Umwelt

„Kein anderes Land in der Welt hat jemals so eine Initiative begonnen.“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Ecuadors Botschafter über das visionäre Umwelt- und Energieprojekt Yasuní-ITT, einen schwer erklärlichen Rückzieher in der deutschen Entwicklungspolitik und unfaire Kritiker –

14. September 2011 – Zweiter Teil eines HINTERGRUND-Gesprächs mit Jorge Jurado, dem Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland. –

HINTERGRUND: Herr Botschafter, im August 2010 richteten die Regierung Ecuadors und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) den Yasuní-ITT-Treuhandfonds ein. Worum geht es in diesem Projekt?

Jorge Jurado: Im Jahr 2007 hat Präsident Rafael Correa in der Generalversammlung der Vereinten Nationen angekündigt, dass Ecuador bereit ist, einen Großteil seiner Erdölreserven, 20 bis 22 Prozent, nicht zu fördern. Diese Reserven stehen im nördlichen Teil und an der Grenze des Nationalparks Yasuní. Dieser Nationalpark gilt als das Gebiet mit der reichsten Biodiversität in der Welt. Das ist durch mehrere Studien wissenschaftlich erwiesen. Dort leben auf einem Hektar mehr Arten von Pflanzen als in ganz Nordamerika zusammen, also dem nördlichen Teil von Mexiko, den USA und Kanada. Das Gebiet umfasst etwa eine Million Hektar. Als sich das Amazonasbecken zwischen den letzten beiden Eiszeiten in Grasland verwandelte, blieb im Yasuní-Gebiet die Kontinuität der Evolution erhalten. Viele Pflanzen haben sich über Millionen von Jahren erhalten. Unserem Land ist bewusst, dass es über diesen Reichtum verfügt, und es möchte ihn unbedingt schützen. Deshalb haben wir die Yasuní-Initiative gestartet.

Wir haben einen Appell an die Welt gerichtet, uns dabei zu helfen, diese Vielfalt zu schützen und damit einen großen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wenn wir die 900 Millionen Barrel Öl nicht fördern, wird dieses Erdöl auch nicht als Kraftstoff verbrannt werden können. Das ist in ökologischer Hinsicht ein sehr starkes Signal von Ecuador an die Welt. Der Yasuní-ITT-Treuhandfonds soll nun dazu dienen, die Beiträge verschiedener Länder, Organisationen, Institutionen und sogar von Privatleuten zu sammeln, damit unser Land sich weiter entwickeln kann. Wir möchten es mit der Hilfe dieses Fonds schaffen, dass Ecuador das erste Land wird, das einen vollständigen Wandel in der Energieversorgung erreicht. Zurzeit sind wir noch zu stark abhängig von fossilen Brennstoffen. Ungefähr 54 Prozent unseres Energiebedarfs an Strom beziehen wir aus Diesel- und Schweröl-Kraftwerken, obwohl wir Unmengen an Wasser haben. Aber eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Entwicklung, die bei uns lange Zeit in der Politik und in der Wirtschaft den Ton angab, hat verhindert, dass in diesem Bereich die notwendigen Investitionen in Wasserkraftwerke gemacht wurden. Deswegen ist diese paradoxe Abhängigkeit vom Öl entstanden. Wir beabsichtigen, das zu ändern. Wir möchten Wasserkraftwerke, Windkraftwerke und die ganze Palette von erneuerbaren Energien einsetzen. Wir wollen unabhängig werden von fossilen Brennstoffen. Diese Projekte sollen durch den Treuhandfonds umgesetzt werden. Da wir in den vergangenen vierzig Jahren mit der Ölförderung besonders im Amazonasgebiet schlechte Erfahrungen gemacht haben, wollen wir mit einem Teil des Geldes außerdem Umweltprojekte und soziale Projekte fördern, die sich gegen die Folgen der Umweltzerstörung richten.

Kein anderes Land in der Welt hat jemals so eine Initiative begonnen. Ihr besonderer Wert besteht darin, dass wir den politischen Willen haben, einen großen Teil unserer natürlichen Ressourcen nicht zu fördern. Wir verbinden damit zwei Ziele, die für die gesamte Menschheit wichtig sind. Das eine ist der Schutz der Biodiversität. Wir wissen heute überhaupt noch gar nicht, in welchem Maße wir in 50 oder 100 Jahren von dieser biologischen Vielfalt profitieren könnten. Deshalb muss sie geschützt werden. Das zweite Ziel ist ein Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels. Wir wollen aber zugleich die Möglichkeit erhalten, unser Land weiter zu entwickeln. Wenn wir das Erdöl nicht fördern, verlieren wir nach Schätzungen aus dem Jahr 2007 ungefähr 7 Milliarden Dollar. Ecuador will davon die Hälfte tragen, also 3,5 Milliarden. Aber wir bitten die Weltgemeinschaft um einen eigenen Beitrag. Das heißt, sie soll in den nächsten Jahren die übrigen 3,5 Milliarden in den Treuhandfonds einfließen lassen. Das ist keine Hilfe, sondern eine Kooperation im Interesse aller Beteiligten.
Die große Frage ist heute, ob wir das schaffen werden. Wir klopfen dafür an alle Türen.

HINTERGRUND: Die ersten Reaktionen auf die Initiative Ihres Landes waren wohlwollend und entgegenkommend. Dass es zur Einrichtung des Treuhandfonds gekommen ist, kann als ein erster Erfolg gewertet werden. Einige Länder wie Spanien, Chile, Italien, aber auch kleinere Gebietskörperschaften und Städte, haben bereits Beiträge eingezahlt. Deutschland nicht, obwohl sich der Deutsche Bundestag unter Beteiligung aller Fraktionen bereits 2008 dafür ausgesprochen hatte. Wie ist es zu dieser plötzlichen Kehrtwende gekommen?

Jorge Jurado: Uns hat diese Drehung um 180 Grad wirklich überrascht. Nachdem der Deutsche Bundestag unsere Initiative einvernehmlich unterstützte, kam es 2009 zu einem Wechsel in der Regierungskoalition.

HINTERGRUND: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wechselte von der SPD zur FDP.

Jorge Jurado: Genau. Ich glaube, dass damit eine neue Politik begonnen wurde, was die Frage betrifft, wie die deutsche Kooperation mit dem Ausland aussehen soll. Wir haben uns mehrmals an das BMZ gewandt, um offene Fragen der deutschen Seite zu klären. Ecuador hat alle diese Fragen beantwortet. In den vergangen sechs Monaten bezog sich das BMZ mehr und mehr auf die folgenden Punkte, mit denen es begründete, von einer Unterstützung unseres Projektes abzusehen. Erstens möchte man das Yasuní-Gebiet mithilfe eines anderen Projekts unterstützen, das von der UNO verwaltet wird. Beim Ansatz von REDD (Reducing Emissions from Deforestation and
Forest Degradation) geht es aber nur um den Schutz der Wälder. Wir finden das interessant, aber es genügt bei Weitem nicht. Unsere Initiative ist viel breiter und komplexer. Es geht nicht nur darum, die Wälder zu schützen, sondern darum, die Artenvielfalt zu schützen, den Klimaschutz, einen Wandel in der Energieversorgung und den Schutz von Menschen, die im Yasuní-Gebiet leben. Das sind fünf Komponenten, die zusammengenommen weit über das hinausreichen, was mit REDD beabsichtigt ist. Wenn dieses Projekt irgendwann funktionieren sollte – bislang steht es nur auf dem Papier – dann würde Ecuador höchstens 15 bis 20 Millionen Euro erhalten. Wir setzten im Gegenzug die Entwicklung unseres Landes aufs Spiel. Das sehen wir nicht ein.

Die zweite Antwort, die wir vom BMZ bekommen haben, ist die Befürchtung, dass andere Länder genau das gleiche tun könnten wie wir. In irgendeiner Zeitung habe ich gelesen, dass Saudi-Arabien als Beispiel genannt wurde. Aber das ist völlig unmöglich. Denn der Hauptzweck unserer Initiative ist der Schutz der Artenvielfalt. In der Wüste gibt es sicher einen bestimmten Grad an Artenvielfalt, aber das ist mit dem Amazonasgebiet und insbesondere dem Yasuní-Gebiet wohl kaum vergleichbar. Ich glaube, dass das BMZ eine andere Vision von wirtschaftspolitischer Kooperation verfolgt. Da scheint die Yasuní-ITT-Initiative einfach nicht hineinzupassen.

HINTERGRUND: Die neue Perspektive der Entwicklungsarbeit unter Minister Dirk Niebel (FDP) besteht darin, nur das zu tun, was von offensichtlichem Vorteil für deutsche Unternehmen ist und sich weniger um das zu kümmern, was man als das gemeinsame Interesse der gesamten Menschheit bezeichnen könnte. Habe ich sie so richtig verstanden?

Jorge Jurado: Unter Umständen könnte man eine solche Lesart haben. Aber sogar von einem marktwirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen würden deutsche Unternehmen von der Unterstützung unserer Initiative deutlich profitieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Vorausgesetzt, dass durch die Einzahlungen in den Treuhandfonds genug Geld vorhanden ist, damit wir das Projekt starten können und wir ernsthaft mit dem Energiewandel beginnen. Von wo würden wir die Technologie für diese erneuerbaren Energien wohl holen? Es ist doch bekannt, dass Deutschland bei der Technologieentwicklung in diesem Bereich an der Spitze steht. Logischerweise würden wir sehr gerne in Deutschland einkaufen und dann versuchen, diese Technologien bei uns anzuwenden. Das wäre für beide Seiten eine win-win-strategy, wie man in angelsächsischen Ländern zu sagen pflegt. Die deutsche Wirtschaft könnte über einen längeren Zeitraum Gewinne machen und neue Erfahrungen sammeln. Es ist zum Beispiel ein Unterschied, ob man Windräder im Flachland einsetzt oder in den Bergen. Wir wiederum würden davon profitieren, weil wir eine neue Etappe unserer Entwicklung beginnen und die frei werdenden Mittel in unsere Infrastruktur, soziale Projekte und in die Bildung investieren könnten. Da beide Seiten Vorteile hätten, überzeugt mich die Antwort des BMZ schon vor dem Hintergrund rein marktwirtschaftlicher Überlegungen nicht.

HINTERGRUND: Die kränkelnde FDP scheint eine weitere Chance zu verpassen, sich als innovative und kreative Partei zu profilieren. – Mir ist eine Ungereimtheit aufgefallen. Der ehemalige Außenminister Ihres Landes Fander Falconi hat gesagt, die Bundesregierung habe im Anschluss an den Staatsbesuch einer Delegation im Juni 2009 bereits eine mündliche Zusage zur Yasuní-ITT-Initiative gegeben. Die Bundesregierung dagegen sagt, sie habe bisher keine Zusage zur finanziellen Unterstützung gemacht. Nur eines kann stimmen.

Jorge Jurado: Erstmal möchte ich dazu sagen, dass die Ungereimtheit nicht zwischen den Regierungen besteht, sondern zwischen der Erklärung eines ehemaligen Mitglieds unserer Regierung und Ihrer Bundesregierung. Tatsache ist, dass nach dem einvernehmlichen Beschluss des Bundestages Gespräche stattgefunden haben sollen, bei denen über konkrete Daten und Zahlen geredet wurde. Das geht aus Papieren hervor. Es ist aber auch wahr, dass es kein formelles Dokument gibt, das aus diesen Gesprächen hervorgegangen wäre. Die Hauptsache aber liegt meines Erachtens ganz woanders. Von politischer Seite gab es auf der ganzen Welt keine Einwände gegen das Projekt. Wir haben es mit einer Vision zu tun, mit der ein Land aus Lateinamerika der Welt neue Richtlinien der globalen Entwicklung gibt. Unsere Verfassung ist die erste auf der Welt, die Rechte für die Natur anerkennt. Dahinter steckt ein philosophisches Konzept des Lebens, nachdem die Natur ein eigenes Recht haben soll. Wir vertreten außerdem die Auffassung, dass der Zugang zum Wasser ein Menschenrecht ist. Deshalb steht in unserer Verfassung, dass das Wasser nicht privatisiert werden darf. Das Wasser ist kein Privateigentum. Das Wasser gehört allen.

HINTERGRUND: Mir gegenüber erwecken Sie den Eindruck, als ob Sie voll und ganz hinter dieser Initiative stehen. Nun erfährt Ihre Regierung aber auch Kritik aus einer Richtung, die dem Projekt selbst sehr positiv gegenübersteht. Das betrifft verschiedene Artikel in der taz und in der Alternativpresse. Außerdem gibt es die Aussage von Alberto Acosta, dem früheren Energieminister und Präsidenten der verfassungsgebenden Versammlung Ihres Landes. Er kritisierte in einem Gespräch mit HINTERGRUND die „mangelnde Eindeutigkeit“ Ihrer Regierung, die durch ihre eigene Haltung den Zweifel in den reichen Ländern säe. Daraus erkläre sich, so Acosta weiter, warum Deutschland unter Minister Niebel seine Unterstützung zurückgezogen und damit der Yasuní-ITT-Initiative den Dolchstoß versetzt habe. Ein konkreter Kritikpunkt Acostas ist, dass Ihre Regierung die indigenen Gruppen und die Zivilgesellschaft zu wenig in den Prozess mit einbeziehen würde.

Jorge Jurado: Ich möchte Ihnen das in mehreren Teilen beantworten. Ich beziehe mich zunächst auf Alberto Acosta. Er ist ein guter Freund von mir. Leider ist er heute einer der schärfsten Kritiker unserer Regierung. Ich glaube er versucht mit solchen Erklärungen, die er wiederholt auch gegenüber anderen Medien gemacht hat, interne politische Ziele zu verfolgen. Ich glaube, dass er damit einen sehr ärmlichen Beitrag zu einer Initiative leistet, die gestartet wurde, als er Energieminister war und ich sein Staatssekretär für das Bergbauwesen. Er ist also voll und ganz für die Initiative mitverantwortlich, die sich seitdem nicht geändert hat. Wenn er sagt, dass unsere Regierung nicht voll und ganz hinter dem Projekt stünde, weil Präsident Rafael Correa darauf aufmerksam gemacht hat, dass es einen Plan B gibt, dann frage ich mich, warum er nicht dasselbe schon 2006 und 2007 gesagt hat, als die Initiative gestartet wurde. Denn Präsident Correa hat den alternativen Plan, die Förderung des Erdöls unter den bestmöglichen Umweltschutzbedingungen, nicht erst jetzt wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Es handelt sich nicht um eine Drohung, sondern um den einzigen Ausweg, den wir hätten.

Manche Stimmen in der Presse haben seine Äußerung leider als Drohung verstanden. Aber Präsident Correa hat schon 2007 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt, dass es der Wunsch unseres Landes ist, das Öl im Boden zu lassen. Er hat damals aber auch schon gesagt, dass Ecuador nicht auf das Geld für seine Entwicklung verzichten kann, falls sich das Projekt aus welchen Gründen auch immer nicht realisieren lassen würde. Er hat deshalb schon zu diesem Zeitpunkt deutlich gemacht, dass wir über eine Alternative verfügen. Das ist also nicht erst jetzt oder vor sechs Monaten herausgekommen, sondern ist schon lange klar. Deswegen finde ich es nicht fair, seine Äußerungen jetzt zu kritisieren. Hinter uns liegen vier Jahre unheimlich harte Arbeit und ich finde, dass wir vorzeigen können, was wir bis hierhin geschafft haben. Ich halte diese Form der Kritik deshalb nicht nur für unsolidarisch, sondern für eine üble Machenschaft, um der Regierung zu schaden.

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Die Behauptung, dass wir der Bevölkerung zu wenig Teilhabe an dem Umwandlungsprozess in unserem Land einräumten, ist falsch. Wir haben erst vor ein paar Monaten eine Volksbefragung gemacht, die dabei helfen soll, die Verwaltung der Justiz zu verändern. Jeder weiß in Ecuador, dass die Justiz eine Katastrophe gewesen ist. Da blieben über eine Million Fälle einfach unbearbeitet. Aufgrund der Gewaltentrennung zwischen Legislative und Gerichtsbarkeit kann die Regierung da allein nichts verändern. Wir mussten eine Volksbefragung machen, um Reformen in Gang setzen zu können. Für eine Regierung wie die unsere war der Zustand nicht hinnehmbar. Deshalb ergriff Präsident Correa die Gelegenheit und veranlasste die Volksbefragung. Das wurde dann aber wiederum so ausgelegt, als wenn er einfach mehr Macht für sich selbst haben wollte.

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Das Gespräch führte Thomas Wagner.


Lesen Sie den ersten Teil des HINTERGRUND-Gesprächs mit Jorge Jurando:
Das Recht auf Selbstbestimmung. Ecuadors Botschafter über den Libyenkrieg, Syrien und das neue Selbstbewusstsein Lateinamerikas

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