Kriege

Die neuen Skalpjäger. Wie Obamas Krieg aus jungen US-Soldaten brutale Mörder macht

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von THOMAS WAGNER, 10. September 2010 –

Die Sonne brennt erbarmungslos. Die Wüste scheint endlos. Der Mord gehört zum alltäglichen Geschäft. Blutige Trophäen aus Menschenhaut, Ohren oder anderen abgeschnittenen Körperteilen   zieren die Kluft mitleidloser Männer. Cormac McCarthys großer, gewalttätiger Roman „Die Abendröte im Westen“ (1) hat bei vielen seiner Lesern schieres Entsetzen ausgelöst. Doch die Wirklichkeit hat die Geschichten des gegenwärtig wohl sprachmächtigsten Romanciers der USA eingeholt. Schauplatz sind nicht die kargen Landschaften Arizonas oder Mexikos, sondern Afghanistan. Die Täter sind nicht heruntergekommene Skalpjäger, sondern Teile der regulären Besatzungstruppen der USA. Die Opfer sind keine Indianer, sondern afghanische Zivilisten.

Andrew H., Michael W., Jeremy M. und Adam W. sind vier der fünf Soldaten, die unter Mordanklage stehen.

Wie verschiedene Medien berichteten, sollen Soldaten einer Stryker-Panzereinheit aus dem Bundesstaat Washington an der US-Westküste, die für ein Jahr in den Süden Afghanistans, in die Provinz Kandahar entsandt worden waren, afghanische Zivilisten getötet und dann deren Körperteile als Trophäen mitgenommen haben – Finger- und Beinknochen, einen Zahn und einen Schädel. Das gehe aus Anklagepapieren hervor, die das US-Militär in Seattle veröffentlichte. Die Infanteristen sollen im Januar, Februar und Mai drei Afghanen mit Gewehren und Granaten getötet haben, ohne dass die Zivilisten für sie eine Bedrohung darstellten.

Wie aus Anklagedokumenten hervorgeht, die sueddeutsche.de nach eigenen Angaben vorliegen, wird dem 25 Jahre alten Sergeanten Calvin G. und dem 22-jährigen Specialist Jeremy M. vorgeworfen, während einer Patrouille „zwischen dem 1. Januar 2010 und dem 31. Januar 2010, vorsätzlich, Gul M. ermordet“ zu haben, „indem er eine Handgranate auf ihn warf und mit dem Gewehr auf ihn feuerte“. (2) Etwa um den 22. Februar 2010 habe er „mit Vorsatz Marach A. ermordet, indem er mit dem Gewehr auf ihn feuerte“. Und um den 2. Mai 2010 ermordete er dann angeblich Mullah A. mit einer Handgranate und Gewehrschüssen. An dem ersten Mord seien der 19-jährige Private First Class Andrew H., am zweiten der 29-jährige Specialist Michael W., am dritten der 21-jährige Specialist Adam W. beteiligt gewesen.

Verdacht auf Kriegsverbrechen

Zwölf Soldaten sind nun angeklagt worden, fünf von ihnen sollen an den Morden beteiligt gewesen sein. Im Fall eines Schuldspruches drohe ihnen lebenslange Haft oder in einigen Fällen auch die Todesstrafe, berichtete die Seattle Times am Donnerstag.

Der Fall wurde bekannt, als einer der Soldaten, Adam W., sich seinen Vorgesetzten offenbarte und diesen vom Drogenkonsum seiner Kollegen, Todesdrohungen gegen ihn und den Morden an afghanischen Zivilisten berichtete. Diese Aussagen sind nach Informationen des österreichischen Standard unter Eid getätigt worden und sind die Basis der Ermittlungen der US-Armee. (3)

Der Vater des Informanten W. habe einer AP-Meldung zufolge die Armee mehrfach über die Vorfälle informiert, ohne eine Reaktion erhalten zu haben. Er war von seinem Sohn aus Afghanistan per Brief über seine Gewissensnöte unterrichtet worden: „Es gibt hier keinen guten Menschen mehr“, habe der Soldat seinem Vater geschrieben.

Fünf der US-Soldaten stehen nun wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen vor Gericht, sieben weiteren Mitgliedern der 5. Brigade der 2. Infanterie Division werde unter anderem Drogenkonsum vorgeworfen. Das Haschisch, das die Soldaten rauchten, sollen sie vorher ihren Opfern entwendet haben. (4)  

Kill Team

Alle beschuldigten Soldaten pochen darauf, unschuldig zu sein. Sie hätten lediglich Angriffe abgewehrt. (5) Nach Medienberichten zeichnet sich ein juristisches Tauziehen ab. So erklärte der Verteidiger eines Soldaten, sein Mandant leide unter den Folgen von vier Gehirnerschütterungen und habe bei seinen Befragungen unter Medikamenteneinfluss gestanden. Darum wolle er beantragen, dass seine Aussagen im Verfahren nicht verwendet werden dürfen. Die Erkenntnisse der Ermittler beruhen dagegen auf eidesstattlichen Aussagen von Kameraden der Beschuldigten.

Insbesondere Sergeant Calvin G. ist für seine Brutalität berüchtigt gewesen. Er soll Kameraden Prügel angedroht und sie dazu gedrängt haben, einem toten Afghanen einen Finger abzuschneiden. Außerdem habe er nach seiner Ankunft auf der Forward Operating Base Ramrod im Westen der Stadt Kandahar gesagt, dass es seinen Erfahrungen im Irak zufolge sehr einfach sei, afghanische Zivilisten mit Granaten zu töten. (6) Anschließend soll er mit Jeremy M. und anderen Angehörigen seiner Einheit ein „Kill Team“ gebildet haben. Der Soldat Justin S. habe den Ermittlern später von etlichen abgeschnittenen Fingern berichtet, die G. ihm gezeigt habe. M. habe ihn gewarnt, wenn er nicht genauso enden wolle, müsse er „das Maul halten“.


Quellen:

(1) Die Abendröte im Westen. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996, (Blood Meridian, Or the Evening Redness in the West, New York: Vintage 1992 )

(2) http://www.sueddeutsche.de/politik/us-soldaten-in-afghanistan-mord-als-zeitvertreib-1.997751

(3) http://derstandard.at/1282979291790/US-Soldaten-sollen-zum-Spass-getoetet-haben

(4) http://derstandard.at/1282979291790/US-Soldaten-sollen-zum-Spass-getoetet-haben

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(5) Vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,716540,00.html

(6) http://www.sueddeutsche.de/politik/us-soldaten-in-afghanistan-mord-als-zeitvertreib-1.997751

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