Kriege

Wie die Bundeswehr afghanische Regierungsstellen in ihre Propagandastrategie einspannte

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Abgekartetes Spiel in Kundus –

Von THOMAS WAGNER, 18. Dezember 2009 –

Die Bundeswehrführung in Afghanistan sprach sich mit der als korrupt geltenden Provinzregierung in Kundus ab, um die geschönten Opferzahlen, die sie nach dem verheerenden Luftangriff vom 04. September der Öffentlichkeit präsentierte, plausibel erscheinen zu lassen. Recherchen von Hintergrund, die in diese Richtung deuteten, wurden nun durch Informationen von Spiegel-online (16.12.2009) erhärtet.(1)

Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar und sein Polizeichef hatten laut verschiedener Agenturmeldungen noch am Morgen des Luftangriffs zunächst von 90 Getöteten gesprochen. Darunter seien 45 Zivilisten. Gegen Mittag des gleichen Tages korrigierten sie diese Opferzahlen nach unten. Plötzlich hieß es, zwischen 50 und 60 Menschen seien getötet worden. Die meisten davon seien bewaffnete Taliban. Mit diesen neuen Zahlen bestätigten die als äußerst korrupt geltenden und zum Teil selbst schlimmer Kriegsverbrechen bezichtigten Provinzoffiziellen die Angaben, die von der Bundeswehr und dem Verteidigungsministerium zu diesem Zeitpunkt gemacht wurden. (2)

In der Folge haben sich der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung und die Sprecher des Verteidigungsministeriums immer wieder auf die Aussagen Mohammad Omars berufen, wenn sie vor der deutschen Öffentlichkeit zu rechtfertigen versuchten, warum sie zunächst von keinen, später von wahrscheinlich nur wenigen zivilen Opfern gesprochen haben.

Aufgrund dieser Fakten vermutete Hintergrund, dass die damals von der Bundesregierung genannten Opferzahlen gegen besseres Wissen zwischen der Bundeswehr und der Provinzregierung in Kundus abgesprochen gewesen waren. (3)

Geheime Gesprächsprotokolle, aus denen Spiegel-online wichtige Passagen zitiert, erhärten nun den Verdacht eines abgekarteten Spiels. Sie belegen zum einen, dass sich die deutsche Bundeswehrführung in Kundus mit Mohammad Omar und seinem Polizeichef genau im fraglichen Zeitraum telefonisch besprach. Zum anderen geht aus dem Spiegel-online-Bericht eindeutig hervor, dass sich Brigadegeneral Jörg Vollmer vor Ort von lokalen Behörden möglichst niedrige Opferzahlen bestätigen lassen wollte.

Gegen 9 Uhr Ortszeit, so der Bericht, trafen sich am 4. September in Kabul und Masar-i-Sharif drei hochrangige Offiziere der ISAF, Brigadegeneral Jörg Vollmer, Konteradmiral Gregory Smith und der Geheimdienstchef des US-Generals Stanley McChrystal zu einer Videokonferenz, um die Pressestrategie bezüglich des von Oberst Georg Klein sieben Stunden zuvor angeforderten Luftangriffs zu besprechen.

Nachdem der Fernsehsender Al Jazeera zu diesem Zeitpunkt bereits über den Tod vieler Zivilisten berichtet hatte, wollen sich die Offiziere über eine Gegenstrategie beraten, die Nachrichten über tote Zivilpersonen möglichst zu entkräften vermag.

Zu diesem Zweck empfahl Gregory Smith, der Presseoffizier des ISAF-Chefs McChrystal, den Deutschen, sich von Afghanen bestätigen zu lassen, dass es keine zivilen Opfer gegeben habe. „Das Wichtigste ist, dass lokale Stellen den Vorwurf widerlegen, es habe zivile Opfer gegeben“, gab er Brigadegeneral Vollmer mit auf den Weg.

Direkt nach dem Gespräch hat sich Vollmer dann mit dem Polizeichef und dem Gouverneur der Provinz Kundus ausgetauscht. Auf einer zweiten Videokonferenz, an der auch Juristen der NATO teilgenommen haben sollen, schlug der Brigadegeneral hinsichtlich der Pressearbeit vor: „Wir sollten aus Sicht der Afghanen und der afghanischen Regierung positiv rüberkommen.“

Heute bestreitet selbst das Verteidigungsministerium nicht mehr, dass dem von Bundeswehroberst Georg Klein befohlenen Massaker bis zu 184 Menschen zum Opfer gefallen sind. Nach akribisch recherchierten Angaben der Opferanwälte sind darunter nur 5 tote Talibankämpfer, bei den Übrigen handelt es sich um getötete, verletzte und verschollene Zivilisten, darunter 36 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 5 und 16 Jahren. Das Bundesverteidigungsministerium ist inzwischen in Verhandlungen mit den Anwälten der Opfer-Familien getreten.

Entgegen vollmundiger Erklärungen hält der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach wie vor wichtige Informationen über das Massaker von Kundus zurück. Weiterhin erscheinen beinahe täglich neue Videodokumente (4), Gesprächsprotokolle oder Enthüllungsberichte in den Medien.

Statt bei den Familien der Opfer um Verzeihung zu bitten, wie es in diesem Teil Afghanistans erwartet wird, steuert er die Bundeswehr auf Kriegskurs.

Statt die deutsche Bevölkerung dafür um Verzeihung zu bitten, dass sein Ministerium über die wahren Vorgänge in Afghanistan monatelang falsch informiert hat, versucht er den getäuschten Souverän geschickt weiterhin an der Nase herumzuführen und im Verbund mit führenden Unionspolitikern auf eine zur Zeit noch grundgesetzwidrige Änderung des Bundeswehrmandats in Afghanistan einzustimmen. Deutsche Soldaten sollen in dem von der Bundeswehr gegen den bewaffneten Widerstand geführten schmutzigen Krieg am fernen Hindukusch wieder töten dürfen.

Hans-Peter Uhl (CSU), der innenpolitische Sprecher der Unions- Fraktion, sagte laut dpa am 18.12.2009: „Wir müssten unsere Verfassung auf die Wirklichkeit asymmetrischer Bedrohungen hin umschreiben“.

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Quellen:
(1) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,667357,00.html
(2) http://www.hintergrund.de/20091204544/politik/inland/der-kriegsverbrecher-als-kronzeuge.html
(3) vgl. Thomas Wagner: „Ausflüchte, Spekulationen und Nebelkerzen“, in: Hintergrund 4/2009
(4) So veröffentlichte die Bildzeitung am 18.12. ein bisher noch nicht bekanntes Video der Bundeswehr zum Luftangriff in Kundus; http://www.bild.de/

http://www.hintergrund.de/20091127540/politik/inland/tats%C3%A4chliche-opferzahlen-des-massakers-von- kundus-bekanntgegeben-179-zivile-opfer-und-5-taliban.html

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