Zeitfragen

„Ich lebe hier nicht, ich überlebe!“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Über Fluchtursache, Asyl in Deutschland und die Refugee-Bewegung –

Interview mit MOISE aus Burkina Faso, 14. September 2015 –

Moise* ist 24 Jahre alt und floh aus Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Erde, das von 1987 an, als der Revolutionär Thomas Sankara mit westlicher Unterstützung weggeputscht und ermordet wurde, bis 2014 autoritär von Blaise Compaoré regiert wurde.

Sie haben sich vor fünf Jahren auf den Weg nach Europa gemacht. Was veranlasste Sie dazu, die Heimat zu verlassen?

Mein Vater wurde politisch verfolgt. Er war mit der Regierung in Burkina Faso nicht einverstanden und so wurden Anschuldigungen gegen ihn erhoben. Das begann bereits 2003, sodass er in regelmäßigen Abständen untertauchen musste, um nicht verhaftet zu werden. Gegen den Rest der Familie gingen sie zunächst nicht vor, erst als sie meines Vaters nicht mehr habhaft werden konnten, richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf uns, vor allem auf mich und meinen großen Bruder. Auch gegen uns wurden dann absurde Anschuldigungen geäußert.

Ich war damals noch sehr jung und wollte das alles nicht wahrhaben und begann dann auch mit meinem Informatikstudium, einem Fach, das mich schon immer fasziniert hatte. Ich wollte nicht weg. Das änderte sich 2010 schlagartig, als mein großer Bruder ermordet wurde. Ab diesem Moment konnte es nicht schnell genug gehen, aus dem Land zu verschwinden. Über Bekannte meines Vaters bekam ich Kontakt zu einer Person, die mir ein Visum für ein europäisches Land besorgen sollte.

Diese verlangte knapp 3#000 Euro für alle notwendigen Papiere – Geld, das für mich schwer aufzutreiben war, da die Konten meines Vaters eingefroren waren. Da er einige Geschäfte besessen hat, bin ich dort hin und hab mir alles an Bargeld mitgenommen, was noch in den Kassen war. Der Vermittler hat mir dann nach ungefähr drei Wochen auch ein Visum gebracht, allerdings nicht für Europa, sondern für Syrien. Da die Situation immer gefährlicher wurde, blieb mir aber keine Wahl und ich bin nach Syrien geflohen.

In Syrien sind Sie Ende 2010 angekommen, aber Ihr eigentliches Ziel war ja Europa. Wie ging es von da aus für Sie weiter?

Als ich dort angekommen bin, hatte ich noch ungefähr 5#000 Euro. Davon musste ich 1#500 an Schleuser bezahlen, die mich in die Türkei brachten. Die hatten mir versprochen, nach drei Stunden Fußmarsch dort zu sein. Letztendlich ist meine Gruppe zwei Wochen und vier Tage unterwegs gewesen, bis wir in der Türkei angekommen sind. Auf dem Weg durch die Berge ist einer von uns verunglückt und gestorben, weil er beim Klettern abgerutscht ist.

In der Türkei ging es dann über Ankara nach Istanbul, wo ich nach sieben Tagen und weiteren 1#500 Euro in ein Schlauchboot gestiegen bin, um nach Griechenland überzusetzen. Es waren zwei Schlauchboote, in denen unsere Gruppe aufbrach: eines, in dem Frauen, Kinder und alte Menschen saßen, und eines für uns Männer. Unseres fing kurz vor der griechischen Küste an, mit Wasser vollzulaufen und ging unter. Dabei verloren wir all unser Gepäck. Die, die schwimmen konnten, halfen denen, die es nicht konnten. Bis auf eine Person haben es alle geschafft. Im nächsten größeren Ort wurden wir dann alle verhaftet und in Sammelzellen gebracht. Dort bekamen wir Zettel, die uns den Aufenthalt in Griechenland für einen Monat erlaubten, und wurden mit Bussen bis nach Athen gefahren. Ab da waren wir auf uns allein gestellt, da es in Griechenland kein wirkliches System für Asylsuchende gibt.

Haben Sie versucht, in Griechenland einen Asylantrag zu stellen?

Ja, aber ich habe es sehr schnell aufgegeben. Man muss dort eine Nummer ziehen und jede Woche bekommen ein paar Menschen eine Aufenthaltserlaubnis für sieben Monate, in denen man dann aber nicht arbeiten darf und auch sonst keinerlei Rechte hat. Ich hab mich also sehr schnell entschieden, mich auf den Weg nach Frankreich zu machen, immerhin beherrsche ich dort auch die Sprache. Da mein Geld bereits aufgebraucht war, musste ich meine Mutter bitten, mir welches zu schicken. Das war während der Finanzkrise, damals gab es schon keine Jobs für Griechen, also erst recht nicht für uns „Illegale“. Aber von irgendwas musste ich ja auch leben und meine Miete bezahlen. Für die Überfahrt nach Frankreich musste ich dann wieder 1#500 Euro an einen Schleuser zahlen und bin nach fünf Tagen in Marseille angekommen, von wo aus ich nach Paris ging. Dort stellte ich dann meinen „echten“ Asylantrag, da ich das in Griechenland ja nicht konnte. Wegen des problematischen Asylsystems in Griechenland spielte es auch keine Rolle, dass ich dort bereits meine Fingerabdrücke abgegeben hatte.

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Den französischen Behörden war klar, dass Griechenland seiner Pflicht, Asylanträge zu bearbeiten, nicht nachkommt. Zumindest war das damals so. Zu dieser Zeit war ich voller Hoffnung, in Frankreich ein neues Leben zu beginnen, ich hatte auch früher schon darüber nachgedacht, dort zu studieren. Ich hab also auf der Ausländerbehörde einen Termin bekommen und hab denen meine Geschichte erzählt. Nach ungefähr einem Monat bekam ich Antwort, dass meine Geschichte nicht beweisbar ist und sie deswegen den Asylantrag nicht bewilligen können. Ich verstehe bis heute nicht, wie ich die Geschehnisse beweisen soll. Wahrscheinlich müsste ich den Leichnam meines Bruders mit auf dieses Amt bringen, damit sie mir glauben, oder gleich meinen eigenen abgetrennten Kopf dorthin schicken.

Ich legte Widerspruch gegen die Ablehnung ein, aber es änderte nichts daran. Auch beim zweiten Versuch wurde ich abgelehnt. Ich habe dann kurz darüber nachgedacht, mich der Fremdenlegion anzuschließen, um mir meine Staatsbürgerschaft zu „verdienen“. Das habe ich jedoch sehr schnell wieder verworfen. Wahrscheinlich wäre ich dann von Frankreich in irgendein Land geschickt worden und hätte dort aus französischen Profitinteressen Menschen ermordet, die vielleicht in einer genauso schlechten Situation sind, wie ich es war. Für mich ist das kriminell.

Wie kam es dazu, dass Sie sich dann entschieden haben, nach Deutschland zu kommen? Und welche Erfahrungen haben Sie mit den Behörden hier gemacht?

Ich hatte zwei Optionen: England oder Deutschland. Ich habe mich gegen England entschieden, da ich ja schon eine halbe Weltreise hinter mir hatte, und hätte es dort wieder nicht geklappt mit dem Asyl, wären die nächste Station die USA gewesen. Das war mir zu viel und Deutschland war einfach näher. Außerdem kannte ich Deutschland bis dahin nur aus dem Fernsehen und dachte, es wäre ein rechtschaffenes Land und ein Rechtsstaat, in dem mir endlich jemand zuhören würde. Ein Land, in dem ich endlich frei und ohne Angst leben können würde. Im Fernsehen wird halt nie die ganze Wahrheit erzählt.

Als ich dann vor ungefähr einem Jahr hier angekommen bin, musste ich feststellen, dass Deutschland so ziemlich alles macht, um einen Geflüchteten wieder abschieben zu können. Außerdem dauert der Asylprozess selbst, also die Zeit der Unsicherheit, Jahre bis Jahrzehnte. Nachdem ich meinen Antrag gestellt hatte, wurde mir eine Karte von Sachsen-Anhalt gegeben und mir wurde unter Androhung von Strafe gesagt, ich dürfe das Bundesland nicht verlassen.

Mir wurden auch nie meine Rechte erklärt. Darüber habe ich mich damals sehr gewundert. In Frankreich war das Erste, was sie gemacht haben, mich über meine Rechte aufzuklären. Ich habe dort sogar ein Buch mit Hilfsorganisationen bekommen. Hier wirst du in einem Lager isoliert und darfst das Bundesland nicht verlassen. Es ist kaum zu erklären, was dadurch mit deiner Psyche passiert. Deine geistigen Fähigkeiten lassen nach, du wirst richtig langsam im Kopf. Ich habe mit Frankreich zwar nicht das Paradies verlassen, aber hier bin ich in der Hölle gelandet. Ich lebe hier nicht, ich überlebe!

Haben Sie dort angefangen, sich mit anderen zusammen in der Refugee-Bewegung zu organisieren?

Wenn du in so einem Lager feststeckst, in irgendeinem Wald weit draußen, bekommst du von der Außenwelt im Grunde nichts mit. Dann gab es aber Menschen, die aus Berlin und anderen Städten in die Lager gekommen sind und von der Situation erzählt haben und darüber, was sich so alles ereignet hat. Mein einziger Gedanke war dann: „Was mache ich noch hier?“ Wir haben uns dann mit diversen Personen aus unterschiedlichen Lagern zusammengeschlossen und sind nach Berlin gekommen. Wir haben dann als „Asylum Rights Evolution“ einen Hungerstreik auf dem Alexanderplatz organisiert und die Gedächtniskirche besetzt. Nach ungefähr elf Tagen wurden wir verhaftet, unsere Ausweise wurden kontrolliert, im Gefängnis wurden unsere Fingerabdrücke genommen und wir wurden fotografiert.

Die Polizei hat gesagt, dass sie uns nach der Identitätsfeststellung wieder freilassen würden, aber sie haben uns dann in Autos gesteckt und als wir ausstiegen, waren wir wieder im Lager in Sachsen-Anhalt. Dort haben dann die meisten Beteiligten einen Abschiebungsbescheid bekommen. Wir, die nicht unmittelbar von der Abschiebung bedroht waren, haben uns dann entschieden, zurück nach Berlin zu gehen und uns dem Hungerstreik von „Refugee Struggle for Freedom“ anzuschließen. Danach haben wir das DGB-Haus in Berlin besetzt, wo uns seitens der Gewerkschaft viele Versprechungen gemacht wurden, von denen sie keine einzige eingehalten haben, bis sie uns letztendlich von der Polizei räumen ließen. Diese Räumung war extrem brutal, viele von uns verloren das Bewusstsein, es gab gebrochene Nasen, ausgeschlagene Zähne und ich konnte meinen Arm über eine Woche lang nicht bewegen, weil ein Polizist darauf getreten war.Da der DGB eine Anzeige gestellt hatte, die immer noch gegen uns läuft, wurden wir wieder mitgenommen und wir bekamen eine Strafe wegen des Verstoßes gegen die Residenzpflicht. Das war vor ungefähr zwei Monaten. Ich musste 200 Euro bezahlen und das, obwohl ich bloß 300 Euro im Monat zur Verfügung habe.

Das Geld, das Ihnen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz rechtlich zusteht …

Ja genau, es ist allerdings nicht so, dass das nur vom deutschen Staat, also vom Steuerzahler, bezahlt wird. Jedes Land, welches Flüchtlinge aufnimmt, bekommt Geld von der UNO, aus einem Topf, in den jedes Mitgliedsland der UNO einzahlt, das wird nur nie kommuniziert. Viele Menschen denken ja, „die Ausländer kommen in mein Land und leben von meinem Geld“, und wollen uns hier deswegen nicht haben. Ich glaube, wenn die jeweiligen Staaten das Geld wirklich selbstständig aufbringen müssten, würden überhaupt keine Menschen mehr aufgenommen werden.

Es gibt in Deutschland seit Ende letzten Jahres die sogenannte „Pegida“-Bewegung, die ja genau aus solchen Ressentiments politisches Kapital schlägt. Wie gehen Sie damit um, dass auf den jahrelangen Protest der Geflüchteten nur mit Gewalt, Ignoranz und sogar Verschärfungen des Asylrechts reagiert wird und nach wenigen Wochen der „Pegida“-Demonstrationen Politiker „Verständnis“ für deren Forderungen äußerten?

Die Leute, die da auf die Straße gehen, verstehen den Kern des Problems nicht. Jeder Mensch möchte gerne in Sicherheit leben, wenn das in meinem Heimatland gehen würde, würde ich mit Freude im nächsten Flugzeug nach Burkina Faso sitzen.

Diese Menschen leben aber in einer Welt, in der es keine „Fremden“ gibt, und alles, was sie nicht kennen, macht ihnen Angst. Stellen wir uns mal vor, ich würde meinem Kind erzählen, es muss Angst vor blonden Menschen haben, denn die sind aggressiv, gewalttätig, kriminell und könnten es jeden Moment versklaven. Wenn es dann das erste Mal einen blonden Menschen trifft, würde es wütend auf ihn sein und Angst haben, aber das ist doch dann nicht die Schuld des Unbekannten, sondern meine, weil ich meinem Kind so einen Unsinn beigebracht habe. Genauso ist es auch mit den „Pegida“-Demonstranten, nur dass die Regierung in dem Fall die Rolle der Eltern hat und die Menschen mit ihrer Desinformationspolitik verunsichert – und da lasse ich die rechtsextremistischen Rattenfänger schon raus.

Eine für alle Seiten würdige Lösung wird sich nur durch eine offene und ehrliche Kommunikation miteinander finden lassen und da sind nun mal die Politiker besonders gefragt, schließlich hören ihnen Tausende zu. Sie müssen anfangen, ihre Aufgaben ernst zu nehmen und zu ihren Worten zu stehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

*um das laufende Asylverfahren nicht zu gefährden, wurde der Name geändert.

Das Interview führte Willi Effenberger. Der Text erschien zuerst in der Printausgabe 2/2015 von Hintergrund. Zu bestellen hier.


 

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