Kriege

"Wir haben keine freie Presse mehr"

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Über Medienlügen, den Ukraine-Konflikt und den Abschuss von MH17 –

Interview mit RAY McGOVERN, 9. September 2014 – 

Ray McGovern arbeitete 27 Jahre lang als Analyst für den US-Auslandsgeheimdienst CIA, bevor er 1990 in den Ruhestand trat.  Von 1981 bis 1985 gehörte er zu den verantwortlichen Offizieren, die dem Präsidenten täglich Bericht erstatteten. Anschließend war er mitverantwortlich für die Vorbereitung des Tagesberichtes der CIA an den US-Präsidenten. Im Jahr 2003 gründete er zusammen mit anderen ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern die Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS). Diese Organisation widmet sich der Analyse und Kritik nachrichtendienstlicher Tätigkeiten. Hintergrund traf ihn am vergangenen Samstag zu einem Gespräch in Berlin. 

Vergangene Woche haben Sie und andere US-Geheimdienstveteranen einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel verfasst. (1) Was hat es damit auf sich?

Wir von den Veteran Intelligence Professionals for Sanity arbeiten intensiv daran, politische Entscheidungsträger darüber zu informieren, dass sie von den Medien, und manchmal auch von ihren eigenen untergebenen Beamten, nicht die wahre Geschichte präsentiert bekommen. Acht ehemalige Geheimdienstleute, mit einer Erfahrung von zusammen genommen rund 225 Jahren auf diesem Gebiet, haben diesen Brief unterzeichnet. Darin ziehen wir Parallelen zwischen dem gegenwärtigen Geschehen in der Ukraine und der US-Invasion im Irak im Jahr 2003, die auf gefälschten Geheimdienstinformationen beruhte.  Nach einer 5-jährigen Untersuchung stellte der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Senats fest, dass die Berichte der Geheimdienste, mit denen der Irak-Krieg gerechtfertigt wurde, „substanzlos, widersprüchlich oder gar nicht existent“ waren. Zu diesen „nicht existenten“ Beweisen zählte die Story von den Aluminiumröhren. Das Ganze lief damals so ab: Anfang September 2002 übergab das Weiße Haus Michael R. Gordon,  Reporter der New York Times (NYT),  einen Bericht, in dem es hieß, Aluminiumröhren, die nur zur Uran-Anreicherung genutzt werden könnten, seien auf dem Weg in den Irak und das sei ein sicheres Zeichen dafür, dass Saddam Hussein an der Atombombe arbeite – obwohl klar war, dass es sich dabei um Artillerie-Rohre handelte.

Zwei Tage später erschien die Story in der New York Times auf der Titelseite. Am selben Tag saß Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in verschiedenen Talkshows, wo sie dann stets auf den NYT-Artikel angesprochen wurde. Sie erklärte daraufhin, man habe selbst auch solche Informationen erhalten, die Entwicklung sei sehr, sehr gefährlich und man wolle vermeiden, dass der Beweis für das irakische Atomwaffenprogramm eines Tages in Form eines Atompilzes daherkomme. Das Weiße Haus übergab also einen Bericht an Michael R. Gordon, der setzte das dann in die NYT, und das Weiße Haus erklärte daraufhin, man könne den NYT-Bericht bestätigen. Warum ich Gordon erwähne: Jetzt schreibt er zur Ukraine, und immer noch dient er dabei seinen Herren in Washington, indem er ein völlig einseitiges Bild zugunsten der Kiewer Putschregierung vermittelt und die Angst vor den Russen schürt. Man würde annehmen, dass jemand, der überführt wurde, im Auftrag der Regierung einen illegalen Angriffskrieg propagandistisch vorzubereiten, das kein zweites Mal machen könnte. Aber er kann. Und man würde annehmen, dass jemand wie „Yats“ (gemeint ist der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, Anm. d. Red.), der in einem abgehörten Telefongespräch zwischen dem US-Botschafter in Kiew und der stellvertretenden US-Außenministerin  als „unser Mann“ bezeichnet wurde, nicht in der Lage wäre, anschließend Ministerpräsident zu werden – drei Wochen, nachdem öffentlich bekannt wurde, dass die US-Regierung  ihn als „ihren Mann“ betrachtet. Und diese Leute, mit ihrer Arroganz, kommen damit durch – wie schon 2003 beim Irak.  

Wie das?

Das funktioniert deshalb, weil wir in den USA eine kontrollierte Presse haben, auch in Großbritannien verhält es sich so. Im Falle Deutschlands bin ich mir diesbezüglich nicht so sicher, aber auch hier in den Medien stelle ich eine große Unterstützung für eine Politik fest, die Putin verteufelt und die die Konfrontation sucht. Die Medien funktionieren nicht mehr im Sinne einer Vierten Gewalt. Und das ist die größte und auch gefährlichste Veränderung, die ich während meiner 51 Jahre in Washington erlebt habe: Wir haben keine freie Presse mehr.

Was die jüngsten Ereignisse in der Ukraine betrifft und die angebliche „Invasion“ durch Russland, muss ich sagen, dass die vorgelegten diesbezüglichen Beweise in den Augen eines jeden professionellen Geheimdienstmitarbeiters nur als peinlich zu bewerten sind. Es ist schon als empörend zu bezeichnen, wenn mit den veröffentlichten unscharfen Satellitenbildern belegt werden soll, dass Russland Panzer und Artillerie in die Ukraine sendet. Wenn Russland das getan hätte, dann würden die USA und auch Deutschland über wesentlich bessere Beweise verfügen.

Also handelt es bei dem Krieg im Donbass um einen „inneren Konflikt” der Ukraine, wie die russische Regierung stets beteuert?

Nun, denke ich, dass Russen in der Südostukraine sind? Ja, natürlich sind sie das. Habe ich Zweifel daran, dass die Russen die Menschen in der Südostukraine, die gegen die Putschregierung aufbegehren, unterstützen? Nein, habe ich nicht. Russland schickt humanitäre Güter, wie vor zwei Wochen mittels der 230 Lastkraftwagen. Ich bin mir auch sicher, dass die Russen einiges an Waffen schicken, vielleicht auch Freiwillige oder sogar einige Spezialeinheiten – aber das ist keine „Invasion“. Moskau schickt keine Panzer oder Artillerie dorthin.

Und diese Einschätzung wollten Sie der Kanzlerin mit auf den Weg zum NATO-Gipfel geben?  

Was Politiker wie Angela Merkel meines Erachtens wissen sollten: Nicht nur die USA betreiben einen recht freimütigen, politisch instrumentalisierten Umgang mit „Geheimdienstinformationen“. Der BND macht wahrscheinlich dasselbe, denn er ist im Grunde eine Zweigstelle der CIA und der NSA. Und er will seine besondere Beziehung zu den US-Diensten nicht riskieren. Daher gibt er wahrscheinlich dieselben irreführenden Informationen heraus, die die Entscheidungsträger in Washington von den US-Diensten erhalten. Wir beobachten gegenwärtig dasselbe wie 2003 beim Irak: Gefälschte Geheimdienstinformationen werden benutzt und in die Propagandaschlacht geworfen, um einen Krieg zu rechtfertigen.

Wir sagen daher: „Frau Merkel, nehmen Sie sich ein Beispiel an ihrem Vorgänger Gerhard Schröder.“ Der hatte damals durchschaut, dass George W. Bush mittels gefälschter  Geheimdienstberichte seine „Koalition der Willigen“ in die Schlacht führte und hat dazu konsequenterweise „nein“ gesagt. So schonend wie möglich sagen wir in unserem Brief an die Kanzlerin: „Frau Merkel, beenden Sie Ihre unterwürfige Haltung gegenüber den USA, der Zweite Weltkrieg ist schon lange vorbei! Werden Sie erwachsen!“. Würde die Kanzlerin eigenständiger handeln, sie wäre überrascht, auf wieviel Zuspruch sie dabei in der Bevölkerung in Deutschland stoßen würde.  

Im Juli verfassten Sie und ihre Kollegen bereits einen offenen Brief an Präsident Obama, in dem sie die Offenlegung von Beweisen bezüglich des Abschusses des malaysischen Airliners MH17 forderten? (2) Ihrer Meinung nach gibt es also keine der Öffentlichkeit bekannten Belege für eine Schuld Russlands oder der „prorussischen Separatisten“?

Wir wissen nicht, wer Flug MH17 abgeschossen hat. Aber die US-Geheimdienste wissen es, die russischen auch, und ich wage sogar zu sagen, dass Kiew es auch weiß. Es sei erinnert an die Situation vor einem Jahr, als nach dem Giftgaseinsatz bei Damaskus US-Außenminister John Kerry auf einer Pressekonferenz am 30. August 2013 gebetsmühlenartig erklärte, „wir wissen, dass es Bashar Al-Assad und seine Leute waren“. Doch damals wusste man überhaupt nichts. Und kurz darauf haben wir herausgefunden, dass es die Rebellen selbst waren, die eine rudimentäre, selbst produzierte Form des Nervengases Sarin eingesetzt hatten.

Ich will damit nur sagen, dass John Kerry über eine unglaubliche Historie der Glaubwürdigkeit verfügt. Drei Tage nach dem Absturz der MH17 saß Kerry dann in diversen Talkshows und erklärte dem Publikum, man „wisse“, dass dafür die „prorussischen Separatisten“ beziehungsweise Russland verantwortlich seien. Fragt man einen US-Amerikaner danach, wer das Flugzeug abgeschossen hat, lautet die Antwort: „Die Russen“. Denn das ist es, was die Medien berichten. Doch Leute aus den US-Geheimdiensten haben von Anfang an gesagt, dass es dafür „null“ Beweise gibt. Seit drei Wochen sagen das plötzlich auch die politischen Entscheidungsträger in den USA, in Großbritannien und in den Niederlanden. Beweismittel wie die Aufzeichnungen des Flugfunkverkehrs unterliegen Verschwiegenheitsverpflichtungen. (3) Warum ist das so? Die Russen waren dagegen offener und haben einiges Material veröffentlicht.

Ich übe mich jetzt in Spekulation: Aufgrund meiner Quellen habe ich Grund zu der Annahme, dass die ukrainischen Kräfte für den Absturz verantwortlich sind, aber Präsident Poroschenko davon nichts wusste. Dass also womöglich andere Oligarchen, die ja selbst auch Teile der bewaffneten Kräfte kommandieren, dahinter stecken. Auch wenn für diese darin ein gewisser Anreiz bestanden haben mag, glaube ich allerdings immer noch, dass der Abschuss wahrscheinlich ein Versehen war. Und ich glaube, dass Russland über eindeutige Beweise verfügt, dass die ukrainischen Kräfte verantwortlich waren. Und das bringt mich zum Grübeln: „Wenn sie die Beweise haben, warum präsentieren sie sie dann nicht?“. Ich denke, ich weiß warum. Die Russen verfügen damit über ein Druckmittel gegenüber Poroschenko, das sie ausspielen können, wenn es ihnen beliebt. Poroschenko muss somit jederzeit befürchten, dass die Russen belegen können, dass der ukrainische Präsident nicht die Kontrolle über sein Land und seine Armee hat, nicht einmal über seine Flugabwehreinheiten oder seine SU-25 Kampfjets. Ich weiß nicht, wer das Flugzeug abgeschossen hat. Aber ich denke, es waren die Ukrainer, und die Russen spielen ihre Trumpfkarte clever aus und sagen: „Schau, wir brauchen wirklich eine Waffenruhe, wir brauchen jetzt wirklich politische Verhandlungen. Und wenn Du Dich dem verweigerst, dann haben wir hier Beweise, die Dich ganz schön in Bedrängnis bringen, wenn wir sie veröffentlichen.“

Hat das Kiew dazu veranlasst, letzte Woche erstmals in direkte Gespräche mit Vertretern der beiden „Volksrepubliken“ zu treten? Bislang hat sich Kiew dem immer mit der Begründung verweigert, mit „Terroristen“ gebe es nichts zu verhandeln.  

Ich würde übertreiben, würde ich sagen, das sei der Grund. Es mag mit hineingespielt haben. Der Hauptgrund ist die schlechte Verfassung der ukrainischen Streitkräfte. Sie werden schlecht geführt, sind schlecht ausgebildet und schlecht ausgestattet. Und seit Mitte August haben die Rebellen ihnen schwere Verluste zugefügt – entgegen dem Bild, das zuvor in den westlichen Medien gezeichnet wurde, wonach sich die Rebellen auf dem Rückzug befänden.  Es gibt also verschiedene Gründe, die Putin veranlasst haben könnten, zu Poroschenko zu sagen: „Sieh her, die Amerikaner möchten sich das vielleicht nicht eingestehen, aber wir haben die Trümpfe in der Hand.  Wir werden nicht dabei zuschauen, wir unsere Landsleute in der Südostukraine ausbluten. Sie sind ganz gut in der Lage, sich ohne größere Unterstützung unsererseits selbst zu verteidigen. Aber wenn sie weitere Hilfe brauchen, dann werden wir sie ihnen geben. Und wenn Du so weitermachst, dann werden unsere Panzer rollen, wenn es sein muss. Dieser blutige Konflikt bringt uns beiden nichts. Also erkenne die Realität an, dass Du diesen Kampf nicht gewinnen wirst. Denk an Saakaschwili (ehemaliger Präsident Georgiens, Anm. d. Red.), der uns 2008 in Georgien eine blutige Nase verpassen wollte, und was mit ihm geschehen ist. Dasselbe wird mit Dir passieren. Also hör auf damit und lass uns eine Waffenruhe vereinbaren“. Ich denke, das ist die Tonlage, die Putin als erfahrener Staatsmann ganz realistisch gegenüber Poroschenko an den Tag legt.

Wie groß sind die Chancen, dass sich die am Freitag vereinbarte Waffenruhe in einen anhaltenden Friedensprozess überführen lässt? Werden die offenbar an einer Eskalation interessierten Kräfte, wie die rechten Nationalisten, und deren Unterstützer aus dem Ausland dabei mitspielen?

Das ist das wirkliche Problem. Denn selbst wenn Poroschenko den Waffenstillstand will, er hat kaum Kontrolle über die Oligarchen und erst recht nicht über den Rechten Sektor, die Swoboda, und die protofaschistischen Parteien dort. Das wird im Westen heruntergespielt, aber die Beteiligung solcher Leute an der Führung des Landes birgt sehr ernsthafte Probleme in sich. Poroschenko muss künftig wesentlich mehr Mut aufbringen, als in der Vergangenheit. Vor allem muss er „Yats“ seine Grenzen  aufzeigen. Doch wie würde „unser Mann“ darauf reagieren? Ich weiß es nicht. Aber wenn er denkt, er könne immer noch auf die Unterstützung Washingtons zählen, so wie es einst Saakaschwili tat, dann wird das Ganze weiter hochkochen und wir werden weitere Kämpfe sehen. Ich bete und hoffe, dass diese Leute zur Vernunft kommen, was immerhin zu einem gewissen Grad mit der am Freitag vereinbarten Waffenruhe geschehen ist, die hoffentlich den Beginn eines anhaltenden Prozesses markiert.


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Anmerkungen

(1) Wortlaut des Briefes nachzulesen unter: http://antiwar.com/blog/2014/08/31/germanys-merkel-needs-to-ask-tough-questions-at-nato-summit/
(2) Wortlaut des Briefes nachzulesen unter: http://consortiumnews.com/2014/07/29/obama-should-release-ukraine-evidence/
(3) Siehe dazu Antwort der Bundesregierung  auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke: http://www.jungewelt.de/2014/09-09/050.php

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