1945: Propaganda mit Geschichte(n)
Stunde Null: Das ist großartige Propaganda. Ein perfektes Schlagwort für das Märchen, das die US-Amerikaner verbreiten und ihre deutschen Jünger glauben wollten.

Die Stunde Null der deutschen Presse hieß eines der ersten Bücher, die ich als angehender Medienhistoriker auf den Tisch bekam. Harold Hurwitz, der Autor, das habe ich erst später erfahren, war eine schillernde Figur – ein Schützling der US-Militärregierung, der 1948 in Berlin bei der „Operation Talk Back“ anheuerte, um es Ulbricht und seinen Leuten endlich zu zeigen, dann aber selbst als Kommunist verdächtigt wurde und erst durch seinen Kumpel Willy Brandt auf einen Weg kam, der ihn zum Berater des Berliner Senats machte und später zum Professor an der Freien Universität. Dort erzählten sich die Studenten 1967, er sei ein CIA-Agent – umgepflanzt an das Otto-Suhr-Institut, da Brandt Außenminister geworden war und die Stadt verlassen hatte. Ein „Gerücht“, hat Hurwitz an seinem Lebensabend gesagt und sich lieber als doppeltes Opfer der Systemkampfhysterie beschrieben.
Stunde Null: Das ist großartige Propaganda. Ein perfektes Schlagwort für das Märchen, das die US-Amerikaner verbreiten und ihre deutschen Jünger glauben wollten – 1972 auf einen Buchdeckel geschrieben von Harold Hurwitz, diesem CIA-SPD-Kommunisten, und von mir ab den späten 1990ern weitergetragen in meinen ersten Seminaren und Vorlesungen. Natürlich: Ewig trägt so eine Räuberpistole nicht. Wie soll das funktioniert haben mit der Stunde Null? Woher wollte man das Personal nehmen, das jetzt ganz anders Zeitung oder Radio machen konnte als beim letzten Glockenschlag der alten Uhr? 700, vielleicht auch 1.000: Mehr Journalisten waren das in allen vier Zonen zusammen nicht, die aus dem Exil zurückkamen. Einzelkämpfer, die überall auf Mitmachkollegen trafen und auch außerhalb der Redaktionen auf Unverständnis stießen, wenn sie irgendwem den Spiegel vorhalten wollten. Wer so nah an Willy Brandt aka Herbert Frahm herangekommen ist wie Harold Hurwitz, der dürfte das gewusst haben.
Stunde Null: Das hätten sie gerne gehabt. Vergessen machen, wie sich der Journalismus hatte einspannen lassen von Goebbels und Co. Verschleiern auch, dass gerade die Großen ab 1933 profitiert hatten von einer Medienpolitik, die auf Konzentration setzte und so ganz offen politische und mediale Macht verknüpfte. Einige der „Altverleger“ blieben bis 1949 außen vor, okay. Zum einen aber krochen etliche schon bald wieder aus ihren Löchern, und zum anderen wuchsen aus den Lizenzen der Besatzer wieder Monopole und damit neue Verbündete an der Öffentlichkeitsfront. Wer legt sich schon mit Herrschern an, die einem ganz offiziell das Gelddrucken erlauben? Dass Axel Springer, Henri Nannen (Stern), John Jahr, Franz Burda, Alfred Bauer oder Heinrich Mohn (Bertelsmann) nicht unbefleckt in die Demokratie made in USA hineingeboren wurden, füllt inzwischen halbe Bibliotheken.
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Michael Meyen ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München. Aktuelle Veröffentlichungen: „Wie ich meine Uni verlor“ (2023), „Cancel Culture“ und „Der dressierte Nachwuchs“ (2024).