Kriege

Der Irak-Krieg

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von Joachim Guilliard, 19. Mai 2009 –

Geschönte Nachrichten –

Den USA war es im Laufe des letzten Jahres gelungen, ein sehr rosiges Bild von der Entwicklung im Irak zu zeichnen. Die großen westlichen Medien spielten mit. Viele Berichte mühten sich zu zeigen, wie sehr schon wieder eine gewisse Normalität eingekehrt sei.

Dies dürften zum Teil auch die Früchte der Arbeit von vier PR-Firmen sein, die 100 Millionen US Dollar jährlich aus dem Haushalt des Pentagons erhalten, um irakische und andere arabische Medien zu beeinflussen. Indem geeignete Nachrichten, Kommentare, Erklärungen etc. produziert und in die diversen Medien eingespeist werden, soll ein günstiges Bild der US-amerikanischen Aktivitäten im Land gezeichnet werden. Begonnen wurde damit schon 2003; mit der Einführung neuer Einsatzrichtlinien kam dieser Form der psychologischen Kriegführung ab 2007 eine Schlüsselrolle zu.

Wie der Chef der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP), Tom Curley, kürzlich enthüllte, üben zudem die US-Streitkräfte auch massiven Druck auf Journalisten aus, die sich um eine wahrhaftige Berichterstattung aus dem Irak und Afghanistan bemühten. So wurden seit 2003 elf AP-Journalisten für längere oder kürzere Zeit festgenommen. Wie AP herausfand, hat das US-Kriegsministerium auch seine Propagandamaschine enorm ausgebaut. Das Pentagon verfüge für dieses Ressort nun über 27.000 Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 4,7 Milliarden Dollar. Wozu diese Mittel eingesetzt würden, bleibe meist geheim. U.a. sei es gängige Praxis, Webseiten ins Internet stellten, die den Eindruck erweckten, von NGOs zu stammen.

Angesichts dessen ist das Fazit einer Studie von dreißig Friedens- und Menschenrechtsgruppen nicht verwunderlich: Wenig von dem, was über den Krieg und die Besatzung im Irak geschrieben wurde, liefere ein angemessenes Bild. Obwohl die Besatzung die zentrale politische Realität im Irak ist, verschwinde ihre beherrschende Rolle wie auch die von Besatzungstruppen ausgeübte Gewalt im westlichen Diskurs völlig im Hintergrund, heißt es in dem 2007 von Global Policy Forum veröffentlichten Bericht “War and Occupation in Iraq“.

In dem Maße, wie die spektakulären Anschläge und Kämpfe in Bagdad nachließen, ging das Medieninteresse schließlich vollständig zurück. Die meisten Journalisten wurden aus dem Irak abgezogen, rechtzeitig zum Wahlkampffinale vor den Präsidentenwahlen in den USA verschwand der Krieg fast vollständig aus den Nachrichten.

Düstere Realität

Die irakische Realität jedoch ist nach wie vor düster, die Lebensverhältnisse sind katastrophal, von Stabilität oder gar Demokratie und Rechtsstaat kann keine Rede sein.

So liegen auch nach fast sechs Jahren eines sogenannten „Wiederaufbaus“ das Gesundheitssystem, das Bildungswesen und die Strom- und Wasserversorgung am Boden. In 90% der Krankenhäuser fehlt, so die irakische Ärztekammer, mittlerweile selbst das Allernotwendigste. Von den über 34.000 vor 2003 registrierten Ärzten hat mehr als die Hälfte das Land verlassen, mindestens 2.000 wurden ermordet. Nach Schätzungen der irakischen Regierung sterben drei Viertel aller Notfallpatienten aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal, Medikamenten und Ausrüstung.

Strom fließt in den meisten Städten nach wie vor nur stundenweise. Die Zahl der Haushalte, die von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten sind, stieg seit 2003 von 50% auf 70%. Über 80% sind nicht an funktionierende Sanitäranlagen angeschlossen, was zur Kontaminierung des Trinkwassers führt. Die massive Ausbreitung vermeidbarer Krankheiten ist die Folge. So nahm z.B. die Cholera – unbeachtet von den westlichen Medien – im Herbst vergangenen Jahres wieder erhebliche Ausmaße an.
Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 50 und 70%. Über 11 der 26,5 Millionen Iraker lebten 2007, wie die britische Hilfsorganisation Oxfam berichtete, in absoluter Armut. Auch im vergangenen Jahr waren noch fast 10 Millionen auf das mittlerweile sehr löchrige, staatliche Nahrungsmittelprogramm angewiesen.

Am meisten betroffen von der Misere sind wie immer Kinder: waren bereits vor dem Einmarsch der USA 19 Prozent der Kinder in Folge des Embargos wegen Unterernährung im Wachstum zurückgeblieben, so waren es im Juni 2007 schon 28 Prozent. Nur gut die Hälfte der Kinder zwischen 6 und 11 Jahren geht noch zur Schule, in Bagdad und einigen anderen Provinzen sind es sogar nur 30%.

Dabei sah die Welt zu, wie eine ganze Gesellschaft systematisch zerstört wurde. Einst eines der entwickeltsten Länder der gesamten Region, ist der Irak mittlerweile in sozialer und wirtschaftlicher Sicht auf das Niveau der ärmsten afrikanischen Staaten hinabgeworfen worden.

Kriegsgewinnler

Für viele ausländische Unternehmen wie Halliburton, Bechtel Group, Parsons Delaware, Fluor Corporation, wurde der besetzte Irak dennoch zur Goldgrube. KBR, bis vor kurzem noch Teil von Dick Cheneys Halliburton, hat allein bis 2007 über 20 Mrd. US-Dollar erhalten und der Baukonzern Bechtel kassierte mindestens 2,8 Mrd. US-Dollar. Die berüchtigten privaten Militär- und Sicherheitsfirmen DynCorp International und Blackwater USA gehören mit Einnahmen von über zwei bzw. einer halben Milliarde Dollar ebenfalls zu den Top-Gewinnern.

Ein vertraulicher Untersuchungsbericht der US-Regierung, der der New York Times kürzlich zugespielt wurde, bestätigt, was jeder Iraker am eigenen Leib spürt: die 120 Milliarden Dollar, die offiziell bis Mitte 2008 in den Wiederaufbau des Irak gepumpt worden sein sollen – der Großteil davon irakisches Geld – sind nahezu wirkungslos verpufft. Der größte Teil versackte in den Taschen der großen amerikanischen Konzerne, der kleinere im Sumpf der ungeheuerlichen Korruption im Land. Erfolgsmeldungen des Pentagons, so der Bericht, waren oft schlicht erlogen.

Allein Paul Bremers Besatzungsbehörde hatte, bis zu ihrer Auflösung im Juni 2004, nahezu unkontrolliert über 20 Mrd. US-Dollar aus irakischem Guthaben ausgegeben. Auch die Untersuchungen späterer Geschäfte brachten haarsträubende Fälle von Selbstbedienung, Betrug und Korruption ans Licht. Der gigantische Raub irakischen Vermögens ist, so Dave Whyte vom Lehrstuhl für Kriminologie an der University of Stirling, ein bislang einmaliger Fall von staatlich gefördertem Wirtschaftsverbrechen.

An vorderster Stelle der Gewinner stehen – nicht zuletzt auch durch den Einsatz im Irak – die westlichen Rüstungskonzerne. Lockheed Martin, der weltgrößte Rüstungsproduzent und Hauptauftragnehmer des Pentagons konnte seinen Umsatz von 26,6 Mrd. im Jahr 2002 um 60% auf 42 Mrd. Dollar in 2007 steigern, den Aktienkurs verdoppeln und den Gewinn auf 3 Mrd. Dollar verdreifachen. Auch die britische BAE Systems, Europas größter Rüstungskonzern, konnte seinen Umsatz um 30% auf 18 Mrd. Euro und seinen Gewinn um 50% auf 1,9 Mrd. Euro steigern. Ihr Aktienkurs stieg um 400%. Kräftig steigende Umsätze können aber auch deutsche Konzerne wie Rheinmetall AG vermelden, deren Aktienkurs seit 2002 um 300% stieg.

Teile und Herrsche

Die Bush-Administration habe im Irak keinen Fehler ausgelassen, so eine häufig geäußerte Kritik. Ein stabiler und intakter Irak war jedoch nie das maßgebliche Ziel der dominierenden Kräfte in Washington gewesen. Die furchtbare Lage, in der das Land sich befindet, ist vielmehr die völlig vorsehbare Konsequenz einer an ehrgeizigen Zielen orientierten Eroberungs- und Besatzungspolitik. Ziel war vor allem die dauerhafte Ausschaltung des Iraks als Regionalmacht und die permanente Stationierung eigener Truppen – als Ausgangsbasis für die neoliberale Umgestaltung bzw. Unterwerfung der gesamten Region.

Ohne Rücksicht auf die Folgen wurden die Armee und Polizei aufgelöst und die staatlichen Strukturen weitgehend zerschlagen. Mit der Einführung völkischer und konfessioneller Kriterien in Regierung und Verwaltung betrieb man von Anfang an eine Spaltung der Gesellschaft. Erst dies schuf die Verhältnisse, in denen sich die kriminelle und religiös motivierte Gewalt entfalten konnte, mit der anschließend die fortdauernde Präsenz der Besatzungstruppen gerechtfertigt wurde.
Auf dieser Basis schuf der von den USA eingeleitete „politische Prozess“ ein abhängiges, koloniales Regime, getragen von extremistischen Parteien, die im Windschatten der Besatzung ihre separatistischen bzw. sektiererisch-islamistischen Ziele verfolgen. Die Milizen dieser Parteien stellen das Gros der Sicherheitskräfte und werden für einen großen Teil der Gewalt im Land verantwortlich gemacht.

Waren Gewaltakte gegen Zivilisten in den ersten beiden Jahren der Besatzung noch sporadisch, nahm die Zahl der Attentate, Entführungen und Exekutionen ab Mai 2005, d.h. mit dem Amtsantritt der ersten gewählten, schiitisch-kurdischen Regierung, plötzlich massiv zu. Allein das Bagdader Leichenschauhaus registrierte von da an 800 bis 1100 Tote im Monat. Nach Ermittelungen von John Pace, bis Februar 2006 Direktor des Menschenrechtsbüros der UNO im Irak, waren für den größten Teil der Morde schiitische Milizen und Sicherheitskräfte verantwortlich, die unter Kontrolle des radikal-schiitischen „Obersten islamischen Rat“ (SIIC, früher SCIRI) und des von ihm besetzten Innenministeriums stehen.

Die Besatzer ließen diese Milizen und Todesschwadrone gewähren oder waren sogar selbst involviert. Denn spätestens ab 2005 führten sie selbst einen verdeckten, schmutzigen Krieg, der im Pentagon „Salvador Option“ genannt wurde – in Erinnerung an den Einsatz von Todesschwadronen gegen Oppositionelle in Mittelamerika. Die ersten irakischen Spezialeinheiten wurden Berichten der Los Angeles Times und Washington Post zufolge im Frühjahr 2005 mit Unterstützung aus den USA einsatzbereit gemacht. Unter diesen neuen „Spezialpolizeikommandos“, bestehend aus insgesamt 12.000 gut ausgebildeten irakischen Veteranen von Sondereinheiten des alten Regimes, waren auch die bald berüchtigten Wolf-, Skorpion- und Tigerbrigaden. Zur selben Zeit, so der US-Kongressabgeordnete Denis Kucinich, begann die Welle von Entführungen und Exekutionen – ganz im Stil der mittelamerikanischen Todesschwadrone.

Nach einem Sprengstoffanschlag auf die Goldene Moschee in Samarra, einem der höchsten Heiligtümer der Schiiten, ließ die Politik des Teile und Herrsche die Gewalt in ungeahntem Ausmaß explodieren. Der Anschlag wurde sunnitischen Widerstandsgruppen zugeschrieben. Die näheren Umstände lassen es aber fraglich scheinen, dass die aufwendige Sprengung der goldenen Kuppel ohne Rückendeckung der direkt bei der Moschee postierten amerikanischen Truppen möglich war. Schiitische Milizen, viele davon den Regierungsparteien nahestehend, nutzten den Anschlag als Vorwand für einen Rachefeldzug gegen sunnitische Einrichtungen und Personen. Sunnitische Extremisten schlugen mit gleicher Münze zurück. Betroffen war vor allem Bagdad, wo die Gewalt oft erst nach der Vertreibung der jeweiligen Minderheit aus den umkämpften Vierteln endete.

Auch wenn die Auseinandersetzungen in Bagdad teils bürgerkriegsähnliche Züge annahmen, blieb die Hauptkonfliktlinie jene zwischen Besatzern und ihren Verbündeten auf der einen und der überwiegenden Mehrheit der Iraker auf der anderen Seite. Um den wachsenden Widerstand zu brechen, der die Umsetzung vieler Maßnahmen erfolgreich verhinderte, griff die Besatzungsmacht zu immer massiveren und brutaleren Methoden der Aufstandsbekämpfung. Dutzende Städte wurden angegriffen und ganze Stadtviertel durch Luftangriffe verwüstet. Nicht Autobomben und Selbstmordattentate führten zu den meisten Opfern, sondern, so das Ergebnis zweier in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Studien, die Angriffe von Besatzungstruppen und irakischen Sicherheitskräften. Ein Siebtel der 600.000 Gewaltopfer, die für die Zeit bis Juni 2006 geschätzt wurden, wurde allein bei Luftangriffen getötet.

Immer größere Teile der Bevölkerung wurden erst durch diesen Krieg in den aktiven Widerstand getrieben. Befürwortete laut Umfragen westlicher Institute anfänglich nur ein knappes Fünftel aller Iraker bewaffnete Angriffe auf die Besatzer, so waren es 2006 bereits zwei Drittel.

„Surge“ – Eskalation des Krieges

Im Laufe des letzten Jahres sind die Kämpfe abgeflaut und die Situation hat sich etwas beruhigt. Die US-Führung feiert dies als Erfolg ihrer neue Strategie und der gemeinheim als „Surge“ (deutsch: Woge, Flut, Zunahme) bezeichneten Erhöhung der Truppenstärke auf über 160.000 Soldaten. Spürbar ist der Rückgang der Gewalt jedoch nur verglichen mit dem extrem hohen Niveau zuvor. Statt mehrerer Hundert werden nun „nur noch“ ein paar Dutzend Leichen pro Tag in den Leichenhäusern angeliefert.

Dieser Rückgang geht nur zum geringen Teil auf die „Surge“ zurück. Bedeutender sind das Bündnis mit sunnitischen Stammesmilizen und die einseitige Waffenruhe, die der prominente Kleriker Muqtada al Sadr seiner Miliz, der Mehdi-Armee, verordnete. Nicht zuletzt trug auch der „erfolgreiche“ Abschluss von Vertreibungsaktionen vielerorts zum Rückgang innerirakischer Gewalt bei. Nach wie vor ist der Irak jedoch eines der für Leib und Leben gefährlichsten Länder der Welt. Die knapp fünf Millionen Flüchtlinge sehen jedenfalls noch keine akzeptablen Bedingungen für ihre Rückkehr.

Die „Surge“ bedeutete zunächst für weite Teile der Bevölkerung in Bagdad und Umgebung eine massive Eskalation des Krieges und der Repression. Kritische Bilder und Berichte davon blieben jedoch aus. In den Medien erschienen die US-Truppen vielmehr als Retter, die antraten, der „mörderischen Gewalt“ Einhalt zu gebieten.

Über 40.000 US-amerikanische Kampftruppen und mehrere Divisionen der irakischen Armee waren, z.T. unter heftigen Kämpfen, in die überwiegend sunnitischen Stadtteile der Hauptstadt eingedrungen. Straßenzug um Straßenzug wurde abgeriegelt und die Häuser gestürmt. Alle männlichen Bewohner zwischen fünfzehn und sechzig Jahren wurden erkennungsdienstlich erfasst, inklusive Fingerabdrücken und Iris-Scan. Tausende von Anwohner, die als Oppositionelle bekannt waren oder der Zusammenarbeit mit dem Widerstand verdächtig schienen, wurden festgenommen.

In einige der nun schutzlosen Viertel drangen schiitische, oft den Regierungsparteien nahestehende Milizen ein und begannen auch hier mit nächtlichem Terror, Sunniten und sonstige Gegner zu vertreiben. Hunderttausende wurden so im Lauf der „Surge“ aus der Hauptstadt gejagt oder flohen vor den Angriffen der Besatzer. Der Anteil der nicht-schiitischen Bevölkerung Bagdads sank Statistiken der US-Armee zufolge seit April 2006 von 35 auf 25 Prozent. Die Internationale Organisation für Migration der UNO, IOM, schätzt, dass sich die Zahl der Flüchtlinge aus Bagdad im Zuge der „Surge“ verzwanzigfachte. Die Gesamtzahl der Binnenflüchtlinge im Irak hat sich zwischen Februar und August 2007 von 0,5 auf 1,1 Millionen verdoppelt.

Der renommierte US-Journalist Nir Rosen, der sich im Dezember in Bagdad umsehen konnte, fand statt der einst so geschäftigen Vierteln Bagdads nur noch halbverlassene Geisterstädte vor, zerstört durch über fünf Jahre Krieg.

Gated Communities

Die „befriedeten“ Stadtteile wurden schließlich durch fast vier Meter hohe, stacheldrahtbewehrte Betonmauern eingeschlossen, die nur durch wenige, stark bewachte Check-Points durchbrochen sind. Endlose Schlangen vor den Durchlässen sind die Folge, Handel und Wirtschaft kamen so nahezu zum Erliegen. Offiziell als Schutz der Bevölkerung vor Übergriffen durch sektiererische Milizen gedacht, dienen sie vor allem dazu, die Bewegungsfreiheit des Widerstands einzuschränken und die Bewohner der Viertel einer lückenlosen Kontrolle unterwerfen zu können.

Professor Steve Niva, Nahostexperte an der Universität von Olympia, fasste das Ergebnis der Surge treffend zusammen: „Während das allgemeine Ausmaß an Gewalt zweifellos vorübergehend sank, wurde der Irak faktisch in einen Panzer aus Betonmauern und Stacheldraht eingesperrt, verstärkt durch eine Besatzung aus der Luft.“

Mit dieser „Befriedung“ der sunnitischen Stadteile und Vororte Bagdads war der Krieg nicht zu Ende. Es folgten Offensiven gegen Basra, die zweitgrößte Stadt Iraks im schiitischen Süden und Sadr City, das riesige Armenviertel in Bagdad mit ca. 2 Mio. Bewohner – beides Hochburgen der Bewegung des prominenten Klerikers und Besatzungsgegner Muqtada al Sadr. Die Kampfhandlungen verlagerten sich später in die nördlichen Provinzen um Mosul und Baquba, wo sie bis heute anhalten.
Diese Offensiven waren oft von äußerster Brutalität und Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet und sie geschehen abseits jeglicher Öffentlichkeit.
Um die eigenen Verluste zu minimieren, setzen die USA bei ihren Offensiven immer mehr auf Angriffe aus der Luft und überlassen die Bodenkämpfe den irakischen Hilfstruppen. Während so bei der Offensive gegen Sadr City Tausende Anwohner durch Bomben und Granaten getötet oder verwundet wurden, hatten die Besatzer keinen einzigen Toten zu verzeichnen.

Truppenabzug in Sicht?

Nach der Unterzeichnung eines Truppenstationierungsabkommen scheinen die Tage der Besatzung nun gezählt. Nach dem Wortlaut des Vertrages müssten die USA bis Juni 2009 alle Kampftruppen aus irakischen Städten und bis Ende 2011 ihre gesamten Truppen aus dem Irak abgezogen haben. Damit wären die Pläne Washingtons weitgehend gescheitert. Sie sahen nicht zuletzt auch eine dauerhafte Stationierung eigener Truppen vor, für die bereits riesige, Militärbasen zu stark befestigten Kleinstädten mit allem Komfort ausgebaut wurden.
Die US-Regierung hat jedoch nie ernsthaft daran gedacht, ihr Vorhaben, das bereits mehr als 600 Milliarden Dollar verschlang, einfach aufzugeben. Für sie bedeutet der Pakt zunächst einen neuen formal-rechtlichen Rahmen für die Verlängerung der Besatzung, der das lästig gewordene UN-Mandat ersetzt, das bisher als völkerrechtliches Feigenblatt für die Präsenz der „Multinationalen Streitkräfte“ diente.

Das Abkommen ist kein Vertrag zwischen gleichen Partnern. Solange Zigtausende US-Soldaten der mächtigsten Armee der Welt im Land stehen, fehlt nicht nur die Grundlage zur freien Entscheidung. Es bleibt fraglich, ob das Abkommen nach internationalem Recht überhaupt gültig ist. Die irakische Seite hat vor allem auch keine Möglichkeiten, die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen Washingtons im Streitfall durchzusetzen. Das Abkommen bietet den USA ausreichend Interpretationsspielraum und kann jederzeit erweitert werden. Zudem stellt der Vertrag alle Verpflichtungen unter den Vorbehalt des „Rechts auf Selbstverteidigung“ – ein Recht, dass US-Regierungen seit jeher sehr großzügig auslegten. Das Abkommen geht auch über normale Stationierungsabkommen hinaus, da es den US-Truppen weiterhin militärische Operationen gegen ihre Gegner im Land gestattet.

Die Mehrheit der Iraker lehnte den Pakt ab. Viele sahen in den Zugeständnissen eine nachträgliche Legitimierung der Invasion. Das Parlament konnte der Vertrag daher nur mit großer Verzögerung und einem umfangreichen Kuhhandel mit „gemäßigten“ Parteien passieren.

Schon kurz nach Inkrafttreten wurde deutlich, dass die US-Kommandeure keinesfalls daran denken, nun ihre Kampftruppen in den Kasernen zu lassen. Sie sollen, wie die New York Times berichtete, auch über den Juni 2009 hinaus militärische Operationen durchführen, allerdings umetikettiert in „Trainings- und Unterstützungstruppen“. Probleme mit der irakischen Regierung erwarten sie dabei zu Recht keine. Auch diese bleibt nach wie vor auf die militärische Unterstützung der Besatzer angewiesen.
Die Pläne der US-amerikanischen Militärführung sehen vor, dass auch noch lange nach 2011 bis zu 70.000 Soldaten im Irak bleiben werden. Der alte und neue Pentagonchef Robert Gates stützt sich dabei auf eine breite überparteiliche Allianz im US-Kongress. Mit Ausnahme von Vietnam, so Gates, wäre schließlich jeder US-Militäroperation seit 1945 eine jahrzehntelange Präsenz von US-Truppen gefolgt. Dies entspricht durchaus auch den Absichten seines neuen Chefs: Barack Obama hat zwar versprochen, die „Kampftruppen“ innerhalb der ersten 16 Monate seiner Amtszeit abzuziehen, sprach dabei aber ebenfalls von der Notwendigkeit, eine Rest-Streitmacht im Land zu belassen.

Während die Militärführung nur sehr vorsichtige Truppenreduzierungen vornehmen möchte, strebt Obama einen raschen Abzug mehrerer Divisionen an, um mit ihnen die Stärke der US-Truppen in Afghanistan auf 60.000 verdoppeln zu können.
Hier dürfte er jedoch die Rechnung ohne den Wirt machen. Die USA haben das Land keineswegs in den Griff bekommen. Die Aktivitäten des nationalen, bewaffneten Widerstands gingen zwar zurück, besiegt ist er jedoch keinesfalls. Viele Gruppen halten sich bis zum Ende der US-Offensive offenbar nur zurück. Nicht ohne Grund sind immer noch weit mehr Soldaten und private Söldner im Irak als vor der »Surge«. Obama könnte daher bald gezwungen sein, entweder wieder mehr Truppen zu schicken oder auch den Rest schleunigst abzuziehen.

Wachsende politische Opposition

Unabhängig davon wie sich der militärische Aspekt der Besatzung entwickelt, sind die USA politisch mit ihren ehrgeizigen Plänen nicht vorangekommen. Auf politischer Ebene wird der Gegenwind immer schärfer. Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat – über Konfessionsgrenzen hinweg – die Nase offensichtlich gründlich voll von der Besatzung, der sektiererischen Politik der Regierung und religiösem Extremismus generell. Auf dieser Basis entstanden außerhalb und innerhalb der von den Besatzern geschaffenen Institutionen breite nationale Bündnisse, die alle wesentlichen Vorhaben erfolgreich blockieren. Dazu zählt insbesondere auch das neue Ölgesetz, das den Wiedereinstieg der Öl-Multis in die irakische Öl-Förderung ermöglichen soll. Selbst der irakische Premier trägt dieser Stimmung Rechnung, wie sich unter anderem in den Verhandlungen über das Stationierungsabkommen zeigte, das am Ende weit von dem entfernt war, was die US-Führung ursprünglich anstrebte.

Es besteht für Washington aktuell kaum Aussicht voranzukommen, ohne die mühsam errichtete Fassade eines souveränen, demokratischen Staates zu zerstören.

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Dieser Artikel erschien zuerst in Hintergrund – Das Nachrichtenmagazin Heft 2/2009


Quellen

Der Autor: Joachim Guilliard, geb. 1958, hat Physik studiert und ist in der Friedens- und Solidaritätsbewegung aktiv. Er befasst sich seit langem mit dem Nahen und Mittleren Osten, schwerpunktmäßig mit dem Irak, ist Verfasser zahlreicher Fachartikel zum Thema Irak und Mitherausgeber bzw. -autor mehrerer Bücher.

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