Terrorismus

Der Fall Verena Becker und die Geheimdienste

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION HINTERGRUND, 3. September 2009 –

Verena Becker war Informantin des Geheimdienstes und ist während ihrer Haft dafür bezahlt worden. Sie hat dem Verfassungsschutz Informationen über andere RAF-Mitglieder gegeben – daran besteht nach den neuesten Eingeständnissen des Bundesinnenministeriums kein Zweifel. Das bestätigte auch der ehemalige hochrangige Verfassungsschutz-Beamte Winfried Ridder in einer SWR-Dokumentation zum Buback-Mord (s.w.u).

Doch seit wann und in welchem Umfang es eine enge Zusammenarbeit zwischen ihr und den Diensten gab, darüber schweigt sich Wolfgang Schäubles Ministerium weiter aus.

Becker war in der vergangenen Woche festgenommen worden, weil sie an der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen zwei Begleitern am 7. April 1977 beteiligt gewesen sein soll.

Die neuen Erkenntnisse, die nun zu der Verhaftung führten, sind auf die intensiven privaten Recherchen des Sohnes von Siegfried Buback, den Chemieprofessor Michael Buback und seiner Frau, zurückzuführen. In dem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buch "Der zweite Tod meines Vaters" fasste der Sohn das Ergebnis seiner Ermittlungen zusammen und äußert – nicht zuletzt aufgrund der Geheimhaltung der Akten durch das Bundesinnenministerium – den Verdacht, hinter dem Mord an seinem Vater verberge sich eine Verschwörung des Geheimdienstes.

Bereits Ende vergangenen Jahres verstärkte sich der Verdacht, der Verfassungsschutz habe nicht erst nach der Ermordung Siegfried Bubacks, also während Beckers Zeit in Untersuchungshaft, Kontakt zu ihr aufgenommen, sondern möglicherweise schon Jahre zuvor. Das soll aus Stasi-Unterlagen hervorgehen, die Siegfried Buback in seinem Buch zitiert.

Hintergrund veröffentlichte daraufhin im Dezember 2008 (1) ein entsprechendes Faksimile und schrieb: Bei der Birthler-Behörde fanden sich drei Berichte über die Terroristin. Am brisantesten ist der vom 2. Februar 1978. Darin heißt es: "Es liegen zuverlässige Informationen vor, wonach die B. seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird. Diese Information wurde durch Mitteilungen der HVA von 1973 und 1976 bestätigt."

Die Bild-Zeitung machte am Montag dieser Woche (31.August) – also mit fast einem Jahr Verspätung – groß mit der "Enthüllungsstory" auf: Stasi-Akte Verena Becker aufgetaucht. (2) Erst da kam Bewegung in den Mainstream-Medienwald und "Sicherheitsexperten" streiten sich seit zwei Tagen öffentlich um den Wahrheitsgehalt der Stasi-Akten.

Im Dezember 2008 hieß es dazu bei Hintergrund:
Unklar ist allerdings, was die Formulierung bedeutet, Becker werde von westdeutschen Abwehrorganen seit 1972 "bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten". Wurde sie beobachtet – als Gegnerin des bundesdeutschen Staatsschutzes? Oder geführt – als dessen Agentin? Michael Buback scheint der zweiten These zuzuneigen. "Aus diesen Dokumenten ergaben sich Anzeichen, dass meine schlimmsten Befürchtungen zutreffen könnten. Verena Becker hätte demnach bereits Jahre vor der Ermordung meines Vaters Kontakt zu westdeutschen Geheimdiensten gehabt. (…) Es wäre grauenvoll, wenn die Informationen aus den Stasi-Unterlagen zuträfen. Allerdings müssten wir dann nicht weiter nach Klärung suchen, die Merkwürdigkeiten würden sich weitestgehend auflösen." (3)

Im Tagesspiegel von heute (3. August) zweifelt auch der ehemalige RAF-Strafverteidiger und jetzige Grünen-Politiker Christian Ströbele die Stasi-Unterlagen an: "Die Stasi hat viel aufgeschrieben, da gab es viel Aufschneiderei, alles zu wissen". Er selbst könne sich nicht daran erinnern, dass einer seiner Mandanten aus der RAF in der Haft vom Verfassungsschutz kontaktiert wurde. "Darauf hätten die sich auch nicht eingelassen", zitiert ihn der Tagesspiegel. (4)

Doch Ströbele war nur bis 1975 RAF-Verteidiger, also zur Zeit der ersten RAF-Generation. Als Verteidiger von Andreas Baader wurde er damals unter dem Vorwand "des Missbrauchs der Anwaltsprivilegien" noch vor Prozessbeginn von der Verteidigung in Stuttgart-Stammheim ausgeschlossen. Spätere Recherchen (5) haben ergeben, dass vor allem ab der so genannten zweiten und dann vor allem in der dritten RAF-Generation die Geheimdienste die Organisation so stark unterwandert hatten, dass möglicherweise keine RAF-Operation ohne geheimdienstliche Mittäterschaft oder Mitwisserschaft erfolgte.

Michael (Bommi) Baumann, ehemaliges Mitglied der Bewegung 2. Juni, der nach eigenen Angaben Verena Becker für die Organisation rekrutiert hatte, datiert die Einflussversuche des Geheimdienstes schon früher. In einem Interview mit Hintergrund auf die Frage, ob Verena Becker schon in den 70er Jahren für den Verfassungsschutz gearbeitet hat, erklärte er: "Die Organisation Schwarze Hilfe, der sie vor dem 2. Juni angehört hat, war jedenfalls durchsetzt mit Leuten des Verfassungsschutzes. Möglicherweise Ingeborg Bartz, die später angeblich von Andreas Baader wegen Illoyalität erschossen worden sein soll. Oder Angela Luther, die einzige aus der ersten Generation der RAF, die nie gefasst wurde. Oder Ulrich Schmücker, erwiesenermaßen ein Spitzel. Bei Verena Becker könnte ich mir vorstellen, dass sie während ihrer ersten Gefängnisstrafe 1974 umgedreht wurde."

Und Baumann erinnert sich an einen Fall, bei dem Verena Becker Anfang der siebziger Jahre als Agent Provokateur agiert haben soll. Anders als Gudrun Ensslin und Andreas Baader habe sie eine Pressekampagne, in der behauptet wurde, die RAF wolle wahllos in der Stuttgarter Innenstadt bomben, nicht etwa als Geheimdienst-Falschinformation zurückgewiesen, sondern verkündet: "Ja, ist doch gut, das kann man doch machen, diese Scheißspießer, die kann es ruhig treffen." (6) Diese Position stand dem "revolutionären Anspruch" der damaligen Rote Armee Fraktion diametral gegenüber, die sich in erster Linie als antiimperialitisch verstand und bei ihrem " bewaffneten Kampf" auf eine "Solidarisierung des Volkes" hoffte.

Gestern Abend (Dienstag, den 2. September um 23:32 Uhr) strahlte die ARD in ihrem ersten Programm eine Dokumentation von Egmont R. Koch aus (7), der den Indizien von Michael Buback nachgeht. Koch kommt anders als Buback darin nicht zu dem Schluss, dass Verena Becker im Falle des Buback-Mordes die Todesschützin auf dem Sozius war. Doch Koch bleibt in seinen Vermutungen widersprüchlich, denn auf der anderen Seite präsentiert er Indizien, die die Verschleierungen der Behörden rund um den Buback-Mord in vielfacher Hinsicht belegen. So zum Beispiel einen Kalender von Verena Becker aus dem Jahr 1977, in dem sie täglich mit zum Teil kryptischen Zeichen, aber auch Klarnamen (wie z.B. F.J. Strauß), Notizen machte. Aus diesem Diary sind nach dessen Beschlagnahme durch die Ermittlungsbehörden im Jahr 1977 die Seiten zum Zeitpunkt des Buback-Attentates herausgerissen worden. Sind sie Bestandteil der Geheimakten, die dem Bundesinnenministerium vorliegen? Und was war der Grund, sie zu entfernen? Darauf geht Koch nicht weiter ein.

Aber er lässt ausführlich den ehemaligen Verfassungsschutz-Mann Winfried Ridder zu Wort kommen. Ridder spricht im Film davon, dass es "massenhaft" Ermittlungsfehler nach der Tat gegeben habe. Den Eindruck einer Verschwörung, der von Bubacks Sohn Michael erweckt worden sei, weist er aber zurück.

Was könnte der Grund für eine solche Verschwörung gewesen sein, welches Motiv sollte der Staat für den Tod Siegfried Bubacks gehabt haben? Hintergrund schrieb dazu im Dezember 2008:

Die Buchautorin Regine Igel, die über die verdeckte Zusammenarbeit der NATO-Geheimarmee Gladio mit italienischen Terrorgruppen ein dickes Buch verfasst hat, hat eine Erklärung gefunden. Buback war als Generalbundesanwalt nämlich auch mit der Anklage gegen den DDR-Spion Günter Guillaume befasst gewesen, über den Bundeskanzler Willy Brandt 1974 gestürzt war.

"Buback war nun – so die italienischen Zeithistoriker – während seiner Ermittlungen möglicherweise darauf gestoßen, dass die westdeutschen Geheimdienste – wie in Italien von den Amerikanern gesteuert – schon lange über die Rolle Guillaumes Bescheid wussten, jedoch zögerten, seine Doppelrolle auffliegen zu lassen, um zum richtigen Zeitpunkt die Wirkung des Rücktritts (von Brandt – Anm. Red.) zu erzielen." Den Hardlinern in Pullach und in Langley war Brandt wegen seiner Entspannungspolitik gegenüber Moskau ein Dorn im Auge. Hatte der Generalbundesanwalt herausbekommen, dass und wie der BND zum Sturz des Bundeskanzlers beigetragen hatte – und musste er deswegen sterben?

Igel informiert Michael Buback im Mai 2007 über ihren Verdacht. "Das war ein Schock. (…) Nein, es konnte und durfte einfach nicht wahr sein, dass mein Vater mit Duldung oder gar Unterstützung von Geheimdiensten ermordet worden war. Das wäre Verrat gewesen, unerträglicher Verrat." Er findet heraus, dass sein Vater tatsächlich im Zuge der Guillaume-Anklage zumindest auf eine Mitschuld des BND gestoßen war. "Eine zu spät einsetzende Kontrolle habe dem Agentenehepaar die geheimdienstliche Nachrichtentätigkeit zum Schaden der Bundesrepublik und auch des Atlantischen Bündnisses zu leicht gemacht", habe Siegfried Bubacks engster Mitarbeiter bei der Bundesanwaltschaft, Ernst Träger, im Prozess vorgetragen. Sein Vater jedenfalls habe sich in den Fall Guillaume geradezu verbissen, die Bekämpfung von Spionage sei seine Passion gewesen. "Und falls jemand ein Verbrechen in diesem Bereich verbergen wollte, könnte er meines Vaters Unabhängigkeit und Geradlinigkeit durchaus als Bedrohung empfunden haben."

Michael Buback, der sich vordem mit Überlegungen über die möglichen Motive des BND bei der Ermordung seines Vaters zurückgehalten hat, folgt in seinem Buch der von Regine Igel gefundenen Hypothese fünf Seiten lang. Am Ende verlässt er sie, ohne sie zu verwerfen. "Ich mag an die Möglichkeit, dass es eine Verknüpfung zwischen dem Karlsruher Attentat und der Guillaume-Affäre gibt, nicht weiter denken; sie wäre so grausam, so ekelhaft, kaum zu ertragen. Es darf diese Verbindung nicht geben." (8)

Nachdem das Bundesinnenministerium die Tätigkeit der früheren RAF-Terroristin Verena Becker als Informantin des Verfassungsschutzes bestätigt hatte, erklärte der Sprecher umgehend, die Zusammenarbeit habe auf der Zusicherung der Geheimhaltung basiert. So wurde die Akte bereits in den achtziger Jahren mit einem Sperrvermerk versehen und dieser "Sperrvermerk sorgt dafür, dass die Akte nicht gerichtsverwertbar wird", läßt Stefan Paris, Sprecher des Innenministeriums, die Öffentlichkeit wissen. Selbst wenn sie für eine Akteneinsicht freigegeben würde, fährt er fort, hätte die Bundesanwaltschaft zwar "die Kenntnis, aber sie können es nicht in irgendeinem Verfahren nutzbar machen".

Das Innenministerium windet sich um die von der Bundesanwaltschaft geforderte Freigabe der Geheimakten unter dem Vorwand, eine Veröffentlichung widerspreche dem Zeugenschutzprogramm und könne für künftige Fälle eine verheerende Wirkung haben. Auf der gestrigen Bundespressekonferenz erklärte Stefan Paris: " Ein Nachrichtendienst, ein Verfassungsschutz, ist auf solche Quelleninformationen angewiesen. Wenn Sie nunmehr anfangen, solche Quelleninformationen, auch wenn sie lange Zeit zurückliegen, öffentlich zu machen, dann werden Sie gegebenenfalls in Zukunft das Problem haben, dass dieser Dienst nicht mehr so erfolgreich in der Quellenanwerbung sein wird. "

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Quellen:

(1) http://www.hintergrund.de/20081220330/politik/inland/verschlusssache-becke.html
(2) http://www.bild.de/BILD/politik/2009/08/31/stasi-akte-verena-becker/soll-an-bubackm ord-aktiv-beteiligt-gewesen-sein.html
(3) http://www.hintergrund.de/20081220330/politik/inland/verschlusssache-becke.html
(4) http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Verena-Becker-Stasi-Akte;art122,2890103
(5) Ekkehard Sieker, Wolfgang Landgraeber und Gerhard Wisnewski in "Das RAF-Phantom", München 2008
(6) http://www.hintergrund.de/20081220330/politik/inland/verschlusssache-becke.html
(7) http://www.daserste.de/doku/beitrag_dyn~uid,pwqfcil6jwp1joht~cm.asp
(8) http://www.hintergrund.de/20081220330/politik/inland/verschlusssache-becke.html

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