Kriege

Israel bereitet den Weg zum Töten per Fernbedienung

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von JONATHAN COOK, 5. August 2010 –

Es wird “Spot and Shoot” (erkenne und schieße!) genannt. Der Operateur sitzt vor einem Fernsehmonitor, von dem aus man die Aktion mit einem Joystick nach Art einer Playstation kontrollieren kann.

Das Ziel ist: zu töten.

„Gespielt“ wird dies von jungen Frauen, die in der israelischen Armee dienen.

Spot and shoot, wie es von der israelischen Armee genannt wird, mag wie ein Videospiel aussehen, die Figuren auf dem Schirm sind aber wirkliche Menschen – Palästinenser im Gazastreifen – die mit dem Druck auf einen Knopf am Joystick getötet werden können.

Soldatinnen sind die bevorzugten “Killer am Joystick”, so kann der Mangel an männlichen Rekruten in Israels Kampfeinheiten ausgeglichen werden. (Foto: The National)

Die Soldatinnen, die weit weg in einem Operationsraum sitzen, sind verantwortlich fürs Zielen und Abschießen der aus der Ferne kontrollierten Maschinengewehre, die in einem der Beobachtungstürme alle paar hundert Meter entlang des Elektrozauns stehen, der den Gazastreifen umgibt.

Das System ist eines der letzten Geräte für „Entferntes Töten“, das von der israelischen Rüstungsfirma Rafael entwickelt wurde, der früheren Waffenforschungsdivision der israelischen Armee. Jetzt ist es eine separate Regierungsfirma.

Nach Giora Katz, Rafaels Vizepräsident, ist die aus der Ferne kontrollierte militärische Hardware wie „Spot and Shoot“ die Waffe der Zukunft.  Er erwartet, dass innerhalb eines Jahrzehnts wenigstens ein Drittel der Maschinen, die von der israelischen Armee benützt werden, um Land, Luft und Wasser zu kontrollieren, unbemannt ist.

Der Wunsch nach solchen Geräten  ist zum einen durch eine geringere Rekrutierung von Soldaten angefacht worden und zum anderen dadurch, dass die Bevölkerung weniger bereit ist im Kampf den Tod zu riskieren, gibt das Militär zu.

Oren Berebbi, Chef der Technologiebranche, sagte vor kurzem einer US-amerikanischen Zeitung: „Wir versuchen jetzt überall auf dem Schlachtfeld, mit unbemannten Fahrzeugen auszukommen … wir können immer mehr Aufträge erfüllen, ohne das Leben von Soldaten  zu gefährden.“

Der schnelle Fortschritt mit dieser Technologie hat bei der UN Alarm ausgelöst. Philip Alston, ihr Sonderberichterstatter über außergerichtliche Tötungen, warnte letzten Monat vor der Gefahr, dass eine „Play-Station-Mentalität zum Töten“ sich schnell entwickeln könnte.

Doch Analytikern zufolge ist es unwahrscheinlich, dass Israel sich von der Hardware abwendet, die sie gerade entwickelt – und dabei die besetzten palästinensischen Gebiete, besonders den Gazastreifen als Testlabor benützt.

Aus der Ferne kontrollierte Waffensysteme werden von unterdrückerischen Regimen und der expandierenden Sicherheitsindustrie rund um den Globus verlangt.

Diese Systeme sind noch im Anfangsstadium der Entwicklung, aber es gibt für sie einen großen und wachsenden Markt,“ sagt Shlomo Brom, ein General im Ruhestand und Verteidigungsanalytiker am Institut der nationalen Sicherheits-Studien an der Tel Aviver Universität.

Das Spot und Shoot-System – offiziell bekannt als Sentry Tech – hat vor allem deshalb große Anziehungskraft, weil es von 19- und 20-jährigen Soldatinnen bedient wird. Es wird so zum einzigen Waffensystem, das nur von Frauen gehandhabt wird.

Soldatinnen werden bevorzugt, diese Geräte zum  Töten aus der Ferne zu bedienen, weil es in Israels Kampfeinheiten einen Mangel an Rekruten gibt. Junge Frauen können diese Aufgaben erfüllen, ohne dass das soziale Tabu, ihr Leben zu riskieren, gebrochen wird, sagt Herr Brom.

Die Frauen sollen jeden, der sich dem Zaun rund um Gaza verdächtig nähert, ermitteln und – wenn ein  Offizier es autorisiert – ihn mit ihrem Joystick exekutieren.

Die israelische Armee, die diese Technologie entlang Israels anderen Konfrontationslinien einzuführen plant, weigert sich, zu sagen, wie viele Palästinenser im Gazastreifen schon durch diese ferngesteuerten Maschinengewehre getötet worden sind. Nach Angaben der israelischen Medien werden es jedoch mehrere Dutzend sein.

Das System wurde vor zwei Jahren allmählich zur Überwachung eingeführt, die Operateure sind aber erst seit kurzem in der Lage, damit zu schießen. Die Armee gab zu, im Dezember Sentry Tech angewendet zu haben und damit wenigstens zwei Palästinenser mehrere hundert Meter hinter dem Zaun getötet zu haben.

Die israelische Zeitung Haaretz, die einen selten gewährten Zugang zu einem Sentry Tech-Kontrollraum erhielt, zitierte den 20-jährigen  Soldaten Bar Keren, der letzte Woche sagte: „Es ist sehr verführerisch, derjenige zu sein, der dies tut. Aber nicht jeder möchte diese Arbeit tun. Es ist keine einfache Sache, einen Joystick wie diesen von einer Sony Play-Station zu nehmen und zu töten. Aber letzten Endes ist es ja zur Verteidigung.“

Mittels Audio-Sensoren auf den Beobachtungstürmen können die Frauen den Schuss hören, wenn er “das Ziel” tötet. Keine Frau hat bis jetzt ihre Aufgabe des Schießens auf „belastete“ Palästinenser verfehlt. Das israelische  Militär, das ein nicht gekennzeichnetes Niemandsland innerhalb des Zaunes festlegt welches ca. 300 Meter weit in die schmale Enklave hineinragt, ist von vielen Seiten dafür kritisiert worden, dass es auf  Zivilisten in der  militärisch „geschlossenen“ Zone  das Feuer eröffnet.

Von der Firma Rafael wird berichtet, dass sie eine Version des Sentry Tech entwickelt, die Raketen auf größere Entfernungen abfeuern kann.

Etwas anderes wurde kürzlich für die israelische Armee entwickelt: ein gepanzerter Roboterwagen, der ein Gebiet mit bis zu 80 Stundenkilometern kontrollieren, durch Städte fahren, Überfälle ausführen und auf Ziele schießen kann. Er patrouilliert jetzt an der israelischen Grenze zu Gaza und dem Libanon.  Die israelischen Entwickler, G-nius, haben ihn den ersten „Robotersoldaten“ genannt.

Doch Israel ist am besten für seine Rolle bekannt, „unbemannte Flugapparate“ zu entwickeln – oder Drohnen, als die sie jetzt bekannt geworden sind. Ursprünglich waren sie fürs Spionieren gedacht und wurden zuerst von Israel über dem Süden des Libanon in den frühen 1980er Jahren benutzt. Heute werden sie zunehmend für außergerichtliches Töten aus hunderten Metern Höhe verwendet.


Der Artikel erschien im Original am 13. Juli 2010 unter dem Titel Israel paves the way for killing by remote control bei The National.

Der Autor: Jonathan Cook (* 1965 in Buckinghamshire, England) ist ein unabhängiger Journalist, Auslandskorrespondent und Autor, der sich auf das Schreiben über den Mittleren Osten und den israelisch-palästinensischen Konflikt spezialisiert hat.

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Cook lebt seit September 2001 in der hauptsächlich von israelischen Arabern bewohnten Stadt Nazaret im Norden Israels.

Übersetzung: Ellen Rohlfs (redaktionell überarbeitet von Hintergrund)

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