Kriege

Malala und Nabila

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von EMRAN FEROZ, 11. November 2013 –

Vor knapp einem Jahr, am 24.Oktober haben Momina Bibi und ihre Enkelkinder im Garten Gemüse gepflückt. Die Familie, die im Norden Waziristans lebte, freute sich auf das kommende islamische Opferfest und wollte die letzten Vorbereitungen treffen. Plötzlich hörten sie ein lautes Geräusch von oben. Es war der Lärm einer US-amerikanischen Drohne, den viele Menschen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet kennen und fürchten. Im nächsten Moment wurde die Großmutter vor den Augen der Kinder in Stücke gerissen.

Nun ist ein Jahr des Schreckens und der Trauer vergangen. Für den Mord an der Großmutter hat sich bis heute weder jemand gerechtfertigt, noch auf irgendeine Art und Weise bei der Familie Rehman entschuldigt. Getötet wurde damals nur sie, die Kinder überlebten zwar, allerdings teils schwerverletzt und stark traumatisiert. Die neunjährige Nabila wurde mit Schrapnell-Wunden übersät. Ihr dreizehnjähriger Bruder Zubair musste in ein Krankenhaus nach Islamabad gebracht werden. Als die Behandlung für die Familie zu teuer wurde, wurde Zubair in ein anderes Krankenhaus in Peschawar verlegt. Die kleine Schwester der beiden, die siebenjährige Amina, hat seit dem Angriff Hörschäden.

Vor zwei Wochen reisten Nabila, Zubair und ihr Vater Rafeeq, der als Lehrer tätig ist und während des Drohnen-Angriffs nicht zuhause war, nach Washington. Dort fand am 29. Oktober eine Anhörung vor dem US-Kongress statt. Die Rehmans sollten ihre Zeugenaussagen abgeben und beschreiben, was an jenem fürchterlichen Tag geschah. Eigentlich sollten sie von Shahzad Akbar, einem pakistanischen Anwalt, der über einhundertfünfzig Drohnen-Opfer gegen die Vereinigten Staaten vertritt, begleitet werden. Dies kam allerdings nicht zustande. Akbar durfte nicht in die USA einreisen. Laut US-amerikanischen Behörden gab es Probleme mit dem Visum, während Akbar der Meinung ist, dass er aufgrund seinen Engagements gegen die Drohnen-Politik höchstwahrscheinlich auf eine Schwarze Liste gesetzt wurde. (1)

Als Nabila und Zubair vor dem Kongress ihre Aussagen machten, war der Saal alles andere als gefüllt. Von den 430 Repräsentanten waren nur fünf anwesend. Das Schicksal der Kinder aus einem weit weg gelegenen Dorf in den Bergen schien so gut wie niemanden zu interessieren. Während der Zeugenaussagen brach der Dolmetscher in Tränen aus. Nabilas Vater richtete sich an alle Amerikaner und stellte immer wieder die Frage, warum es zu diesem Angriff kam und ob seine Töchter etwa wie Terroristen aussehen würden. Ähnliches gab Nabila von sich: „Was hatte meine Großmutter getan? Warum wurde sie umgebracht?“ All diese Fragen blieben unbeantwortet. Zum gleichen Zeitpunkt traf sich der US-Präsident mit Vertretern der Waffenindustrie.

Das Desinteresse am Schicksal von Nabilas Familie zeigt, wie wenig Verantwortung die US-amerikanische Regierung für ihre Vergehen übernehmen will. Nämlich gar keine. Auch das mediale Interesse ist gering, vor allem, wenn man es mit der Geschichte der sechzehnjährigen Malala Yousafzai vergleicht. Malala entkam einst knapp dem Tod und überlebte den Angriff eines radikalen Taliban-Kämpfers. Medien und Politik stürzten sich schnell auf den Fall. Man warnte ein weiteres Mal vor Islamisten und die pakistanische Polit-Elite wusste, den Fall für sich zu instrumentalisieren. Währenddessen reiste Malala durch die Welt, sprach vor der UN, nahm auf der Couch von Jon Stewart Platz, trank Tee mit den Obamas und wurde sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Die Geschichte des jungen Mädchens ist mittlerweile weitgehend und vor allem durch westliche Medien bekannt.

Bei Nabila und ihren Geschwistern ist dies nicht der Fall. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass ihre Großmutter nicht von irgendeinem Turban tragenden Fanatiker getötet wurde, sondern per Knopfdruck von einem Drohnen-Piloten, der vielleicht in Langley oder Washington sitzt. Ihre Familie wurde nicht zum Tee im Weißen Haus eingeladen, der UN-Generalsekretär ließ sich nicht mit ihr ablichten und es gab auch niemanden, der auf Twitter zum „Nabila Day“ aufrief, während der „Malala Day“ ausgiebig gefeiert wurde. (2)

Diese Tatsache betrifft nicht nur Nabila und ihre Geschwister. Durch US-amerikanische Drohnen-Angriffe sind mittlerweile Hunderte von Kinder ums Leben gekommen. Da gab es zum Beispiel den sechzehnjährigen Tariq Aziz, einen jugendlichen Anti-Drohnen-Aktivisten, der ebenfalls aus Waziristan stammt. Im November 2011 wurde er gemeinsam mit seinem zwölfjährigen Cousin von einer Drohne getötet. Dasselbe Schicksal traf den ebenfalls sechzehnjährigen Abdul Rahman al-Awlaki. Dieser fiel im Jemen einen Drohnen-Angriff zum Opfer. Abgesehen davon war al-Awlaki sogar US-Staatsbürger. Doch auch in diesem Fall ließ man Gerechtigkeit nicht walten, die Verantwortlichen wiesen jede Schuld von sich. (3) (4) (5)

Nun wurde in einer neuen Biografie Barack Obamas bekannt, was dieser von seiner Drohnen-Politik – eine unschöne Umschreibung für Massenmord per Signatur – hält. „Ich bin echt gut darin, Menschen zu töten“, soll Obama im vergangenen Jahr vor seinen Beratern gesagt haben. Man fragt sich, wie Nabila wohl reagiert hätte, wenn sie diese Aussage gehört hätte.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.newyorker.com/online/blogs/newsdesk/2013/10/the-drone-strike-victims-coming-to-congress.html
(2) http://www.globaleducationfirst.org/malaladay.html
(3) http://pakhtunkhwa911.wordpress.com/2013/10/11/wer-war-tariq-aziz/
(4) http://www.theguardian.com/commentisfree/cifamerica/2011/nov/07/cia-unaccountable-drone-war
(5) http://www.zenithonline.de/deutsch/politik//artikel/unbemannte-angreifer-unbekannte-opfer-002420/

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