Kriege

„Unser Krieg ist ein Verteidigungskrieg“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Über Russlands Intervention und den Kampf gegen den „Terrorismus“ in Syrien –

Interview mit MIHRAC URAL, 17. Oktober 2015 –

Die politischen Wurzeln von Mihrac Ural liegen in der türkischen Linken. In den 1970er Jahren war er Generalsekretär der militanten linken Gruppierung Acilciler. Nach dem Militärputsch in der Türkei im Jahr 1980 floh er ins syrische Exil. Dort leitet er heute die Organisation Mukaveme Suriyyi, die an der Seite der syrischen Regierung und Armee kämpft. Willi Effenberger hat ihn für Hintergrund interviewt.   

Russland hat sein Engagement in Syrien in den vergangenen Wochen verstärkt. Was halten Sie davon?

Die Intervention Russlands ist für uns von kritischer Bedeutung und ein Produkt langer Zusammenarbeit und Absprachen. Sie ist auf der einen Seite Kampf gegen den IS-Terror und ebenso die Möglichkeit, auf der internationalen Bühne Russlands Macht und politischen Einfluss zu demonstrieren. Außerdem ist die Küste Syriens, auch für Russland, eine der wichtigsten des Mittelmeeres.

Die Unterstützung Syriens hatte bei der hiesigen Bevölkerung eine sehr positive Resonanz und vergrößert auch Russlands Handlungsspielraum in Syrien. Wenn Russland aus kultureller sowie sozialer Sicht seine Arbeit in dieser Region intensiviert, könnte es einen größeren Einfluss in dieser Region erlangen als der Iran. Die laizistischen Gesellschaftsbedingungen Syriens bieten dafür eine gute Grundlage. Dennoch ist keine Intervention von außen jemals eine Lösung der inneren Probleme eines Landes oder gar ein Garant für den Sieg.

Solange diese Interventionen nicht die regionalen Kräfte unterstützen und dazu beitragen, dass sie vorankommen, bringen sie nichts. Die russischen Luftschläge müssen von den Bodentruppen der syrischen Armee und den Patrioten unterstützt werden, so dass neue Fronten erkämpft werden können. So können die Terrorzellen bekämpft und in die ländlichen Gebiete abgedrängt werden. Ohne einen Sieg der syrischen Bevölkerung kann keine ausländische Intervention zu einer Lösung beitragen.

Sie selbst sind Gründer des Syrischen Widerstands, des Mukaveme Suriyyi. Wann und warum haben Sie sich dafür entschieden, eine Miliz zu gründen, um zusammen mit Präsident Baschar al-Assad zu kämpfen?

Seit dem türkischen Militärputsch vom 12. September 1980 war Syrien für viele Linke ein sicherer Hafen, außerdem komme ich aus Antakya und sehe Syrien als mein Vaterland. Seit vielen Jahren ist Syrien nun Ziel der Imperialisten und wir stehen aufgrund unserer anti-imperialistischen und anti-reaktionären Haltung an seiner Seite.

Der Krieg gegen den Irak 2003, der Rückzug der syrischen Armee aus dem Libanon 2004, der Mord an dem Ministerpräsidenten des Libanon, Rafiq al-Hariri, am 12. Februar 2005, der Krieg Israels gegen den Libanon am 12. Juli 2006, der Angriff Israels auf Gaza vom 27. Dezember 2008 bis 29. Januar 2009 und der parallele Beginn der Ereignisse in Syrien 2011 sind Anzeichen einer pausenlosen Zermürbungstaktik gegen Syrien. Seit Jahrzehnten wird versucht, Syrien dazu zu drängen, sich nicht in Palästina einzumischen, die Hisbollah nicht zu unterstützen und seine Beziehungen zum Iran zu beenden. Weil Syrien sich dem Druck nicht gebeugt hat, wurde es von allen imperialistischen Kräften logistisch und militärisch angegriffen. Aber Syrien ist von seinem traditionellen Widerstandsgeist nicht abgewichen und hat sich gewehrt.

Gegen uns stehen 80 Staaten, inklusive der Türkei und aller anderen Diktaturen der Region. Aufgrund dessen und aus unserer Tradition des Widerstands haben wir die Mukaveme Suriyyi gegründet, die ich befehlige, um Schulter an Schulter mit der syrischen Armee zu kämpfen. Die Mukaveme Suriyyi ist die erste vollkommen aus Zivilisten, Offizieren und Soldaten im Ruhestand bestehende, zivil kämpfende Organisation. Sie bezieht keinerlei öffentliche Mittel, sondern stützt sich auf die Unterstützung der Bevölkerung.

Unser Krieg ist ein Verteidigungskrieg, wir schützen unser Vaterland. Wir führen einen legitimen, patriotischen Widerstand im Namen der Bevölkerung, die auch unsere anti-imperialistische und anti-zionistische Haltung unterstützt. Ich und meine Genossen konnten uns nicht unserer Aufgabe der Verteidigung der Heimat entziehen und haben diesen Weg eingeschlagen. Wir haben die erste zivile Bewegung geschaffen, die am Krieg in Syrien teilgenommen hat.

Wer ist in Ihren Augen die größte Bedrohung für Syrien?

Die Antwort liegt auf der Hand. Der Diktator Erdoğan ist der Hauptverantwortliche aller Geschehnisse und aller blutigen Vorfälle. Die Strippenzieher dieses Angriffs auf Syrien sind die imperialistischen Mächte, die diese Region mit ihren Erdöl-Vorkommen, Trinkwasserquellen, günstiger Arbeitskraft, Getreidelagern und militärischen Stützpunkten nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten wollen. Jedoch ist der eigentliche Grund, warum diese Mächte in dieser Region so leicht agieren können der, dass Erdoğan die Grenze für die Terrorbanden geöffnet hat. Die absolute Mehrheit der Djihadisten werden vom Diktator Erdoğan durch die Türkei nach Syrien geschleust. Die Imperialisten wollen, dass der Krieg in Syrien nicht endet, greifen aber nicht mit eigenen Streitkräften ein. Erdoğan spielt dabei die wichtigste Rolle.

Um diese Gefahr zu bändigen, müssen die Völker der Türkei die Lektion, die sie Erdoğan bei der Wahl am 7. Juni erteilt haben, bei den Neuwahlen am 1. November erneut erteilen und ihn seiner Macht entheben. Wenn nach diesen Wahlen die türkisch-syrische Grenze gesichert werden kann, wenn also der Zustrom neuer Terroristen gestoppt wird, wird es für die syrische Armee gemeinsam mit den Mukaveme Suriyyi und weiteren patriotischen Kräften ein Leichtes sein, die Terroristen und ihre Schergen zu besiegen. Dies wird ein Sieg für die gesamte Menschheit und für alle Länder dieser Welt. Es sind Kräfte wie Katar, Saudi-Arabien, Jordanien, die Türkei und ihre Unterstützer USA, England, Frankreich und alle Terrorschergen dieser Welt, die einer lebensbejahenden, menschlichen Kultur eine Kultur des Todes gegenüberstellen. Folglich wird unser Sieg der Sieg der gesamten zivilisierten Menschheit sein.

Die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten der YPG/YPJ  gehören zu den erfolgreichsten Kräften im Kampf gegen den Terror des „Islamischen Staates“. Wie stehen Sie zu ihnen und welche Rolle spielen diese Kräfte Ihrer Meinung nach im Syrien der Zukunft?

Die Mukaveme Suriyyi pflegt mit allen Organisationen, die sich gegen den Terror stellen, eine freundschaftliche Beziehung, unabhängig von Ethnie, Sprache, Ideologie oder Religion. Obwohl zwischen uns und der YPG weite geographische Distanzen liegen, bestehen zwischen beiden Organisationen aufgrund ihrer Geschichte und Traditionen wichtige organische Verbindungen. Auch wenn zwischen uns keine Treffen stattfinden und unsere Kommunikationsmöglichkeiten begrenzt sind, zeigt unsere patriotische Art des Kampfes gegen einen gemeinsamen Feind, dass beide Organisationen ihre Verantwortung gegenüber der Geschichte im selben Maße wahrnehmen.

Die syrische Regierung war immer um den Schutz der Kurden bemüht, während sie in allen anderen Ländern der Region genozidalen Massenverbrechen ausgesetzt waren. Die Kurden in Syrien sind die Eckpfeiler der patriotischen Reihen und als ethnischer Gemeinschaft stehen ihnen Rechte zu.
Die Kurden in Syrien sollten endlich unter verfassungsrechtlichem Schutz leben. In einem demokratischen Syrien wird dies umgesetzt werden. Sowohl der arabische Nationalismus als auch der Nationalismus, der sich aus den laizistischen Kreisen der Anhänger der Baath-Partei speist, werden überwunden werden und alle Unterschiedlichkeiten, Ethnien und Glaubensrichtungen werden institutionell, verfassungsrechtlich und gesetzlich geschützter Teil der Gesellschaft sein.

In einem Artikel des Spiegel aus dem Jahr 2013 werden sie als „zwielichtiger, bewaffneter Unterstützer“ der Assad-Regierung bezeichnet und dem Mukaveme Suriyyi wird die Teilname am Massaker von Bayda und Baniyas unterstellt. Aus demselben Artikel geht hervor, dass Sie ihre Organisation hauptsächlich durch Grenzschmuggel finanzieren.

Diese Behauptungen entsprechen nicht der Wahrheit. Es hat sich auch noch niemand die Mühe gemacht zumindest zu versuchen, diese Anschuldigungen mit Beweisen zu untermauern. Mein ganzes Leben habe ich dem Wohle der Völker gewidmet und aufgrund dessen wurde ich gefoltert, ins Gefängnis gesteckt und musste ins Exil flüchten. Ich war in zwei Kerkern in der Türkei und vier Kerkern im Ausland. Sogar in Syrien wurde ich wegen meines bedingungslosen Einsatzes für meine Prinzipien mehrmals verhaftet. Ich habe stets gegen jegliche Form von Nationalismus und Rassismus gekämpft. Ich habe die menschliche Tugendhaftigkeit und Ehre vorgezogen und niemals zum persönlichen oder ethnischen Vorteilen gearbeitet und niemals etwas befürwortet, dass der Demokratie und Menschlichkeit widersprochen hätte.

Ich habe niemals Aktionen geduldet, die Hilflosen Schaden zugefügt haben. Ich und die Mukaveme Suriyyi sind in den nördlichen Bergen von Latakia, an der Grenze zur Türkei aktiv. Ich war persönlich noch nie in Baniyas und die Mukaveme Suriyyi haben noch nie in dieser Region operiert. Ich habe aber an den Trauerveranstaltungen für die Opfer des Massakers teilgenommen. Der Spiegel-Artikel bezieht sich auf eine Aussage von mir während einer dieser Veranstaltungen, die jedoch aus dem Kontext genommen und verdreht wurde. So wurde der Anschein erweckt, wir wären in Baniyas, um eine „Säuberung“ durchzuführen. Sie berufen sich auf das arabische Wort „Tahtir“, welches „Säuberung“ bedeutet. Im Militärjargon bezeichnet man damit jedoch die Säuberung eines Gebietes von Sprengfallen und Minen. Es hat, anders als in diesem Artikel impliziert, nichts mit ethnischen Säuberungen zu tun. Ich verurteile jeden, der für das Massaker verantwortlich ist und möchte nochmals unterstreichen, dass ich nichts damit zu tun habe.

Auch der Bombenanschlag in Reyhanli diente einer Politik der Spannung zwischen der Türkei und Syrien und wurde mir in die Schuhe geschoben, bis sich herausstellte, dass der türkische Geheimdienst MIT dafür verantwortlich war. Die Geheimdienste möchten diese Region in ein von Krieg dominiertes Chaos manövrieren und Syrien für alles verantwortlich machen. Es ist für sie leichter, mir solche Massaker in die Schuhe zu schieben, als das Handeln ihrer eigenen Mörderbanden zu erklären. Allein die Tatsache, dass ich als Verantwortlicher schon feststand, bevor es Untersuchungen, Beweise oder konkrete Verdächtige gegeben hat, sollte Grund genug sein, der Sache nicht zu trauen. Nach dem Bombenanschlag in Reyhanli hab ich öffentlich bekannt gegeben, dass ich dazu bereit bin, mich einem wirklich gerechten Gericht zu stellen, mit Recep Tayip Erdoğan gemeinsam, um herauszufinden, wer der wahre Schuldige ist. Ich bin nach wie vor dazu bereit, mich vor einem unabhängigen, internationalen Gericht zu verantworten.

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Zum anderen Teil der Frage: Ich und die Mukaveme Suriyyi sind nur ein Teil der Unterstützung, die das syrische Militär vom Volk bekommt. Die syrische Armee ist die einzig legitime Armee und sie wird uns zum Sieg führen. Wir sind lediglich eine zivile Kraft, die ihrer historischen Verpflichtung nachkommt und Hilfe anbietet. Wir sind die Ehre, der Stolz und das Gewissen des syrischen Volkes. Aufgrund dessen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, mit unserem Volk zu kämpfen ohne etwas dafür zu verlangen. Wir führen diesen Kampf weiter, ohne von staatlicher oder anderer Seite Hilfe zu bekommen. Die Mukaveme Suriyyi besteht einzig und allein aus Freiwilligen und erhält sich einzig und allein durch die Unterstützung des Volkes. Eine militärische Unterstützung erhalten wir bei jedem Gefecht durch die syrische Armee. In den von uns kontrollierten Gebieten haben wir jegliche Form von Schmuggel unterbunden. Die Mukaveme Suriyyi ist eine zivile Kriegsorganisation die ihr Vaterland verteidigt. Diese Organisation wird niemals für etwas anderes handeln, als zum Vorteile des Volkes im Sinne der Ehre und Prinzipien dieses Volkes. Diese Organisation wird niemals außerhalb Syriens operieren und wird solche Bestrebungen ablehnen.

Das Interview führte Willi Effenberger.

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