100.000 gegen Merkel. Die Anti-Atom-Bewegung hat das Regierungsviertel aufgemischt

(20.09.2010/dpa)

Die Anti-Atom-Bewegung rief und es kamen weitaus mehr, als sich die Veranstalter hätten vorstellen können. Mindestens 100.000 Menschen demonstrierten am vergangenen Samstag gegen den Plan der Bundesregierung, die Laufzeiten der Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre zu verlängern. Bewegungsaktivisten, Linke, Grüne und SPD warfen der Regierung vor, am Willen der Bevölkerung vorbei zu regieren. Die Vertreter der beiden letztgenannte Parteien mussten sich aber auch den Vorwurf vieler Demonstrierenden gefallen lassen, durch den sogenannten Atom-Kompromiss der SPD-Grünen-Regierung mit den Energiekonzernen, die heutige Rolle rückwärts der Bundesregierung erst möglich gemacht zu haben. Insofern lagen Vertreter der heutigen Regierungskoalition auch gar nicht so falsch, als sie den Politikern von SPD und Grünen, freilich mit einer anderen Argumentation,  Heuchelei vorwarfen.

Unter dem Motto „Atomkraft: Schluss jetzt“ startete der Protestzug am Mittag am Hauptbahnhof und zog durch die Innenstadt. Am Nachmittag sollte eine Menschenkette das Regierungsviertel umzingeln. Die Zahl der Demonstrierenden war jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits so groß, dass es auf allen Freiflächen zwischen Hauptbahnhof, Kanzleramt und Reichstag von Menschen nur so wimmelte. Da half es auch nicht, dass das Verwaltungsgericht Berlin eine Kundgebung auf der Wiese vor dem Reichstag untersagt hatte, um den Rasen zu schonen.

Neben dem lautstarken Einsatz von Trillerpfeifen und andern Geräuschquellen wusste ein gemischter Chor in unmittelbarer Nähe des Kanzleramtes mit subversivem Kanongesang zu bezaubern.

Die recht jungen Aktivistinnen der noch überschaubaren Fuck-For-Forest-Bewegung wiederum bewarben ihren körper- und lustbetonten Einsatz für den Erhalt des Regenwalds mit Plakaten und
einer sehr sparsamen Garderobe im Hippie-Retro-Stil.  

Linke-Chefin Gesine Lötzsch beobachtete richtig, dass es sich um einen sehr breiten Protest quer durch alle Generationen und Schichten gehandelt hat. Obwohl die gelbe Fahne mit der roten Sonne und dem Schriftzug „Atomkraft? Nein Danke“ der Anti-Atomkraft-Bewegung der 80er Jahre reüssierte, hat sich die Zusammensetzung deutlich verjüngt. Junge Eltern, Studenten oder Schüler liefen mit, viele waren auch zum ersten Mal dabei.

Die „Alten“ sind aber keineswegs zuhause geblieben. Männer und Frauen mit wenigen oder grauen Haaren klatschen zur alten Protest-Hymne der niederländischen Band Bots „Was wollen wir trinken?“ Eine Ärztin erzählt auf der Bühne von ihrer ersten Demonstration gegen Atomkraft 1976.

Viele Aktivisten sehen in der eindrucksvollen Demonstration nur den furiosen Auftakt für weitere Proteste gegen eine fahrlässige Atompolitik zugunsten der großen Konzerne.

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