Terrorismus

Mediale Panikmache vor 9/11: Berliner Polizei soll Terroranschlag verhindert haben. Belastbare Fakten wurden bisher nicht vorgelegt

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Von THOMAS WAGNER, 8. September 2011 –

Drei Tage vor dem 10. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 suggerieren verschiedene Medien, dass Berlin dieser Tage dank der guten Arbeit der hiesigen Sicherheitskräfte nur knapp einem islamistischen Terroranschlag entronnen sei. Den Anfang machte am Donnerstagmorgen das Internetportal der Berliner Morgenpost mit der Schlagzeile: „Bombenanschlag vereitelt. Polizei fasst zwei Terrorverdächtige in Berlin“. (1) Als Informationsquelle führt das Springerblatt Aussagen aus nicht näher benannten „Sicherheitskreisen“ an.

Bereitschaftspolizisten hätten am Donnerstagmorgen die Ar-Rahman-Moschee in der Tromsöer Straße im Berliner Stadtteil Wedding sowie Wohnungen in Neukölln und in der Kreuzberger Urbanstraße durchsucht. Gegen 10 Uhr soll dann ein Spezialkommando einen 28-jährigen Verdächtigen im Stadtgebiet festgenommen haben. Gegen 11 Uhr sei dann die zweite Festnahme erfolgt. „Die beiden Männer haben nach Informationen von Morgenpost online in großem Stil Kühlelemente und eine in der Landwirtschaft genutzte Säure erworben – die Säure und die in den Kühlelementen enthaltenen Substanzen wollte die beiden Verdächtigen demnach vermischen, um eine Bombe zu bauen.“

Woher die Morgenpost weiß, dass die Männer mit den Substanzen tatsächlich vorhatten, eine Bombe zu bauen, gibt das Blatt nicht bekannt. Stattdessen spekuliert es, was die vermeintlichen Terroristen mit der real ja noch gar nicht vorhandenen Bombe im Sinn gehabt haben: „Was die beiden Männer mit der Bombe vorhatten, ist Gegenstand der Ermittlungen.“ Die Ermittlungen, weiß die Morgenpost außerdem, seien bereits vor mehr als zwei Monaten begonnen worden, nachdem die Behörden Hinweise von Firmen in Berlin und in Baden-Württemberg erhalten hätten, denen die angeforderten Mengen der Substanzen verdächtig vorgekommen seien. „Sie hatten Verdacht geschöpft und sich unabhängig voneinander beim Landeskriminalamt gemeldet.“ Dem Springerblatt folgten rasch die Nachrichtenagentur dpa und das Gros der regionalen und überregionalen Medien. Kaum eine Redaktion ließ es sich nehmen, den Sensationswert der bis dahin eher dünnen Nachrichtenlage auszuschöpfen. „Berliner Polizei verhindert Anschlag“ (2), titelte beispielsweise das Internetportal des privaten Fernsehsenders n-tv. Während sein öffentlich-rechtlicher Gegenpart in der Region, der rbb, die Aussage durch das Wort „möglicherweise“ relativierte, (3) bediente das ZDF-Portal heute.de die Angstlust seiner Nutzer: „Berlin: Polizei verhindert offenbar Terroranschlag“. (4) Auch das GMX-Portal gab zu wissen vor, was bis dahin kein Polizeisprecher bestätigen wollte. „Polizei verhindert Anschlag“ (5), lautetet die Überschrift eines entsprechenden Artikels.

Hier eine Auswahl weiterer Internet-Schlagzeilen vom 8. September: „Offenbar Bombenanschlag geplant“ (6), „Anschlagspläne. Berliner Polizei nimmt Terrorverdächtige fest“ (7), „Anschlag vereitelt. Berliner Polizei nimmt mutmaßliche Terroristen fest“ (8), „Geplanter Bombenanschlag: Berliner Polizei nimmt mutmaßlichen Terroristen fest“ (9), „Berliner Polizei verhindert offenbar Anschlag“. (10)

Die Berliner Polizei, die den Zugriff und die Durchsuchungen nach Informationen der Morgenpost mit 230 Beamten durchgeführt haben soll, gab sich gegenüber der Nachrichtenagentur dpa wesentlich vorsichtiger. Der festgenommene 24-jährige Deutsche libanesischer Abstammung und ein 28-jähriger Mann aus dem Gazastreifen, dessen Nationalität noch nicht geklärt sei, stünden lediglich im Verdacht, chemische Substanzen erworben zu haben, mit denen es möglich gewesen wäre, einen Sprengsatz zu bauen, sagte Polizeisprecher Martin Otter am Donnerstag. Zur möglichen Größe eines solchen Sprengsatzes wollte er nichts sagen. „Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren Straftat.“ Der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel sagte gegenüber der dpa, bislang wisse man nichts von einem konkret geplanten Anschlag oder einem konkreten Ziel. Zuvor hatte die gleiche Nachrichtenagentur einen namentlich nicht genannten Polizeisprecher mit der Aussage zitiert, dass es keine Erkenntnisse über einen Zusammenhang mit dem 10. Jahrestag der Anschläge von New York und Washington gebe. „Wir haben keinen Hinweis darauf, dass hier am 11. September eine Bombe hochgehen sollte.“ Der Generalbundesanwalt sei nicht in die Ermittlungen eingeschaltet gewesen.

Der Sachverhalt eignet sich vielleicht auch als Indiz für eine nicht allzu abseitige Vermutung: Möglicherweise entpuppt sich die mediale Aufregung um das angeblich verhinderte Attentat schon bald als ein weiterer Versuch, die kommerziell und sicherheitspolitisch äußerst ertragreiche Angst in der Bevölkerung vor islamistischen Terroranschlägen zu einem günstigen Zeitpunkt weiter zu schüren. So sieht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in dem Fall einen deutlichen Hinweis, dass die Terrorgefahr in Deutschland nach wie vor auf hohem Niveau sei. „Wer glaubt, dass sich zehn Jahre nach den furchtbaren Anschlägen in den USA und nach dem Tode Osama bin Ladens die Lage normalisiert habe, ist erneut eines Besseren belehrt worden“, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach wiederum forderte nur wenige Stunden nach Bekanntgabe der Verhaftungsaktion erneut die Vorratsdatenspeicherung. „Gerade in diesem Fall, im jüngsten Fall, ist es ja ganz wichtig zu wissen: Mit wem haben die mutmaßlichen Terroristen in Kontakt gestanden? Mit wem haben sie kommuniziert?“, so Bosbach im N24-Interview. Diese Aufklärungsarbeit werde oft erleichtert durch die Auswertung von Telekommunikationsdaten. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz wiederum sagte der dpa, die Festnahmen machten deutlich, dass Deutschland nicht frei sei von Terrorismus. Dass es zum wiederholten Male gelungen sei, terroristische Anschläge im Vorbereitungsstadium aufzuklären, unterstreiche die engagierte Arbeit der Polizei.

Dass der Zugriff der Behörden auf die vermeintlichen Attentatsplaner in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum 11. September erfolgte, könnte – rein theoretisch – ein Zufall sein. So recht glauben mag man daran freilich nicht.


(1) http://www.morgenpost.de/newsticker/article1347145/Neueste-Artikel-BMO.html

(2) http://www.n-tv.de/politik/Berliner-Polizei-verhindert-Anschlag-article4250261.html

(3) „Die Berliner Polizei hat möglicherweise einen Terroranschlag in der Stadt verhindert.“ http://rbb-online.de/nachrichten/politik/2011_09/berliner_polizei_nimmt.html

(4) http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/27/0,3672,8349659,00.html

(5) http://www.gmx.net/themen/nachrichten/deutschland/5083sz6-polizei-verhindert-anschlag#.A1000146

(6) http://www.faz.net/artikel/C30923/offenbar-bombenanschlag-geplant-berliner-polizei-nimmt-zwei-terrorverdaechtige-fest-30674750.html

(7) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-09/terroristen-bombe

(8) http://www.focus.de/politik/videos/anschlag-vereitelt-berliner-polizei-nimmt-mutmassliche-terroristen-fest_vid_26902.html

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(9) http://www.ftd.de/politik/deutschland/:geplanter-bombenanschlag-berliner-polizei-nimmt-mutmasslichen-terroristen-fest/60101515.html

(10) http://www.stern.de/politik/deutschland/terrorverdaechtige-festgenommen-berliner-polizei-verhindert-offenbar-anschlag-1725430.html,

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