Kriege

"In Waffen zu investieren, ist völlig falsch"

Deutliche Kritik an der geplanten Aufrüstung übt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck. Er hält die Schuldenaufnahme für staatliche Investitionen für notwendig. Aber wenn das Geld in die Rüstung gehe, werde es unproduktiv eingesetzt. Im Gespräch mit TILO GRÄSER erklärt er seine kritische Sicht.

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Foto: stuffwithkids; Foto: pixabay; Lizenz
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HINTERGRUND Herr Flassbeck, wie bewerten Sie die beschlossenen 500 Milliarden Euro Sondervermögen, hauptsächlich für Aufrüstung und Infrastruktur-Investitionen, für die selbst das Grundgesetz und die von Ihnen kritisierte Schuldenbremse aufgeweicht wurde?

HEINER FLASSBECK Im Prinzip geht es in die richtige Richtung, vergleicht man mit dem, was die CDU in ihrem Wahlprogramm stehen hatte, dass nämlich Einnahmen und Ausgaben des Staates ausgeglichen werden sollen. Jetzt werden wenigstens Schulden gemacht. 500 Milliarden Euro hört sich viel an, sind aber gar nicht so viel, weil das über zehn Jahre oder noch mehr gestreckt wird. Und dann ist man bei einer Summe, die noch nicht einmal dem entspricht, was als Bedürfnis an öffentlichen Investitionen jährlich genannt wurde, nämlich 60 bis 70 Milliarden. Dann sind wir bei 50 Milliarden vielleicht. Das reicht nicht aus.

Grundsätzlich muss man begreifen, dass Länder wie Deutschland und Frankreich viel mehr öffentliche Schulden brauchen. Ich muss das so deutlich sagen. Insbesondere Deutschland ist in einer Situation, wo derzeit ein fundamentaler Umschwung in der Wirtschaft erfolgt. Die Außenwirtschaftsüberschüsse verschwinden. Wegen Trump und anderer Dinge in der Welt können die Exportüberschlüsse nicht so bleiben, wie sie sind. Exportüberschüsse bedeuten Verschuldung des Auslandes. Fällt die weg, braucht man andere, die sich verschulden. Das verstehen leider in Deutschland weder die Politiker noch die Menge des Publikums. Und warum muss man sich verschulden? Weil Menschen sparen, weil so unendlich viel gespart wird. In Deutschland werden jedes Jahr um die 300 Milliarden Euro von den privaten Haushalten gespart. Und dazu kommen nochmal 40 bis 50 Milliarden, die die deutschen Unternehmen per Saldo sparen. Um diese 350 Milliarden muss sich jemand verschulden, sonst ist die Wirtschaft tot.

Wenn man den Zusammenhang nicht begreift, begreift man nichts, und dann kann man auch nichts einordnen. Also brauchen wir 350 Milliarden neue Schulden jedes Jahr, um die Nachfrage-Lücke, die durch das Sparen gerissen wird, zu schließen. Bisher hat sich das Ausland mit 250 Milliarden Euro verschuldet, das wird
jetzt nicht mehr funktionieren. Die deutschen Überschüsse sinken schon deutlich, und deswegen muss der Staat diese Lücke füllen. Es gibt niemand anderes. Früher haben das mal die Unternehmen gemacht, aber wie gesagt, jetzt sind die Unternehmen selbst Sparer. Es funktioniert so nicht. Insofern sind 500 Milliarden Euro für zehn Jahre überhaupt nicht viel.

HINTERGRUND Wie ist denn dieser Begriff Sondervermögen zu verstehen? Eigentlich geht es da ja um Schuldenaufnahme. Es wird aber von Sondervermögen geredet.

FLASSBECK Das sind Sonderschulden, aus denen dann Sondervermögen werden soll. Das ist aber, wie gesagt, vollkommen in Ordnung. Der Punkt ist: Wir müssen uns über die Dimension der ökonomischen Aufgabe des Staates in diesem Land klar werden. Wenn wir das nicht klarkriegen, dann ist alles andere Schall und Rauch.

HINTERGRUND Jene, die gegen Schulden sind, sagen, das müssten die nachfolgenden Generationen bezahlen. Wer bezahlt diese Schulden, die da aufgenommen werden?

FLASSBECK Bezahlen tut das überhaupt niemand. Die folgenden Generationen erben die Schulden, auch die Schuldscheine. Die Sparer wollen ihr Geld loswerden, also geben sie es dem Staat und bekommen den Anspruch auf die Anleihe. Die Kinder der Sparer erben auch diese Scheine, die Staatstitel. Bei deren Vermögen ändert sich also gar nichts. Mit Generationenbelastung hat das überhaupt nichts zu tun. Es ist einfach glatter Unsinn. Es ist gewissermaßen ein Verstoß gegen das Buchhaltungs-Einmaleins, wenn man das sagt. Aber fast jeder sagt es. Aber es ist trotzdem fundamental falsch.

HINTERGRUND Wer hat ein Interesse daran, dass das so unkorrekt dargestellt wird?

FLASSBECK Das frage ich mich auch. Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Wer hat denn Interesse daran? Da müssen wir schauen, wer das immer sagt. Ich habe gerade einen Artikel mit dem Titel geschrieben „Warum sind die Unternehmer nur so dumm?“ 1. Unternehmerverbände setzen das Generationen-Narrativ in die Welt und begreifen nicht, dass sie sich selbst schaden. Wenn es keine Schulden gibt, geht es den Unternehmen schlecht. Wie gesagt, früher in den 60er Jahren, im „Wirtschaftswunderland“, da haben die Unternehmen selbst die Schulden gemacht und die Zinsen erwirtschaftet. Aber heute tun sie das nicht mehr, und niemand weiß, wie man sie wieder dahin kriegt. Wenn sie es nicht tun, muss der Staat Schulden machen. Diese einfachen Zusammenhänge begreifen deutsche Unternehmer nicht.

Folglich reden Unternehmensverbände ungeheuren Blödsinn. So fordert der Metallverband, das Sozialbudget um fünf Prozent zu streichen. Was passiert denn mit den fünf Prozent gestrichenen Geldern? Die tauchen nicht mehr bei den Unternehmen auf, weil die Leute, die da getroffen werden, weniger einkaufen. Die hungern eben oder kaufen sich weniger Möbel oder sonst irgendwas. Wer leidet denn darunter? Wieder deutsche Unternehmen. Es hat mit wirtschaftlichen Interessen oder der Cui-Bono-Frage überhaupt nichts zu tun. Es ist einfach Dummheit, die da vorherrscht. Und leider muss ich sagen: Die deutschen Volkswirte unterstützen diese Dummheit, weil sie einfach nicht gesamtwirtschaftlich denken können.

Das vollständige Interview mit Heiner Flassbeck lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 11/12 2025 unseres Magazins, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

PROF. DR. HEINER FLASSBECK (Jg. 1950) studierte Volkswirtschaft in Saarbrücken von 1971 bis 1975 und wurde 1987 an der FU Berlin promoviert. Seit 2005 ist er Honorarprofessor an der Universität Hamburg. Er arbeitete von 1976 bis 1980 im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und danach sechs Jahre im Bundesministerium für Wirtschaft. Im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin war er von 1988 bis 1998 Leiter der Abteilung Konjunktur. Im Jahr 1998 wurde Flassbeck zum beamteten Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen ernannt. Von August 2003 bis Dezember 2012 war er bei UNCTAD in Genf Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien. Er ist Autor vieler Bücher. Sein letztes Buch, Grundlagen einer relevanten Ökonomik, erschien 2024 im Westend Verlag. Mit Friederike Spiecker zusammen hat er zweimal einen Atlas der Weltwirtschaft herausgebracht (2020 und 2022). Er schreibt regelmäßig zu aktuellen Fragen auf www.Relevante-Ökonomik.com.

1 https://www.relevante-oekonomik.com/2025/08/26/ warum-sind-die-unternehmer-nur-so-dumm/

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