Kriege

Gaza - Tödliche Hilfe per Fallschirm

Mit einer Luftbrücke hat Deutschland Hilfsgüter in den Gazastreifen geliefert: Die Pakete wurden aus den Flugzeugen abgeworfen. Ein fragwürdiges Unterfangen.

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Foto: hosnysalah; Foto: pixabay; Lizenz
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Ende Juli 2025 wurde aus Berlin eine „gute Nachricht“ verbreitet: Deutschland beteilige sich an einer Luftbrücke für Gaza, teilte Bundeskanzler Friedrich Merz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem jordanischen König Abdullah II. mit. Zwei Transportflugzeuge der Luftwaffe vom Typ A400M seien unterwegs nach Amman, um dort betankt und beladen zu werden, so Merz. Die Hilfsgüter würden über dem Gazastreifen abgeworfen.

Es handelte sich um das zweite Mal während des Gaza-Krieges, der am 7. Oktober 2023 begonnen hat, dass Hilfsgüter aus der Luft auf den Gazastreifen abgeworfen wurden. Israel blockiert die Lieferung von Hilfsgütern aus Ägypten und die israelisch-palästinensischen Grenzübergänge. Schon im März 2024 waren für zwei Wochen Hilfsgüter abgeworfen worden, auch damals war die Bundesluftwaffe dabei. Bei 39 Flügen wurden damals 316 Tonnen Hilfsgüter abgeworfen. 1

Hilfe vom Luftwaffenstützpunkt Al-Azraq, Jordanien

Ausgangspunkt für die Maschinen, die Hilfsgüter über dem Gazastreifen abwerfen, ist der jordanische Militärflughafen Muwaffaq Salti Luftwaffenstützpunkt in Al-Azraq. Der Hilfsgüterabwurf wird von Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) koordiniert. Im August beteiligten sich neben Deutschland auch Frankreich, Italien und Spanien an der Operation.

Journalisten können – in Koordination mit den jeweiligen Armeen – die Flüge begleiten. Sie versammeln sich auf dem Luftwaffenstützpunkt nahe Amman und haben während des Fluges Zeit, die Soldaten zu befragen. Dabei sind durchaus nachdenkliche Töne zu hören, wenn das verbrannte und zerstörte Küstengebiet unter den Maschinen auftaucht. Letztlich sei aber wichtig, dass man helfe, so der Konsens. Im Fall einer der deutschen Maschinen erklärt der eingesetzte Pilot nach dem Abwurf zufrieden: „Alle Pakete sind an vorgesehenen, menschenleeren Orten gelandet.“

Man wisse, „dass Luftabwürfe nur einen kleinen Beitrag zur Linderung des Leids der Menschen in Gaza leisten“, so Kanzler Merz. „Deshalb arbeiten wir weiterhin intensiv daran, dass die Hilfe auf dem Landweg zu ihnen gelangt.“ 2 Verteidigungsminister Boris Pistorius, oberster Dienstherr der eingesetzten Luftwaffen-Crews, meint: „Für viele Menschen in Gaza – darunter auch Kinder – geht es um das nackte Überleben.“ Israel müsse den uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe gewährleisten.

Die Verhinderung der humanitären Hilfe

Tatsächlich tut Israel gerade das Gegenteil. Organisationen der Vereinten Nationen, wie UNICEF, WFP, WHO, UNDP, UNIFEM 3 – um nur einige zu nennen – oder UNRWA (UN-Hilfswerk für paläs- tinensische Flüchtlinge) und das ICRC (Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Genf) berichten täglich über die großen Schwierigkeiten, eine Einfahrtgenehmigung in das Kriegsgebiet zu bekommen. Am ägyptisch-palästinensischen Grenzübergang Rafah warten auf der ägyptischen Seite Tausende Lastwagen, die mit rund 25 Tonnen pro Wagen weit mehr Hilfsgüter an die Bevölkerung bringen könnten als Abwürfe aus der Luft. Eine Flugzeugladung beträgt höchstens 14 Tonnen.

Israel, das sämtliche Grenzübergänge in den Gazastreifen kontrolliert, lässt die Fahrzeuge warten. Ab und zu werden Wagen durchgewunken, dann aber wieder gestoppt, weil angeblich eine Genehmigung fehlt. Oder sie bleiben stecken, weil die israelische Seite die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen nicht gewährleistet. Bombardierungen gehen weiter, während die Lastwagenfahrer versuchen, „den Luftangriffen, schlechten Straßen und Plünderungen“ auszuweichen, so die UN-Sprecherin Eri Kaneko auf eine Anfrage von ABC TV.

Fahrzeuge, die ohne Schutz in den Gazastreifen einfahren, werden häufig geplündert. Zudem sind die meisten der UN-Verteilstellen für die Hilfe von Israel zerbombt worden. Seit Beginn des Krieges hat Israel mehr als 360 humanitäre Mitarbeiter allein der UN-Organisation für die Unterstützung der Palästinenser (UNRWA) getötet. 4

Seit Beginn des Krieges wurden neben der zivilen Infrastruktur – unter anderem Schulen, Kliniken, Wohnhäuser, Kindergärten, Straßen –, die wichtigen Agrargebiete für den Gemüseanbau, Obstplantagen, Weideflächen für Ziegen, Schafe, Kühe, Werkstätten, Lebensmittelfabriken und vieles mehr gezielt und absichtlich von der israelischen Armee zerstört.

Tödliche Fracht per Fallschirm

Hilfsorganisationen bezeichnen die Abwürfe als ineffektiv, teuer und gefährlich. Die Abwürfe gelten als ungenau, die Verteilung sei nicht gewährleistet und die Mengen gering. Manche Paletten landen im Meer, andere bleiben in zerstörten Hausruinen hängen. Immer wieder kommen Menschen zu Tode oder werden schwer verletzt bei dem Versuch, etwas von den abgeworfenen Hilfsgütern zu ergattern.

Mohammad al Taban, der in Gaza lebt und für den katarischen Nachrichtensender Al Jazeera Berichte über den Alltag der Menschen verfasst, beschrieb Anfang August, wie die Paletten unter den gigantischen Fallschirmen über einem Zeltlager von Vertriebenen herunterschwebten. Weder er noch seine Nachbarn hätten den Mut aufgebracht, dorthin zu laufen, „denn in dem Moment, wo die Fracht auf dem Boden aufschlägt, beginnt der Kampf unter den Menschen“, die an die Hilfsgüter heranwollten. „Es ist fast immer gleich. In dem Moment, wo die Paletten aus den Flugzeugen abgeworfen werden, beginnt die Schießerei. Bewaffnete Banden warten dort, wo die Ladung aufschlägt, um sich die Hilfsgüter gewaltsam anzueignen. Wer zuerst kommt, wer zuerst schießt, der be- kommt Nahrungsmittel. Es sind nie diejenigen, die die Hilfe am meisten brauchen.“ Er habe Konserven, Kekse aus den Hilfspaketen auf dem Markt von Deir Al-Balah gesehen, wo sie für viel Geld verkauft würden.

„Das ist eine Entwürdigung“

Es gibt viele Aufnahmen von den verzweifelten, hungernden Menschenmassen, die sich auf die Paletten stürzen. Palästinensische Journalisten dokumentieren, wie Menschen auf der Suche nach Nahrungsmitteln ihr Leben riskieren – und es verlieren können. Der Nachrichtensender ABC hat mit diesem Material eine Reportage veröffentlicht, in der gezeigt wird, wie der Abwurf von Hilfspaketen über Gaza Menschen tötet. 5

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KARIN LEUKEFELD, geboren 1954, studierte Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften und arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als freiberufliche Korrespondentin im Nahen und Mittleren Osten für Printmedien und Hörfunk. Sie hat Bücher über die Kurden, den Irak und Syrien geschrieben sowie an einer TV-Dokumentation mit Markus Matzel über die Folgen abgereicherter Uranmunition im Irak mitgearbeitet. Sie hat zuletzt das Buch Krieg in Nahost – Geopolitik, Verwüstung, Widerstand und Aufbruch einer Region in der Reihe »WISSEN KOMPAKT« des Hintergrund-Verlages veröffentlicht.

1 https://www.auswaertiges-amt.de/en/newsroom/news/2729316-2729316 (englisch) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/2729310-2729310 (deutsch)
2 https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/video-kanzler-koenig-von- jordanien-2373196 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/kanzler- koenig-jordanien-2373190 (Video)
3 UNICEF: UN Kinderhilfswerk; WFP: Welternährungsprogramm; WHO: Weltgesundheitsorganisation; UNDP: Weltentwicklungsprogramm; UNIFEM: Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen
4 https://www.unrwa.org/newsroom/official-statements/statement-philippe- lazzarini-commissioner-general-unrwa-164th-session
5 »Gaza airdrops cause at least two Palestinian deaths«, https://www.youtube. com/watch?v=6_gbwvDQorI

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