Terrorismus

Der Chef-Terrorist

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Vor 40 Jahren starb CIA-Direktor Allen Dulles –

Von HORST SCHÄFER, 26. Januar 2009 –

Barack Obama erhält seit seiner Wahl zum Präsidenten der USA jeden Tag etwas, das seit Dwight D. Eisenhowers Zeiten alle gewählten Präsidenten bekommen haben, auch John F. Kennedy: Das tägliche etwa einstündige Briefing der CIA, eine Kurzinformation, um den kommenden Oberbefehlshaber im Weißen Haus besser mit der internationalen Lage, wie die CIA sie sieht, vertraut zu machen. Auch mit möglichen geheimen US-Plänen im Ausland.

Schon am 23. Juli 1960, also mehr als 3 Monate vor seiner Wahl, wurde Präsidentschafts-Kandidat Kennedy – der jugendlich wirkende Sympathie- und Hoffnungsträger, damals ähnlich enthusiastisch bejubelt wie Obama – im Rahmen eines Briefings von CIA-Chef Allen Welsh Dulles detailliert über die von ihm mit Zustimmung Eisenhowers geplante und für das Frühjahr 1961 vorgesehene US-Invasion in Kuba informiert.

Die Vorbereitungen für den gegen Völkerrecht und UNO-Charta verstoßenden Terrorakt waren bereits 1959, wenige Monate nach dem Sieg der Revolution, begonnen worden. Schon vor dem Einzug der Revolutionäre in Havanna, am 23. Dezember 1958, hatte Dulles im Nationalen Sicherheitsrat (NSC) erklärt: „Wir sollten einen Sieg Castros verhindern.“ Anfang 1960 legte Dulles ein „Geheimprogramm zum Sturz Castros“ vor, dann formierte er die CIA-Terrorgruppe „Operation 40“, die noch im selben Jahr mit Sabotageakten, Terror- und Mordanschlägen gegen Kuba begann. Der CIA-Chef stimmte auch dem Vorschlag seiner Mitarbeiter zu, die Mafia für Mordpläne gegen Fidel und Raul Castro sowie Che Guevara zu rekrutieren.

Obwohl sich Kennedy mit den Plänen von Eisenhower und Dulles nicht richtig anfreunden konnte, stimmte er schließlich einer etwas reduzierten Version des Überfalls auf Kuba zu – reduziert, was das offene militärische Engagement der USA betraf. Insbesondere missfiel ihm an dem CIA-Invasionsplan, der „Operation Schweinebucht“, dass die Handschrift der USA zu deutlich zu erkennen war. Er fürchtete negative Auswirkungen auf das internationale Ansehen der USA und insbesondere das seiner Regierung.

Die US-Invasion fand knapp drei Monate nach Kennedys Inauguration statt, vom 17. bis 19. April 1961, und sie wurde bekanntlich ein für CIA und USA äußerst peinlicher Fehlschlag. Präsident Kennedy distanzierte sich zwar von der CIA – im Wesentlichen wegen deren Erfolglosigkeit – und entließ Dulles Ende 1961. Danach verschärfte er jedoch seine Terrorpolitik gegen Kuba und begann, diesmal unter Oberhoheit des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) und des Pentagon, die Vorbereitung der militärischen „Operation Mongoose“, die laut Plan im Oktober 1962 mit dem Einzug in Havanna enden sollte. Mongoose wurde jedoch durch die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba und deren späteren Tausch gegen einen Invasionsverzicht der USA beendet. Kennedy hatte zwar den Einfluss der CIA etwas eingeschränkt, dann aber praktisch deren Politik des gewaltsamen „Regime-Wechsels“ und des Mordens fortgesetzt.

Auftrag zum Mord

Der Befehl an Victor Hedgman in Leopoldville war unmissverständlich ein Auftrag zum Töten – und der kam von ganz oben! Es ging dem CIA-Hauptquartier in Washington darum, im Auftrag der Regierung Eisenhower den gerade gewählten kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba aus dem Weg zu räumen.

Das vielfach verschlüsselte Telegramm, das am 26. August 1960 in der CIA-Außenstelle im Kongo eintraf, betonte, „dass seine (Lumumbas) Beseitigung dringendes und erstrangiges Anliegen“ ist und verlangte, dass sie „unter den gegenwärtigen Bedingungen hohe Priorität unter unseren geheimen Operationen haben muss.“

Washingtons Chef-Agent in Kongos Hauptstadt hatte nie zuvor ein Telegramm direkt vom CIA-Direktor bekommen. Doch die Adresszeile lautete eindeutig: „Dulles to Station Officer“ – und das war er, Hedgman. Jeder in der „Firma“ wusste, dass diese „persönliche Signatur“ des CIA-Chefs im Nachrichtenverkehr sehr selten war und dass sie die große Bedeutung dieses Auftrags unterstreichen sollte.

Doch für Victor Hedgman kam der Mordbefehl nicht überraschend. Schon zu Lumumbas Antrittsbesuch in Washington gleich nach seiner Wahl Ende Juli 1960 – Dulles hatte Hedgman extra aus Leopoldville (heute Kinshasa) herbeizitiert – blieb ihm nicht verborgen, dass der Empfang durch die US-Regierung äußerst reserviert war und in der CIA unmittelbar danach bereits Mordprojekte überlegt wurden.

Dulles hatte Anfang August 1960 auf zwei Sitzungen des NSC kräftig die Alarmglocken geläutet und den noch zögernden Eisenhower für die „Beseitigung“ des Kongolesen zu erwärmen versucht. Er warnte: „In Gestalt von Lumumba sind wir mit einer Person konfrontiert, die ein Castro ist oder noch schlimmer.“ Dulles wusste: Castro und die kubanische Revolution waren dem republikanischen Präsidenten seit der Niederlage von Washingtons Lieblingsdiktator Fulgencio Batista 18 Monate zuvor ein „pain in the ass“. Schon seit Monaten hatten CIA-Vorbereitungen für eine Invasion und die Ermordung Castros begonnen. Deshalb telegrafierte dann Hedgman am 18. August aus Leopoldville: „Möglicherweise nur noch wenig Zeit, um neues Kuba zu verhindern.“ Das überzeugte schließlich auch Eisenhower und er stimmte dem Plan des CIA-Direktors zu.

Für die Mordvorbereitungen allein im Kongo stellte Allen Dulles 100.000 US-Dollar zur Verfügung, eigentlich „Peanuts“ gemessen am zweistelligen Milliarden-Etat der US-Geheimdienste. Fast alles wurde von Washington aus organisiert: Biologische Gifte aus den eigenen Labors, Injektionsspritzen, sogar Gummihandschuhe und Gesichtsmasken – weil das Gift so gefährlich war – kamen mit dem diplomatischen Kurier; kriminelle Killer aus Europa setzte das Hauptquartier in Richtung Leopoldville in Marsch. Auch Präzisionswaffen mit Zielfernrohr wurden geliefert, falls der Giftanschlag fehlschlagen sollte. Es sei auch diskutiert worden, so ein CIA-Offizieller 1975 vor dem Untersuchungsausschuss des US-Senats zu den Verbrechen der CIA (dem nach seinem Vorsitzenden Frank Church genannten Church-Ausschuss), welche Vorteile es habe, Patrice Lumumba durch die Kongolesen selbst umbringen und die Handschrift der USA nicht erkennen zu lassen – was dann schließlich auch so geschah. Von Iran bis Tibet

Die Mordpläne gegen Castro und Lumumba waren symptomatisch für die Tätigkeit des Mannes, der vor 40 Jahren, Ende Januar 1969, im Alter von 75 Jahren starb und fast 30 Jahre den US-Geheimdienst wesentlich beeinflusste. Der Name Allen Dulles ist eng verknüpft mit der Entstehungsgeschichte der US-Geheimdienste, wie wir sie heute kennen. Wie kein anderer trug Dulles in seiner Zeit als Vize-Direktor (1951-53) und als oberster Chef (1953 bis Ende 1961) dazu bei, aus dem Spionagedienst der USA eine in der ganzen Welt operierende geheime Terror-Organisation zu machen.

Statt Informationen zu sammeln und auszuwerten, mischte sie sich zumeist im Auftrag der jeweiligen US-Regierung in die inneren Angelegenheiten unzähliger Staaten ein, kaufte Politiker und Journalisten, finanzierte Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, gab eigene Zeitungen heraus, unterhielt Rundfunksender, beeinflusste Wahlen und scheute auch nicht vor Putsch, militärischer Invasion und Mord an Staatsmännern zurück. Der Church-Ausschuss stellte in seinem Schlussbericht 1976 fest: „ Die Auswirkung von Allen W. Dulles auf die Central Intelligence Agency war vielleicht größer als die eines jeden anderen Individuums.“

Untersuchungsausschüsse des US-Kongresses dokumentierten viele weitere terroristische Interventionen, Militärputsche, Morde und Mordpläne der CIA, die unter der Führung von Dulles geplant und durchgeführt wurden, darunter in Iran, Indonesien, Tibet und Guatemala. Minderheiten wurden rekrutiert, um sie zum Aufstand gegen unliebsame Regierungen aufzustacheln. Dabei griff die CIA auch auf Waffenlager zurück, die sie unter Dulles an zahlreichen strategischen Punkten auf der Welt vorsorglich angelegt hatte.

Außer in Libyen und der Suezkanal-Zone richtete die CIA 1958 und 1959 auch Waffenlager in Tibet ein, nachdem der US-Geheimdienst mit der Ausbildung von Tibetern – zuerst in Nepal, dann in Tibet selbst – begonnen hatte. Später wurde eines der Ausbildungslager für mehr als 250 Tibeter im US-Bundesstaat Colorado aufgebaut. Aus US-Dokumenten geht hervor, dass die CIA tausende Gewehre, Maschinengewehre, Mörser und andere militärische Ausrüstung an Fallschirmen über Tibet abwarf. Um die Gegensätze in Tibet und zu China zuzuspitzen und bessere Einflussmöglichkeiten zu bekommen, organisierte die CIA 1959 die Flucht des damaligen Dalai Lama nach Indien. Die US-Wühlarbeit führte dazu, dass tausende Tibeter und Chinesen den Tod fanden. Roger McCarthy, einer der Leiter des CIA-Einsatzes in Tibet, erklärte, es sei eine “der besten aller Operationen“ des US-Geheimdienstes gewesen.

Als Irans Ministerpräsident Mohammed Mossadegh die Erdölindustrie verstaatlichte, sah Dulles rot. Im Frühjahr 1953 plante er nach Absprache mit Eisenhower und seinem Bruder, Außenminister John Foster Dulles, einen Putsch, um Mossadegh abzusetzen und Schah Reza Pahlewi, mit dem er befreundet war, auf den Thron zu hieven. Für die Vorbereitung des CIA-Unternehmens mit der Tarnbezeichnung TRAJAX stellte Dulles eine Million Dollar bereit. Der Staatsstreich gilt als erster blutiger Umsturz einer demokratisch gewählten Regierung nach dem 2. Weltkrieg, die mit CIA-Dokumenten belegt werden kann.

Um die Stimmung in Iran aufzuheizen, organisierte die CIA Demonstrationen gegen die Regierung, ließ Mossadegh, einen bürgerlich-nationalistischen Politiker, als „Kommunisten“ oder „Juden“ verunglimpfen, organisierte Überfälle auf hohe islamische Geistliche durch CIA-Agenten, die als Kommunisten agierten, und platzierte in der Presse Hetzartikel gegen Mossadegh. In einem Memorandum des NSC von 1953 heißt es: „Gegenwärtig unterhält die CIA ein Lager mit leichten Waffen, Munition und Sprengstoffen unter dem Schutz der USAF (US-Luftwaffe) auf der Basis Wheelus, Tripolis. Die Größe des Waffenlagers ist dazu geeignet, eine Guerilla-Armee von 10.000 Mann für sechs Monate ohne zusätzliche Lieferungen zu versorgen…Diese Dinge könnten innerhalb von 3 bis 4 Wochen auf dem Luftweg zu bestimmten einflussreichen Stämmen im Süden Irans geliefert werden.“

Besonderes Interesse zeigte Dulles an einem Putsch gegen die gewählte Regierung von Guatemala, denn hier trafen politische und private Interessen zusammen. Präsident Jacobo Arbenz hatte sein Wahlversprechen von 1950 gehalten, einen Teil der Ländereien der United Fruit Company (UFC) verstaatlicht und an landlose Bauern verteilt. Der CIA-Chef war, wie sein Bruder, eng mit dem Konzern verbandelt, beide hatten finanzielle Beteiligungen an dem Unternehmen, sie bekleideten hohe Posten – Allen war Vorstandsmitglied – und sie hatten die UFC seit Jahren juristisch beraten.

Verständlich, dass sich Allen W. Dulles bei der jahrelangen Vorbereitung des CIA-Putsches mehrfach mit dem UFC traf, so bereits am 5. November 1951.Wie aus einem CIA-Dokument über das Treffen hervorgeht, erklärte sich die UFC bereit, für den Sturz von Arbenz viel Geld an die CIA zu zahlen. Doch der Bananen-Konzern wollte die CIA nicht nur finanziell unterstützen, sondern auch mit Material und dem konzerneigenen Geheimdienst. Man sei bereit, so die Firmenvertreter, für einen Putsch „alles Erdenkliche zu tun“. Die CIA schreibt am 14. November 1951 an den NSC: „Die CIA ist an diesem Angebot sehr interessiert.“ Bald darauf werden die ersten Waffen aus Depots von CIA und Außenministerium für eine Söldnerarmee mit Bananendampfern der United Fruit Company nach Nikaragua und Honduras verschifft – getarnt als „landwirtschaftliche Maschinen“. Am 9. Juli 1954 konnte die CIA der UFC den erfolgreichen Abschluss des Putsches melden.

Ein besonderes Lob spendete der CIA-Direktor dem US-Botschafter in Guatemala, John Peurifoy, der den Putsch vor Ort direkt aus der Botschaft leitete. „Er hat unsere größten Erwartungen übertroffen“, schrieb Dulles. „Seine Fertigkeiten sind schon bestens bekannt und werden von allen wichtigen Abteilungen der Regierung gewürdigt.“

In Indonesien inszenierte die CIA 1958 einen blutigen Bürgerkrieg, weil der US-Regierung die Politik der Blockfreiheit von Präsident Sukarno nicht passte. Die CIA unter Dulles, unterstützt von Eisenhower und Vizepräsident Richard Nixon, rekrutierte 42.000 „Rebellen“, bewaffnete sie und gab ihnen mit Bomberstaffeln, Frachtmaschinen und sogar Unterseebooten Schützenhilfe. Die Führer der CIA-Truppe waren auf US-Stützpunkten wie Okinawa (Japan) ausgebildet worden und wurden von dort auch logistisch unterstützt. Als sich selbst der US-Botschafter in Indonesien über das Vorgehen der CIA beschwerte, sorgte Allen Dulles über seinen Bruder und Außenminister dafür, dass der Diplomat abgelöst wurde. Der US-Putsch scheiterte schließlich am Widerstand der Regierung Sukarno. Doch die USA und ihr Geheimdienst gaben nicht auf. Sieben Jahre später gelang es mit Hilfe von Suharto, Sukarno zu stürzen. In barbarischen Massakern wurden mehr als eine Million Menschen ermordet.

Menschenversuche

Die staatsterroristische Politik der CIA gegen andere Staaten führte in den USA zwangsläufig auch zu Terrorismus gegen die eigene Bevölkerung. Das zeigen die innenpolitischen Aktionen der CIA insbesondere in den 50er Jahren, als Dulles an der Spitze der CIA stand. Bis heute hat das verheerende Folgen, denn Präsident Bush und seine Mannschaft waren in ihrer Innen- und Außenpolitik durchaus „würdige“ Erben von Allen W. Dulles.

Obwohl der Geheimdienst laut Gesetz nicht im Innern der USA tätig werden durfte – das hätte er auch getrost dem auf diesem Gebiet ähnlich undemokratisch operierenden und gegen die eigene Verfassung verstoßenden FBI überlassen können – waren Telefonüberwachung, die Kontrolle der gesamten Post aus dem Ausland, Einbrüche bei vermeintlichen Opponenten der Regierungspolitik, Einschleusen von Agents Provocateurs in regierungskritische Organisationen an der Tagesordnung. Senator Gary Hart warnte 1976 angesichts der CIA-Aktivitäten gegen US-Bürger davor, dass die USA zu einem Polizeistaat werden könnten.

Mit der Operation MOCKINGBIRD gelang es der CIA Anfang der 50er Jahre, hunderte von US-Journalisten zu rekrutieren oder CIA-Agenten als Journalisten in Zeitungen und Rundfunkstationen zu unterzubringen. Um eigene Propaganda-Artikel zur Beeinflussung der Öffentlichkeit zu platzieren oder Kritik an der CIA zu unterbinden, arbeitete der Geheimdienst mit dutzenden Medienunternehmen zusammen. Der Untersuchungsausschuss des US-Senats sprach von mindestens 400 Journalisten und 25 Unternehmen, die von der CIA bezahlt wurden. Die wirkliche Anzahl, so der Ausschuss, sei jedoch beträchtlich größer gewesen.

Zu den schlimmsten innenpolitischen Operationen der CIA unter Dulles gehörten das 1953 initiierte Programm MKULTRA, mit dem die Voraussetzungen geschaffen werden sollten, Menschen durch Drogen zu lenken oder umzubringen, ohne Spuren zu hinterlassen. Fast zwei Jahrzehnte wurde in geheimen Labors der CIA und der US-Armee die Entwicklung bewusstseinsverändernder Drogen vorangetrieben. Die CIA arbeitete mit der Pharmaindustrie zusammen, verschaffte sich Zugriff zu Labors von 68 Universitäten und Instituten und spannte sie – ohne Auftraggeber und Ziel der Experimente zu nennen – in ihre Forschungen ein. „Die CIA setzte amerikanische Bürger ohne deren eigene Kenntnis oder Einverständnis unter Drogen“. erklärte Senator Edward Kennedy, der Bruder von John F. Kennedy, vor dem US-Senat.

Auf der Suche nach Medikamenten für eine perfekte Gehirnwäsche wurden auch lebensgefährliche Versuche an Tausenden Gefängnisinsassen, Krankenhauspatienten und anderen US-Bürgern mit verheerenden gesundheitlichen Folgen vorgenommen, die allein nach CIA-Angaben zu mindestens 2 direkten Todesfällen führten. Wie viel Menschen tatsächlich unmittelbar oder an den Spätfolgen der Experimente starben, ist nicht bekannt, da die Unterlagen von der CIA vernichtet wurden. Der Wissenschaftler Frank Olsen, der an dem Projekt beteiligt war, wurde in den Tod getrieben oder sogar ermordet, weil er vermutlich aus dem CIA-Programm aussteigen wollte. 1976 deckte der Church-Ausschuss an Hand von Geheimdokumenten und Zeugenaussagen viele der schwerwiegenden innenpolitischen Auswirkungen dieser Politik auf und stellte fest, die CIA habe damit eine „massive Einschränkung der Rechte der US-Bürger“ bewirkt und eine „fundamentale Missachtung für den Wert des menschlichen Lebens“ gezeigt.

CIA-Direktor Admiral Stansfield Turner wies 1977 in einer Senatsanhörung darauf hin, dass fast alle Unterlagen über die menschenverachtenden Experimente 1973 von der CIA zerstört wurden. Später seien lediglich 8000 Seiten gefunden worden, aus denen hervorgehe, dass es bei den Forschungsprojekten auch um die Wirkung von Hypnose und Psychotherapie bei Drogenkonsum, um die Entwicklung biologischer Mittel gegen Menschen, Tiere und Ernteerträge sowie um K.O.-Drogen, die Effekte von Elektroschocks sowie um Sabotage an Material und Lebensmitteln gegangen sei.

Allerdings, so der Admiral, gebe es über die jahrelangen Menschenversuche wenig schriftliche Beweise. Schon 1963 habe der CIA-Generalinspekteur festgestellt: „Es ist üblich, keine Unterlagen über Planung und Genehmigung der Tests aufzubewahren.“ Die unmenschlichen Programme wurden später unter den Namen MKSEARCH, OFTEN und CHICKWIT bis mindestens 1973 fortgesetzt. Als der Vorsitzende des Senatsausschusses, Senator Inouye, vom CIA-Direktor wissen wollte: „Kann so etwas wieder passieren?“ vermied der Admiral ein Nein.

Der innere Terror wurde durch die CIA auch nach dem Ausscheiden von Dulles 1962 fortgesetzt. Die 1967 ins Leben gerufene Operation CHAOS ist dafür beispielhaft.

Wie die von Präsident Gerald Ford 1975 eingesetzte Rockefeller-Kommission zur Untersuchung der CIA-Aktivitäten innerhalb der USA feststellte, wurden im Laufe von 6 Jahren bei der Überwachung von angeblichen US-Dissidenten durch den Auslands-Geheimdienst Akten „mit den Namen von mehr als 300.000 Personen und Organisationen“ angelegt.

Dulles und Globke

Die berufliche Kariere des Juristen Allen W. Dulles ist typisch für das schon damals in den USA übliche „Drehtürprinzip“, also den Wechsel zwischen Staatsamt und Privatwirtschaft. Zuerst war Dulles im diplomatischen Dienst (1916-26), dann arbeitete er für eine bedeutende New Yorker Anwaltsfirma (1926-42), als deren Vertreter er US-Konzerne bei Auslandsgeschäften vertrat. Darunter waren die Standard Oil des Milliardärs Rockefeller, die United Fruit Company und Geldinstitute wie die Schroeder-Bank, die auch mit Hitlerdeutschland kooperierte. Kunden waren auch der deutsche Chemiegigant IG Farben sowie der Vater des 41. und Großvater des 43. Präsidenten der USA, Prescott Bush, der Geschäfte mit Nazideutschland machte. Während des 2. Weltkrieges ging Allen Dulles zum Geheimdienst OSS, dem Vorläufer der CIA, und leitete dessen Büro in Genf (1942-45).

In diesen Jahren und in der Nachkriegszeit knüpfte Dulles wieder enge Kontakte zu Deutschland, immer auch auf der Suche nach Menschen, die für die spätere US-Politik von Nutzen sein könnten. Und so sorgte er dafür, dass zwei Männer in der Nachkriegspolitik der Bundesrepublik eine wichtige Rolle spielten: Hans Globke, Mitarbeiter im Nazi-Innenministerium und Kommentator der NS-Rassengesetze, wurde Staatssekretär im Bundeskanzleramt und war die rechte Hand von Bundeskanzler Konrad Adenauer. General Reinhard Gehlen, Leiter der NS-Spionageorganisation „Fremde Heere Ost“, baute unter Mithilfe von Dulles und dem US-Geheimdienst die „Organisation Gehlen“ auf, den Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Wie eng die Beziehungen zwischen Dulles und der CIA einerseits sowie Adenauer und Globke andererseits waren, macht der Fall Adolf Eichmann deutlich. Unter der Überschrift „Dokumente zeigen: CIA deckte Nazi-Kriegsverbrecher“ berichtete die Zeitung „USA-TODAY“ am 6. Juni 2006 über die Freigabe von 27.000 CIA-Dokumenten durch das US-Nationalarchiv, „die einen Einblick gewähren in das Schattenreich der US-Geheimdienste und in ihre Anstrengungen, ehemalige Nazi-Kriegsverbrecher als Spione zu nutzen…“. Globke wird beschrieben als „hochrangiger ehemaliger Nazi und Chefberater in Westdeutschland, der den USA half, ihre antikommunistischen Initiativen in dem Land zu koordinieren“. Die Dokumente zeigen auch, dass Adenauer und die CIA alarmiert waren über eine Pressekonferenz der DDR-Regierung, in der die verbrecherische Tätigkeit Globkes enthüllt wurde.

Aus den CIA-Papieren wird weiter deutlich, dass Adenauer 1958 Dulles den Aufenthaltsort des flüchtigen millionenfachen Judenmörders mitteilen konnte. Beide Seiten kamen überein, darüber Stillschweigen zu bewahren. Man fürchtete, Eichmann könnte Globke belasten. Die gleiche Einsatzbereitschaft zugunsten seiner westdeutschen Freunde zeigte Dulles auch, als zwei Jahre später Eichmann von den Israelis verhaftet wurde und die US-Zeitschrift „Life“ den Abdruck eines längeren Artikels von Eichmann plante. „Die CIA setzte Journalisten unter Druck, Hinweise auf Globke zu streichen“, berichtete die US-Nachrichtenagentur AP und zitierte aus einem Dulles-Memorandum vom 20. September 1960: „Gesamtes Material wurde gelesen. Eine unbedeutende Erwähnung von Globke hat Life auf unser Ersuchen hin entfernt.”

Kritisch wurde es dann erneut kurz vor Beginn des Prozess gegen den Massenmörder in Israel. Am 7. Februar 1961 warnte das US-Generalkonsulat in Frankfurt/Main in einem Telegramm, Eichmann könnte während der Verhandlungen Enthüllungen machen, die Globke „beschädigen“ würden. Gleichzeitig kam aber Entwarnung für Dulles: Die israelische Regierung werde im Eichmann-Prozess „aus politischen und diplomatischen Gründen“ beachten, dass es nicht zu „belastenden Aussagen gegen prominente Westdeutsche“ kommt. Der US-Diplomat nannte als Quelle Hessens Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der gerade in Israel gewesen sei.

Bevor Dulles 1951 wieder offiziell zur CIA wechselte, hatte er von 1945 bis 1950 erneut bei der Anwalts- und Anlagenfirma in New York gewirkt, ohne allerdings die Geheimdienstarbeit aufzugeben. Kein Nachteil für seine Karriere war es auch, dass John Foster Dulles führende Positionen in der Anwaltsfirma innehatte.

Nach seiner Entlassung Ende 1961 durch Präsident John F. Kennedy wegen erheblicher Meinungsverschiedenheiten wurde Allen W. Dulles von Präsident Lyndon B. Johnson ausgerechnet zum Mitglied der Warren-Kommission ernannt, die 1963/64 den Mord an Kennedy in Dallas/Texas aufklären sollte. So konnte Dulles direkt dafür sorgen, dass die These vom Einzeltäter offiziell unangetastet blieb und die CIA bei der Suche nach den möglichen Kennedy-Mördern nicht selbst ins Visier der Fahnder geriet.

Obama und das Monster

Kehren wir zu den täglichen CIA-Briefings mit dem US-Präsidenten zurück. Worüber hatte der ehemalige CIA-Direktor General Michael Hayden mit Barack Obama gesprochen, über welche Absichten der Bush-Administration wurde er bereits informiert? Sicher werden die US-Pläne eines militärischen Überfalls auf Iran eine Rolle gespielt haben. Wie weit sind sie gediehen? Wird Obama ihnen zustimmen, wie auf Grund bisheriger Äußerungen zu befürchten ist, und wird es dann wieder nur Monate dauern bis zur Invasion – wie 1961 durch Kennedy? Ist es realistisch zu hoffen, Obama könnte eine Abkehr von der bisherigen US-Politik der militärischen und politischen Interventionen in anderen Staaten erreichen, eine Abkehr von der gefährlichen Rolle, die die CIA mit ihren verdeckten terroristischen Operationen seit Allen W. Dulles dabei spielte?

Obama hat ausgerechnet das Pentagon von seiner angekündigten Politik des „Wandels“ ausgenommen und den Bush-Mann Robert Gates auf seinem Posten als Verteidigungsminister belassen. Den Robert Gates, der 1987 nicht CIA-Direktor wurde, weil er als stellvertretender Chef des US-Geheimdienstes zu tief in die Iran-Contra-Affäre verstrickt war und der dann von Präsident Bush sen. 1989 zuerst zum Vize-Sicherheitsberater und 1991 zum CIA-Direktor ernannt wurde. In diesen Funktionen half er, Kriege in Mittelamerika – darunter gegen Grenada, Nikaragua und Panama – sowie den Golf-Krieg 1990/91 vorzubereiten und zu führen. Den Robert Gates also, der nach einem Bericht der „New York Times“ von Mitte November 2008 die durch einen geheimen Bush-Erlass gedeckte Politik seines Vorgängers Rumsfeld fortsetzte, in aller Welt – zuletzt in Syrien und Pakistan mit vielen zivilen Opfern – geheime Kommandoeinsätze von Spezialkräften des Pentagon gegen angebliche Terroristen durchzuführen. Das erinnert sehr an Dulles und die CIA.

Als die US-Internetzeitung „Huffington Post“ am 5. November 2008 über die Geheimdienst-Briefings für den gewählten Präsidenten berichtete, wurde in einer der mehr als 150 Zuschriften zu dem Artikel vorgeschlagen, Obama solle die CIA doch endlich auflösen und die eingesparten 40 Milliarden Dollar zur Behebung drängender Probleme verwenden.

Ähnliche Gedanken hatten schon den bekannten US-Journalisten und langjährigen CIA-Mitarbeiter unter Dulles, Tom Braden, beschäftigt, der seinen Boss 1944 beim OSS in der Schweiz kennen lernte und bis 1954 leitende CIA-Positionen bekleidete. In einem Zeitungsartikel nannte Braden die CIA unter Hinweis auf die von den USA organisierten Staatsstreiche in Iran, Guatemala und Griechenland sowie die Menschenopfer bei den „Aufständen des kalten Krieges in Polen, Ostdeutschland und Ungarn“, die er der CIA ankreidete, ein „gewaltiges Monster, das in der ganzen Welt Besitztümer hat, das Fluggesellschaften, Zeitungen, Radiostationen, Banken, Armeen und Flotten betreibt…“

Diese CIA sei „eine Schande, insbesondere eine amerikanische Schande“, so Tom Braden, und „ein Ende ist nicht in Sicht“. Unter Hinweis auf die Untersuchungen von Rockefeller-Kommission und US-Kongress über den Geheimdienst meinte Braden: „Sie werden zweifellos Fehler finden, Veränderungen empfehlen, umgruppieren, anpassen. Aber sie werden das Monster intakt lassen.“ Doch alles, was an die CIA erinnere, müsse ausgelöscht werden, auch der Name.

Eine Ausnahme schlug der Ex-Geheimdienstler in Bezug auf das CIA-Hauptquartier vor: „Was das Haus betrifft, das Allen Dulles in Langley gebaut hat, das können wir – unser einziges nationales Denkmal – leer stehen lassen als Preis, den eine Demokratie dafür vergibt, dass ein Fehler erkannt und korrigiert wird.“ Der CIA-Untersuchungsausschuss des US-Senats fand diesen Artikel von Tom Braden so wichtig, dass er ihn im vollen Wortlaut in seinen 1976 veröffentlichten Abschlussbericht über die Verbrechen des Geheimdienstes aufnahm. Das war vor 32 Jahren – doch das „Monster CIA“ ist immer noch intakt.

Denn mit dem Ausscheiden von Dulles waren die geheimen Einsätze der CIA nicht zu Ende. Wie der Church-Ausschuss 1976 feststellte, führte der US-Geheimdienst seit 1961 – also in 15 Jahren – „mehrere tausend verdeckte Operationen“ durch. Allerdings gab es seit 1976 keinen Kongressausschuss mehr, der CIA-Einsätze aufgedeckt oder auch nur gezählt hätte. Und das Pentagon versuchte gerade in den Bush-Jahren, der CIA auf dem Gebiet der verdeckten Auslandseinsätze den Rang abzulaufen.

Neben Tom Bradens Artikel über die Entwicklung der CIA unter Dulles zu einer Invasions- und Mordtruppe wäre auch Präsident Eisenhowers Abschiedsrede vom Januar 1961 eine bedenkenswerte Lektüre für den neuen Präsidenten. Eisenhower hatte darin vor dem wachsenden Einfluss des „militärisch-industriellen Komplexes“ in den USA gewarnt, der Demokratie und Freiheit gefährden könne. Hätte Präsident Kennedy diese Worte seines Vorgängers sowie Tom Bradens Erfahrungen mit Dulles und der CIA ernster genommen, wären die USA heute möglicherweise ein anderes Land.

Der Artikel erschien zuerst in der Printausgabe "Hintergrund – Das Nachrichtenmagazin" 1/2009. Er wurde in der Online-Version geringfügig aktualisiert.

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Horst Schäfer hat 11 Jahre als Journalist in den USA gearbeitet und ist Autor des Buches „Im Fadenkreuz: Kuba“, eine Chronik über 50 Jahre Staatsterrorismus gegen die Antilleninsel, sowie Mitautor der Bücher „Terror und Staat“ und „Das Schweigekartell“ über offene Fragen zum 11. September 2001.

Quellen http://www.hintergrund.de/content/view/316/191/

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