Sturm auf Mossul

Zwischenbilanz eines Generals

Interview mit einem Brigadegeneral der Peschmerga

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Brigadegeneral Hazhar Omar Ismail in seinem Büro im Peschmerga-Ministerium der kurdischen Regionalregierung in Erbil
Foto von Sylvio Hoffmann, Mehr Infos

Brigadegeneral Hazhar Omar Ismail in seinem Büro im Peschmerga-Ministerium der kurdischen Regionalregierung in Erbil

Brigadegeneral Hazhar Omar Ismail, Director of Coordination and Relations am Ministry of Peshmerga Affairs, ist der erste in den U.S.A ausgebildete kurdische Offizier. 2013 machte er seinen Abschluss am Pennsylvania Military College. Er empfängt uns in seinem Büro im Ministerium der Peschmerga. Das Gebäude darf von außen nicht fotographiert werden und ist auch auf Google Maps nicht zu finden. Wir werden trotzdem freundlich empfangen und dürfen dem General, beim obligatorischen Schwarztee, unsere Fragen zur aktuellen Lage in und um Mossul stellen.

General Ismail, seit nun 19 Tagen dauert die Offensive zur Befreiung Mossuls an: Was lässt sich bis jetzt über die Militäroperationen sagen?

Im Großen und Ganzen muss ich die bislang andauernde Operation als erfolgreich bezeichnen. Die Kooperation mit den irakischen Sicherheitskräften erweist sich als gut organisiert und im Umkehrschluss als sehr fruchtbar. Seitdem Masud Barzani (Präsident der Autonomen Region Kurdistan), sich in Bagdad mit der Zentralregierung getroffen hat, um  Umfang und Details der Zusammenarbeit zu klären, bewegen wir uns militärisch gesehen auf einem klaren Kurs. Alleine die Streitkräfte der Perschmerga haben über 30 Dörfer auf dem Weg nach Mossul von Daesh (arabisches Akronym für den „Islamischen Staat“, Anm. d. Red.) befreit. Bashika – eine Kleinstadt in Schlüsselposition zwischen Erbil und Mossul – ist komplett umzingelt und der „Islamische Staat“ wird auch bald dort schon vertrieben sein.

Können Sie sagen, wie lange die Operationen noch dauern werden?

Obwohl wir stetig Fortschritte verzeichnen, muss man die Gefahren bedenken, die den Weg nach Mossul so riskant machen. Der „Islamische Staat“ war sich ja stets bewusst, dass es irgendwann den groß angelegten Versuch geben würde, die von ihm besetzen Gebiete zurückzuerobern. Somit hatte er zwei Jahre Zeit, sich darauf vorzubereiten. Die Straßen und Dörfer auf dem Weg nach Mossul sind in hoher Dichte mit Minen versehen. Es gibt Tunnelsysteme, über die sich IS-Kämpfer versorgen und im Häuserkampf auch schnell bewegen können. Wenn sie einen Ort aufgeben, bringen sie Sprengsätze und Fallen an, die dann durch unsere Soldaten entschärft werden müssen (Anmerkung des Autors: Bis dato sind 131 Peschmerga durch Sprengfallen gestorben).

Das ist nicht nur immens gefährlich, sondern kostet vor allem Zeit. Manchmal bleiben auch einzelne Scharfschützen in den Dörfern, die dann unsere Leute in vermeintlich sicherer Umgebung angreifen. Allgemein wird alles versucht, um den Vormarsch der Koalitionskräfte zu hindern; dadurch leidet natürlich am meisten die Zivilbevölkerung. Südlich von Mossul bei Qayyarah hat der IS schon im August Ölfelder angezündet, die seitdem durchgehend brennen und giftigen Rauch abgeben. Auch die brennende Fabrik al-Mishraq, welche Tonnen giftigen Schwefels in die Luft schleuderte, geht auf ihr Konto. Um auf ihre Frage zurückzukommen; man muss bedenken, dass der Kampf um Dörfer und Straßen auf allgemein offenem Terrain viel einfacher ist, als das was noch bevorsteht. Mossul ist eine Millionenstadt und schon jetzt ist klar, dass der IS die Zivilbevölkerung als Schutzschild benutzt. Im Häuserkampf kommt man viel langsamer voran und es ist viel schwerer, einzelne Viertel zu isolieren und folglich zu sichern. Dass der IS militärisch besiegt werden wird, steht für mich außer Frage. Wie sehr das auf ideologischer Ebene geschehen wird, und wie man das überhaupt messen kann, ist zu diesem Zeitpunkt nicht festzustellen.

Es gibt Berichte von Gasattacken seitens des IS, können Sie das bestätigen?

Der Einsatz von Giftgas ist kein Einzelfall oder eine Ausnahme. Wir konnten sogar eine Entwicklung in der Anwendung beobachten. 2014 war es meistens Chlorgas, nun gibt es auch Attacken mit Senfgas. Wir hatten bislang rund 450 Peschmerga, die mit Verletzungen durch Giftgas ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Da gab es bislang noch keinen Todesfall. Bei der Zivilbevölkerung sieht es anders aus, vor ungefähr vier Monaten sind eine Frau und zwei Kinder gestorben.

Wie wird zukünftig mit den befreiten Gebieten umgegangen werden?

Viele Dörfer sind während der Kämpfe stark beschädigt worden. Dazu kommen die zahlreichen Sprengfallen und Minen, die die Ortschaften unbewohnbar machen. Schon jetzt gibt es hier über 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge, durch Kämpfe in Mossul selber werden schätzungsweise zwischen dreihundert- und siebenhunderttausend dazukommen. Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich allen Menschen eine sichere Rückkehr in ihr Zuhause zu ermöglichen. Dafür benötigen wir aber immense Unterstützung. Nicht nur von der Zentralregierung in Bagdad, sondern auch von internationalen Hilfsorganisationen und unseren Koalitionspartnern im Westen. Nur mal als Beispiel: In den Gebieten, die zur autonomen Region Kurdistan gehören, leben ca. 5,5 Millionen Menschen. Schon jetzt leben aber in den Gebieten, die von den Peschmerga befreit wurden und nun gesichert werden, etwa zehn Millionen. Den Wiederaufbau und die darauf folgende Rückkehr zu ermöglichen, ist also eine gewaltige Aufgabe.

Kalschnikow im Anschlag: Ein Kämpfer der Peschmerga nahe Mossul

Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Gibt es noch irgendetwas, was Sie hinzufügen möchten?

Durchaus. Unsere Koalitionspartner müssen sich klar machen, dass die Peschmerga nicht nur für sich selber kämpfen. Wir kämpfen für alle Minderheiten und Zivilisten, die unter der Herrschaft des IS gelitten haben, seien sie Kurden oder nicht. Wir erfüllen diese Aufgabe gerne und mit Stolz, auf Dauer liegt es aber im Interesse aller, gemeinsam für Frieden und Kooperation in dieser Region zu sorgen. Dafür brauchen wir weiter Unterstützung. Eigentlich wird uns diese durch die irakische Verfassung garantiert, aber die irakische Regierung tut sich schwer damit. Zeitweise haben sie sogar aufgehört, Geld für Gehälter zu überweisen.

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Ein großes Thema ist die Sicherheit. Seit 2014, also seit dem der IS sich offiziell im Irak etabliert hat, haben wir über zweitausend Tote und neuntausend verletzte Peschmerga zu verzeichnen. Es fehlt an schusssicheren Westen, Gasmasken und Helmen. Viele unserer jungen Leute sind gezwungen, sich ihre Ausrüstung selber zu kaufen. Viele Waffen sind noch aus den 1990ern. Um langfristig im Irak und auch in der Kurdischen Autonomen Region Stabilität und Frieden zu schaffen, bedarf es Kooperation und Unterstützung. Auf militärischer Ebene und im Hinblick auf den Wiederaufbau. Die Menschen hier brauchen eine Perspektive.

(Das Gespräch führte Andreas Schmidt, die Fotos stammen von Sylvio Hoffmann)

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