Krieg im Nahen Osten

Ungewisse Tage und Wochen im Libanon

Die Libanesen rätseln, ob Israel den Angriff auf ihre Heimat wagen wird und ob man den USA vertrauen kann, wenn deren Abgesandte sagen, man wolle Israel von dem Krieg abhalten. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock war in Beirut – und kaum jemand hat es gemerkt.

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Israelischer Soldat an der Grenze zum Libanon.
Foto: Tiger339, Lizenz: Public Domain, Mehr Infos

Westliche Medien zitieren aktuell US-amerikanische Geheimdienstkreise, die einen Krieg Israels gegen den Libanon in wenigen Tagen bis wenigen Wochen für möglich halten. Der israelische Kriegsminister Yoav Gallant, der sich zur Zeit in Washington aufhält, warb bei der USA-Führung um Unterstützung für diesen Krieg. Offiziell winken die Militärs und auch Pentagon-Chef Lloyd Austin ab und erklärten, es müsse eine Verhandlungslösung im Gaza-Krieg geben, um einen Krieg gegen den Libanon zu vermeiden.

Das Spiel mit dem Feuer wird allerdings vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu aktuell weiter eskaliert. Täglich werden Wohnhäuser, Fahrzeuge, landwirtschaftliche Gebiete im Südlibanon attackiert, jeden Tag sterben Angehörige der Hisbollah – mit Stand vom 28. Juni bereits 356 Tote – und jeden Tag sterben weitere Zivilisten. Die libanesische Hisbollah hat angekündigt, im Fall eines israelischen Angriffs auf den Libanon „ohne Regeln und ohne Obergrenze“ den Krieg nach Israel zu tragen. Es werde dann keinen sicheren Ort in Israel geben.

Wird Israel angreifen?“

Was meinen Sie, wird Israel Libanon angreifen?“ Bei Gesprächen in Beirut wird der Autorin immer wieder diese Frage gestellt. Ob im Pressezentrum, in Cafés oder in Mar Elias, einem der ältesten palästinensischen Flüchtlingslager im Zentrum der Stadt, steht die israelische Drohung, den Libanon „in die Steinzeit zu bomben“ bei politischen Gesprächen im Vordergrund.

Ein Presseteam des US-amerikanischen Senders CNN verhandelt im Pressezentrum um eine Verlängerung seiner Akkreditierung. Der Krieg in der Region hat noch immer Journalisten aus aller Welt angezogen. „Sie kommen wegen des Krieges“, sagt Herr M., im libanesischen Pressezentrum verantwortlich für ausländische Journalisten. Er zuckt mit den Schultern und fragt: „Was meinen Sie, wird Israel uns angreifen?“

Selber meint er auf die Gegenfrage, die Lage stehe „50 zu 50“. Mal denke er, die USA würden Israel davon abhalten, andererseits lieferten die USA weiter Waffen an Israel und unterstützen dessen Krieg in Gaza. „Die Lage hier bei uns ist ohnehin schon schwierig“, fügt er hinzu. „Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise und jetzt diese Kriegsdrohungen. Wir kommen einfach nicht zur Ruhe.“

Wir bestehen auf unseren Rechten“

Marie Nassif-Debs, langjähriges Mitglied im Parteivorstand der Kommunistischen Partei des Libanon und zuständig für internationale Beziehungen, äußert sich im Gespräch deutlich. Die Vermittlungsversuche von USA, Frankreich und Deutschland sieht sie skeptisch. Alle diese „Vermittler“ seien engste Partner Israels und verfolgten in jedem Fall eigene Interessen. „Sie nutzen die Situation, um uns aus Angst vor einem Neuen Krieg unter Druck zu setzen und ihren und den Interessen Israels nachzugeben“, sagt Marie Debs.

Die Militäraktionen im Süden des Libanon und mehr noch in Gaza haben viele Opfer gefordert, sagt sie. Die Kosten von Zerstörung und Vertreibung seien enorm. Dennoch werde sich „das libanesische Volk nicht dem Willen der Invasoren unterwerfen“ und „deren Diktate akzeptieren“. Die „Vermittler“ drängten, daß die Resolution 1701 des UNO-Sicherheitsrates „nur vom Libanon allein“ umgesetzt werden solle. „Die Markierung der Landesgrenze soll der imperialistisch-zionistischen Karte“ folgen, die Amos Hochstein, der Beauftragte der USA in Beirut der Übergangsregierung vorgelegt habe.

Zudem trete die „neue“ Grenzziehung im Mittelmeer „einen Teil unserer Gasvorkommen an den Feind ab“, so Debs. Der „Feind“ ist eindeutig Israel, mit dem der Libanon sich im Kriegszustand befindet. Die Libanesen werden das nicht akzeptieren, betont Marie Debs. „Wir bestehen auf unseren Rechten, die heute verletzt werden. Wir bestehen auf den Shebaa-Farmen und dem Gebiet von Kfarshouba. Wir bestehen darauf, das Wasser nutzen zu können, das heute auf die Felder des Feindes fließt und wir bestehen auf den 1.420 Quadratkilometern im Mittelmeer, die an unsere Feinde abgetreten wurden.“

Mit allen Kräften werde man weiterhin für die eigenen Rechte eintreten und für die Rechte der Palästinenser, in ihre Heimat zurückzukehren und den palästinensischen Nationalstaat aufzubauen. Und zwar „auf dem gesamten Boden Palästinas mit Jerusalem als Hauptstadt“.

Ansichten über die Rechte der Palästinenser, die in mehreren Ländern der EU sogar strafrechtlich verfolgt werden, teilt die Mehrheit der Libanesen, auch wenn nicht alle sich so deutlich äußern, wie Marie Debs.

Alle Palästinenser sind meine Familie“

Im palästinensischen Flüchtlingslager Mar Elias gehen die Menschen ihrem Alltag nach. Die kleinen Geschäfte in den engen Gassen verkaufen Obst und Gemüse, im Kanafani-Kindergarten besprechen die Kindergärtnerinnen mit der Leiterin Maha Y. das Sommerprogramm für die Kinder. Alle sind Nachfahren von Palästinensern und haben Familie im besetzten Westjordanland, in Bethlehem oder Gaza. Mit ihrem libanesischen Flüchtlingspaß sei eine Reise zur Familie in Bethlehem nicht möglich, sagt Frau Maha, die seit 40 Jahren in dem Kindergarten arbeitet. Alle ihre Kinder leben und arbeiten im Ausland. „Niemand hier will Krieg“, sagt sie.

Daoun K., die ebenfalls seit vielen Jahren im Kanafani-Kindergarten arbeitet, rückt ihr rosafarbenes Kopftuch zurecht, bevor sie auf die Frage antwortet, wie es ihr angesichts des Krieges in Gaza gehe. Ihre Eltern seien 1948 aus Akko vertrieben worden, die Familie sei in alle Himmelsrichtungen zerstreut. „Alle Palästinenser sind meine Familie“, sagt sie, und auch sie betont: „Niemand will Krieg“.

Ein israelischer Sieg ist nicht in Sicht“

Souheil Al-Natour, Politikwissenschaftler und seit Jahrzehnten Beobachter der Entwicklungen in der palästinensischen Flüchtlingsgesellschaft, sagt im Gespräch mit der Autorin, die USA müßten klären, was sie wirklich wollen. Eine Ausweitung des Gaza-Krieges in den Libanon bedeute, die ganze Region werde vom Krieg erfaßt. Der Krieg könne dazu führen, daß bewaffnete Kräfte in den Norden Israels eindringen und den Krieg auf israelisches Territorium zurückbrächten.

Die USA haben Stützpunkte und Militärbasen, Militärflughäfen und Häfen in der Region, die zur Zielscheibe würden, sagt Souheil El-Natour. Was bedeute es für Jordanien und Ägypten oder die Golfstaaten, wenn USA-Militärbasen in deren Ländern angegriffen würden? Wären die USA in der Lage, alle diese Stützpunkte und dort stationierte Soldaten zu verteidigen? „Die USA müßen sich klarmachen, daß eine Ausweitung des Krieges hier sich auf die Präsidentschaftswahlen im eigenen Land auswirken wird“, fährt Souheil El-Natour fort. Die USA müßten die Frage beantworten, warum sie den Krieg nicht stoppten, obwohl „ein Sieg nicht in Sicht“ sei.

Im USA-Kongreß gebe es starke Stimmen für die weitere Bewaffnung Israels, weil man nicht wolle, „daß Israel den Krieg verliert“. Doch genau das geschehe. „Wichtig ist der Protest der US-amerikanischen Friedensbewegung, die an vielen Orten von Juden innerhalb der USA angeführt wird. Wenn dieser Protest gegen den Kriegskurs von Netanjahu stärker wird, kann Israel von außen weiter geschwächt werden.“

Auf die Frage, welchen Rat er der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock gebe, die sich im Libanon aufhalte, antwortet Souheil El-Natour: „Kommen Sie hierher und bleiben Sie eine Woche in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Sie werden viel lernen und vielleicht werden Sie dann auch den Konflikt hier verstehen.“ Die Libanesen wollten nur ihr Land erhalten und die Palästinenser wollen ihr Land zurück, das noch immer von Israel besetzt ist: „Das ist alles.“

Im diplomatischen Dauereinsatz“

Auf der Rückreise von Tel Aviv nach Berlin hatte die deutsche Außenministerin Baerbock am Dienstag einen Zwischenstopp in Beirut eingelegt. Sie wurde von Außenminister Bou Habib empfangen und traf auch mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Najib Mikati zusammen.

Am Tag zuvor hatte die Ministerin „im diplomatischen Dauereinsatz“ – so das Auswärtige Amt in Berlin – auf der israelischen Sicherheitskonferenz Herzliya gesprochen, sich Fotos von israelischen Geiseln auf den Handys von deren Angehörigen angesehen, und mit dem amtierenden Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mohammed Mustafa, in Ramallah die Hände geschüttelt. Sie traf den israelischen Außenminister Katz und warb für die Annahme des „Biden-Plans“ für einen Waffenstillstand in Gaza. Die Hamas forderte sie auf, diesen anzunehmen, Deutschland sei bereit, sich an einer „internationalen Sicherheitsmission“ entlang der israelisch-ägyptischen Grenze zu beteiligen.

Her master’s voice?

Der Aufenthalt der grünen Frau Baerbock in Beirut war so kurz, daß die Bevölkerung im Libanon ihn kaum wahrnahm. Laut Protokoll sprach die Ministerin mit Mikati und Bou Habib über „die Gefahr eines neuen Krieges zwischen Israel und dem Libanon“, der unbedingt verhindert werden müsse. Frau Baerbock, die seit Beginn des Gaza-Krieges jeweils mit wenigen Tagen Abstand USA-Außenminister Antony Blinken auf seinen Touren durch die Region folgt – inzwischen zum achten Mal – wiederholt vor allem das, was Blinken zuvor gesagt hat.

Die Menschen im Süden des Libanon und im Norden Israels wollten in ihre Wohnungen zurückkehren können, der „anhaltende Beschuß aus dem Libanon in den Norden Israels“ müsse aufhören. Ein weiterer Krieg gegen den Libanon bedeute eine „regionale Eskalation ungeahnten Ausmaßes“, erklärte Frau Baerbock nach der Rückkehr von ihrer Blitztour am Mittwochmorgen im „Deutschlandfunk“. Beide Länder könnten da „reinrutschen“. Die Hisbollah müsse sich 30 Kilometer von der Grenze zurückziehen, forderte die deutsche Ministerin, „da gibt es eine UN-Resolution“. Offenbar hat man ihr nicht gesagt, daß die Sicherheitsrats-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006 allerdings zahlreiche Punkte auflistet, an die sich sowohl die Hisbollah als auch Israel halten sollen.

Die Hisbollah müsse „das jetzt machen“, um einen großen Krieg zu verhindern, so Annalena Baerbock. Auf die Frage des DLF-Reporters, was sie denn dazu von ihren Gesprächspartnern gehört habe, meinte Baerbock, „die sehen das auch so“. Leider sei es so, daß es keinen gewählten Präsidenten im Libanon gebe und die Regierung keine „Durchschlagskraft“ und keinen „Zugriff“ auf die Hisbollah habe. Darum stärke Deutschland die UNIFIL-Mission im Südlibanon und die Libanesische Armee. „Gemeinsam mit den Amerikanern und Franzosen“ sei Deutschland „in Gesprächen vor Ort auch mit Einwirkung auf die Hisbollah“. Baerbock räumte ein, daß eine Waffenruhe im Südlibanon nur erreicht werden könne, wenn in Gaza ein Waffenstillstand erreicht sei.

Der Krieg in Gaza muß aufhören

Tatsächlich steht nicht nur die Bevölkerung sondern auch die Interimsregierung des Libanon aktuell mehrheitlich hinter der Hisbollah und fordern – wie auch die Hisbollah – einen Waffenstillstand in Gaza, um Waffenruhe im Südlibanon zu erreichen. Mit der Resolution 1701 habe die Lage nichts zu tun, darüber könne später verhandelt werden, ist von zahlreichen Politikern dieser Tage zu hören.

Ohne nähere Quellenangaben hieß es in einem Artikel der libanesischen Tageszeitung „Ad-Diyyar“, die deutsche Delegation unter ihrer Außenministerin Baerbock habe einen „politisch-diplomatischen“ Aspekt und gleichzeitig eine „versteckte sicherheits- und geheimdienstliche“ Aufgabe gehabt. Berlin verfüge über „direkte Kommunikation mit Haret Hreik“, so die Zeitung. Haret Hreik ist ein südlicher Stadtteil von Beirut, wo sich u.a. das Pressebüro der Hisbollah befindet.

Der „deutschen Delegation“ hätten demnach „hochrangige Sicherheitsbeamte“ angehört, die den Libanon regelmäßig besuchten und direkte Treffen mit Vertretern der Hisbollah hätten. Deutschland unterstütze den französischen Plan, der Verhandlungen über verschiedene Punkte, u.a. auch der Resolution 1701 vorsehe, um einen großen Krieg in der Region und im Libanon zu vermeiden.

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Unklar ist, ob die Regierung in Berlin tatsächlich frühere Kontakte des deutschen Bundesnachrichtendienstes reaktiviert hat, um mit der Hisbollah zu kommunizieren. Anfang der 2000er Jahre hatte der BND – in Person des langjährigen BND-Mitarbeiters Gerhard Conrad – zwischen Israel und der Hisbollah und zwischen Israel und der Hamas Geisel- und Gefangenenaustausch vermittelt.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung vum Lëtzeburger Vollek (Luxemburg).

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