Zeitfragen

Statt eines Nachrufs – André Glucksmann † 10. November 2015

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Von WOLF GAUER, 23. November 2015 –

Das Medien-Getue um Sarkozys Vorzeigedenker, der drei Tage vor den Pariser Attentaten verschieden ist, wurde inzwischen von deren Echo übergletschert. Es verdient dennoch kritische Erwähnung, da der „unerträgliche Philosoph und Essayist, Kriegsbefürworter und ehemalige Maoist André Glucksmann, Ausgeburt reaktionärer Subjektivität“ – so die britische Philosophin und Autorin des Guardian, Nina Power – ursächlich mit Europas Misere, 50 Jahre nach 1968 (und 226 Jahre nach der französischen Revolution 1789), verbunden ist.
 
Unsere US-frommen Staatszwerge weihräucherten mit den Mainstream-Medien um die Wette: „Ein Verteidiger der Unterdrückten. Er habe sich immer für das Leiden der Völker eingesetzt, teilte Hollande über Twitter mit. Er habe „vor der Fatalität der Kriege nicht resigniert.“ (Kleine Zeitung, 10.11.15). Nun, wer wird schon vor der „Fatalität“ resignieren, die er zusammen mit Gesinnungsgenossen wie Daniel Cohn-Bendit, Bernard-Henri Lévy und anderen Ex-Achtundsechzigern, den „Neuen Philosophen“, nach Kräften gefördert hat?

„Er (Glucksmann) hat geglaubt, Sarkozy könnte es bringen. Und als Sarkozy sich Putin angenähert hat, hat er sich gegen Sarkozy gewendet“, so Cohn-Bendit auf Bild-Niveau in Deutschlandradio (10.11.15). Die Neuen Philosophen aber „brachten es“: das relativierende Salongeschwätz und die intellektuelle Tünche für das durchgehend pervertierte, gedankenfeindliche Welt- und Menschenbild unserer Wertegemeinschaft und seine Folgen nicht nur in Syrien, Irak und Paris.

Für André Glucksmann war schon der Anschlag auf Charlie Hebdo nicht Resultat der rassistischen Mohammed-Schmähungen des Provo-Blättchens (im Besitz des Barons Édouard de Rothschild), sondern das „allgemeine Problem des Islamismus in Frankreich“ (Die Welt, 9.1.15). Pegida nickt kollektiv und solidarisch. Hätte er den 13. November noch erleben dürfen, wäre der Philosoph wohl um neuerlich gefällige Ursachenfälschung nicht verlegen. Sein wenig älterer Zeitgenosse Gilles Deleuze (Kapitalismus und Schizophrenie, 1977), hielt schon vor langen Jahren vom servilen Medienwirbel der „nouveaux philosophes“ schlicht nichts. „Ich glaube ihr Denken ist nichtig (…), Autoren, die nicht mehr drauf haben als die Frechheit von Domestiken oder den Klamauk des Clowns vom Dienst“ (Minuit, 5/1977).

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Der Text erschien zuerst in Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft.

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