Die Amerikanisierung (West-)Europas
Dem gemeinsamen Sieg der Alliierten über den Faschismus folgte bald der Kalte Krieg. Der hatte seine Wurzeln im Streben der USA, Weltmacht zu werden. Dafür wurde auch Europa benutzt.

Wenn wir sehen, dass Deutschland gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diese Weise sollen sie so viele wie möglich töten. Aber Hitler will ich unter keinen Umständen siegen sehen. 1
In diesem Satz findet sich die einfachste Erklärung für das US-amerikanische Nachkriegsprogramm. Er stammt von Harry Truman, dem späteren 33. US-Präsidenten, der Washington von den Friedensverhandlungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in den Kalten Krieg führte.
Als Truman sich am 24. Juni 1941 dergestalt in einem Interview gegenüber der New York Times 2 äußerte, war er US-Senator für die Demokraten im Bundesstaat Missouri. Zwei Tage zuvor hatte die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfallen. Am 12. April 1945 übernahm er nach dem Tod von Franklin Roosevelt als dessen Stellvertreter die Präsidentschaft, die er bis Anfang 1953 innehatte. Unter Harry Truman nutzten die USA die sich ihnen darbietende historische Chance, die deutsche Aggression gegen die Sowjetunion für den eigenen Aufstieg zur Weltmacht auszuschlachten. Das Massensterben von Millionen Soldaten und Zivilisten focht sie dabei nicht an. Der oben zitierte Truman-Ausspruch suggeriert sogar das Gegenteil. Und die Schäden der auf Europas Schlachtfeldern ausblutenden Kriegsgegner kamen der US-Wirtschaft zupass. Wie der britische Ökonom Angus Maddison in seiner Quantifizierung darstellt, waren diese enorm. So sah sich die Sowjetunion im Jahr 1945 mit Verwüstungen konfrontiert, die 25 Prozent ihres Kapitalstocks zerstört beziehungsweise unproduktiv gemacht hatten; in Deutschland betrug diese Kennziffer 13 Prozent, in Großbritannien 3 Prozent. 3 Was die Industriekapazitäten anbelangte, so lagen diese in den USA unmittelbar nach dem Krieg, wenn man das Vorkriegsjahr 1937 mit 100 indexiert, bei 147, während für Deutschland die Ziffer 31 einen extremen Abstieg zeigt. Oder anders gesagt: Zwischen 1937 und 1948 stieg der Anteil der USA an der Weltproduktion von 41 auf 56 Prozent, während er für Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammengenommen von 27 auf 20 Prozent sank. 4 Dergestalt sah die Ausgangsposition für das „Amerikanische Jahrhundert“ aus. Bereits mitten im Krieg wurden dafür die finanzpolitischen Weichen gestellt.
Bretton Woods
Es begann in den Bergen von New Hampshire. Das im Jahr 1902 errichtete Mount Washington Hotel bildete den idealen Ort für ein wegweisendes Zusammentreffen. In pompösem und zugleich abgeschiedenem Rahmen begann am 1. Juli 1944 die Konferenz von Bretton Woods. Teilnehmer aus 44 Staaten schmiedeten an der Finanzarchitektur für die Nachkriegszeit. Neben den einladenden USA waren sämtliche Al- liierten – von Großbritannien über Frankreich bis zur Sowjetunion – sowie Brasilien, Indien und China beteiligt. Der Kriegslogik entsprechend, fehlten Deutschland, Japan und Italien. Präsidiert wurde die Konferenz von US-Finanzminister Henry Morgenthau, der in seiner Eröffnungsrede darauf hinwies, welches Potenzial die amerikanische Exportwirtschaft nach Kriegsende vorfinden könnte, vorausgesetzt, die finanzpolitischen Rahmenbedingungen würden es ermöglichen. Nach drei Verhandlungswochen waren diese gegeben. Die Gründungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds schufen die Strukturen für ein multilaterales Zeitalter. In den als Kapitalgesellschaften gegründeten Finanzinstitutionen sicherten sich die USA über die Beitragszahlung den entscheidenden Einfluss. Zusammen mit Großbritannien und einem weiteren, kleinen westeuropäischen Land (z. B. Belgien oder den Niederlanden) verfügten sie von Anfang an über die Stimmenmehrheit. 5 Der der Sowjetunion zugeteilte Kapitalbeziehungsweise Stimmanteil war zu gering, um auf Weltbank oder Währungsfonds entscheidenden Einfluss nehmen zu können. Dementsprechend sah Moskau von einer Ratifizierung ab und blieb außen vor.
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HANNES HOFBAUER Jahrgang 1955, österreichischer Autor und Verleger, u. a. für Analyse & Kritik, Konkret, Junge Welt oder Neues Deutschland, Ko-Geschäftsführer des Promedia Verlages Wien. Zum Thema hat er das Buch „Europa – ein Nachruf“ (Wien 2020, Promedia Verlag) veröffentlicht.
1 „If we see that Germany is winning we ought to help Russia and if Russia is winning we ought to help Germany, and that way let them kill as many as possible, although I don’t want to see Hitler victorious under any circumstances.“
2 https://www.nytimes.com/1941/06/24/archives/our-policy-stated-welles-says-defeat-of-hitler-conquest-plans-is. html?searchResultPosition=1
3 Angus Maddison, Economic Policy and Performance in Europe 1913–1970, London 1973, Kap. 10
4 Alexander W. Kirsanow, Die USA und Westeuropa. Ihre ökonomischen Beziehungen nach dem Zweiten
Weltkrieg, Berlin 1968, S. 21f.
5 UN Monetary and Financial Conference. Washington 1944, Annex B, S. 94