Kriege

Wie weiter nach Minsk?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Waffenstillstand und Abzug schwerer Waffen: In der weißrussischen Hauptstadt gingen die Verhandlungen zur Ukraine-Krise zu Ende –  

Von HANS BERGER, 12. Februar 2014 – 

Schon bevor am gestrigen Mittwoch Staats- und Regierungschefs aus der Ukraine, Deutschland, Frankreich, Russland sowie Vertreter der ostukrainischen Rebellen im weißrussischen Minsk zusammenkamen, waren Hoffnungen auf einen wirklichen Durchbruch bei den Verhandlungen kaum vorhanden. Man wertete bereits die Anwesenheit der Protagonisten als Erfolg. Während der vielstündigen Marathonsitzung änderte sich an der Stimmung wenig, was nun wirklich wie und von wem diskutiert wurde, blieb undurchsichtig, Meldungen von Einigungen und Dementis wechselten einander ab.

Am Ende hatte der Krisengipfel dann doch ein Ergebnis, wohl deshalb, weil er eines haben musste, wollten nicht alle Seiten eingestehen, dass es eigentlich nichts mehr zu besprechen gibt. Man habe einen Waffenstillstand vereinbart, der am 15. Februar um punkt Mitternacht in Kraft trete, heißt es übereinstimmend aus prorussischen wie prowestlichen Medien. Die russische Pravda veröffentlichte zudem Auszüge aus der Vereinbarung der Konfliktparteien, in der festgehalten wird, dass zwei Tage nach dem Waffenstillstand schwere Waffen abgezogen werden sollen und mit der Freilassung aller Gefangenen begonnen wird. Unter Aufsicht der OSZE sollen ausländische Söldner und Truppen abgezogen werden, für die Regionen Donezk und Lugansk sieht das Dokument einen „Sonderstatus“ vor, Gespräche über Wahlen in den umkämpften Gebieten sollen eingeleitet werden. (1)

Insgesamt erinnert das Ergebnis des Minsker Treffens stark an das Ergebnis des 1. Minsker Treffens im September 2014. Schon damals wurde relativ kurz nach Abschluss der Verhandlungen klar, dass die Vereinbarungen eine weitere Eskalation des Konflikts nicht verhindern werden. Deshalb und wegen der verfahrenen Lage insgesamt wird auch das nun verabschiedete Dokument nicht eben euphorisch kommentiert. „Ich habe keine Illusion, wir haben keine Illusion: Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit notwendig. Es gibt aber eine reale Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden“, fasste Angela Merkel zusammen. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier ergänzte: „Manchem wird das nicht reichen. Auch wir hätten uns mehr gewünscht. Aber es ist das, auf das sich heute Nacht die Präsidenten der Ukraine und Russlands einigen konnten.“

Dabei wäre an und für sich, würde man nur den Text des Abkommens zur Hand nehmen, das Erreichte kein geringer Schritt in Richtung der Wiederherstellung einer einigermaßen friedlichen Situation und der Verlagerung des Konflikts von der militärischen auf die politische Ebene. Man könnte durchaus „vorsichtig optimistisch“ sein, wie der Grundtenor aller im Bundestag vertretenen Parteien beschrieben wird.

Das Problem ist nicht der nun unterzeichnete Text, das Problem sind die Realitäten der Konfliktsituation in der Ukraine. Noch unmittelbar vor dem Treffen in Minsk wurden Scharmützel gemeldet, Kiew berichtete von Toten in Debalzewe, im von den Separatisten kontrollierten Donezk schlugen Granaten ein und töteten mindestens einen Zivilisten. (2)  Gerade Debalzewe, jene Stadt, in der mehrere tausend ukrainische Soldaten eingekesselt sind, wird in den kommenden Tagen zum Prüfstein der Vereinbarung von Minsk werden.

Ebenfalls kaum über die Wahrnehmungsschwelle der westlichen Medien schaffte es eine weitere Truppenbewegung. Das neonazistische Bataillon „Azov“, das auf Kiewer Seite im Bürgerkrieg kämpft, behauptet, in einer „Überraschungsoffensive“ kurz vor Beginn des Minsker Treffens einige Ortschaften zwischen Mariupol und Nowoasowsk „befreit“ zu haben.

Der letztere Vorstoß ist insofern relevant, als er den Fokus auf ein wenig thematisiertes Problem im ukrainischen Bürgerkrieg legt: Sind diejenigen, die da zu Versammlungen zusammenkommen, selbst wenn man unterstellt, sie wären willens dazu, überhaupt noch in der Lage, Frieden zu schließen? Oder gibt es Kräfte, die den Krieg in jedem Fall fortsetzen werden? In Bezug auf Russland erörtern auch westliche Medien diesen Punkt, wenn sie die populistisch zugespitzte Frage stellen, wieviel Einfluss Putin eigentlich auf die Separatisten in Donezk und Lugansk wirklich hat.

Im Bezug auf die Ukraine allerdings wird diese Frage nicht gestellt, obwohl sie da viel angebrachter wäre. Denn hier haben wir zum einen die rechtsextremen Freiwilligenbataillone, die zu einem nicht mehr wegzudenkenden Machtfaktor geworden sind, der sich im Fall des Falles auch gegen Kiew stellt. Diese Kräfte werden weiterkämpfen wollen, und sie haben in Kiew einen Partner in einflussreicher Position, nämlich den Premier Arsenij Jazenjuk. Der US-Lieblingskandidat hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er im Osten der Ukraine auf eine militärische Lösung setzt. Erst zwei Tage vor den Verhandlungen in Minsk rief er die Bevölkerung der Ukraine erneut zur „Mobilisierung“: „Wir müssen alles für unsere Verteidigung tun“, so der Premier. Es gehe „nicht allein um die Mobilisierung der Armee, sondern auch um die Mobilisierung der Regierung und des gesamten Staatsapparates für die Verteidigung der Ukraine und jedes einzelnen Bürgers.“ Hinzu kommt: Neonazis aus dem Azov-Bataillon wie etwa dessen Kommandeur Andrij Biletzky und andere Hardliner wie der ehemalige Mitgründer der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine, Andrij Parubij, haben großen Einfluss auf die „Volksfront“ Jazenjuks.

Kurz: Jeder Friedensdeal, der ausgehandelt wird, wird innerhalb der Ukraine gegen ein großes und einflussreiches Lager aus „Falken“ durchgesetzt werden müssen, die angetrieben von chauvinistischen Ressentiments in jedem Zugeständnis an die Aufständischen in der Ostukraine „Verrat“ sehen. Ob Poroschenko dazu willens und in der Lage ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Nicht unwichtig dürfte in diesem Zusammenhang sein, wie sich die Vereinigten Staaten positionieren, die traditionell enge Beziehungen zum Lager der „Falken“ in Kiew pflegen. US-Medien berichten bislang nur, dass das Weiße Haus abwarte, wie sich der Waffenstillstand entwickle. Gleichzeitig sollen aber rund 600 US-Soldaten am Montag in die Ukraine entsendet werden, um ukrainische Truppen zu „trainieren“. Ein tatsächlich vertrauensbildender Schritt wäre gewesen, diese Truppenentsendung abzusagen.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.pravda.com.ua/news/2015/02/12/7058315/ Übersetzung bei der Zeit: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-02/minsk-ukraine-gipfel-putin-merkel-poroschenko-hollande-live
(2) http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-granatenangriff-auf-bushaltestelle-in-donezk-a-1017843.html
(3) http://www.foxnews.com/world/2015/02/11/fighting-rages-on-in-ukraine-ahead-peace-talks/

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