Kriege

„Gott und die PKK haben uns gerettet“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Über die Offensive der Terrorgruppe Islamischer Staat gegen kurdische Gebiete des Irak und den kurdischen Widerstand –

Von NICK BRAUNS, 11. August 2014 –

Die Dschihadisten der Gruppe „Islamischer Staat« (IS), die nach der Einnahme von Mossul und weiterer irakischer Städte im Juni ein bis nach Syrien reichendes Kalifat ausgerufen haben, begannen Anfang August mit einer neuen Offensive. Diesmal stehen kurdische Siedlungsgebiete im Fokus der Gotteskrieger. Konkret handelt es sich um die sogenannten „umstrittenen Gebiete“, die sich offiziell noch außerhalb der kurdischen Autonomieregion befinden und über deren Anschluss laut irakischer Verfassung ein Referendum zu entscheiden hat. Fast zeitgleich mit dem Einmarsch des IS in Mossul hatten die kurdischen Peschmerga diese Gebiete einschließlich der Erdölstadt Kerkuk unter ihre Kontrolle gebracht.

Der aktuelle Vorstoß der Djihadisten zielt darauf, ein durchgehendes Gebiet von Mossul über die bereits Ende Juni eroberte turkmenische Stadt Tal Afar bis zur syrischen Grenze unter die Kontrolle des „Islamischen Staates“ zu bringen. Dies würde die Versorgungswege des IS in seinem grenzübergreifenden Kalifat und dessen faktischer Hauptstadt Rakka im Norden Syriens wesentlich erleichtern. Der IS eroberte seit Anfang August große Gebiete nördlich und westlich von Mossul einschließlich der Städte Sengal (Sindschar), Sumar und Karakosch. Auch der größte Staudamm des Irak 40 Kilometer nordwestlich von Mossul am Tigris fiel unter die Kontrolle der Dschihadisten, die zudem zwei weitere Ölfelder besetzten.

Vor allem Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten sind jetzt im Nordirak auf der Flucht vor den Gotteskriegern des IS. Nach der Vertreibung der Christen aus Mossul fliehen auch die Einwohner von Karakosch, der größten christlichen Stadt des Irak, die am 7. August vom IS eingenommen wurde. Nach Angaben des chaldäischen Patriarchen Louis Raphaël Sako sind 100 000 Christen vielfach zu Fuß auf dem Weg in Richtung der kurdischen Autonomiezone. Erneut auf der Flucht sind auch Zehntausende schiitische Turkmenen, die nach der Eroberung ihrer Stadt Tal Afar durch den IS Ende Juni nach Sengal geflohen waren. Die größte Bedrohung besteht indessen für die mehrheitlich ezidische Bevölkerung der an Syrien grenzenden Region Sengal.

Das Ezidentum ist monotheistische Religion, die vor über 4000 Jahren in Mesopotamien entstand und als ursprünglicher Glaube der Kurden vor der Islamisierung gilt. Es beruht teilweise auf dem altpersischen Kult des Zoroastrismus, vermischt mit einigen später hinzugekommenen islamischen und christlichen Elementen. Eziden gelten den Djihadisten als Ungläubige, „Teufelsanbeter“ und damit als vogelfrei. Wenn sie sich weigern, zum Islam zu konvertieren, dürfen sie aus dieser Sicht getötet werden. Laut ihrer Überlieferung waren die Eziden bereits 72 Massakern ausgesetzt. Zuletzt wurden im Jahr 2007 rund 700 Eziden bei zeitgleichen Autobombenanschlägen auf zwei Dörfer in Sengal von Djihadisten getötet. Ezidische Verbände warnen heute vor einem Völkermord an dieser religiösen Minderheit, die dort ihr Hauptsiedlungsgebiet mit wichtigen Heiligtümern hat. Von weltweit knapp einer Million Angehörigen dieser Glaubensrichtung leben 600 000 im Irak und hiervon die Mehrheit in Sengal.

Der Vormarsch des IS in das Stadtzentrum von Sengal und die umliegenden Dörfer löste eine Massenflucht aus. Insgesamt sind in Sengal nach UN-Angaben 200 000 Menschen geflohen, es gibt aber auch wesentlich höhere Schätzungen. Ein Teil der Flüchtlinge rettete sich in die 200 Kilometer entfernte kurdische Autonomieregion. Weitere 50 000 Menschen, die über keine Fahrzeuge verfügten, flohen in nahegelegene Berge, wo viele von ihnen seit über einer Woche bei glühender Hitze von über 45 Grad am Tag ausharren. „Es sind so viele Kinder und ältere Menschen gestorben, dass sie nicht mehr gezählt werden können“, berichtete der Reporter der Tageszeitung Rudaw, Barakat Issa, bereits vergangene Woche von den schrecklichen Szenen, die sich ihm dort boten. Die Djihadisten drohen den Eziden mit dem Tod, wenn diese nicht zum Islam konvertieren. Laut aktuellen Berichten aus der Region wurden mindestens 3000 Menschen massakriert. 5000 weitere, darunter 1500 Frauen und Mädchen seien verschleppt worden, meldet das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad am Freitag.

Flüchtlinge bestätigen Gräuelmeldungen

Ezidische Flüchtlinge bestätigten solche Gräuelmeldungen im Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten der Linken Ulla Jelpke, die sich derzeit auf einer Reise durch die kurdischen Gebiete der Türkei, des Irak und Syriens befindet. „Sie haben mir geschildert, wie ein Ehemann vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder von den IS-Banden geköpft wurde. Frauen werden in Brautkleider gesteckt und vergewaltigt.“ Auf Jelpkes Frage, wie die Flüchtlinge den Djihadisten entkommen konnten, antwortete ihr eine Ezidin: „Gott und die PKK haben uns gerettet. Die Guerillakämpfer waren die einzigen, die uns geholfen haben.“

In den meisten deutschen Medien wird diese Rolle, die die normalerweise mit den Attributen „terroristisch“ und „verboten“ versehene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bei der Rettung der Eziden spielt, weitgehend ignoriert. Wenn überhaupt, ist von „kurdischen Truppen aus der Türkei“ die Rede. Mehrere hundert Guerillas der PKK waren zwei Tage nach Beginn der IS-Angriffe auf die Eziden nach Sengal gekommen, um der von den Peschmerga von Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (KDP) im Stich gelassenen Zivilbevölkerung beizustehen. Offenbar hatte die mit der KDP konkurrierende Patriotische Union Kurdistans (PUK) den mit Bussen aus ihren Camps in den Kandil-Bergen nahe der iranischen Grenze anreisenden Angehörigen der PKK-Volksverteidigungseinheiten (HPG) und ihrer Frauenguerilla YJA-STAR dazu freies Geleit durch die von ihr regierte Provinz Sulaymania gegeben.

Aus dem Rojava genannten kurdischen Selbstverwaltungsgebiet im Norden Syriens überquerten zudem die dortigen, im jahrelange Kampf gegen die Djihadisten erprobten Milizen der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) die Grenze in den Irak. Gemeinsam mit verbündeten arabischen Stämmen und assyrischen Milizen befreiten sie zuerst die von den KDP-Peschmerga den IS-Banden überlassene Grenzstadt Rabia. Anschließend kämpften sie einen Fluchtkorridor zwischen den Sengal-Bergen und dem Grenzübergang Til Kocer bei Rabia frei. Bis zum Wochenende konnten so über 20 000 Menschen nach Rojava in Sicherheit gebracht werden, wo sie jetzt in großen Flüchtlingslagern leben. Alleine im Newroz-Camp in der Stadt Derik befinden sich 15 000 Flüchtlinge. Allerdings leiden die Menschen auch dort an Lebensmittel- und Medikamentenmangel. Der Kanton Cizîre, in welchem sich das Flüchtlingscamp befindet, ist selbst einem wirtschaftlichem Embargo durch die Türkei und die Barzani-Regierung ausgesetzt und wird von syrischer Seite her von den Banden des IS attackiert, sodass es an der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung nicht nur für die Flüchtlinge sondern für die gesamte Bevölkerung des Kantons mangelt. Bislang verweigert die UN mit ihrem Flüchtlingshilfswerk UNHCR allerdings solche Hilfe, da die Selbstverwaltung von der Staatengemeinschaft nicht offiziell anerkannt ist. Und die KDP blockiert zudem die wenigen Hilfsgüter, die von Hilfsorganisationen über die Grenze von Semalka in die Cizîre gebracht werden sollen, etwa Ladung Zelte der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze.

Nach dem Vorbild der YPG wurde mit dem Aufbau von Sengal-Verteidigungseinheiten begonnen. Schnell fanden sich Hunderte junge Eziden in diesen Einheiten ein und nahmen aktiv den Kampf gegen den IS auf. Da solche Verteidigungseinheiten nicht plötzlich vom Himmel fallen, ist davon auszugehen, dass YPG und PKK bereits in den letzten Monaten Ausbilder in die Region geschickt haben, um die Gründung solcher Milizen bereits im Untergrund vorzubereiten. Bereits nach den Anschlägen von Djihadisten im Jahr 2007 sollen PKK-Ausbilder Eziden in Sengal in Selbstverteidigung geschult haben.

PKK-Guerillaeinheiten übernahmen zudem den Schutz eines 40 Kilometer von Erbil entfernt gelegenen Flüchtlingslagers bei der Stadt Mahmur. In dem Lager leben seit den 90er Jahren rund 13.000 Kurden aus der Türkei, die von der türkischen Armee aus ihren Dörfern vertrieben wurden. Jetzt wurden sie nach Erbil evakuiert, wo sie in einem Stadtpark campieren müssen. Bis zum Montag gelang es den in Mahmur vereinten kurdischen Kräften aus PKK, YPG sowie Peschmerga der Parteien KDP, PUK und Goran und örtlichen Selbstverteidigungskräften, den IS aus dieser strategisch wichtigen Stadt auf halber Strecke zwischen Mossul und Kerkuk zurückzudrängen. Von Mahmur aus wäre ein Angriff auf Erbil möglich. Das nächste Ziel des IS sei die erst im Juni unter Kontrolle der Peschmerga gekommene Stadt Kerkuk mit ihren riesigen Ölfeldern, warnte die Ko-Vorsitzende des Kurdistan-Nationalkongresses Nilüfer Koc in einem Telefonat aus Erbil. Um die Verteidigung von Kerkuk zu verstärken trafen hier am Sonntag Guerillaeinheiten der PKK ein, die von der Bevölkerung und Peschmerga der PUK jubelnd willkommen geheißen wurden. Die PKK hat deutlich gemacht, dass sie bereit ist, mit ihrer Guerilla die kurdische Autonomieregion und die kurdischen Siedlungsgebiete im Nordirak zu verteidigen. Jetzt fordert sie die Bildung einer gemeinsamen Verteidigungsfront mit den Peschmerga.

Barzanis Verrat an den Eziden

Möglich wurde der jetzige Vorstoß des IS in die kurdischen Gebiete nur durch den Rückzug der Peschmerga. Die in Sengal stationierten Peschmerga der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) des kurdischen Präsidenten Masud Barzani hatten sich trotz zahlenmäßiger Überlegenheit in die Berge oder über die syrische Grenze nach Rojava zurückgezogen und die Zivilbevölkerung schutzlos zurückgelassen. Die Meinungen gehen auseinander, ob es sich hierbei um eine Kapitulation der kurdischen Truppe handelt oder – wie die kurdische Regierung verlauten ließ – lediglich um einen „taktischen Rückzug“ bis zum Eintreffen von Verstärkung und schweren Waffen. Angesichts des in westlichen Medien verbreiteten Bildes der Peschmerga – der Name bedeutet „Die dem Tod ins Auge sehen“ – als kampferprobter Eliteeinheiten mag der scheinbare Zusammenbruch der kurdischen Verteidigung erstaunen. Doch bei den heutigen Peschmerga handelt es sich nicht mehr um die heroischen Bergkrieger, die sich einen jahrzehntelangen Partisanenkampf mit der Bagdader Zentralregierung lieferten, sondern um Söldnertruppen der Regierungsparteien KDP und PUK.

Viele Kurden sind indessen nicht bereit, an einen taktischen Fehler der Peschmerga zu glauben. „Was in Sengal geschieht, ist kein Zufall, sondern ein militärisches Komplott zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und den IS-Terroristen gegen die Eziden“, heißt es so in einer Protestresolution von Frauenorganisationen aus Rojava. Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, die den von der Führung der KDP angeordneten Rückzug der Peschmerga als vorsätzlicher Verrat erscheinen lassen. Da die Bedrohung der Eziden durch die Djihadisten absehbar war, hatte die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bereits im Juni der kurdischen Regierung angeboten, einige ihrer Guerillakräfte nach Sengal zu schicken. Doch Barzani hatte sich dagegen ebenso gesperrt wie gegen den Ruf der Bevölkerung nach einer Aufstockung der Peschmerga in den ezidischen Siedlungsgebieten. Die Peschmerga hätten die Offensive des IS auf Sengal regelrecht heraufbeschworen, indem sie grundlos ihre Stellungen verlassen hatten, beschuldigen nun Flüchtlinge die KDP. Als Dorfbewohner die abziehenden Peschmerga darum baten, ihnen Waffen zum Selbstschutz dazu lassen, nahmen diese ihnen stattdessen auch noch die wenigen eigenen Waffen ab. Die KDP-Peschmerga „taten nichts, sie rannten davon“, zitiert die Nachrichtenagentur Firat eine zum Grenzübergang nach Rojava geflohene ezidische Frau namens Aysha, die die Peschmerga beschuldigte, der Bevölkerung auch noch Geld und Schmuck geraubt zu haben. „Die Peschmerga töteten zwei Dorfbewohner vor unseren Augen, fügte eine andere Frau, Naam Seydo, hinzu. „Sie haben uns nicht geschützt, sondern getötet.“ Eine Reihe von Peschmerga – insbesondere aus den Reihen der mit der KDP konkurrierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) verweigerte allerdings den Rückzugsbefehl. Diese Peschmerga kämpfen nun an der Seite der den Eziden zur Hilfe gekommenen Volksverteidigungseinheiten YPG aus Rojava und der PKK-Guerilla gegen den IS.

Zu den Motiven der KDP für den kampflosen Rückzug ihrer Peschmerga aus Sengal und der Grenzstadt Rabia gibt es verschiedene Erklärungsversuche. So fordert die kurdische Regierung seit Langem schwere Waffen von den USA. Doch Washington verweigert diese Bitte bislang unter Rücksichtnahme auf die Bagdader Zentralregierung, um Alleingänge seiner kurdischen Schützlinge zu unterbinden. Ein solcher Alleingang wäre ein von Barzani für die nächsten Monate angekündigtes Referendum über die Ausrufung eines unabhängigen kurdischen Staates. Mit der Kontrolle über die Erdölfelder von Kerkuk bestünde die ökonomische Basis für einen solchen Staat, dem es allerdings angesichts der feindlichen Haltung sowohl von Bagdad als auch Teheran gegenüber den kurdischen Unabhängigkeitsambitionen an Möglichkeiten der effektiven Verteidigung mangeln würde.

Es könnte also das Ziel von Barzani gewesen sein, eine Situation heraufzubeschwören, in der die USA die Aufrüstung der rund 200 000 Peschmerga mit modernen Waffen nicht mehr verweigern kann. „Das Pentagon sollte die Peschmerga stärken, indem es moderne Waffen liefert“, erklärte der Vertreter der Kurdischen Regierung in den USA, Karwan Zebari. „Das muss heute passieren, denn es hätte schon gestern getan werden müssen.“ Entsprechende Waffen lagern in NATO-Depots in der Türkei und könnten in kürzester Zeit den Kurdenkriegern übergeben werden. Bereits Anfang August wurden am Flughafen von Erbil schwere Waffen entladen und an Peschmerga-Einheiten übergeben. Es scheint sich dabei allerdings nicht um US-Waffen zu handeln, vielmehr lieferte Washington in den letzten Tagen lediglich weitere Handfeuerwaffen und leichte Artillerie.

Es ist noch ein weiteres Motiv hinter dem Rückzug der Peschmerga erkennbar, das sich aus der Feindschaft Barzanis gegenüber der unter Kontrolle von Volksräten stehenden kurdischen Selbstverwaltungsregion Rojava in Nordsyrien ergibt. Sollte der IS Sengal und die Grenzstadt Rabia unter seine Kontrolle bringen, könnte er seine bislang von den YPG abgewehrten Angriffe auf Rojava nun auch von irakischem Territorium aus intensivieren. Nicht auszuschließen ist auch, dass Barzani so versucht, die PKK-Guerilla aus den nahezu uneinnehmbaren Kandil-Bergen im irakisch-iranischen Grenzgebiet zu locken, um sie durch Gefechte mit dem IS zu schwächen und anschließend zu entwaffnen. Letzteres ist eine zentrale Forderung der türkischen Regierung an die kurdische Administration. Sollten die USA den Peschmerga der KDP nun doch schwere Waffen einschließlich Panzer zur Verfügung stellen, so könnten diese zukünftig auch gegen die PKK oder die Selbstverwaltung in Rojava eingesetzt werden, heißt es unter der Hand warnend aus PKK-Kreisen.

Barzani scheint sich allerdings verrechnet zu haben. Während das Ansehen des kurdischen Präsidenten durch die faktische Kapitulation seiner Peschmerga gelitten hat und nun selbst ein Angriff der Djihadisten auf die Hauptstadt Erbil nicht mehr ausgeschlossen wird, feiern die Eziden YPG und PKK als Retter. „Die Genossen der Guerilla retteten uns. Ohne sie wären wir alle in den Bergen gestorben.“

Scheitern der US-Politik im Irak

US-Präsident Barack Obama hatte in der Nacht zum Freitag Luftangriffe gegen den IS genehmigt. Sollten die „barbarischen“ IS-Milizen weiter auf die Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion Erbil vorrücken, sollte es zum Schutz von US-Bürgern im Irak „gezielte Schläge“ auf IS-Konvois geben. Den Einsatz von Bodentruppen schloss der US-Präsident, der mittlerweile auch von einem erneuten längerfristigen militärischen Engagement seines Landes im Irak spricht, kategorisch aus. Es sollten aber weitere US-Militärberater für die irakischen Streitkräfte geschickt werden. „Die USA können und sollen nicht jedes Mal intervenieren, wenn es auf der Welt eine Krise gibt“, erklärte Obama, doch hier gelte es, „ein Massaker zu verhindern“.

Mit Kampfdrohnen wurden in den letzten Tagen nach Angaben der US-Regierung mehrere Artilleriestellungen der Djihadisten ausgeschaltet. Da sich die IS in zivilen Städten und Dörfern verschanzen, besteht dabei die Gefahr, dass diese von Kampfdrohnen geflogenen Luftangriffe im Irak wie schon in Pakistan und Afghanistan zu unzähligen zivilen „Kollateralschäden“ führen. Auch wenn die Luftangriffe von der kurdischen und irakischen Regierung begrüßt werden, sind sie doch ein eher hilfloses Signal für das völlige Scheitern der Irak-Politik der USA. Die US-Regierung hatte durch den Sturz des Baath-Regimes und die nachfolgende Unterstützung der sektiererisch gegenüber den Sunniten agierenden schiitischen Maliki-Regierung schließlich erst den Boden für die jetzige Situation bereitet. Es sind zudem die engsten Verbündeten der USA – der NATO-Staat Türkei und die Golfmonarchien – die djihadistische Gruppen wie den IS seit Jahren unterstützten. Saudi-Arabien und Kathar finanzieren und bewaffnen die sunnitischen Djiahdisten im Kampf gegen die syrische Baath- und die Maliki-Regierung im Irak. Viele Waffen des IS stammen zudem aus von den USA und ihren Verbündeten vorgenommenen Waffenlieferung an sogenannte gemäßigte Teile der syrischen Opposition, die sich entweder später dem IS angeschlossen haben oder diesem zumindest freiwillig oder unfreiwillig ihre Waffen überließen.

Die Türkei als wichtigstes Durchreiseland internationaler Djihadisten nach Syrien erlaubt dem IS und der zu Al Qaida gehörenden Al Nusra Front, von türkischem Territorium aus gegen die kurdische Selbstverwaltung in Rojava sowie syrische Regierungstruppen zu agieren. Verwundete Djihadisten lassen sich in türkischen Krankenhäusern versorgen. Im Juli flogen zuletzt Dutzende kaukasische IS-Kämpfer mit Turkish Airlines in die Türkei, um geleitet vom türkischen Geheimdienst MIT die Grenze nach Syrien zu überquerten. Nach Angaben von Oppositionsparteien und Menschenrechtsorganisationen unterhält der über den MIT auch mit Waffen und Logistik versorgte IS sogar Ausbildungscamps auf türkischem Boden. Sollten die US-Regierung und ihre NATO-Verbündeten den IS ernsthaft bekämpfen wollen – und das ist arg zu bezweifeln – dann müssten sie in erster Linie die über die Türkei und die Golfstaaten laufende Unterstützung für die terroristischen Gotteskrieger verhindern. Solange dies nicht geschieht, bleibt jedes weitere Engagement der USA gegen den IS, der letztlich ein außer Kontrolle geratenes Geschöpf ihrer imperialistischen Nahostpolitik ist, unglaubwürdig und ineffektiv.

Washingtons Verbündeter Barsani suggeriert zwar Entschlossenheit im Kampf gegen den IS: „Wir haben beschlossen, die Terroristen bis zum letzten Atemzug zu bekämpfen“, kündigte Barzani bereits am vergangen Montag eine Offensive an und versprach, man werde „keinen Meter kurdischen Bodens opfern und unsere ezidischen Brüder und Schwestern verteidigen“. Doch während Barzani-nahe Medien wie der Sender Rudaw falsche Siegesmeldungen über angebliche Erfolge der Peschmerga in Sengal und bei Mossul verbreiten, rückten die IS-Kämpfer immer weiter an die kurdische Autonomiezone heran. Am Montag fiel zudem die kurdische Stadt Jalawa bei Xanequin an den IS.

So beweisen sich die Volksverteidigungseinheiten YPG aus Rojava, die bereits seit zwei Jahren dem Ansturm der Djihadisten auf die Selberverwaltungsregion erfolgreich abwehren, und die PKK-Guerilla derzeit als einzige effektive Kraft, um dem Vormarsch der Djihadisten erfolgreichen Widerstand entgegen zu setzten. Doch die PKK wird auf den Terrorlisten von USA und EU geführt und eine Listung ihrer Schwesterorganisationen aus Rojava wird derzeit von Washington geprüft.

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