Ägypten will sich Iran annähern

(25.06.2012/dpa)

Der gestern zum Wahlsieger erklärte Kandidat der konservativ-religiösen Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, der sich in der Stichwahl um die Präsidentschaft Ägyptens gegen den Ex-Ministerpräsidenten Ahmed Schafik durchgesetzt hat, kündigte eine Annäherung seines Landes an den Iran an.

Mit Mursi wird erstmals in der Geschichte Ägyptens ein Zivilist das höchste Staatsamt bekleiden. Nach bisherigen Ankündigungen des herrschenden Militärrats soll er am 30. Juni in sein Amt eingeführt werden. Mursi tritt die Nachfolge des im Februar 2011 gestürzten Langzeitpräsidenten Husni Mubarak an. Die wirkliche Macht im Lande wird aber wohl weiterhin der Oberste Militärrat inne behalten, der seit dem Sturz Mubaraks die Geschicke des Landes lenkt und zuletzt das frei gewählte Parlament aufgelöst und die Vollmachten des Staatsoberhauptes stark eingeschränkt hatte. Zugleich zog er die Gesetzgebungs- und die Budgethoheit an sich. Die Generäle haben „die Macht über den Geldsäckel“, beschreibt es der Geschichtsprofessor Chalid Fahmi von der Amerikanischen Universität in Kairo. Mursi sei ganz auf ihr Wohlwollen angewiesen.

Laut einem heute veröffentlichten Interview mit der  iranischen Nachrichtenagentur Fars sagte der 60-jährige Mursi, die Ausweitungen der Beziehungen zum Iran würden „ein wirksames strategisches Gleichgewicht in der Region“ herstellen. Die von der „westlichen Staatengemeinschaft“ und den arabischen Golfdiktaturen forcierte Isolierung des persischen Landes hat damit einen Rückschlag erlitten.

Besonders in Israel geben die Äußerungen Musris Anlass zur Sorge. „Finsternis in Ägypten“, titelte dann auch die israelische Zeitung Jediot Achronot in Anspielung auf die biblischen Plagen.

„Die Welt hat uns ausgelacht, als wir den arabischen Frühling als islamischen Winter bezeichneten“, sagte ein Regierungsvertreter der Zeitung Haaretz. „Aber jetzt verstehen alle, wie die Lage ist.“ Besonders alarmierend für Israel sind Äußerungen Mursis, er strebe engere Beziehungen zu Israels Erzfeind Teheran an. Eine islamistische Achse praktisch „direkt vor der Haustür“ wäre für Israel eine strategische Katastrophe, kommentierte die israelische Zeitung.

Ägyptens neuer Präsident war aber sogleich darum bemüht, etwaige Bedenken auszuräumen, mit seiner Präsidentschaft beginne eine neue Ära der Konfrontation mit Israel. In einer ersten Ansprache am späten Sonntagabend erklärt er: „Wir werden uns um sehr ausgewogene Beziehungen zu allen internationalen Faktoren bemühen.“ Bestehende Verträge, darunter den Friedensvertrag mit Israel, werde Ägypten einhalten.

Die Unterzeichnung dieses Friedensvertrages war der Grund, warum der Iran 1979 die diplomatischen Beziehungen zu Kairo abgebrochen hatte.  Seit 15 Jahren strebt Teheran eine Aufwertung der Beziehungen an, stieß jedoch bei Mubarak auf taube Ohren.

Eine solche Aufwertung zeichnete sich bereits kurz nach dem Sturz Mubaraks ab, als der nach dem Umsturz zum Außenminister ernannte Nabil al-Arabi – heute Generalsekretär der Arabischen Liga – im Mai 2011 erklärte, Ägypten erwäge die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zum Iran. Der Ankündigung waren aber keine weiteren konkreten Schritte gefolgt.

Unterdessen erklärte die Muslimbruderschaft nach dem Wahlsieg Mursis dessen Mitgliedschaft für beendet. Dies gelte auch für das Verhältnis des gewählten Präsidenten zu der von der Bruderschaft gegründeten Partei Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), sagte der Generalsekretär der Muslimbruderschaft, Mahmud Hussein, laut ägyptischen Medienberichten vom Montag. „Wir haben damit unser Versprechen erfüllt, das wir für den Fall des Siegs unseres Kandidaten abgegeben hatten“, wurde Hussein zitiert.

Zehntausende Anhänger des neuen Präsidenten feierten seinen Wahlsieg auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo bis tief in die Nacht. Andere rasten mit hupenden Autos und Mopeds und wehenden ägyptischen Fahnen durch die nächtliche Stadt.

Auch im Gazastreifen wurde die Ernennung Musris zum Präsidenten gefeiert. Die Anhänger der im Gazastreifen herrschenden Hamas fuhren in der Nacht zum Montag laut hupend durch die Straßen des Palästinensergebiets, verteilten Süßigkeiten und feuerten Freudenschüsse ab.

Die Hamas erhofft sich nach dem Sieg Mursis eine weitere Annäherung an Ägypten, Unterstützung im Widerstandskampf gegen Israel und eine weitere Öffnung der Grenze. „Der Verlierer in diesem Kampf sind Israel und seine Verbündeten in der Region“, frohlockte Hamas-Führer Mahmud al-Sahar, mit Blick auf die rivalisierende Palästinenserorganisation Fatah.

Die ersten Reaktion der israelischen Regierung  fiel betont vorsichtig aus. Regierungschef Benjamin Netanjahu übersandte Musri zwar keine Glückwünsche, bekräftigte aber den Wunsch nach einer weiteren Zusammenarbeit.

Diese dürfte allerdings nicht wirklich gefährdet sein, wie ein Kommentator in der Jediot Achronot schrieb. Denn für echte Veränderungen im Kurs gegenüber Israel hänge Ägypten zu sehr von US-Finanzhilfen ab. Ägypten habe sich keinesfalls über Nacht „in ein Feindesland verwandelt, das die israelischen Grenzen bedroht“. Aber eventuell in ein Land, dass sich nicht mehr in die Drohkulisse gegen den Iran einspannen lassen wird.

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