahme konzipiert, dass für beide Parteien die Möglichkeit besteht zu töten oder zu sterben. Aber heute tötet die eine, und die andere stirbt.“

Dringend benötigte Debatte

US-amerikanische und europäische Militärs sind begeistert von so einem großen Schatz des Know-How-to-Kill. Seit 9/11 kommen sie in Scharen nach Israel. „Da ist so viel mehr Erfahrung in der israelischen Armee als bei anderen Streitkräften vorhanden, wenn es um Städtekampf geht“, schwärmt ein britischer Offizier bei einer Waffenausstellung im Gelobten Land, dessen arabische Bewohner heute die bevorzugten Crash-Test- Dummies der Kriegslobby aller Herren westlicher Länder und deren Verbündeter sind.

Seine Motivation, „The Lab” zu drehen, sei eine politische. Es gehe ihm darum, überall eine wachsende Aufmerksamkeit auf diesen israelischen Ökonomiezweig zu lenken, sagt Feldman. „Ich hoffe, die Aufführung des Filmes ist der Beginn einer dringend benötigten öffentlichen Debatte über wirtschaftliche Verantwortlichkeit.“ Zu Gast beim weltweit drittgrößten Waffendealer, der aus Profitgründen und Machtkalkül zu den treuesten Verbündeten Israels (allein als Alibi-Lieferant ist es für das wieder auf Angriffskrieg gebürstete Deutschland unverzichtbar) gehört, dürfte Feldman es hier, wie alle jüdischen Kritiker, die Einspruch gegen den nicht enden sollenden Mord und Totschlag erheben, verdammt schwer haben.  

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Anmerkung

(1) http://www.israelfilmcenter.org/israeli-film-database/films/the-lab

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