Umwelt

Überlegungen zu sogenannten Bio-Kraftstoffen

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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von FIDEL CASTRO RUZ:

Über drei Milliarden Menschen sind auf der Welt durch Verhungern und Verdursten zum Tode verurteilt

– Das ist keine übertriebene Zahl, eher eine vorsichtige Schätzung. Ich habe viel darüber nachgedacht seit dem Treffen von Präsident Bush mit den us-amerikanischen Automobilherstellern. Die unheilvolle Idee, die Nahrungsmittel in Kraftstoff zu verwandeln, wurde am vergangenen Montag, dem 26. März, endgültig als Wirtschaftsleitlinie der Außenpolitik der Vereinigten Staaten festgelegt. Eine Meldung der AP, einer US-amerikanischen Nachrichtenagentur, die alle Winkel der Welt erreicht, lautet wörtlich wie folgt: (1)

WASHINGTON, 26. März (AP). Während einer Zusammenkunft mit Automobilherstellern, bei der den Plänen für Alternativkraftstoffe Impulse verliehen werden sollten, lobte Präsident Bush am Montag die Vorteile der Autos, die mit Äthanol und Biokraftstoff betrieben werden. Bush sagte, daß eine Übereinkunft der führenden einheimischen Automobilhersteller ihre Produktion der mit Alternativkraftstoffen betriebenen Fahrzeuge zu verdoppeln, helfen würde, daß die Autofahrer von den Benzinmotoren abkommen und sich damit die Abhängigkeit des Landes vom importierten Erdöl vermindern würde.
‚Das ist ein großer technologischer Fortschritt für das Land’, sagte Bush, nachdem er drei mit Alternativkraftstoffen betriebene Autos angeschaut hatte. Wenn die Nation den Benzinverbrauch senken will, ‚muß der Verbraucher die Möglichkeit haben, eine rationale Entscheidung zu treffen’, sagte US-Präsident Bush.
Der Präsident drängte das Repräsentantenhaus, jene von der Regierung kürzlich vorgelegte Gesetzesvorlagen ‚schnell zu verabschieden’, die bis zum Jahr 2017 die Verwendung von 35 Milliarden Gallonen [also von 132 Milliarden Litern, der Verf.] Alternativkraftstoffe anordnet und strengere Standards zur Kraftstoffeinsparung bei Autos auferlegt.
Bush hatte ein Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden und Generaldirektor der General Motors Corp, Rick Wagoner; dem Generaldirektor der Ford Motor Co., Alan Mulally und dem Generaldirektor der Gruppe Chrysler der Daimler Chrysler AG, Tom LaSorda.
Die Teilnehmer der Zusammenkunft diskutierten über Maßnahmen zur Unterstützung der Herstellung von Alternativkraftstoff-Autos, Versuche zur Äthanolherstellung ausgehend von solchen Quellen wie Präriegras oder Holzspänen und einen Antrag zur Verminderung des Benzinverbrauchs um 20% in zehn Jahren.
Diese Diskussionen fanden gerade zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Benzinpreise gestiegen sind. Die jüngste Studie der Organisation Lundberg Survey zeigte auf, daß der einheimische Durchschnittspreis für Benzin in den letzten zwei Wochen um 6 Cent pro Gallone [3,78 Liter, der Verf.] gestiegen ist, und zwar auf 2,61 Dollar.“

Ich meine, daß die Verminderung und außerdem das Recycling aller Strom und Kraftstoff verbrauchenden Motoren eine elementare und dringliche Notwendigkeit der Menschheit insgesamt ist. Die Tragödie besteht nicht darin, diesen Energieverbrauch zu senken, sondern in der Idee, die Nahrungsmittel in Kraftstoff zu verwandeln.
Jetzt ist schon genau bekannt, daß eine Tonne Mais im Durchschnitt nur 413 Liter Äthanol (in Abhängigkeit vom Dichtewert) erzeugen kann, das entspricht 109 Gallonen. (2)

Der Durchschnittspreis von Mais ab us-amerikanischen Häfen beträgt 167 Dollar pro Tonne. Es würden allein 320 Millionen Tonnen Mais benötigt werden, um die genannten 35 Milliarden Gallonen Äthanol zu erzeugen.

Angaben der FAO zufolge betrug die Maisernte von 2005 in den Vereinigten Staaten 280,2 Millionen Tonnen.

Obwohl der US-Präsident auch davon spricht, Kraftstoff ausgehend von Präriegras oder Holzspänen zu erzeugen, kann jedermann begreifen, daß diese Aussagen absolut wirklichkeitsfremd sind. Man muß sich das einmal verinnerlichen: 35 Milliarden Gallonen, das sind eine 35 und anschließend neun Nullen!

Dann werden wunderschöne Beispiele darüber angeführt, was die erfahrenen und gut organisierten Landwirte in den Vereinigten Staaten als Produktivität pro Person und pro Hektar so erreichen: Mais wird in Äthanol verwandelt; die Rückstände von diesem Mais werden als Viehfutter mit 26% Proteingehalt genutzt und die Exkremente der Tiere werden schließlich als Rohstoff zur Gaserzeugung eingesetzt.. Natürlich wird alles das nach reichlichen Investitionen erreicht, die nur den mächtigsten Unternehmen möglich sind, bei denen sich alles um den Strom- und Kraftstoffverbrauch drehen muß. Wendet man dieses Rezept in den Ländern der Dritten Welt an, sieht man wie viele Menschen unter den Hunger leidenden Massen unseres Planeten dann keinen Mais mehr essen können. Oder noch schlimmer: Wenn man den armen Ländern die Anschubfinanzierung zur Äthanolherstellung aus Mais oder jeglichem anderen Nahrungsmittel per Kredit leiht, dann wird dort kein Baum mehr übrig bleiben, um die Menschheit vor dem Klimawechsel zu schützen.

Andere der reichen Länder der Welt haben vorgesehen, nicht nur Mais, sondern auch Weizen, Sonnenblumenkerne, Rapssamen und andere Nahrungsmittel zur Herstellung von Kraftstoff zu verwenden. Für die Europäer wäre es zum Beispiel ein gutes Geschäft, alle Sojabohnen der Welt zu importieren, um den Kraftstoffverbrauch ihrer Autos zu verringern und ihr Vieh mit den Rückständen dieser Hülsenfrucht zu ernähren, die besonders reich an jeder Art essentieller Aminosäuren ist.

In Kuba wurden die Alkoholarten als Nebenprodukte der Zuckerrohrindustrie hergestellt, nachdem das Zuckerrohr dreimal ausgepreßt worden ist. Der Klimawechsel schädigt schon jetzt unsere Zuckerproduktion. Große Dürreperioden im Wechsel mit Rekordniederschlägen ermöglichen kaum eine Zuckerproduktion mit ausreichendem Ertrag über einhundert Tage während unseres sehr milden Winters, so daß aufgrund der langen Dürreperioden in den Aussaat- und Anbaumonaten nicht genügend Zucker pro Tonne Zuckerrohr erzeugt wird, oder nicht genügend Zuckerrohr pro Hektar.

Soweit ich weiß, wird in Venezuela der Alkohol nicht zur Ausfuhr bestimmt sein, sondern würde dazu benutzt, die Umwelteigenschaften des eigenen Kraftstoffs zu verbessern. Deshalb, und unabhängig von der vorhandenen ausgezeichneten brasilianischen Technologie zur Alkoholherstellung, stellt für Kuba die Anwendung einer Technologie zur Herstellung von Alkohol direkt aus dem Zuckerrohrsaft nur einen Traum dar oder einen Fieberwahn derjenigen, die sich mit dieser Idee falsche Hoffnungen machen. In unserem Land können die zur direkten Alkoholerzeugung verwendeten Ländereien viel nützlicher zur Nahrungsmittelherstellung für die Bevölkerung und für den Umweltschutz genutzt werden.

Alle Länder auf der Welt, reiche und arme ohne jegliche Ausnahme, könnten allein durch das Auswechseln aller Glühbirnen durch Leuchtstofflampen Abermillionen Dollar an Investitionen und Kraftstoff sparen, eine Maßnahme, die auf Kuba in allen Haushalten des Landes bereits durchgeführt wurde. Das würde zu einer Atempause führen, um dem Klimawechsel standzuhalten ohne die armen Bevölkerungsmassen der Welt an Hunger sterben zu lassen.

Wie man beobachten kann, habe ich keine Eigenschaftswörter verwendet, um über das System und die Beherrscher der Welt zu urteilen. Die pflichtbewußten Nachrichtenexperten und Vertreter der sozioökonomischen und politischen Wissenschaften verstehen es ausgezeichnet dieser Aufgabe nachzukommen. Sie sind zahlreich auf der Welt und beschäftigen sich ständig und tiefgehend mit der Gegenwart und der Zukunft unserer Gattung. Ein Computer und die steigende Anzahl von Internet-Netzwerken sind dabei ausreichende Hilfsmittel.

Heutzutage kennen wir zum ersten Mal eine wirklich globalisierte Wirtschaft und eine auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet dominierende Macht, die dem Rom der Imperatoren überhaupt nicht ähnelt.

Manche fragen sich, warum ich über Hunger und Durst spreche. Darauf antworte ich: hierbei geht es nicht nur um die eine Kehrseite einer Medaille, sondern um mehrere Kehrseiten von einem anderen Gebilde, wie es zum Beispiel bei einem Würfel mit sechs Flächen der Fall ist, oder bei einem Polyeder mit vielen Flächen.

Ich greife in diesem Fall auf eine Meldung einer öffentlichen Nachrichtenagentur zurück, die im Jahr 1945 gegründet wurde und im Allgemeinen gut über die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Welt informiert ist: die Nachrichtenagentur TELAM aus Argentinien. Die Meldung besagt, ich zitiere (3):

„Ungefähr 2 Milliarden Menschen werden in knapp 18 Jahren in Ländern und Regionen leben, wo das Wasser nur noch eine entfernte Erinnerung darstellt. Es kann sein, daß zwei Drittel der Weltbevölkerung an Orten leben werden, wo die Knappheit soziale und wirtschaftliche Spannungen solcher Größenordnung hervorruft, daß es zu Kriegen um das geschätzte ‚blaue Gold’ zwischen den Völkern kommen könnte.“

„Während der letzten 100 Jahre wies der Wasserverbrauch eine zweimal größere Wachstumsrate als das Bevölkerungswachstum auf.“
Im Jahr 2015 wird gemäß Statistiken des Weltwasserrats (WWC in der englischen Abkürzung) die von dieser schwerwiegenden Situation betroffene Einwohnerzahl 3,5 Milliarden Menschen betragen.

Die Organisation der Vereinten Nationen hat am 22. März den jährlichen Weltwassertag begangen und dabei dazu aufgerufen, ab diesem Tag selbst der weltweiten Wasserknappheit unter Koordinierung der Organisation der Vereinten Nationen für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) zu begegnen, „mit dem Ziel, die wachsende Bedeutung der Wasserknappheit auf Weltebene hervorzuheben und die Notwendigkeit von mehr Integration und Zusammenarbeit zu unterstreichen, welche es ermöglichen, eine nachhaltige und effiziente Verwaltung der Wasserressourcen zu garantieren.“

Viele Gebiete des Planeten leiden an kritischer Wasserknappheit und müssen mit weniger als 500 Kubikmetern an Wasser (4) pro Person jährlich auskommen. „Immer mehr Gebiete leiden an chronischem Mangel an diesem Lebenselement.“

Hauptsächliche Folgen dieser Wasserknappheit sind das ungenügende Vorhandensein dieser kostbaren Flüssigkeit für die Nahrungsmittelproduktion, die Unmöglichkeit einer industriellen, städtebaulichen und touristischen Entwicklung sowie die Gesundheitsprobleme.

Soweit die Meldung von TELAM.

Ich habe es in diesem Fall unterlassen, weitere wichtige Tatsachen zu nennen, wie die schmelzenden Eismassen von Grönland und der Antarktis, die Schäden der Ozonschicht und die zunehmende Menge an Quecksilber in vielen Fischarten, die gewöhnlich verzehrt werden.

Man kann noch andere Themen behandeln, aber ich beabsichtige mit diesen Zeilen nur, einen Kommentar über die Zusammenkunft von Präsidenten Bush mit den wichtigsten Führungskräften von US-amerikanischen Automobilgesellschaften zu machen.

28. März 2007

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Anmerkungen:
(1) http://www.usatoday.com/news/washington/2007-03-28-4191506287_x.htm
(2) Anmerkung der Redaktion: vergleiche etwa: http://factsaboutethanol.org/?p=102
(3) http://www.telam.com.ar/vernota.php?tipo=N&idPub=57010&id=138543&dis=1&sec=1
(4) Anmerkung der Redaktion: Die Zahlen des Autors beziehen sich auf die Menge des sogenannten ‚virtuellen Wasserverbrauchs’. Der virtuelle Wasserverbrauch bezieht den gesamten Verbrauch an Wasser eines Menschen ein. So fällt etwa die Menge an Wasser, die zur Erzeugung von Lebensmitteln und anderen Produkten benötigt werden unter diesen virtuellen Wasserverbrauch. Zieht man die Bilanz des virtuellen Wasserverbrauchs, verbraucht jeder Deutsche 4000 Liter – das sind 4 Kubikmeter – Wasser pro Tag.
Weitergehendes unter: http://www.unwater.org/wwd07/downloads/documents/wwd07brochure.pdf
http://www.waterfootprint.org/Reports/Hoekstra_and_Chapagain_2007.pdf

 

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