Kriege

Rücktritt wahrscheinlich: Die Affäre Guttenberg könnte auch Angela Merkel gefährlich werden

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von THOMAS WAGNER, 14. Dezember 2009 –

Die ZDF-Talkshow von Maybrit Illner am vergangenen Donnerstag war dem Afghanistan-Krieg gewidmet. Vor Beginn der Fernsehsendung soll sich folgende Szene abgespielt haben. Die Gäste, darunter Egon Bahr (SPD) und der Schauspieler Ralf Möller unterhalten sich über Trimmfahrräder. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) berichtet, in seinem Büro stehe noch das von seinem Vorgänger Jung, mit dem er aber nicht richtig klar komme, weil es auf seine ganz anderen Körpermaße nicht eingestellt sei. Diese Aussage unterstrich der Minister mit demonstrativ ungelenken Bewegungen. Das kommentierte der ebenfalls eingeladene ehemalige Spitzenpolitiker und Buchautor Jürgen Todenhöfer (CDU) mit der trockenen Bemerkung: „Ach so, wenn dann demnächst in der Zeitung steht: ‚Guttenberg gestürzt’, dann kann das auch ganz andere Gründe haben.“ (1)

Nun scheint es, Todenhöfers implizite Rücktrittsprophezeiung könnte weitaus schneller Realität werden, als es die illustre Runde zu diesem Zeitpunkt vermutete. Denn nicht nur mehren sich seit diesem Tag die an die Adresse Guttenbergs gerichteten Rücktrittsforderungen aus den Reihen der Opposition.

Der in Erklärungsnot geratene Minister fühlt sich außerdem anscheinend jetzt schon so sehr in die Ecke gedrängt, dass er am Montag vor einer Sitzung des CSU-Vorstands in München zum fast schon verzweifelt anmutenden Gegenangriff blies.

Die Details des Luftangriffs von Kundus, dem nach den vom Verteidigungsministerium nicht bestrittenen Zahlen der Opferanwälte am 4. September dieses Jahres 179 Zivilpersonen, aber nur 5 Taliban zu Schaden kamen, seien auch der Opposition schon längst bekannt gewesen, konterte Guttenberg die von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin an seine Person gerichteten Rücktrittsforderungen..

Diese waren erfolgt, nachdem die Süddeutsche Zeitung am Samstag aus dem geheimen ISAF-Bericht eine Passage zitierte, aus der hervorgeht, dass das eigentliche Ziel der Bombardierung nicht etwa die Ausschaltung der Tanklastwagen gewesen sei, wie das Verteidigungsministerium bis zu diesem Zeitpunkt behauptet hatte, sondern die physische Vernichtung von möglichst vielen Aufständischen.: „Er (der Kommandeur) hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge.“

Statt in angekündigter Transparenz darüber zu informieren, warum er der Öffentlichkeit verschwieg, dass es bei dem Angriff um die gezielte Tötung von Menschen ging, versucht Guttenberg nun ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver:

Die Opposition sei bereits seit Anfang November darüber informiert, dass auch die Taliban Ziel des Bombardements vom 4. September gewesen seien, sagte Guttenberg laut dpa. „Was den Vorwurf der Täuschung und der Lüge in meiner Amtszeit betrifft, kann ich nur sagen, dass sich Herr Gabriel und Herr Trittin hüten müssen, sich nicht selbst dem Vorwurf der Täuschung auszusetzen“, sagte Guttenberg an die Adresse von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin.

Doch selbst wenn sich die vom Verteidigungsminister erhobenen Vorwürfe in dieser Form bewahrheiten sollten und sowohl Trittin als auch Gabriel die Öffentlichkeit tatsächlich ebenfalls getäuscht hätten, wäre Guttenberg damit alles andere als aus dem Schneider.

Schließlich ist er der verantwortliche Minister und nicht Trittin oder Gabriel. Wenn aber ein Verteidigungsminister die Öffentlichkeit belügt und täuscht, dann muss er seinen Hut nehmen. „Das gehört sich einfach so“, ließe sich an dieser Stelle eine vom Minister häufig gebrauchte Redewendung benutzen.

Bislang deutet aber nichts darauf hin, dass Guttenberg seiner Verantwortung gerecht zu werden beabsichtigt. Weder bemüht er sich um Transparenz – die Regierungssprecher verweisen seit einigen Tagen, bei allen wichtigen Fragen zum Kundus-Massaker auf den diese Woche seine Arbeit beginnenden Untersuchungsausschuss des Parlaments – noch scheint er zurücktreten zu wollen.

Und das, obwohl Guttenberg sich mindestens ebenso schwerwiegende Fehler vorwerfen lassen muss wie sein Amtsvorgänger Franz Josef Jung.

„Ich werde definitiv, auch wenn’s mal stürmt, stehen bleiben. So bin ich erzogen worden – und so will ich das auch handhaben“, sagte der CSU-Politiker laut Medienberichten am Sonntagabend im Fernsehsender RTL.

Die Gründe für Guttenbergs Verhalten müssen jedoch weniger in seinem Ehrenkodex als in der Regierungsräson des Kabinetts Merkel gesucht werden. Denn sobald Guttenberg zurücktritt, wird die Bundeskanzlerin selbst zur Hauptzielscheibe der öffentlichen Kritik werden.

Auch sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Öffentlichkeit nicht hinreichend über die Vorgänge rund um das Massaker am Kundus-Fluss aufgeklärt zu haben.

Merkel hat sich, wie der Spiegel am Montag schrieb, seit ihrer Regierungserklärung vom 08. September „nicht mehr um diese Sache gekümmert. Sie hat vom Kanzleramt einen Vermerk bekommen, der das Bombardement skeptisch beurteilte. Doch sie hat den Luftschlag nicht zur Chefsache gemacht, obwohl der gute Ruf der Bundesrepublik auf dem Spiel steht“.

In besagter Regierungserklärung hatte Angela Merkel dem Deutschen Bundestag eine „lückenlose Aufklärung des Vorfalls“ versprochen und zudem gesagt: „Ich stehe dafür ein, dass wir nichts beschönigen werden.“ Seitdem ist ein Vertuschungsdetail nach dem anderen ans Licht gekommen.

Ein Generalinspekteur, ein Staatssekretär und ein Verteidigungsminister mussten über die Klinge springen und auch Guttenbergs Amtszeit ist längst angezählt.

 Nur Merkel selbst, die bislang entgegen ihrer Ankündigung für keinen der von ihrer Regierung in Sachen Afghanistan gemachten Fehler eingestanden ist, hat sich bislang noch aus der Affäre ziehen können.

 Ein weiteres Bauernopfer wird ihr aber zu diesem Zeitpunkt nicht weiterhelfen.

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Sollte Guttenberg also fallen, könnte der Kanzlerin ihre bislang so erfolgreiche Strategie des Aussitzens und der Verantwortungsverschiebung tatsächlich zum Verhängnis werden.

(1) So steht es in der Montagsausgabe des Spiegel 51/2009

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